Hat ein Steuerpflichtiger Krankengeld bezogen und wird infolge der späteren Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente der hierfür zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, gilt der Rentenanspruch des Berechtigten insoweit gemäß § 107 Abs. 1 SGB X als erfüllt. Die Erwerbsminderungsrenten unterliegen damit bereits im Zeitpunkt des Zuflusses des Krankengeldes im Umfang der Erfüllungsfiktion mit ihrem Besteuerungsanteil der Einkommensteuer. Die Grundsätze des BFH, Urteils vom 10.07.20021 gelten auch für die durch das AltEinkG eingeführte nachgelagerte Besteuerung von Erwerbsminderungsrenten.
Das von der Krankenkasse gezahlte Krankengeld unterliegt infolge der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X in Höhe der von der Rentenversicherung geleisteten Erstattung als Leibrente mit ihrem Besteuerungsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG der Einkommensteuer. Zwar sind diese Bezüge dem Rentner als Krankengeld zugeflossen. Für die Besteuerung ist indes entscheidend, dass sie ihm auf der Rechtsgrundlage des mit der Rentenversicherung bestehenden Rentenversicherungsverhältnisses als Erwerbsminderungsrente zustehen. Dieser -endgültige- sozialversicherungsrechtliche Rechtsgrund ist maßgebend für die steuerliche Behandlung.
Der Bundesfinanzhof hat dieses Ergebnis in seinem Urteil in BFHE 199, 541, BStBl II 2003, 391 damit begründet, dass der „Austausch“ des sozialversicherungsrechtlichen Rechtsgrundes -Erwerbsminderungsrente (früher: Erwerbsunfähigkeitsrente) statt Krankengeld- betragsmäßig durch den Erstattungsanspruch konkretisiert werde, der im Falle einer zeitlichen Überschneidung zweier Leistungen dem vorleistenden Versicherungsträger auf der Rechtsgrundlage des § 103 SGB X zustehe. In Höhe der Überzahlung durch die Krankenkasse gelte der Anspruch des Steuerpflichtigen gegen die Rentenversicherung als eigentliche Leistungsträgerin als erfüllt (§ 107 Abs. 1 SGB X). Mit dieser Erfüllungsfiktion habe sich der Gesetzgeber aus Gründen der Rechtsklarheit und der Verwaltungsökonomie für eine unkomplizierte und im Rahmen des Sozialleistungsrechts einheitliche Form des internen Ausgleichs von Leistungsbewilligungen entschieden. Damit solle eine Rückabwicklung im Verhältnis zwischen vorleistendem Träger und Leistungsberechtigtem (hier: dem Rentner) sowie ein Nachholen der Leistung im Verhältnis zwischen leistungspflichtigem Träger und Leistungsberechtigtem vermieden werden2.
Diese Grundsätze, die -soweit erkennbar- auf allgemeine Zustimmung gestoßen sind, gelten ebenso für die Rechtslage nach dem Inkrafttreten des AltEinkG.
Zwar nimmt der Bundesfinanzhof in seiner Begründung des Urteils in BFHE 199, 541, BStBl II 2003, 391 auf die Ertragsanteilsbesteuerung Bezug, weil er ausführt, nur auf diese Weise könne dem Konzept der Ertragsanteilsbesteuerung entsprechend der steuerbare Ertragsanteil in der zutreffenden Höhe von der nichtsteuerbaren zeitlich gestreckten Auszahlung bzw. Rückzahlung eigenen Vermögens getrennt und in dem Veranlagungszeitraum steuerlich erfasst werden, in dem er gemäß § 11 EStG zugeflossen sei3. Durch das dem AltEinkG zugrunde liegende Konzept der nachgelagerten Besteuerung wurden indes die Grundsätze der Besteuerung von Leibrenten der Basisversorgung neu geregelt. Der Gesetzgeber hat sich dabei grundsätzlich von dem Gedanken gelöst, dass bei Leistungen durch Versorgungseinrichtungen, die auf dem Versicherungsprinzip beruhen, die Ertragsanteilsbesteuerung als steuersystematisch gerechtfertigt angesehen werden kann4. Rentenzuflüsse können nunmehr über den Ertragsanteil hinaus der Besteuerung unterworfen werden.
Dennoch behält die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs weiterhin Gültigkeit, da sich an ihren Grundlagen durch den Systemwechsel nichts geändert hat. So ist -auch wenn seit 2005 nicht mehr der Ertragsanteil der Rente gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG, sondern deren Besteuerungsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG besteuert wird- für die Ermittlung des steuerpflichtigen Anteils der Rente weiterhin das Jahr des Rentenbeginns entscheidend. Dem Bundesfinanzhof kam es in seinem Urteil in BFHE 199, 541, BStBl II 2003, 391 offensichtlich darauf an, den steuerbaren Ertragsanteil in dem Veranlagungszeitraum zu erfassen, in dem die Leistungen dem Steuerpflichtigen tatsächlich zugeflossen sind. Daher ist das Urteil nicht überholt und weiterhin anwendbar. Der Aspekt der Zuordnung einer empfangenen Leistung zum „steuerlich richtigen“ Veranlagungszeitraum ist nämlich unabhängig davon zu beantworten, wie hoch der zu besteuernde Anteil dieser Leistung ist. Durch die Neuregelung der Besteuerung der Alterseinkünfte hat sich hieran nichts geändert. Eine Modifikation von § 11 EStG oder § 107 SGB X durch das AltEinkG ist weder notwendig gewesen noch vorgenommen worden.
Durch die folgerichtige Zugrundelegung der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X auch bei der Anwendung des § 22 EStG liegt der Rentenbeginn im Streitfall in dem Jahr, in dem der Rentner die Leistungen -unabhängig von ihrem Rechtsgrund- tatsächlich erhalten und sich seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöht hat. Unter Geltung des AltEinkG hat dieses Ergebnis zudem für die Rentner die positive Nebenwirkung, dass sich der steuerfreie Teil der Erwerbsminderungsrente sowie der sich ggf. anschließenden Altersrenten der Rentenversicherung nach dem geringeren Besteuerungsanteil des Jahres 2010 (60 %) und nicht nach dem des Jahres 2011 (62 %) bemisst (s. auch § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 8 EStG).
Die gegen dieses Ergebnis geltend gemachten Einwendungen gehen entweder fehl oder können den Bundesfinanzhof nicht überzeugen.
Sofern vorgebracht wird, die Grundsätze der bisherigen Bundesfinanzhofsrechtsprechung seien auch deswegen nach Inkrafttreten des AltEinkG nicht mehr anwendbar, weil sich die steuerliche Belastung der Erwerbsminderungsrente durch die Neuregelung verdreifacht habe, weist der Bundesfinanzhof darauf hin, dass die höhere steuerliche Belastung von den streitgegenständlichen Fragen, wie der Beginn einer Rente zu ermitteln und wann diese zugeflossen ist, zu trennen ist. Sofern die Rentner die Mehrbelastung als solche rügen wollen, verweist der Bundesfinanzhof ausdrücklich auf das BFH, Urteil vom 13.04.2011 – X R 54/095. Der Bundesfinanzhof hat in dieser Entscheidung dargelegt, dass die (nachgelagerte) Besteuerung der Erwerbsminderungsrenten der Basisversorgung mit dem Besteuerungsanteil anstelle des Ertragsanteils weder gegen das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit noch gegen das Verbot der Übermaßbesteuerung sowie gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes verstößt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die ausführliche Begründung in BFHE 233, 487, BStBl II 2011, 910, unter Rz 28 ff. verwiesen. Die verfassungsrechtlich zulässige Erhöhung einer Steuerbelastung kann nicht dazu führen, dass bestehende Rechtsprechungsgrundsätze nicht mehr anzuwenden sind.
Der Bundesfinanzhof vermag keinen Widerspruch zu seinem Urteil vom 13.04.20116 zu erkennen.
In dieser Entscheidung hat der Bundesfinanzhof zum einen bestätigt, dass die Einbeziehung der Erwerbsminderungsrenten in die Besteuerung nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG verfassungsgemäß ist7. Zum anderen lag die Besonderheit der steuerlichen Situation der dortigen Rentnerin darin, dass sie Rentennachzahlungen aufgrund des Zuflussprinzips in einem Veranlagungszeitraum zu versteuern hatte, dem sie wirtschaftlich nicht zuzuordnen waren8.
Im Streitfall handelt es sich hingegen nicht um nachgezahlte Renten, sondern für den Zeitraum vom 01.05.2010 bis zum 10.11.2010 aufgrund der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X um laufende Bezüge, selbst wenn die Zahlungen zunächst als Krankengeld geleistet worden sind. Im Gegensatz zum Sachverhalt des BFH, Urteils in BFHE 233, 497, BStBl II 2011, 915 sind im Streitfall dem Steuerpflichtigen die Einkünfte damit in dem Jahr zugeflossen, zu dem sie wirtschaftlich gehören.
Eine Diskrepanz besteht auch nicht zu dem BFH, Urteil in BFHE 243, 287, BStBl II 2014, 58, das zur notwendigen Unterscheidung der außerordentlichen Einkünfte des § 34 EStG von den Einkünften, die der Regelbesteuerung unterliegen, deren atypische Zusammenballung voraussetzt. Aufgrund des Zwecks der Regelung, Progressionsnachteile auszugleichen, seien -so der Bundesfinanzhof- außerordentliche Einkünfte grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem einzigen Veranlagungszeitraum zu erfassen seien und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstünden9.
Durch die den anerkannten Grundsätzen entsprechende Festlegung des Rentenbeginns unter Berücksichtigung der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X wird im Streitfall im Jahr 2010 eine Zusammenballung von Einkünften gerade vermieden und so eine dem Leistungsfähigkeitsprinzip angemessene Besteuerung ermöglicht.
Soweit dem Rentner das Krankengeld auf der Grundlage der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften endgültig zusteht, verbleibt es im Jahr des Zuflusses bei der Rechtsfolge des § 3 Nr. 1 Buchst. a EStG i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG. Das Krankengeld ist in dieser Höhe steuerfrei, jedoch bei der Ermittlung des Steuersatzes zu berücksichtigen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 9. Dezember 2015 – X R 30/14
- BFH, Urteil vom 10.07.2002 – X R 46/01, BFHE 199, 541, BStBl II 2003, 391[↩]
- vgl. auch BSG, Urteil vom 29.04.1997 – 8 RKn 29/95, Sozialrecht 3-1300, § 107 Nr. 10, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 199, 541, BStBl II 2003, 391, unter II. 3.[↩]
- s. BFH, Urteil vom 26.11.2008 – X R 15/07, BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710, unter II. 2.a bb 1[↩]
- BFHE 233, 487, BStBl II 2011, 910[↩]
- BFH, Urteil vom 13.04.2011 – X R 1/10, BFHE 233, 497, BStBl II 2011, 915[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 233, 497, BStBl II 2011, 915, Rz 10[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 233, 497, BStBl II 2011, 915, Rz 20 ff.[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 243, 287, BStBl II 2014, 58, Rz 71 f.[↩]