Zahlt eine Bank auf der Grundlage einer Vergleichsvereinbarung zur einvernehmlichen Beilegung eines Zivilrechtsstreits eine als „Nutzungsentschädigung“ bezeichnete Summe und ist unklar, ob damit der im Vergleich vereinbarte Verzicht auf die Rechte aus dem Darlehenswiderruf abgegolten oder im Rahmen der einvernehmlichen Rückabwicklung des widerrufenen Darlehens Nutzungsersatz geleistet werden soll, führt die Zahlung beim Empfänger regelmäßig weder zu Kapitaleinkünften gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG noch zu sonstigen Einkünften gemäß § 22 Nr. 3 EStG.
Nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 EStG unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage. Unter den Begriff der Kapitalforderung im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG fallen alle auf eine Geldleistung gerichteten Forderungen, deren Steuerbarkeit sich nicht bereits aus einem anderen Tatbestand im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 oder Nr. 8 bis 11 EStG ergibt, und zwar ohne Rücksicht auf die Dauer der Kapitalüberlassung oder den Rechtsgrund des Anspruchs1.
Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG erzielt, wer Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überlässt. Der Rechtsgrund der Kapitalüberlassung ist dabei ebenso ohne Bedeutung wie der Umstand, ob die zugrundeliegende Kapitalforderung selbst steuerbar ist. Auch eine nicht freiwillige, sondern erzwungene Kapitalüberlassung kann zu Einnahmen aus Kapitalvermögen führen2.
Im vorliegenden Fall hat das erstinstanzlich hiermit befasste Finanzgericht Baden-Württemberg im Ergebnis zutreffend erkannt, dass die Zahlung der darlehensgebenden Bank bei den Darlehensnehmern nicht zu steuerbaren Einnahmen aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG geführt hat.
Es hat den zwischen den Darlehensnehmern und der X-Bank geschlossenen Vergleich dahin ausgelegt, dass die Darlehensverträge nicht rückabgewickelt wurden und die als „Nutzungsentschädigung“ bezeichnete Zahlung als Entschädigung für den Verzicht der Darlehensnehmer auf ihre Rechte aus dem zuvor erklärten Widerruf der Darlehensverträge zu würdigen sei.
Der Bundesfinanzhof kann offenlassen, ob die dagegen vom Finanzamt vorgebrachten Einwände durchgreifen oder ob der Bundesfinanzhof an das Ergebnis der Auslegung gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), weil es nicht mit erfolgreichen Verfahrensrügen angegriffen worden und jedenfalls möglich ist. In Betracht kommen nur zwei Auslegungsvarianten. Entweder die Parteien haben im Vergleich einen entgeltlichen Rechtsverzicht vereinbart, wie es der Wortlaut der Vereinbarung nahelegt und wie es das Finanzgericht angenommen hat, oder bei der als „Nutzungsentschädigung“ bezeichneten Zahlung handelt es sich bei wirtschaftlicher Betrachtung um Nutzungsersatz für die von den Darlehensnehmern rechtsgrundlos an die X-Bank erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen nach Rückabwicklungsgrundsätzen, wie das Finanzamt annimmt. Dafür spricht das Zustandekommen des Vergleichs in einem Rechtsstreit, in dem es darum ging, ob die Darlehensnehmer ihre Erklärungen zum Abschluss der Darlehensverträge wirksam widerrufen hatten. In beiden Fällen führt die Zahlung der X-Bank indes nicht zu einem steuerbaren Kapitalertrag bei den Darlehensnehmern.
Eine Entschädigung für einen Rechtsverzicht, der im Rahmen einer Vergleichsvereinbarung zur einvernehmlichen Beendigung eines Zivilrechtsstreits vereinbart wird, führt beim Verzichtenden regelmäßig nicht zu steuerbaren Einkünften, wenn sie nicht als Ergebnis einer Erwerbstätigkeit anzusehen ist. Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt, denn die Entschädigungszahlung ist nicht im Sinne eines leistungsbezogenen Entgelts durch das Verhalten der Darlehensnehmer wirtschaftlich veranlasst. Aus den Feststellungen des Finanzgerichtes ergibt sich nicht, dass die Darlehensnehmer den gerichtlichen Vergleich „um der Gegenleistung willen“ abgeschlossen haben. Die Feststellungen des Finanzgerichtes lassen auch nicht den Schluss zu, dass die Darlehensnehmer, vergleichbar einem „Berufskläger“, mit ihrer Klageerhebung das Ziel verfolgten, sich diese später durch eine finanzielle Gegenleistung „abkaufen“ zu lassen3.
Aber auch wenn die Zahlung als Nutzungsersatzleistung im Rahmen einer reinen Rückabwicklung der Darlehensverträge anzusehen wäre, handelt es sich nicht um einen steuerbaren Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Die reine Rückabwicklung eines Darlehensvertrags im Rahmen eines Rückgewährschuldverhältnisses ist nach den in den Urteilen des Bundesfinanzhofs vom 07.11.20234 dargelegten Maßstäben keine steuerbare erwerbsgerichtete Tätigkeit. Das Rückgewährschuldverhältnis ist bei wirtschaftlicher Betrachtung ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln, aus der sich der Anspruch des widerrufenden Darlehensnehmers auf ein Nutzungsentgelt nicht als Anspruch auf ein Entgelt für eine Kapitalüberlassung der bis zur Rückabwicklung erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen isolieren lässt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Rückabwicklung einvernehmlich, wie im Streitfall durch Vergleich, durch zivilgerichtliches Urteil oder auf andere Weise vollzogen wird.
Der aufgrund des gerichtlichen Vergleichs von der X-Bank an die Darlehensnehmer geleistete Betrag führt bei den Darlehensnehmern auch nicht zu Einkünften aus Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG. Das gilt ebenfalls für beide Auslegungsvarianten. Handelt es sich, wie das Finanzgericht angenommen hat, um einen entgeltlichen Rechtsverzicht, liegt nach den dargestellten Grundsätzen gleichwohl keine auf Einkünfteerzielung gerichtete Tätigkeit vor. Sollte es sich dagegen um die Leistung von Nutzungsersatz im Rahmen einer reinen Rückabwicklung der Darlehensverhältnisse handeln, gilt nichts anderes, da es sich bei der Rückabwicklung eines Darlehensvertrags nicht um einen Leistungsaustausch in der Erwerbssphäre handelt5.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 22. Mai 2024 – VIII R 3/22
- BFH, Urteile vom 07.11.2023 – VIII R 7/21, BStBl II 2024, 353, Rz 13; vom 16.06.2020 – VIII R 7/17, BFHE 269, 188, BStBl II 2021, 9, Rz 11[↩]
- BFH, Urteil vom 07.11.2023 – VIII R 7/21, BStBl II 2024, 353, Rz 14, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 10.11.2020 – IX R 32/19, BFHE 271, 218, BStBl II 2023, 169, Rz 36[↩]
- BFH, Urteile vom 07.11.2023 – VIII R 7/21, BStBl II 2024, 353, und VIII R 16/22, BStBl II 2024, 357[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 07.11.2023 – VIII R 7/21, BStBl II 2024, 353; und – VIII R 16/22, BStBl II 2024, 357[↩]
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