Die Aufforderung der Finanzverwaltung an einen Steuerpflichtigen, der seinen Gewinn im Wege der Einnahmen-Überschussrechnung ermittelt, zu Beginn einer Außenprüfung einen Datenträger „nach GDPdU“ zur Verfügung zu stellen, ist als unbegrenzter Zugriff auf alle elektronisch gespeicherten Unterlagen unabhängig von den gemäß § 147 Abs. 1 AO bestehenden Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten des Steuerpflichtigen zu verstehen und damit rechtswidrig1. Eine solche Aufforderung ist zudem unverhältnismäßig, wenn bei einem Berufsgeheimnisträger nicht sichergestellt ist, dass der Datenzugriff und die Auswertung der Daten nur in den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen oder in den Diensträumen der Finanzverwaltung stattfindet2.
In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall hatte eine Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung nach dem Partnerschaftsgesellschaftsgesetz geklagt, die ihren Gewinn im Streitzeitraum 2012 bis 2014 im Wege der Einnahmen-Überschussrechnung ermittelte. Das Finanzamt erließ für den Streitzeitraum gegenüber der Partnerschaftsgesellschaft eine Prüfungsanordnung. Geprüft werden sollten die gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung einschließlich des Gewerbesteuermessbetrages und die Umsatzsteuer für 2012 bis 2014. Das Finanzgericht München wies die gegen die Prüfungsanordnung gerichtete Klage als unbegründet ab3. Diese Entscheidung ist mit Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde der Partnerschaftsgesellschaft durch den Bundesfinanzhof rechtskräftig geworden4.
Zusammen mit der Prüfungsanordnung forderte der für die Außenprüfung vorgesehene Prüfer „die Überlassung eines Datenträgers nach GDPdU“, den Grundsätzen zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 16.07.20015, zu Beginn der Betriebsprüfung an. Der hiergegen erhobene Einspruch der Partnerschaftsgesellschaft blieb erfolglos. Das Finanzgericht München gab jedoch der anschließend erhobenen Klage statt6. Die hiergegen gerichtete Revision des Finanzamtes wies nun der Bundesfinanzhof als unbegründet zurück:
Es ist für den Bundesfinanzhof nicht zu beanstanden, dass das Finanzgericht München die vor der Außenprüfung an die Partnerschaftsgesellschaft gerichtete Aufforderung des Finanzamtes, einen „Datenträger nach GDPdU“ zu überlassen, aufgehoben hat. Die angefochtene Aufforderung des Finanzamtes zur Datenträgerüberlassung ist bereits mangels hinreichender Begrenzung des Umfangs des beabsichtigten Zugriffs auf die Daten der Partnerschaftsgesellschaft rechtswidrig. Selbst wenn der Bundesfinanzhof der Aufforderung den Inhalt beimessen würde, dass das Finanzamt mittels des Datenträgers nur auf gemäß § 147 Abs. 1 AO aufzeichnungs- und aufbewahrungspflichtige Unterlagen und Daten der Partnerschaftsgesellschaft zugreifen will, ist die Aufforderung unverhältnismäßig und rechtswidrig, weil sie keine Beschränkung enthält, dass der überlassene Datenträger vom Prüfer nur in den Geschäftsräumen der Partnerschaftsgesellschaft oder in den Diensträumen des Finanzamtes ausgewertet werden darf.
Sind Unterlagen nach § 147 Abs. 1 AO mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden, hat die Finanzbehörde im Rahmen einer Außenprüfung das Recht, Einsicht in die gespeicherten Daten zu nehmen und das Datenverarbeitungssystem zur Prüfung dieser Unterlagen zu nutzen. Sie kann im Rahmen einer Außenprüfung auch verlangen, dass ihr die gespeicherten Unterlagen und Aufzeichnungen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Verfügung gestellt werden (§ 147 Abs. 6 Satz 2 Alternative 2 AO). Es steht der Finanzverwaltung auch bei einer Gewinnermittlung im Wege der Einnahmen-Überschussrechnung wie im Streitfall zu, nach § 147 Abs. 6 Satz 2 Alternative 2 AO die Überlassung der gespeicherten Unterlagen und Aufzeichnungen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zu verlangen7.
Die hier streitbefangene Aufforderung an die Partnerschaftsgesellschaft, einen „Datenträger nach GDPdU“ zu überlassen, ist im Sinne eines unbegrenzten Zugriffs auf alle elektronisch gespeicherten Unterlagen der Partnerschaftsgesellschaft zu verstehen und daher rechtswidrig.
Die Aufforderung des Finanzamtes an den Steuerpflichtigen, Unterlagen und Aufzeichnungen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger für eine Außenprüfung zur Verfügung zu stellen, ist ein anfechtbarer Verwaltungsakt8. Der Bundesfinanzhof ist selbst zur Auslegung von dessen Regelungsinhalt berechtigt und verpflichtet9. Wie der Regelungsgehalt zu verstehen ist, bestimmt sich danach, wie der Adressat den Inhalt des Verwaltungsakts nach dessen objektivem Sinngehalt unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen durfte10.
Die Aufforderung zur Überlassung des Datenträgers musste von der Partnerschaftsgesellschaft nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont dahin verstanden werden, dass das Finanzamt mittels des Datenträgers unbegrenzt auf alle elektronisch gespeicherten Unterlagen der Partnerschaftsgesellschaft zugreifen wollte. Ein Vorlageverlangen, das den nur begrenzten Umfang der Befugnis des Finanzamtes zur Anforderung von elektronischen Aufzeichnungen nach § 147 Abs. 6 AO überschreitet, ist jedoch rechtswidrig11.
Für Steuerpflichtige mit Einkünften aus selbständiger Arbeit -wie die Partnerschaftsgesellschaft-, die gemäß § 4 Abs. 3 EStG als Gewinn den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ansetzen, ist der sachliche Umfang der Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 AO -und mithin zugleich der sachliche Umfang der Zugriffsbefugnis der Finanzbehörde nach § 147 Abs. 6 AO- im Regelfall auf solche Unterlagen begrenzt, die zum Verständnis und zur Überprüfung der für sie geltenden steuergesetzlichen Aufzeichnungspflichten, z.B. in § 4 Abs. 3 Satz 5, Abs. 7 EStG und § 22 des Umsatzsteuergesetzes, von Bedeutung sind12. Damit ging die Aufforderung zur Datenträgerüberlassung über die dem Finanzamt durch § 147 Abs. 6 AO eingeräumte Befugnis hinaus. Der Verweis auf die „GDPdU“ lässt nicht mit der gebotenen Klarheit erkennen, dass das Finanzamt nur die Überlassung derjenigen Datenbestände der Partnerschaftsgesellschaft auf einem Datenträger verlangt hat, für die ihm eine Zugriffsbefugnis zusteht. Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Finanzamtes in der Einspruchsentscheidung ergibt sich nicht, dass das Finanzamt eine Datenträgerüberlassung nur in Bezug auf diejenigen Daten verlangt hat, für die die Partnerschaftsgesellschaft Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten treffen.
Selbst wenn der Bundesfinanzhof der Aufforderung des Finanzamtes zur Datenträgerüberlassung den Inhalt beimessen würde, dass sie sich nur auf die gemäß § 147 Abs. 1 AO aufbewahrungspflichtigen Unterlagen bezogen hat, ist deren Aufhebung durch das Finanzgericht München nicht zu beanstanden.
Die im Rahmen des § 147 Abs. 6 Satz 2 Alternative 2 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamtes, ihm gespeicherte Unterlagen und Aufzeichnungen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Verfügung zu stellen, ist vom Finanzgericht nach § 102 Satz 1 FGO daraufhin überprüfbar, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind und ob vom Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Ermessen steht der Finanzbehörde daher insbesondere dahingehend zu, ob und ggf. in welcher Form sie sich der in § 147 Abs. 6 AO eingeräumten Befugnisse bedient und auf Daten Zugriff nehmen möchte. Die gerichtliche Kontrolle der Ermessensausübung des Finanzamtes schließt die Prüfung ein, ob der jeweils gewählte Datenzugriff notwendig, verhältnismäßig, erfüllbar und zumutbar ist, um den steuererheblichen Sachverhalt festzustellen13.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, dass die Finanzverwaltung in Ausübung ihres legitimen Interesses an einer Überlassung digitalisierter Daten im Rahmen der Außenprüfung nicht übermäßig in Rechte des Steuerpflichtigen eingreift und deshalb ihre Befugnisse aus § 147 Abs. 6 AO nur in dem durch die Zwecke der Außenprüfung gebotenen zeitlichen und sachlichen Umfang unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Steuerpflichtigen am Schutz ihrer persönlichen Daten ausübt14.
Die angefochtene Aufforderung zur Datenträgerüberlassung ist -wie vom Finanzgericht München erkannt- unverhältnismäßig, weil das Finanzamt mittels der Datenüberlassung beabsichtigte, auch außerhalb der Geschäftsräume der Partnerschaftsgesellschaft und der Dienststelle, etwa auf den Dienstlaptops der Außenprüfer, auf die Daten der Partnerschaftsgesellschaft zuzugreifen und diese auszuwerten.
Das Finanzamt hat in seiner Revisionsbegründung ausgeführt, die Aufforderung zur Überlassung eines Datenträgers sei so zu verstehen, dass es zur Mitnahme der Daten aus der Sphäre des Steuerpflichtigen und zu einem Datenzugriff auf den Dienstlaptops der Prüfer unter Beachtung des Steuergeheimnisses und der Grundsätze des BMF-Schreibens vom 14.11.201415 komme. Wie der Bundesfinanzhof jedoch bereits entschieden hat16, gebietet es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung der geschützten Daten von Berufsgeheimnisträgern Rechnung zu tragen und nach Möglichkeit auszuschließen, dass die Daten außerhalb der Geschäftsräume des Steuerpflichtigen oder der Diensträume der Finanzverwaltung, z.B. infolge eines Diebstahls des Prüfer-Notebooks, in fremde Hände geraten können. Dieses Bedürfnis ist ohne nennenswerte Beeinträchtigung einer rechnergestützten Außenprüfung angemessen berücksichtigt, wenn die Daten des Steuerpflichtigen nur in seinen Geschäftsräumen oder an Amtsstelle erhoben und verarbeitet werden dürfen.
Selbst wenn der Bundesfinanzhof dem Vortrag des Finanzamtes in der Revisionsbegründung folgend unterstellt, der Prüfer werde die Vorgaben des BMF-Schreibens in BStBl I 2014, 145017 beachten, ist die Aufforderung des Finanzamtes zur Datenträgerüberlassung unverhältnismäßig. Eine bindende Vorgabe für den Außenprüfer, die Daten ohne Zustimmung des Steuerpflichtigen nicht außerhalb der Geschäftsräume des Steuerpflichtigen und der Diensträume über einen Dienstlaptop auszuwerten, enthält das BMF-Schreiben in BStBl I 2014, 1450 gerade nicht. Vielmehr sieht die Regelung lediglich vor, dass eine Mitnahme der Datenträger aus der Sphäre des Steuerpflichtigen im Regelfall nur in Abstimmung mit dem Steuerpflichtigen erfolgen „sollte“.
Ob die Aufforderung des Finanzamtes im Streitfall auch deshalb unverhältnismäßig sein könnte, weil das einem Berufsgeheimnisträger im Rahmen des Datenträgerzugriffs ebenfalls zustehende Recht zur Anonymisierung von Mandantendaten18 nach dem Vortrag der Partnerschaftsgesellschaft in ihrem Datenverarbeitungssystem nicht ohne weiteres möglich sei, einen hohen Aufwand und eine hohe Kostenbelastung verursache und deshalb unzumutbar sei, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, weil sich die Unverhältnismäßigkeit der Aufforderung schon aus den dargelegten Gründen ergibt. Ob ein solcher Einwand eines Berufsgeheimnisträgers möglicherweise generell unerheblich sein könnte, weil von ihm verlangt werden kann, seine Datenbestände so zu organisieren, dass bei einer Einsichtnahme des Finanzamtes in die steuerlich relevanten Datenbestände keine geschützten Bereiche tangiert werden können19, ist im Streitfall aus diesem Grund ebenfalls nicht entscheidungserheblich und nicht abschließend zu beurteilen.
Danach hat das Finanzgericht München die Aufforderung zur Überlassung des Datenträgers zu Recht aufgehoben. Weder ein inhaltlich unbegrenztes Vorlageverlangen noch ein unverhältnismäßiges Vorlageverlangen des Finanzamtes kann im Wege der Auslegung nachträglich auf den gesetzlich zulässigen Regelungsgegenstand der Einsichtnahme eingeschränkt werden20.
Soweit das Finanzamt einen Verstoß des Finanzgericht gegen die Verpflichtung, den Sachverhalt von Amts wegen aufklären zu müssen (§ 76 Abs. 1 FGO), als Verfahrensfehler rügt, hat die Rüge keinen Erfolg. Da nach der Würdigung des Finanzgericht eine Datenträgerauswertung nur in den Geschäftsräumen der Partnerschaftsgesellschaft oder an Amtsstelle verhältnismäßig ist, war eine Aufklärung der tatsächlichen Rahmenbedingungen für den Datenträgerzugriff auf Laptops der Prüfer an anderen Orten aus Sicht des Finanzgericht für die Entscheidung unerheblich.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 7. Juni 2021 – VIII R 24/18
- Anschluss an BFH, Urteil vom 12.02.2020 – X R 8/18, BFH/NV 2020, 1045[↩]
- Bestätigung von BFH, Urteil vom 16.12.2014 – VIII R 52/12, BFHE 250, 1[↩]
- FG München, Urteil vom 27.06.2018 – 1 K 2316/17[↩]
- BFH, Beschluss vom 13.12.2018 – VIII B 114/18, BFH/NV 2019, 385[↩]
- BMF, Schreiben vom 16.07.2001 – IV D 2 -S 0316- 136/01, BStBl I 2001, 415[↩]
- FG München, Urteil vom 27.06.2018 – 1 K 2318/17, EFG 2018, 1845[↩]
- BFH, Urteile vom 16.12.2014 – VIII R 52/12, BFHE 250, 1, Rz 21; vom 24.06.2009 – VIII R 80/06, BFHE 225, 302, BStBl II 2010, 452[↩]
- BFH, Urteil vom 08.04.2008 – VIII R 61/06, BFHE 220, 313, BStBl II 2009, 579, unter II. 7. [Rz 27][↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteil vom 01.10.2015 – X R 32/13, BFHE 251, 298, BStBl II 2016, 139, Rz 33[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 28.10.2009 – VIII R 78/05, BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455, unter II. 3.c und d[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 12.02.2020 – X R 8/18, BFH/NV 2020, 1045, Rz 13, 15, 29[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 225, 302, BStBl II 2010, 452, unter II. 1.b dd; s.a. BFH, Urteil in BFH/NV 2020, 1045, Rz 20, 21; sowie BMF, Schreiben in BStBl I 2001, 415, Gliederungspunkte I., I. 1., I. 1.c, I. 2. bis I. 3. [↩]
- BFH, Urteil in BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455, unter II. 3.b[↩]
- BFH, Urteile in BFHE 250, 1, Rz 26; in BFHE 220, 313, BStBl II 2009, 579, unter II. 7. [Rz 27][↩]
- BMF, Schreibens vom 14.11.2014 – IV A 4-S 0316/13/10003, BStBl I 2014, 1450, Rz 168[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 250, 1, Rz 31[↩]
- BMF, Schreiben in BStBl I 2014, 1450, Rz 168[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455; in BFHE 225, 302, BStBl II 2010, 452; in BFHE 250, 1, und Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz 69[↩]
- s. in diesem Sinne FG Baden-Württemberg, Urteile vom 16.11.2011 – 4 K 4819/08, EFG 2012, 577; und vom 07.11.2012 – 14 K 554/12, EFG 2013, 268, nachgehend aus anderen Gründen durch das BFH, Urteil in BFHE 250, 1 aufgehoben; und FG Nürnberg, Urteil vom 30.07.2009 – 6 K 1286/2008, EFG 2009, 1991; zu anderen Steuerpflichtigen als Berufsgeheimnisträgern s. BFH, Beschluss vom 26.09.2007 – I B 53, 54/07, BFHE 219, 19, BStBl II 2008, 415, unter II. 4.; gleicher Ansicht BMF, Schreiben in BStBl I 2014, 1450, Rz 172, 177[↩]
- BFH, Urteil in BFH/NV 2020, 1045, Rz 29[↩]