Der Erklärung eines Steuerberaters – Auslegung und Umdeutung

Gemäß § 357 Abs. 3 Satz 1 AO „soll“ bei der Einlegung des Rechtsbehelfs der Verwaltungsakt bezeichnet werden, gegen den der Einspruch gerichtet ist.

Der Erklärung eines Steuerberaters – Auslegung und Umdeutung

Danach ist die Rechtswirksamkeit des eingelegten Rechtsbehelfs nicht von einer konkreten genauen Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsakts abhängig.

Es ist jedoch erforderlich, dass sich die Zielrichtung des Begehrens aus der Rechtsbehelfsschrift in der Weise ergibt, dass sich der angefochtene Verwaltungsakt entweder aus dem Inhalt der Rechtsbehelfsschrift selbst ermitteln lässt oder Zweifel oder Unklarheiten am Gewollten durch Rückfragen des Finanzamt beseitigt werden können.

Fehlt es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung des wirklich Gewollten, hat das Finanzamt den wirklichen Willen des Steuerpflichtigen durch Auslegung seiner Erklärung zu ermitteln.

Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen1.

In entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB sind auch außerprozessuale Verfahrenserklärungen auszulegen. Dies gilt grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger Personen.

Ein Einspruch ist jedoch nicht auslegungsbedürftig, wenn die Erklärung nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt hat2.

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall bedeutete dies: Die vom Steuerberater stammende Formulierung in dem Schreiben vom 03.01.2013, die ausdrücklich auf den Einkommensteuerbescheid für 2010 mit Datum und Steuernummer der Einkommensteuerveranlagung (Steuernummer 2), den Einspruch vom 11.07.2012 und das Schreiben des Finanzamt vom 18.10.2012 Bezug nimmt, kann nicht als Einspruch gegen den Feststellungsbescheid vom 05.12 2012 ausgelegt werden. Die Erklärung ist eindeutig und nicht auslegungsbedürftig. Dem Willen des Steuerberaters entsprechend wurde mit ihr nur eine Stellungnahme und konkrete Antwort der Eheleute M und I auf das Schreiben des Finanzamt vom 18.10.2012 im Rahmen des Einspruchsverfahrens gegen den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr abgegeben. Dieser mit dem Schreiben vom 03.01.2013 verfolgte Zweck tritt auch dadurch hervor, dass die Frage, ob dieser Schriftsatz als Einspruch gegen den Feststellungsbescheid vom 05.12 2012 zu werten sei, erst im darauffolgenden Jahr durch das als Reaktion auf die richterlichen Hinweise in dem Klageverfahren und dem zugehörigen Aussetzungsverfahren anzusehende Schreiben des Steuerberaters vom 10.07.2014 aufgeworfen worden ist.

Anders als das Finanzgericht und die Klägerin meinen, ist die für die Eheleute M und I abgegebene Stellungnahme des Steuerberaters vom 03.01.2013 jedoch nicht in einen Einspruch der Klägerin gegen den Feststellungsbescheid vom 05.12 2012 umzudeuten.

Eine Umdeutung ist zwar grundsätzlich auch bei Verfahrenserklärungen denkbar3. Es ist jedoch ein Gebot der Rechtssicherheit, Rechtskundige wie Angehörige der steuerberatenden Berufe oder Rechtsanwälte mit ihren Verfahrenserklärungen beim Wort zu nehmen4. Denn bei diesen Personen kann davon ausgegangen werden, dass sie sich über die rechtliche Tragweite ihrer Erklärungen im Klaren sind5. Dementsprechend folgt bereits aus der Eindeutigkeit des vom Steuerberater formulierten Schreibens vom 03.01.2013, dass eine Umdeutung im Streitfall ausscheidet. Es besteht auch kein Anlass, der unmissverständlichen Stellungnahme eines steuerlichen Beraters, die sich ausdrücklich auf den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr bezieht, einen anderen Sinn beizumessen, als sie nach ihrem Wortlaut und ihrem Zweck hat6. Eine abweichende Beurteilung ergibt sich im Streitfall entgegen der Auffassungen des Finanzgericht und der Klägerin nicht aus der Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art.19 Abs. 4 GG. Denn der Rechtsschutz der Klägerin wird ohne die Umdeutung nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert oder verhindert. Vielmehr standen der steuerlich beratenen Klägerin innerhalb der gesetzlichen Fristen alle Möglichkeiten offen, ein etwaiges Rechtsschutzziel zu verfolgen. Deren Wahrnehmung obliegt allerdings der Klägerin.

Aber auch wenn die Umdeutung von Verfahrenserklärungen der Steuerberater grundsätzlich möglich wäre und der Rechtsgedanke des § 140 BGB im Steuerrecht gilt, erforderte eine Umdeutung in entsprechender Anwendung des § 140 BGB das Vorliegen einer nichtigen oder wegen Anfechtung unwirksamen Verfahrenserklärung7, mithin abstrakt-generell eine Fehlerhaftigkeit der Verfahrenserklärung. Daran fehlt es indes im Streitfall. Die im Rahmen des Einspruchsverfahrens gegen den Einkommensteuerbescheid für 2010 abgegebene Stellungnahme vom 03.01.2013 ist weder nichtig noch aus anderen Gründen unwirksam. Der Bundesfinanzhof kann offenlassen, ob eine Umdeutung auch bei „sinnlosen“ Verfahrenserklärungen möglich wäre. Denn die mit der Stellungnahme beabsichtigte Beantwortung des Schreibens des Finanzamt vom 18.10.2012 war nicht sinnlos.

Abgesehen davon scheidet im vorliegenden Fall die Umdeutung im Streitfall schließlich aus dem Grund aus, dass nur der Inhalt einer Erklärung, nicht aber die Person des Erklärenden der Umdeutung fähig ist8. Der Steuerberater hat aber die Stellungnahme vom 03.01.2013 lediglich für die dort im Betreff bezeichneten Eheleute M und I abgegeben und nicht für die durch den Feststellungsbescheid betroffene Klägerin.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 14. Juni 2016 – IX R 11/15

  1. vgl. BFH, Urteile vom 19.06.1997 – IV R 51/96, BFH/NV 1998, 6; vom 18.01.2007 – IV R 35/04, BFH/NV 2007, 1509[]
  2. vgl. BFH, Urteile vom 29.07.1986 – IX R 123/82, BFH/NV 1987, 359; vom 28.11.2001 – I R 93/00, BFH/NV 2002, 613; in BFH/NV 2007, 1509[]
  3. s. z.B. BFH, Beschluss vom 23.11.1978 – I R 56/76, BFHE 126, 366, BStBl II 1979, 173[]
  4. vgl. BFH, Urteil vom 26.04.2006 – II R 35/06, BFH/NV 2006, 1800; BFH, Beschlüsse vom 29.07.1993 – X B 210/92, BFH/NV 1994, 382; vom 10.04.2002 – VIII B 122/01, BFH/NV 2002, 1309; und vom 21.07.2005 – VIII B 77/05, BFH/NV 2005, 1861[]
  5. BFH, Urteile in BFH/NV 2006, 1800, und in BFH/NV 1987, 359; BFH, Beschluss vom 14.06.2011 – V B 24/10, BFH/NV 2011, 1532[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 06.12 1984 – VII ZR 64/84, NJW 1986, 588[]
  7. vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 2011, 1532[]
  8. so schon BFH, Beschluss in BFHE 126, 366, BStBl II 1979, 173[]