Die von § 365 Abs. 3 der Abgabenordnung vorausgesetzte Identität der Beteiligten liegt vor, wenn ein Verwaltungsakt, der an eine nicht mehr existente Personengesellschaft gerichtet und deshalb unwirksam ist, im Einspruchsverfahren dem Gesamtrechtsnachfolger als Steuerschuldner erneut bekanntgegeben wird. Bei der Bestimmung des Einspruchsführers ist das tatsächliche Vorbringen im Verlauf des Einspruchsverfahrens zu berücksichtigen. Die Berichtigung der Bezeichnung des Einspruchsführers ist zulässig, wenn sie mit dem Gesamtrechtsnachfolger als Steuerschuldner dieselbe Person betrifft.
Der neue Verwaltungsakt wird Gegenstand des Einspruchsverfahrens, wenn der angefochtene Verwaltungsakt durch ihn geändert oder ersetzt wird (vgl. § 365 Abs. 3 Satz 1 AO). Dasselbe gilt, wenn ein Verwaltungsakt an die Stelle eines angefochtenen unwirksamen Verwaltungsakts tritt (§ 365 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AO). Die durch Art. 1 Nr. 48 Buchst. b des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19.12.19851 eingefügte Vorschrift des § 365 Abs. 3 AO soll nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung2 verhindern, dass der Rechtsbehelfsführer ohne Einlegung eines erneuten Rechtsbehelfs aus dem außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren hinausgedrängt wird, wenn der ursprüngliche Verwaltungsakt geändert oder durch einen neuen Verwaltungsakt ersetzt wird3.
Mit Rücksicht auf diesen Normzweck setzt der Austausch des Verfahrensgegenstands einen zulässigen Einspruch voraus. Ist das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren gegen den ursprünglichen Verwaltungsakt durch einen unzulässigen Rechtsbehelf begonnen worden, kann auch der neue Verwaltungsakt in diesem Verfahren nicht in der Sache geprüft werden4.
Ein Grunderwerbsteuerbescheid, der sich auf einen vor der Anwachsung erfolgten Erwerbsvorgang bezieht, ist nach der Anwachsung an den verbleibenden Gesellschafter als Rechtsnachfolger der Gesellschaft zu adressieren. Ein an die vollbeendete und damit nicht mehr existente Rechtsvorgängerin gerichteter Bescheid ist unwirksam5. Auch ein unwirksamer Verwaltungsakt kann zur Beseitigung des durch ihn gesetzten Rechtsscheins angefochten werden6; von der Anfechtbarkeit unwirksamer Verwaltungsakte geht § 365 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AO ausdrücklich aus.
So auch in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall: Der an die B KG gerichtete Grunderwerbsteuerbescheid vom 11.11.2014 war unwirksam, denn die B KG war vor dessen Bekanntgabe -mit dem Austritt ihrer alleinigen Kommanditistin, der D KG- zivilrechtlich ohne Liquidation vollbeendet worden. Ihre alleinige Komplementärin, die A GmbH, war durch Anwachsung nach § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB Gesamtrechtsnachfolgerin der B KG geworden. Somit lagen die vermeintliche Steuerschuldnerschaft und die Einspruchsbefugnis hinsichtlich des Bescheids vom 11.11.2014 bei der Rechtsnachfolgerin A GmbH.
Das Finanzgericht München7 ist im vorliegenden Fall jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Einspruch vom 21.11.2014 nicht der Auslegung zugänglich war:
Für die Beteiligtenstellung ist die Bezeichnung des Beteiligten in der Einspruchsschrift nicht allein ausschlaggebend. Vielmehr kommt es darauf an, welcher Sinn der in der Einspruchsschrift gewählten Parteibezeichnung bei objektiver Würdigung des Erklärungsinhalts beizulegen ist. In diese Beurteilung ist auch das tatsächliche Vorbringen im weiteren Verlauf des Verfahrens einzubeziehen. Nur wenn die Erklärung klar und eindeutig ist und offensichtlich dem bekundeten Willen des Beteiligten entspricht, besteht grundsätzlich kein Raum für eine gegenteilige Auslegung8.
Bei unrichtiger äußerer Bezeichnung ist grundsätzlich die Person als Beteiligter anzusprechen, die erkennbar durch die Beteiligtenbezeichnung betroffen werden soll. Auch bei scheinbar eindeutiger Erklärung hängt die Bestimmung des Einspruchsführers von allen dem Finanzamt als Empfänger der Einspruchsschrift bekannten oder erkennbaren Umständen tatsächlicher oder rechtlicher Art ab. Dabei ist im Allgemeinen nicht anzunehmen, dass ein Einspruch für jemanden erhoben wird, der nicht mehr existent ist9.
Die Auslegung des Einspruchs als vorprozessualer Rechtsbehelf ist Gegenstand der vom Finanzgericht zu treffenden tatsächlichen Feststellungen, an die das Revisionsgericht grundsätzlich gebunden ist, soweit im Revisionsverfahren keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben werden (§ 118 Abs. 2 FGO). Das Revisionsgericht kann die Auslegung nur daraufhin überprüfen, ob das Finanzgericht die anerkannten Auslegungsregeln beachtet und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat. Allerdings ist revisionsrechtlich in vollem Umfang nachprüfbar, ob der Einspruch überhaupt auslegungsbedürftig ist10. Der BFH darf ein Einspruchsschreiben selbst auslegen, wenn die vom Finanzgericht vorgenommene Auslegung rechtsfehlerhaft ist, das Finanzgericht aber alle für die Auslegung maßgebenden Umstände festgestellt hat11.
Ausgehend davon war das Urteil des Finanzgerichts München vom Bundesfinanzhof aufzuheben. Der Einspruchsschrift und dem weiteren Tatsachenvortrag ist bei verständiger Würdigung des verfolgten Rechtsschutzziels zu entnehmen, dass der Einspruch von der A GmbH als Rechtsnachfolgerin der B KG eingelegt wurde.
Rechtsschutz begehrt typischerweise derjenige, der zum Zeitpunkt des Einspruchs durch den streitigen Verwaltungsakt in Anspruch genommen wird. Das ist im Streitfall die A GmbH, denn die B KG, auf deren Briefpapier der Einspruch verfasst wurde, war bereits vor dem Erlass des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids vollbeendet worden. Das Erlöschen der B KG hat die A GmbH dem Finanzamt mit Schreiben vom 04.02.2015 mitgeteilt. Dieses Schreiben und das Schreiben der Geschäftsbesorgerin der A GmbH vom 18.02.2016 zeigen, dass sich die A GmbH gegen die Grunderwerbsteuerfestsetzung wenden wollte, die sie als gegen sich gerichtet ansah.
Das weitere Vorbringen im Verlauf des Einspruchsverfahrens ist als Berichtigung der in der Einspruchsschrift enthaltenen unzutreffenden Parteibezeichnung zu verstehen. Die Berichtigung war zulässig, da sie dieselbe Person betrifft12, denn die A GmbH ist im Wege der Gesamtrechtsnachfolge Schuldnerin der Grunderwerbsteuer als Betriebssteuer geworden. Unter Berücksichtigung der Schreiben vom 04.02.2015; und vom 18.02.2016 konnte der Einspruch daher nur als solcher der A GmbH verstanden werden. Der Bundesfinanzhof konnte die erforderliche Auslegung selbst vornehmen, da das Finanzgericht sowohl den Inhalt der Einspruchsschrift als auch die maßgebenden Begleitumstände festgestellt hat.
Auch die weiteren Voraussetzungen des § 365 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AO liegen vor.
Ein Austausch des Verfahrensgegenstands nach § 365 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AO kommt nur solange in Betracht, wie das Einspruchsverfahren offen ist. Hat die Finanzbehörde dem mit dem Einspruch verfolgten Begehren in vollem Umfang entsprochen, ist das Verfahren abgeschlossen (vgl. § 367 Abs. 2 Satz 3 AO) und kann nicht gegen einen neuen Verwaltungsakt fortgesetzt werden13.
Im Streitfall war im Zeitpunkt des Erlasses des neuen Bescheids am 27.02.2015 das Einspruchsverfahren noch nicht beendet. Die Feststellung der Nichtigkeit des zunächst angefochtenen Bescheids vom 11.11.2014 nach § 125 Abs. 5 AO erfolgte erst am 03.03.2015 und damit nach dem Austausch des Verfahrensgegenstands.
Die von § 365 Abs. 3 AO geforderte Identität der Beteiligten liegt ebenfalls vor. Der Austausch des Verfahrensgegenstands nach § 365 Abs. 3 AO setzt voraus, dass eine sachliche Beziehung zwischen dem angefochtenen und dem neuen Verwaltungsakt besteht. Beide Bescheide müssen „dieselbe Steuersache“, das heißt dieselben Beteiligten und denselben Besteuerungsgegenstand betreffen. Entscheidend ist die Identität des Adressaten und des Regelungsbereichs beim angefochtenen Verwaltungsakt einerseits und beim neuen Verwaltungsakt andererseits14. Die Identität der Beteiligten ist gegeben, wenn -wie im Streitfall mit Grunderwerbsteuerbescheid vom 11.11.2014- der Verwaltungsakt zunächst gegenüber einer vollbeendeten Personengesellschaft ergangen ist und deshalb unwirksam war und sodann im Einspruchsverfahren -im vorliegenden Fall mit Bescheid vom 27.02.2015- dem Gesamtrechtsnachfolger als Steuerschuldner (§ 45 Abs. 1 AO) erneut bekanntgegeben wird15.
Ausgehend von den vorstehenden Grundsätzen hat das Finanzamt den Einspruch zu Unrecht als unzulässig verworfen. Die Einspruchsentscheidung vom 24.11.2017 ist daher aufzuheben. Darüber hinaus ist die Sache nicht spruchreif, da das Finanzgericht -von seinem Standpunkt aus zutreffend- keine hinreichenden Feststellungen zu den besteuerten Erwerbsvorgängen getroffen hat. Sie ist deshalb an das Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 11. Oktober 2023 – II R 16/21
- BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735[↩]
- BT-Drs. 10/1636, S. 51[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 29.05.2001 – VIII R 10/00, BFHE 195, 486, BStBl II 2001, 747, unter II. 2.; und vom 09.05.2012 – I R 91/10, BFH/NV 2012, 2004, Rz 17[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 13.04.2000 – V R 56/99, BFHE 191, 491, BStBl II 2000, 490, unter II. 2.; und vom 06.09.2006 – XI R 51/05, BFHE 214, 193, BStBl II 2007, 83, unter II. 3.a[↩]
- BFH, Beschluss vom 21.10.1985 – GrS 4/84, BFHE 145, 110, BStBl II 1986, 230; BFH, Urteil vom 17.09.1992 – V R 17/86, BFH/NV 1993, 279, unter II. 2.a[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 16.09.2004 – VII B 20/04, BFH/NV 2005, 231, unter 1.a[↩]
- FG München, Urteil vom 11.03.2020 – 4 K 3174/17[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 09.01.2019 – IV R 27/16, BFHE 263, 438, BStBl II 2020, 11, Rz 19, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 14.11.1986 – III R 12/81, BFHE 148, 212, BStBl II 1987, 178, unter 1.; und vom 10.03.2016 – VI R 58/14, BFHE 253, 243, BStBl II 2016, 621, Rz 11, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 29.10.2019 – IX R 4/19, BFHE 266, 126, BStBl II 2020, 368, Rz 18[↩]
- BFH, Urteil vom 19.08.2013 – X R 44/11, BFHE 243, 304, BStBl II 2014, 234, Rz 22 f.; BFH, Beschluss vom 02.07.2021 – V B 14/20, BFH/NV 2021, 1520, Rz 11[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 14.11.1986 – III R 12/81, BFHE 148, 212, BStBl II 1987, 178, unter 1.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 17.04.1991 – II R 142/87, BFHE 164, 11, BStBl II 1991, 527, unter 1., zu § 68 FGO[↩]
- BFH, Urteil vom 10.11.2020 – VII R 8/19, BFH/NV 2021, 1091, Rz 50, zu § 68 FGO[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 17.09.1992 – V R 17/86, BFH/NV 1993, 279, unter II. 3., zu § 68 FGO[↩]
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