Nach § 611a Abs. 2 BGB iVm. § 6.1 iVm. § 6.2 des Manteltarifvertrags zum ERA-TV für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden vom 14.06.2005 (MTV ERA) hat ein Arbeitnehmer, der das 54. Lebensjahr vollendet hat und zu diesem Zeitpunkt länger als ein Jahr im Betrieb der Arbeitgeberin beschäftigt war, mit Beginn des Monats Mai 2018 Anspruch auf Verdienstsicherung. Die Arbeitgeberin ist jedoch nicht verpflichtet, in die Berechnung des nach § 6.7 MTV ERA festzuschreibenden Alterssicherungsbetrags die vom Arbeitnehmer in den letzten zwölf Kalendermonaten vor Beginn der Verdienstsicherung erzielten durchschnittlichen Zuschläge für Spät- und Nacht-(Schicht-)Arbeit einzubeziehen.
Gemäß § 6.03.5 MTV ERA kommt die Berücksichtigung solcher Zuschläge nur unter den in § 6.4 MTV ERA genannten Voraussetzungen in Betracht. Dazu gehört nach § 6.04.01.1 MTV ERA, dass die den Zuschlägen zugrunde liegenden Arbeiten zu den regelmäßigen Arbeitsaufgaben des Beschäftigten gehören (zB Pförtner, Feuerwehrleute). Um dieser Anforderung zu genügen reicht es – entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg1 – nicht aus, dass die zulagen- bzw. zuschlagspflichtigen Arbeiten allgemein vom Arbeitnehmer vertraglich geschuldet sind. Vielmehr muss, jedenfalls soweit es um die Berücksichtigung von Zuschlägen geht, die an die Arbeitsleistung zur Spät- und Nachtzeit und damit an die Lage der Arbeitszeit anknüpfen, die betreffende (Schicht-)Arbeit zu der vom Arbeitnehmer regelmäßig zu bewirkenden Arbeitsaufgabe gehören. Dies ist nicht der Fall, wenn ein Arbeitnehmer – wie der Arbeitnehmer – seine vertraglich geschuldete Tätigkeit üblicherweise in Normalschicht verrichtet und nur vertretungsweise zuschlagspflichtige Spät- und/oder Nachtarbeit leistet. Das ergibt die Auslegung der einschlägigen Tarifbestimmungen2.
Bereits der Wortlaut von § 6.04.01.1 MTV ERA legt das aufgezeigte Verständnis nahe.
Der Begriff der „regelmäßigen Arbeitsaufgabe“ wird – ebenso wie der Begriff der Arbeitsaufgabe selbst – weder in § 6.04.01.1 MTV ERA noch andernorts im Tarifvertrag, insbesondere nicht in § 2 MTV ERA, eigens definiert.
Wenn der Tarifvertrag in § 6.04.01.1 MTV ERA einerseits auf die den Zuschlägen und Zulagen zugrunde liegenden „Arbeiten“ und andererseits auf die „regelmäßige Arbeitsaufgabe“, zu der die betreffenden Arbeiten gehören müssen, abstellt, wird daraus zunächst deutlich, dass der Begriff der „regelmäßigen Arbeitsaufgabe“ weiter zu verstehen ist als derjenige der Arbeit. Es ist deshalb anzunehmen, dass mit dem Wort „Arbeitsaufgabe“ auf die dem Arbeitnehmer allgemein übertragene und grundsätzlich – wie auch durch § 2 MTV ERA vorgegeben – mit ihm arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit abgestellt wird. Dabei kann die Wortlautauslegung aber nicht stehen bleiben, weil die „Arbeitsaufgabe“ grundsätzlich nicht durch die Lage der Arbeitszeit bestimmt wird. Allein der Umstand, dass die Erbringung zuschlags- oder zulagenpflichtiger Arbeit überhaupt zu den vertraglichen Verpflichtungen des Beschäftigten zählt, kann deshalb nicht genügen, um die Einbeziehung der in § 6.03.5 MTV ERA benannten Zuschläge und Zulagen in den Alterssicherungsbetrag zu begründen. Andernfalls hätte es der Hinzufügung des Adjektivs „regelmäßig“ nicht bedurft. Dieses bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch „nach einer bestimmten Regel (geschehend, verlaufend, eintretend), in gleichen Abständen (sich wiederholend)“ bzw. „immer, gewohnheitsmäßig, gewöhnlich“3. Ausgehend von dem Grundsatz, dass die Tarifvertragsparteien keine überflüssigen, weil inhaltsleeren Regelungen treffen wollen4, muss dem Wort „regelmäßig“ deshalb eine eigenständige Bedeutung zukommen. Das ist nur der Fall, wenn es als Einschränkung verstanden wird, und es deshalb für die Einbeziehung von Zuschlägen für Spät- und Nachtarbeit in den Alterssicherungsbetrag darauf ankommen soll, ob der Arbeitnehmer gewöhnlich, dh. im Normalfall, seine Arbeitsleistung in Schichtarbeit zu bewirken hatte.
Dieses Verständnis bestätigen die im Klammerzusatz zu § 6.04.01.1 MTV ERA angeführten Beispiele der Pförtner und Feuerwehrleute. Diese verrichten üblicherweise zulagen- und/oder zuschlagspflichtige Arbeiten, weil die Arbeitsaufgabe gewöhnlich im Schichtbetrieb zu erfüllen ist oder weil sie – wie bei Feuerwehrleuten – mit erschwerenden Umständen wie Hitze, Rauch, Dunkelheit und dem Tragen von Schutzkleidung verbunden ist. Dass dies insbesondere im genannten Beispiel der Pförtner in Einzelfällen anders sein kann, ändert an dem durch die Beispieltätigkeiten vorgegebenen Verständnis wegen der den Tarifvertragsparteien erlaubten Typisierung nichts.
Der Zweck der tariflichen Alterssicherung nach § 6 MTV ERA spricht ebenfalls für ein einschränkendes Verständnis des Begriffs „regelmäßig“ im dargestellten Sinn. Dieser besteht darin, die Arbeitnehmer vor einem durch das altersbedingte Nachlassen ihrer körperlichen Kräfte verursachten Einkommensverlust zu schützen5. Indem der Alterssicherungsbetrag gemäß § 6.01.1 MTV ERA als Mindestverdienst garantiert wird, soll der bisherige Lebensstandard des Arbeitnehmers aufrechterhalten und der Besitzstand gewahrt werden6. Vor diesem Hintergrund soll durch die Zugehörigkeit etwa der Schichtarbeit zur „regelmäßigen Arbeitsaufgabe“ sichergestellt werden, dass Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit nur dann in den Alterssicherungsbetrag einbezogen werden, wenn sich der Arbeitnehmer berechtigterweise in seiner Lebensführung auf den Erhalt entsprechender Leistungen hat einstellen dürfen. Das wiederum ist grundsätzlich nur anzunehmen, wenn er seine Arbeit normalerweise in Schichtarbeit erfüllt, nicht jedoch, wenn Spät- und Nacht-(Schicht-)Arbeit nur in Ausnahmesituationen anfällt.
Die Tarifsystematik bestätigt diesen Befund.
§ 6.04.01.2 MTV ERA normiert in Satz 1 als weitere Voraussetzung für die Einbeziehung der Zuschläge für Spät, Nacht- und Montagearbeit in den Alterssicherungsbetrag, dass der Beschäftigte während eines unmittelbar vor Beginn der Verdienstsicherung liegenden Zeitraums von acht Jahren mehr als vier Jahre in einem Betrieb der Metall- und Elektroindustrie diese Arbeit geleistet hat. Nach Satz 2 ist diese Voraussetzung bereits dann erfüllt, wenn teils Arbeit der einen und teils Arbeit einer anderen der betreffenden Art geleistet wurde, wobei nach Satz 3 „in jedem Fall“ der Beschäftigte mindestens ein Jahr eine der genannten Arbeiten regelmäßig in dem Betrieb, „gegen den“ der Anspruch auf Verdienstsicherung entsteht, geleistet haben muss. Die Tarifregelung knüpft damit in ihren Sätzen 1 und 2 an Umstände an, deren Voraussetzungen nicht zwingend bei dem Arbeitgeber, der den Anspruch auf Verdienstsicherung zu erfüllen hat, verwirklicht sein müssen. Sie verlangt nach ihrem Satz 1 nur, dass in dem dort bezeichneten Zeitraum Arbeit der genannten Art überhaupt geleistet worden ist, und nach ihrem Satz 3, dass dies für die Dauer eines Jahres, das allerdings nicht unmittelbar vor Beginn der Alterssicherung liegen muss, in dem Betrieb des Arbeitgebers, der den Mindestverdienst zu garantieren hat, „regelmäßig“ geschehen ist. Wollte man vor diesem Hintergrund den Begriff der „regelmäßigen Arbeitsaufgabe“ in § 6.04.01.1 MTV ERA dahin verstehen, dass es zur Erfüllung dieser Voraussetzung allein auf die allgemeine vertragliche Verpflichtung des Arbeitnehmers ankäme, zuschlags- oder zulagenpflichtige Arbeit zu leisten, wären die Anforderungen an die Einbeziehung der im Zwölf-Monats-Zeitraum vor Beginn der Alterssicherung durchschnittlich erzielten Zuschläge äußerst gering. Die Einrechnung entsprechender Leistungen in den Alterssicherungsbetrag fände bejahendenfalls schon dann statt, wenn der Arbeitnehmer – unter den weiteren Voraussetzungen des § 6.04.01.2 Satz 1 MTV ERA – innerhalb eines Jahres in dem Betrieb des Arbeitgebers zu Arbeiten der in § 6.04.01.2 MTV ERA benannten Art herangezogen wurde, auch wenn der Bezug der Zuschläge mit einer nur wegen besonderer Umstände und insoweit ausnahmsweise erfolgten Heranziehung des Beschäftigten zur Schichtarbeit verbunden gewesen sein sollte. Ein solches Ergebnis wäre mit dem dargestellten Zweck der Alterssicherung jedoch nicht vereinbar.
§ 6.04.01.3 MTV ERA steht der Annahme, mit dem Wort „regelmäßig“ werde bezogen auf Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit vorausgesetzt, dass der Arbeitnehmer „normalerweise“ zu Schichtarbeit herangezogen wird, nicht entgegen. Aus der Bestimmung ergibt sich nur, dass die Voraussetzungen für die Einbeziehung der Zuschläge und Zulagen in den Alterssicherungsbetrag noch nach Beginn der Verdienstsicherung erfüllt werden können. Über den Inhalt dieser Voraussetzungen trifft die Tarifregelung keine Aussage. Die Tarifbestimmung läuft mit dem einschränkenden Verständnis des Begriffs der „regelmäßigen Arbeitsaufgabe“ auch nicht leer. Sie bewirkt die Einbeziehung der fraglichen Zuschläge in den Alterssicherungsbetrag ab dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitnehmer – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 6.04.1 MTV ERA – nach Beginn der Alterssicherung im Rahmen der normalerweise von ihm zu erfüllenden Tätigkeit zu zuschlags- oder zulagenpflichtiger Arbeit herangezogen wird.
Soweit das Landesarbeitsgericht gemeint hat, gegen dieses Tarifverständnis spreche, dass es damit der Arbeitgeber in der Hand habe, bei gleichbleibender Arbeitsaufgabe durch einseitige Bestimmung der Lage der Arbeitszeit in ggf. missbräuchlicher Weise Einfluss auf die Einbeziehung von Schichtzuschlägen in den Alterssicherungsbetrag zu nehmen, stellt es auf eine atypische Situation ab, die für die Tarifauslegung nicht bestimmend ist. Ob ein missbräuchliches Verhalten des Arbeitgebers vorliegt, ist im konkreten Einzelfall zu prüfen7.
Gemessen daran waren zu Beginn der Alterssicherung am 1.05.2018 die vom Arbeitnehmer im vorausgehenden Zwölf-Monats-Zeitraum erzielten Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit nicht nach § 6.03.05. iVm. § 6.4 MTV ERA in den Alterssicherungsbetrag einzurechnen. Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 559 Abs. 2 ZPO) beschäftigte die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer seit dem 22.09.2014 ausschließlich in Normalschicht. Soweit der Arbeitnehmer nachfolgend im Spät- und Nachtzuschläge auslösenden Schichtbetrieb tätig war, geschah dies entweder – wie in der Zeit vom 23.02.2017 bis zum 1.03.2018 – im Rahmen einer ausdrücklich mit ihm vereinbarten befristeten Elternzeitvertretung oder – wie ab dem 1.03.2018 – im Rahmen von Vertretungstätigkeiten, zu denen der Arbeitnehmer außerhalb seines planmäßigen Einsatzes in der Normalschicht herangezogen wurde. Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Bestimmung der Lage der Arbeitszeit des Arbeitnehmers ergeben sich aus dem Parteivorbringen nicht. Die betreffenden Arbeiten gehörten damit nicht zu den „regelmäßigen Arbeitsaufgaben“ iSv. § 6.04.01.1 MTV ERA. Ob dieses Ergebnis auch durch die Regelungen in § 2.02.2 Abs. 2 MTV ERA vorgegeben wird, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Juni 2021 – 5 AZR 529/20
- LAG Baden-Württemberg 1.10.2020 – 17 Sa 7/20[↩]
- zu den Auslegungsgrundsätzen für Tarifverträge sh. BAG 11.11.2020 – 4 AZR 210/20, Rn.20 mwN[↩]
- vgl. Brockhaus/Wahrig Deutsches Wörterbuch Band 5; Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. Band 7 – jeweils zum Stichwort „regelmäßig“[↩]
- BAG 2.09.2020 – 5 AZR 168/19, Rn. 18 mwN[↩]
- BAG 27.03.2019 – 5 AZR 94/18, Rn. 25; 13.01.2016 – 10 AZR 42/15, Rn.19, 21[↩]
- vgl. BAG 8.11.2006 – 4 AZR 608/05, Rn. 17[↩]
- vgl. BAG 11.04.2019 – 6 AZR 267/18, Rn. 22[↩]
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