Besteuerung von Rentennachzahlungen

Rentennachzahlungen, die für Jahre vor 2005 geleistet werden, können nicht mit dem Ertragsanteil besteuert werden. Sie müssen mit dem durch das Alterseinkünftegesetz normierten Besteuerungsanteil besteuert werden, wenn die Rentenzahlungen erst nach dem 1. Januar 2005, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes, zugeflossen sind.

Besteuerung von Rentennachzahlungen

In dem jetzt vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall hatte die Klägerin im Februar 2003 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beantragt. Die Rentenversicherung Bund hatte jedoch erst im Februar 2005 die Erwerbsminderungsrente rückwirkend bewilligt. Die entsprechenden Rentennachzahlungen wurden von dem Finanzamt mit dem Besteuerungsanteil von 50 % besteuert und nicht – wie von der Klägerin beantragt – mit dem Ertragsanteil, der in ihrem Fall 4 % betragen hätte.

Das erstinstanzlich mit der Klage befasste Niedersächsische Finanzgericht hatte der Klägerin Recht gegeben. Es war der Auffassung, Nachzahlungen für eine Zeit vor dem Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes seien jedenfalls dann noch nach der alten Rechtslage zu besteuern, wenn der Steuerpflichtige seine Rente so frühzeitig beantragt habe, dass er die Zahlungen vor dem 1. Januar 2005 hätte erwarten können.

Der Bundesfinanzhof sah dies nun jedoch anders: Die gesetzliche Neuregelung der Besteuerung der Renten sei ausdrücklich auf alle Rentenzahlungen anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2004 zugeflossen seien. Für eine Einschränkung dieser Vorschrift bestehe keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit.

Eine Rentennachzahlung der gesetzlichen Rentenversicherung, die dem Rentenempfänger nach dem 31. Dezember 2004 zufließt, wird mit dem Besteuerungsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG besteuert, auch wenn sie für einen Zeitraum gezahlt wird, der vor dem Inkrafttreten des AltEinkG liegt.

Die Anwendung des AltEinkG auf Nachzahlungen einer Rente, deren Beginn vor 2005 liegt, ist verfassungsgemäß.

Besteuerung der Nachzahlung nach dem AltEinkG

Die von der Klägerin im Jahr 2005 bezogene Erwerbsminderungsrente ist nach diesem Urteil des Bundesfinanzhofs zu Recht mit einem Besteuerungsanteil von 50 % der Besteuerung unterworfen worden. Erwerbsminderungsrenten der gesetzlichen Rentenversicherung gehören zu den Leibrenten und sonstigen Leistungen, die gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG zu besteuern sind. Daher bestimmt sich der Besteuerungsanteil der Rente nach der Tabelle des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Einbeziehung der Erwerbsminderungsrenten in die Vorschrift des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG bestehen nicht1.

Die Besteuerung gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG gilt auch für die Erwerbsminderungsrenten, die im Jahr 2005 für die Jahre 2003 und 2004 nachgezahlt wurden. Die Neufassung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG durch das AltEinkG ist gemäß § 52 Abs. 1 EStG auf Nachzahlungen früherer Jahre anwendbar. Es bedarf keiner teleologischen Reduktion. Die Neuregelung des AltEinkG ist auch im Hinblick auf diese Nachzahlungen verfassungsgemäß und verstößt insbesondere nicht gegen das Verbot der unzulässigen Rückwirkung.

Sowohl die laufenden Rentenbezüge der Klägerin als auch die Rentennachzahlungen sind Leistungen i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG, weil sie aus der gesetzlichen Rentenversicherung stammen. Es besteht kein Anlass anzunehmen, dass Nachzahlungen nicht von dieser Vorschrift umfasst sein sollen. So sind auch die Konsequenzen von Nachzahlungen für die Berechnung des der Besteuerung zugrunde zu legenden Besteuerungsanteils gesetzlich geregelt: Führen Rentennachzahlungen für vergangene Jahre zu einer Erhöhung des Jahresbetrages der Rente, ist nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 6 EStG eine Neuberechnung des steuerfreien Teils der Rente notwendig2.

Nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG ist der der Besteuerung unterliegende Anteil nach dem Jahr des Rentenbeginns und dem in diesem Jahr maßgebenden Prozentsatz aus der nachstehenden Tabelle zu entnehmen. Der Besteuerungsanteil für alle Renten, bei denen das Jahr des Rentenbeginns vor 2006 liegt, beträgt danach 50 %. Dieser Prozentsatz gilt auch für die im Jahr 2005 nachgezahlten Renten der Klägerin der Jahre 2003 und 2004, da deren Beginn im Jahr 2003 und damit vor 2006 liegt.

Gemäß § 40 Abs. 1 SGB I entstehen Ansprüche auf Sozialleistungen, sobald ihre im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Eine Rente wird grundsätzlich nach § 99 SGB VI von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, sofern die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wurde, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren. Bei einer Erwerbsminderungsrente ist gemäß § 43 SGB VI Voraussetzung, dass eine teilweise oder volle Erwerbsminderung sowie besondere versicherungsrechtliche Voraussetzungen vorliegen3. Aufgrund der Sonderregelung des § 101 Abs. 1 SGB VI werden befristete Renten, wie z.B. eine Erwerbsminderungsrente, nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach Eintritt der Erwerbsminderung geleistet. Ob mit dieser Vorschrift der Beginn und damit das Entstehen der Rente modifiziert wird4 oder es sich lediglich um eine Fälligkeitsregelung i.S. des § 41 SGB I handelt5 kann dahinstehen, da nach beiden Auffassungen das Jahr des Beginns der Erwerbsminderungsrente der Klägerin das Jahr 2003 ist. Der Zeitpunkt des erstmaligen Zuflusses einer Rentenzahlung ist demgegenüber für den „Rentenbeginn“ i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG irrelevant6.

Die Neufassung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG ist trotz des rechtlich im Jahr 2003 liegenden Rentenbeginns auf die im Jahre 2005 nachgezahlten Renten der Klägerin anwendbar. § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des AltEinkG bestimmt, dass „diese Fassung des Gesetzes erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden“ ist, soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist.

Die Einkommensteuer wird gemäß § 25 Abs. 1 EStG nach Ablauf des Kalenderjahres (Veranlagungszeitraum) nach dem Einkommen veranlagt, das der Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen hat. Die Einkünfte aus einer Leibrente i.S. von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG ergeben sich nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 EStG aus dem Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Nach § 2 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 25 EStG sind die Grundlagen für die Einkommensbesteuerung jeweils für ein Kalenderjahr nach dem Zufluss und Abfluss von Gütern und nicht –wie bei Gewinneinkünften i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG– nach der Veränderung des Vermögensbestandes zu ermitteln. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EStG sind Einnahmen und Ausgaben nach dem kalenderjahrbezogenen Zu- und Abflussprinzip zu erfassen, sofern nicht –wofür im Streitfall keine Anhaltspunkte bestehen– eine abweichende gesetzliche Ausnahmeregelung zur Anwendung kommt.

Eine anderweitige Regelung für den zeitlichen Anwendungsbereich der Neuregelung für gesetzliche Altersrenten ist weder in § 52 Abs. 1 Satz 2 EStG noch in den folgenden Absätzen enthalten. Zwar gilt nach § 52 Abs. 1 Satz 2 EStG beim Steuerabzug vom Arbeitslohn Satz 1 mit der Maßgabe, dass diese Fassung erstmals auf den laufenden Arbeitslohn anzuwenden ist, der für einen nach dem 31.12. 2004 endenden Lohnzahlungszeitraum gezahlt wird, und auf sonstige Bezüge, die nach dem 31.12. 2004 zufließen. Diese sonstigen Bezüge umfassen aber –worauf die Kläger zu Recht hingewiesen haben– nicht die sonstigen Einnahmen i.S. des § 22 EStG, sondern erfassen, wie sich auch aus dem Zusammenhang der Regelung ergibt, die lohnsteuerlichen sonstigen Bezüge i.S. des § 38a Abs. 1 Satz 3 EStG.

§ 52 Abs. 1 EStG in der für den Veranlagungszeitraum 2005 geltenden Fassung ist –im Gegensatz zur Auffassung der Kläger und des FG– nicht im Wege einer teleologischen Auslegung so zu reduzieren, dass Nachzahlungen von Renten –dazu gehören sowohl Erwerbsminderungsrenten als auch Altersrenten–, die bis zum 31.12. 2004 entstanden und erst ab dem Veranlagungszeitraum 2005 ausgezahlt worden sind, nach der bisherigen Systematik besteuert werden.

Eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduzierung setzt eine verdeckte Regelungslücke voraus. Diese ist gegeben, wenn das Gesetz zwar eine Regelung enthält, diese aber ihrem Zweck nach auf eine bestimmte Gruppe von Fällen nicht passt, weil sie deren für die Wertung relevante Besonderheiten außer Acht lässt7. Eine solche Regelungslücke ist nicht erkennbar.

Die relevante Besonderheit der steuerlichen Situation der Klägerin liegt darin, dass sie Rentennachzahlungen aufgrund des Zuflussprinzips in einem Veranlagungszeitraum zu versteuern hat, dem sie wirtschaftlich nicht zuzuordnen sind.

Dem Gesetzgeber war bewusst, dass das Zuflussprinzip in Einzelfällen nicht immer zu einer interessengerechten Zuordnung führt. So hat er in § 52 Abs. 1 Satz 2 EStG für die Situation des laufenden Arbeitslohns sowie in § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG für regelmäßig wiederkehrende Einnahmen, die kurz vor oder nach dem Stichtag geleistet werden, Sonderregelungen geschaffen, die vom Zuflussprinzip abweichen. Das Fehlen einer entsprechenden Ausnahmeregelung für Rentennachzahlungen deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber eine solche nicht für notwendig hielt.

Sinn und Zweck des § 52 Abs. 1 EStG erfordern keine teleologische Reduktion für den Fall nachgezahlter Erwerbsminderungsrenten.

Durch § 52 Abs. 1 EStG wird der Systemwechsel der Rentenbesteuerung zum 01.01.2005 zeitlich festgeschrieben. Ab diesem Zeitpunkt, der im Übrigen durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 6. März 20028 vorgegeben war, wollte der Gesetzgeber mit dem AltEinkG eine „steuerrechtssystematisch schlüssige und folgerichtige Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen“ erreichen9. Der Stufenplan zur Verwirklichung der nachgelagerten Besteuerung der Altersrentenbezüge sah vor, dass gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG Leibrenten und andere Leistungen aus der sog. Basisversorgung, die im Jahr 2005 beginnen bzw. bereits in zuvor liegenden Jahren begonnen haben, zu 50 % in die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer eingehen. Der steuerbare Anteil der Rente für jeden neu hinzukommenden Rentnerjahrgang (Kohorte) steigt kontinuierlich, so dass erstmalig für die „Rentnerkohorte“ des Jahres 2040 die Leibrente in voller Höhe steuerpflichtig sein wird. Der sich ergebende steuerfrei bleibende Teil der Jahresbruttorente (d.h. der Unterschiedsbetrag zwischen dem Jahresbetrag der Rente und dem der Besteuerung unterliegenden Anteil der Rente) wird für jeden Steuerpflichtigen auf die Dauer des Rentenbezugs festgeschrieben (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Sätze 4 und 5 EStG).

Der Gesetzgeber hat damit im Bereich der Übergangsregelung den Anknüpfungspunkt zur Ermittlung des zu versteuernden Rentenanteils geändert. Er macht die Besteuerung nicht mehr von dem Lebensalter des Rentenberechtigten bei Beginn der Rente abhängig, sondern lediglich vom Jahr des Rentenbeginns. Der Besteuerungsanteil auch von Rentennachzahlungen kann damit systemgerecht und ohne Probleme ermittelt werden.

Mit § 52 Abs. 1 EStG beabsichtigte der Gesetzgeber die vollständige Umstellung der Rentenbesteuerung auf das neue System. Konsequenterweise wurden alle ab dem Jahr 2005 zugeflossenen Rentenbezüge unterschiedslos der Übergangsregelung unterworfen und entsprechend ihrem Beginn einer Kohorte zugeordnet. Von dieser Übergangsregelung sind auch Rentennachzahlungen für frühere Jahre betroffen10.

Eine weitere Besonderheit des Streitfalls besteht darin, dass die Klägerin nach eigener Aussage zwar alles getan hatte, um noch im Jahr 2004 die Rentenzahlungen zu erhalten, es aber auf Grund von Umständen, die –wie sie behauptet– nicht von ihr zu beeinflussen waren, nicht zu einer rechtzeitigen Auszahlung vor dem 01.01.2005 gekommen ist. Ein besonders gelagerter Einzelfall erfordert jedoch keine gesetzliche Einschränkung des generellen Anwendungsbereichs eines Grundprinzips der Einkommensbesteuerung, nämlich der Besteuerung des tatsächlich verwirklichten und nicht des gewünschten Sachverhalts.

Die Finanzverwaltung hat zwar vor der Neuregelung der Rentenbesteuerung durch das AltEinkG die Auffassung vertreten, bei Nachzahlungen von Leibrenten sei in Fällen einer zwischenzeitlichen Änderung der gesetzlichen Ertragsanteile nicht der im Veranlagungszeitraum des Zuflusses geltende Ertragsanteil maßgeblich, sondern derjenige, der für die Veranlagungszeiträume gegolten habe, für die die Nachzahlungen geleistet worden seien11.

Nach Inkrafttreten des AltEinkG hat die Finanzverwaltung demgegenüber ausdrücklich entschieden, die Besteuerung der Rentennachzahlungen richte sich nach der im Zuflusszeitpunkt geltenden Fassung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG12. Damit hat sie eine generelle Billigkeitsmaßnahme in Bezug auf die Rentennachzahlungen früherer Zeiträume abgelehnt.

Für eine auf §§ 163, 227 der Abgabenordnung gestützte selbständig anfechtbare und von der Rechtmäßigkeitsprüfung unabhängige einzelfallbezogene Billigkeitsentscheidung ist in diesem sich auf die Rechtmäßigkeitsprüfung des finanzgerichtlichen Urteils und des Steuerbescheides beschränkenden Revisionsverfahren kein Raum13.

Kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot

Die Neuregelung der Rentenbesteuerung durch das AltEinkG ist –auch in Bezug auf die Rentennachzahlungen früherer Jahre– verfassungsgemäß. Die Besteuerung der Rentennachzahlungen der Jahre 2003 und 2004 gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG verstößt insbesondere nicht gegen das Rückwirkungsverbot.

Bereits in drei früheren Urteilen14 hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass die geänderte Besteuerung der Renteneinkünfte aufgrund des Systems der nachgelagerten Besteuerung unter Aufgabe des Systems der Ertragsanteilsbesteuerung ab dem Jahr 2005 nicht gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes verstößt. Die Abwägung zwischen dem Ausmaß des durch die Gesetzesänderung verursachten Vertrauensschadens und der Beeinträchtigung der geschützten Grundrechtspositionen des Einzelnen (insbesondere Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG) einerseits und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl andererseits führe zu dem Ergebnis, dass die verfassungsrechtlich geforderte Beseitigung der steuerlichen Ungleichbehandlung der Alterseinkünfte –bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Finanzierbarkeit der Neuregelung für die öffentlichen Haushalte– das Interesse des Steuerpflichtigen am Fortbestand der Ertragsanteilsbesteuerung seiner Renteneinkünfte überwiege. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen in den BFH, Urteilen jeweils unter B.II.02. Bezug genommen.

Diese Abwägung führt auch bei der Besteuerung von laufenden Erwerbsminderungsrenten zu demselben Ergebnis, selbst wenn dadurch die individuelle steuerliche Belastung des betroffenen Steuerpflichtigen erheblich ansteigt15.

In Bezug auf die Besteuerung von nachgezahlten Erwerbsminderungsrenten ist –ebenso wie bei laufenden Rentenzahlungen– von einer unechten Rückwirkung oder tatbestandlichen Rückanknüpfung auszugehen, da belastende Rechtsfolgen der Norm erst nach ihrer Verkündung eingetreten sind, hier die insoweit nachteilige Besteuerung mit dem Besteuerungsanteil des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG ab dem 01.01.2005. Tatbestandlich sind sie aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt –hier den bereits im Jahr 2003 entstandenen Rentenansprüchen– ausgelöst worden.

Eine unechte Rückwirkung ist nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht grundsätzlich unzulässig. Die Gewährung vollständigen Schutzes zu Gunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde ansonsten den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen erhöhten verfassungsrechtlichen Schutz. Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen. Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt16.

Diese verfassungsrechtlichen Grundsätze zugrunde gelegt ist bei der Gesamtabwägung der Interessen auf Seiten der Kläger zu berücksichtigen, dass die gemäß §§ 43, 99 und 101 Abs. 1 SGB VI i.V.m. § 40 SGB I im Jahr 2003 entstandene Erwerbsminderungsrente eine unter Geltung des alten Einkommensteuerrechts erworbene Rechtsposition darstellt. Es handelt sich damit nicht mehr lediglich um eine vertrauensrechtlich nicht besonders geschützte Erwartung, z.B. von künftigen Renteneinnahmen. Vielmehr ist bereits ein „Vermögensbestand im grundrechtlich geschützten Verfügungsbereich“ konkret vorhanden17. Diese konkret verfestigte Vermögensposition wird durch die Anwendung der Neuregelung der Rentenbesteuerung erheblich entwertet, da die Rentenzahlungen für 2003 und 2004 nicht mehr mit einem Ertragsanteil von 4 %, sondern einem Besteuerungsanteil von 50 % besteuert werden. Die nachträgliche Entwertung der bereits im Jahr 2003 verfestigten Rechtsposition der Klägerin durch die Einbeziehung der Nachzahlungen früher entstandener Renten in die Neuregelung des AltEinkG führt zu einem erhöhten gesetzgeberischen Rechtfertigungsbedarf17. Hierfür reichen die Gründe, die die generelle Einbeziehung bereits laufender Renten in die gesetzliche Neuregelung rechtfertigen, allein noch nicht aus.

Rechtfertigungsgrund für die Einbeziehung auch von Rentennachzahlungen in die Neuregelungen ist das dem EStG für Überschusseinkünfte zugrunde liegende Zuflussprinzip. § 11 EStG ermöglicht die Abschnittsbesteuerung, indem er die Entscheidung darüber trifft, wann eine Einnahme anzusetzen ist18. Es ist offensichtlich, dass der Gesetzgeber gewisse Härten, die sich notwendigerweise aus der Abschnittsbesteuerung und dem Zuflussprinzip im Einzelfalle ergeben können, bewusst in Kauf genommen hat19.

Mit dieser Grundentscheidung für die Anwendung des Zuflussprinzips bei den Überschusseinkünften, zu denen auch die Renteneinkünfte gehören, geht eine Verwaltungsvereinfachung einher, die ebenfalls als Rechtfertigungsgrund heranzuziehen ist. Der Notwendigkeit einer im Rentenbesteuerungsverfahren als Massenverfahren einfachen, praktikablen und gesamtwirtschaftlich tragfähigen Lösung hat der Bundesfinanzhof bereits in seinem Urteil vom 26. November 200820 eine entscheidende Bedeutung zugebilligt.

Dem Hinweis, eine Komplizierung des Verfahrens sei bei der steuerlichen Beurteilung von Rentennachzahlungen nicht zu befürchten, da die zeitliche Zuordnung der Rentenzahlungen ohne Weiteres möglich sei, ist entgegenzuhalten, dass zur Einschätzung des Verwaltungs- und Kontrollaufwands einer gesetzlichen Regelung der Gesetzgeber aufgerufen ist, der eine Einschätzungsprärogative besitzt21. Dafür, dass er diese willkürlich ausgeübt hätte, ist vorliegend kein Anhaltspunkt erkennbar.

Hinzu kommt, dass selbst nach Auffassung des FG Nachzahlungen einer Erwerbsminderungsrente für Zeiträume bis zum 31.12. 2004, die erst ab dem Veranlagungszeitraum 2005 ausgezahlt werden, nur dann der bisherigen Systematik der Rentenbesteuerung zu unterwerfen sind, „wenn der Steuerpflichtige die Zahlung der Rente so rechtzeitig beantragt hat, dass eine Zahlung bis zum 31.12.2004 hätte erfolgen müssen“. Diese Einschränkung, die dem Billigkeitsgedanken entspringt, würde aber dazu führen, dass die Finanzverwaltung das Verfahren der Rentenantragstellung zu überprüfen und zu bewerten hätte, um im Einzelfall zu entscheiden, ob es bei der Besteuerung mit dem Besteuerungsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG verbleibt oder ob ausnahmsweise der Ertragsanteil der Rente der Besteuerung zugrunde zu legen ist.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Grundzüge der Neuregelung der Rentenbesteuerung, die auch die entsprechende steuerliche Behandlung von nachgezahlten Erwerbsminderungsrenten beinhalteten, bereits seit dem Entwurf des AltEinkG vom 9. Dezember 200322 bekannt waren. Die Steuerpflichtigen konnten sich spätestens ab Verkündung des AltEinkG am 05.07.2004 auf die ab dem 01.01.2005 geltende Neuregelung einstellen und ggf. auf eine Beschleunigung des Rentenbewilligungsverfahrens hinwirken.

Bundesfinanzhof, Urteile vom 13. April 2011 – X R 1/10, X R 19/09 und X R 17/10

  1. vgl. BFH, Urteil vom 13.04.2011 – X R 54/09[]
  2. siehe auch Risthaus in Herrmann/Heuer/Raupach –HHR–, § 22 EStG Rz 288[]
  3. vgl. dazu Gabke, in: Schlegel/Voelzke, SGB VI, § 43 Rz 46 und 56[]
  4. so Schmidt, in: Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 101 Rz 9[]
  5. so BSG, Urteil vom 08.09.2005 – B 13 RJ 10/04 R, BSGE 95, 112; Mrozynski, SGB I, Kommentar, 4. Aufl., § 41 Rz 9[]
  6. so auch BFH, Urteil in BFHE 132, 26, BStBl II 1981, 155, zur bis 2004 geltenden Rechtslage[]
  7. Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 4 AO Rz 352[]
  8. BVerfG, Urteil vom 06.03.2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73[]
  9. vgl. BT-Drucks 15/2150, S. 1 und 22[]
  10. so auch FG Münster, Urteil vom 22.04.2010 – 8 K 783/07 E, EFG 2010, 1685; OFD Frankfurt/M., Verfügung vom 04.08.2006 – S 2255 A – 23 – St 218, DB 2006, 1925; Fischer in Kirchhof, EStG, 10. Aufl., § 22 Rz 37; Lüsch in Littmann/ Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 22 Rz 108[]
  11. vgl. dazu Hess. FM, Erlasse vom 05.09.1997 und vom 26.03.1998, a.a.O.; OFD Frankfurt, Verfügung vom 15.05.1998, a.a.O.[]
  12. OFD Frankfurt in DB 2006, 1925[]
  13. vgl. BFH, Beschluss vom 07.07.2004 – X B 63/03, BFH/NV 2004, 1653[]
  14. BFH, Urteile vom 19.01.2010 – X R 53/08, BFHE 228, 223; vom 04.02.2010 – X R 52/08, BFH/NV 2010, 1253; und X R 58/08, BFHE 228, 326[]
  15. vgl. dazu das BFH, Urteil vom 13.04.2011 – X R 54/09[]
  16. so die jüngsten BVerfG-Beschlüsse vom 07.07.2010 – 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BFH/NV 2010, 1976; 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BFH/NV 2010, 1959 und 2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06, BFH/NV 2010, 1968, jeweils mit weiteren Nachweisen[]
  17. vgl. BVerfG, Beschluss in BFH/NV 2010, 1959, unter C.II.2.b aa[][]
  18. vgl. HHR/Birk/Kister, § 11 EStG Rz 3[]
  19. siehe auch BFH, Urteil vom 05.03.1981 – IV R 101/78[]
  20. BFH, Urteil vom 26.11.2008 – X R 15/07, BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710[]
  21. siehe auch BFH, Urteil in BFH/NV 2010, 1253[]
  22. BT-Drucks 15/2150[]