Gegen den in einer Familienstreitsache ergangenen Beschluss des Oberlandesgerichts, mit dem der Antrag eines Beteiligten auf Terminierung wegen einer behaupteten Unwirksamkeit eines zuvor abgeschlossenen Vergleichs verworfen wurde, findet eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nicht statt.
Nach der gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG auch in Ehesachen und Familienstreitsachen anwendbaren Vorschrift des § 70 Abs. 1 FamFG findet die Rechtsbeschwerde gegen Beschlüsse in Verfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit grundsätzlich nur dann statt, wenn sie von dem Beschwerdegericht zugelassen worden ist. Eine Beschwerde gegen eine unterbliebene Zulassung hat der Gesetzgeber in dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit bewusst nicht eröffnet1.
Im vorliegenden Fall hat das Oberlandesgericht Nürnberg die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen2. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsbehelfsbelehrung, die der angegriffenen Entscheidung beigefügt ist. Denn dort wird nur ausgeführt, dass gegen diesen Beschluss „möglicherweise die Rechtsbeschwerde nach §§ 70 ff., 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO analog statthaft“ ist. Aus dieser Formulierung kann nicht geschlossen werden, dass das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde gegen seine Entscheidung zulassen wollte. Zudem stellt eine von dem Beschwerdegericht erteilte Rechtsmittelbelehrung grundsätzlich keine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde dar3.
Die Voraussetzungen für eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 3 FamFG liegen ebenfalls nicht vor.
Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch weder aus einer direkten noch einer entsprechenden Anwendung von § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.
Eine direkte Anwendung dieser Vorschriften scheitert bereits am eindeutigen Wortlaut des § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO. Zwar gilt in Ehe- und Familienstreitsachen nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG die Vorschrift des § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO entsprechend4. Sie erfasst in Ehe- und Familienstreitsachen jedoch nur das Rechtsmittel gegen einen die Beschwerde verwerfenden Beschluss5. Im vorliegenden Fall hat das Oberlandesgericht mit dem angefochtenen Beschluss jedoch nicht eine Beschwerde des Antragsgegners verworfen, sondern nur über seinen in der Beschwerdeinstanz gestellten Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens nach Abschluss des dort geschlossenen Vergleichs entschieden.
Eine analoge Anwendung des § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, wie sie das Oberlandesgericht in der dem Beschluss beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung für möglich gehalten hat, kommt nicht in Betracht. Eine solche erfordert neben einer planwidrigen Regelungslücke die Vergleichbarkeit der zur Beurteilung stehenden Sachverhalte. Beide Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Es liegt bereits keine planwidrige Regelungslücke vor. Der Gesetzgeber hat die Statthaftigkeit der mit dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit neu eingeführten Rechtsbeschwerde bewusst von der Zulassung durch das Beschwerdegericht oder durch das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug abhängig gemacht, damit das Rechtsbeschwerdegericht in erster Linie mit Verfahren befasst wird, denen aufgrund ihrer grundsätzlichen Bedeutung eine über den Einzelfall hinausreichende Wirkung zukommt6. Von dem Zulassungserfordernis hat der Reformgesetzgeber nur ausnahmsweise unter den Voraussetzungen des § 70 Abs. 3 FamFG und § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO abgesehen.
Mit der Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG wollte der Gesetzgeber einen zulassungsfreien Zugang zum Bundesgerichtshof eröffnen, um in Betreuungs, Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen und somit in Verfahren, in denen gerichtliche Entscheidungen mit besonders hoher Intensität in höchstpersönliche Rechte der Beteiligten eingreifen, eine Verbesserung des Rechtsschutzes zu erreichen7. Während in Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen die Vorschrift keine Einschränkung enthält, sieht § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG in Betreuungssachen die Statthaftigkeit der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde nur für Entscheidungen vor, die die Bestellung eines Betreuers, die Aufhebung einer Betreuung oder die Anordnung bzw. Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts zum Inhalt haben. Damit benennt das Gesetz für Betreuungssachen abschließend die Entscheidungen, in denen der Gesetzgeber Anlass für eine Ausnahme von dem Zulassungserfordernis nach § 70 Abs. 1 FamFG gesehen hat8.
Mit dem in § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG enthaltenen Verweis auf § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO wollte der Gesetzgeber einen Gleichklang mit der Berufung erreichen. Ebenso wie die Verwerfung der Berufung sollte auch die entsprechende Entscheidung des Beschwerdegerichts in Ehe- und Familienstreitsachen mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden können, ohne dass diese zugelassen sein muss9. Die sich aus § 117 FamFG ergebenden Modifikationen und Ergänzungen des Rechtsmittelverfahrens nach den §§ 58 ff. FamFG gelten jedoch nicht für Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit10. In diesen Verfahren hat der Gesetzgeber an dem Erfordernis der Zulassung der Rechtsbeschwerde festgehalten.
Aus den genannten Vorschriften und der Gesetzesbegründung ergibt sich daher, dass die Ausnahmen, in denen im Anwendungsbereich des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde statthaft sein soll, eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung darstellen und abschließend sein sollten.
Zudem fehlt es an der für eine Analogie notwendigen Vergleichbarkeit der Interessenlagen. Diese Voraussetzung ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann erfüllt, wenn der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem gesetzlich geregelten Tatbestand vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen11. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt.
Ebenso wie die Verwerfung der Berufung soll über den Verweis in § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG auf § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO auch die entsprechende Entscheidung des Beschwerdegerichts in Ehe- und Familienstreitsachen mit der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde angefochten werden können12. Der Grund dafür, dass bei einer Verwerfung der Berufung (in Ehe- und Familienstreitsachen im Sinne des § 117 Abs. 1 FamFG der Beschwerde) als unzulässig die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde (§§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) eröffnet ist, ist im Wesentlichen darin zu sehen, dass eine das Rechtsmittel als unzulässig verwerfende Entscheidung der revisions- bzw. rechtsbeschwerdegerichtlichen Nachprüfung stets zugänglich sein soll, damit sich das Berufungs- bzw. Beschwerdegericht nicht unberechtigt einer Sachentscheidung über das Rechtsmittel entziehen kann13. Zudem soll damit der Bundesgerichtshof als Revisions- und Rechtsbeschwerdegericht die Möglichkeit erhalten, Einfluss auf die Anwendung und Auslegung der formalen Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Berufung oder Beschwerde zu nehmen14.
Im vorliegenden Fall ist jedoch nicht ein Rechtsmittel des Antragsgegners, sondern nur sein (wiederholter) Antrag auf Fortsetzung des durch den Vergleich in der Beschwerdeinstanz beendeten Rechtsstreits als unzulässig verworfen worden. Die gesetzgeberischen Zwecke, die der Eröffnung der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde im Falle der Verwerfung der Berufung (in Ehe- und Familienstreitsachen der Beschwerde) zugrunde liegen, greifen somit nicht. Daher ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber die Verwerfung eines solchen Antrags der Verwerfung einer Berufung bzw. Beschwerde gleichgestellt hätte.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23. Juni 2021 – XII ZB 588/20
- vgl. BT-Drs. 16/6308 S. 225[↩]
- OLG Nürnberg, Beschluss vom 08.12.2020 – 11 UF 579/19[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 20.07.2011 – XII ZB 445/10, FamRZ 2011, 1728 Rn. 16[↩]
- BGH, Beschluss vom 09.12.2015 – XII ZB 614/14, FamRZ 2016, 452 Rn. 5[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 09.12.2015 – XII ZB 614/14, FamRZ 2016, 452 Rn. 5, 9[↩]
- vgl. BT-Drs. 16/6308 S.209[↩]
- vgl. Bericht und Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses BT-Drs. 16/9733 S. 290[↩]
- BGH, Beschluss vom 19.09.2018 – XII ZB 427/17, FamRZ 2018, 1935 Rn. 7 mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 09.12.2015 – XII ZB 614/14, FamRZ 2016, 452 Rn. 8 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 27.11.2013 – XII ZB 464/13 4[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020 – XII ZR 28/20, FamRZ 2021, 584 Rn. 27 mwN[↩]
- BT-Drs. 16/6308 S. 372[↩]
- vgl. zum früheren Recht BGH Beschluss vom 02.04.1982 – V ZR 293/81 NJW 1982, 2071, 2072[↩]
- vgl. BT-Drs. 14/4722 S. 96[↩]
Bildnachweis:
- Justizpalast Nürnberg (Ostbau): Straktur | Public Domain Mark 1.0