Haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem gerichtlichen Vergleich vereinbart, dass die gesamte Abfindung mit dem regulären Gehaltslauf des auf den Beendigungsmonat folgenden Kalendermonats (hier: Dezember) ausgezahlt wird, ist der Arbeitgeber gleichwohl berechtigt, die Abfindung bereits im Dezember auszuzahlen.
Diese Vereinbarung ist nach der in § 271 Abs. 2 BGB getroffenen Auslegungsregel1 dahin auszulegen, dass zwar der Kläger die Abfindung nicht vor Ablauf des 31.12 verlangen, die Beklagte sie aber vorher bewirken konnte.
ach § 271 Abs. 2 BGB ist, sofern eine Leistungszeit bestimmt ist, im Zweifel anzunehmen, dass der Gläubiger die Leistung nicht vor dieser Zeit verlangen, der Schuldner sie aber vorher bewirken kann. Diese Bestimmung ist vorliegend anwendbar, weil sich – wie das Landesarbeitsgericht ebenfalls zutreffend angenommen hat – weder aus dem Gesetz noch aus einer Vereinbarung der Parteien noch aus den Umständen2 ergibt, dass die Beklagte nicht berechtigt sein sollte, die Abfindung vor Fälligkeit zu zahlen.
Da eine gesetzliche Bestimmung, die die Zahlung einer Abfindung durch den Arbeitgeber vor deren Fälligkeit ausschließt, nicht existiert, ist zunächst zu prüfen, ob die Parteien mitder im Prozessvergleich bestimmten Leistungszeit zugleich einen festen Zahlungstermin, mithin nicht nur die Fälligkeit, also den Zeitpunkt, zu dem der Kläger die Abfindung verlangen konnte3, sondern auch die Erfüllbarkeit der Forderung, mithin den Zeitpunkt, von dem ab die Beklagte leisten durfte4, vereinbart haben. Dabei ist regelmäßig anzunehmen, dass die Parteien keine Vereinbarung des Inhalts geschlossen haben, dass die Beklagte nicht berechtigt sein sollte, die Abfindung vor deren Fälligkeit zu zahlen.
Die Auslegung des Prozessvergleichs ist zutreffend anhand der Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB vorzunehmen, wonach Verträge – und damit auch Prozessvergleiche – so auszulegen sind, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen. Zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind jedoch auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Ebenso sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen5.
In Anwendung dieser Auslegungsregeln ist zunächst vom Wortlaut des Prozessvergleichs auszugehen und zu prüfen, ob sich hieraus nicht eindeutig ergibt, dass die Zahlung der Abfindung „erst“ bzw. „frühestens“ oder „spätestens“ mit dem regulären Gehaltslauf des auf den Beendigungsmonat folgenden Kalendermonats erfolgen. Dabei ist der Prozessvergleich schon deshalb nicht mit einer Abrede vergleichbar, nach der die Auszahlung eines Betrages zu einem bestimmten Termin zu erfolgen hat, weil sie sich nicht auf die Bestimmung eines Auszahlungstermins beschränkt, sondern an den regulären Gehaltslauf und damit an die monatliche Abrechnung anknüpft.
Sodann ist zu prüfen, ob sich aus der Entstehungsgeschichte des Prozessvergleichs, den Äußerungen der Parteien hierzu sowie aus deren Interessenlage ergibt, dass die Parteien einen festen Auszahlungstermin, mithin auch die Erfüllbarkeit der Leistung durch die Beklagte vereinbart hatten.
Dabei ist davon auszugehen, dass die Interessenlage bzw. die (einseitigen) Vorstellungen einer Partei im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB überhaupt nur dann maßgeblich sein können, wenn sie für die andere Vertragspartei bei Vertragsschluss erkennbar waren6 und dass diese Voraussetzungen nicht vorlagen. Der Kläger hatte nicht vorgetragen, die Beklagte bei Vergleichsschluss auf sein Interesse hingewiesen zu haben, die Abfindung jedenfalls bei einem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.12 2011 erst im Steuerjahr 2012 zu erhalten. Es sind auch keine Umstände ersichtlich, aufgrund derer dieses Interesse des Klägers für die Beklagte sonst wie erkennbar gewesen wäre.
Im vorliegenden Fall kann hinzu, dass der Arbeitnehmer nach dem getroffenen Vergleich berechtigt war, das Anstellungsverhältnis vor Ablauf des in dem Vergleich auf den 31.12 2011 bestimmten Beendigungstermins mit einer Ankündigungsfrist von 14 Tagen vorzeitig zu beenden, weshalb sich die im Vergleich getroffene Vereinbarung auf das Jahr, in dem die Abfindung zu versteuern war, nur dann auswirken konnte, wenn der Kläger von der ihm in dem Vergleich eingeräumten Möglichkeit der vorzeitigen Beendigung des Anstellungsverhältnisses keinen Gebrauch machte. Dass er zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses bereits entschlossen war, erst mit Ablauf des 31.12 2011 aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden und dass die Beklagte von diesem Entschluss wusste, hat der Kläger vorliegend nicht geltend gemacht.
Im Übrigen ist es für die Anwendbarkeit der in § 271 Abs. 2 BGB bestimmten Auslegungsregel nicht entscheidend, ob mehr oder weniger für die Annahme einer reinen Fälligkeitsabrede spricht. Vielmehr würde eine Anwendung von § 271 Abs. 2 BGB nur dann ausscheiden, wenn die Parteien im Prozessvergleich vereinbart hätten, dass die Beklagte nicht berechtigt sein sollte, die Abfindung vor Fälligkeit zu zahlen. Eine solche Vereinbarung konnte hier aber in Anwendung der in §§ 133, 157 BGB bestimmten Auslegungsgrundsätze gerade nicht angenommen werden.
Auch aus den Umständen ergab sich vorliegend nicht, dass § 271 Abs. 2 BGB nicht anwendbar sein sollte.
Ein Ausschluss von vorfälligen Leistungen ergibt sich aus den Umständen, wenn die Leistungszeit nicht nur im Interesse des Schuldners hinausgeschoben ist, sondern wenn auch der Gläubiger ein rechtlich geschütztes Interesse daran hat, die Leistung nicht vor Fälligkeit entgegennehmen zu müssen7. Ob diese Voraussetzung gegeben ist, bestimmt sich insbesondere nach der Natur des Schuldverhältnisses und der Verkehrssitte.
Aus der Natur des Prozessvergleichs, mit dem die Parteien sich ua. auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung verständigt haben, ergibt sich kein rechtlich geschütztes Interesse des Klägers, die Abfindung nicht bereits im Monat der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern erst im Folgemonat entgegennehmen zu müssen. Zwar hat die Abfindung nach Ziff. 6 Satz 1 des Prozessvergleichs die Funktion, einen gewissen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes zu schaffen. Hieraus folgt allerdings nur, dass zwischen der Abfindung und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Zusammenhang bestand und die Abfindung deshalb mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig sein sollte8. Dass sie auch erst zu diesem Zeitpunkt erfüllbar war, ergibt sich hieraus aber nicht.
Es besteht auch keine Verkehrssitte, wonach eine Abfindung im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Ende eines Jahres aus steuerlichen Gründen stets erst im Folgejahr gezahlt wird. Welcher Zuflusszeitpunkt sich für den Arbeitnehmer aus steuerlichen Gründen als günstiger erweist, lässt sich nicht im Voraus für alle Fälle gleich beantworten, sondern hängt von individuellen Faktoren ab, ua. von dem (zu erwartenden) Einkommen des Arbeitnehmers in den jeweiligen Steuerjahren und kann deshalb erst im Nachhinein beurteilt werden.
Damit verbleibt es dabei, dass ein Arbeitnehmer, der aus steuerlichen Gründen eine Abfindung erst zu einem bestimmten Zeitpunkt entgegennehmen möchte, dies mit dem Arbeitgeber verbindlich vereinbaren muss, was vorliegend nicht geschehen ist.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. Juni 2016 – 8 AZR 757/14
- vgl. etwa BGH 25.10.2006 – VIII ZR 23/06, Rn. 10, BGHZ 170, 1[↩]
- vgl. BGH 25.10.2006 – VIII ZR 23/06, Rn. 10 mwN, BGHZ 170, 1[↩]
- zum Begriff der Fälligkeit vgl. etwa BAG 19.02.2014 – 5 AZR 700/12, Rn. 22[↩]
- zum Begriff der Erfüllbarkeit vgl. etwa BGH 24.06.2002 – II ZR 256/01, zu I 1 b der Gründe[↩]
- st. Rspr., vgl. etwa BAG 10.12 2014 – 10 AZR 63/14, Rn. 21 mwN[↩]
- vgl. BAG 8.04.2014 – 9 AZR 856/11, Rn. 27, 41 ff.; 21.09.2011 – 7 AZR 150/10, Rn. 23; 17.07.2007 – 9 AZR 819/06, Rn. 21; 24.09.2003 – 10 AZR 34/03, zu II 1 b der Gründe[↩]
- vgl. etwa BGH 25.10.2006 – VIII ZR 23/06, Rn. 11, BGHZ 170, 1; 16.06.1993 – XII ZR 6/92, zu 2 d der Gründe, BGHZ 123, 49[↩]
- vgl. BAG 15.07.2004 – 2 AZR 630/03, zu B II 2 b der Gründe, BAGE 111, 240; 29.11.1983 – 1 AZR 523/82, zu 2 der Gründe, BAGE 44, 260[↩]