Kein Zufluss von Arbeitslohn – wegen fehlender Insolvenzsicherung des Arbeitslohnanspruchs

Die fehlende Insolvenzsicherung und das damit einhergehende Risiko des (Wert-)Verlusts eines vom Arbeitgeber nicht erfüllten Lohnanspruchs führen nicht zum Zufluss von Arbeitslohn.

Kein Zufluss von Arbeitslohn – wegen fehlender Insolvenzsicherung des Arbeitslohnanspruchs

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall zahlte die Arbeitgeberin erschiedenen Arbeitnehmern ab dem Jahr 2008 Gehaltsansprüche -im Wesentlichen Prämien und Weihnachtsgeld- nicht aus. Sie hatte mit den betreffenden Arbeitnehmern vereinbart, dass die nicht ausgezahlten Arbeitslöhne noch einzurichtenden sogenannten Zeitwertkonten gutgeschrieben werden sollten. Im November 2011 schloss die Arbeitgeberin mit den Arbeitnehmern sodann Wertguthabenvereinbarungen über die Führung von Wertkonten zum Zweck der ruhestandsnahen Freistellung ab. Die Wertguthaben wurden nach diesen Vereinbarungen durch die X-GmbH geführt. Die Wertguthaben einschließlich des darin enthaltenen Gesamtsozialversicherungsbeitrags hatte die Arbeitgeberin gegen das Risiko einer Insolvenz durch ein den Anforderungen des § 7e Abs. 2 Satz 1 SGB IV entsprechendes Treuhandmodell gesichert. Im März 2012 führte die Arbeitgeberin die nicht ausgezahlten Arbeitslöhne den bei der X-GmbH eingerichteten Wertkonten der Arbeitnehmer zu.

Im Rahmen einer bei der Arbeitgeberin durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung vertrat die Prüferin die Auffassung, Wertgutschriften auf einem Zeitwertkonto lösten lohnsteuerrechtlich nur dann keinen Zufluss aus, wenn bestimmte Vorgaben eingehalten seien, insbesondere eine sogenannte Zeitwertkontengarantie vorliege. Bis November 2011 seien die Voraussetzungen der Zeitwertkontengarantie wegen fehlender Zeitwertkonten jedoch nicht erfüllt. Die vorher entstandenen und fälligen Prämien seien den Arbeitnehmern deshalb zugeflossen und unterlägen dem Lohnsteuerabzug, den die Arbeitgeberin zu Unrecht nicht vorgenommen habe. Das Finanzamt folgte der Auffassung der Prüferin und erließ einen entsprechenden Haftungsbescheid über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge. Während des Einspruchsverfahrens nahm das Finanzamt den Haftungsbescheid teilweise zurück und wies den Einspruch der Arbeitgeberin anschließend als unbegründet zurück.

Das Thüringer Finanzgericht gab der sodann erhobenen Klage der Arbeitgeberin statt1, der Bundesfinanzhof wies die dagegen gerichtete Revision des Finanzamtes als unbegründet zurück; die Arbeitgeberin habe die Lohnsteuern und Nebenabgaben, für die sie als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen worden ist, nicht fehlerhaft angemeldet und abgeführt:

Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und abzuführen hat. Die Arbeitgeberin hat ihren Arbeitnehmern allerdings nicht dadurch Arbeitslohn zugewandt, dass sie einzelne Lohnbestandteile -insbesondere Prämien und Weihnachtsgeld- nicht ausgezahlt, sondern zu dem Zweck einbehalten hat, die betreffenden Beträge zukünftig einzurichtenden Wertguthabenkonten gutzuschreiben.

Nur zugeflossener Arbeitslohn unterliegt der Einkommensteuer und dem Lohnsteuerabzug2. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Vereinnahmung von Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit gelten gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 EStG die Vorschriften des § 38a Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG. Laufender Arbeitslohn gilt hiernach in dem Kalenderjahr als bezogen, in dem der Lohnzahlungszeitraum endet, für den der Arbeitslohn gezahlt wird. Arbeitslohn, der -wie Prämien und Weihnachtsgeld- nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird (sonstige Bezüge), wird in dem Kalenderjahr bezogen, in dem er dem Arbeitnehmer zufließt.

Arbeitslohn ist mit der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht zugeflossen3. Zuflusszeitpunkt ist nach ständiger Rechtsprechung der Tag der Erfüllung des Anspruchs des Arbeitnehmers, also der Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber die geschuldete Leistung tatsächlich erbringt4. Der Bundesfinanzhof hat bereits in seinem Urteil vom 22.02.20185 ausführlich zu den Voraussetzungen Stellung genommen, unter denen der Zufluss von Arbeitslohn anzunehmen ist. Nach diesen Maßstäben, an denen der Bundesfinanzhof uneingeschränkt festhält, ist das Urteil des Finanzgerichts von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Die Vorinstanz hat den Zufluss von Arbeitslohn zutreffend verneint.

Die Arbeitgeberin hat die streitgegenständlichen Lohnbestandteile nach den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts nicht an ihre Arbeitnehmer ausgezahlt. Sie hatte nach den ebenfalls nicht angegriffenen und den Bundesfinanzhof daher gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen mit ihren Arbeitnehmern vielmehr vereinbart, die nicht ausgezahlten Lohnbestandteile zukünftig noch einzurichtenden Wertguthabenkonten zuzuführen.

Diese Vereinbarung stellt keine Vorausverfügung der Arbeitnehmer über ihren Arbeitslohnanspruch dar. Vielmehr verzichteten die Arbeitnehmer durch diese Vereinbarung lediglich auf die (sofortige) Auszahlung eines Teils ihres Arbeitslohns, wodurch der Zufluss -ähnlich wie im Fall einer Stundung- hinausgeschoben wurde. Bei dieser Sachlage scheidet auch ein Arbeitslohnzufluss durch Gutschrift in den Büchern der Arbeitgeberin oder Novation aus. Eine zum Lohnzufluss führende Lohnverwendungsabrede ist im Streitfall ebenfalls nicht gegeben. Durch die vereinbarungsgemäße Nichtauszahlung einzelner Arbeitslohnbestandteile erfüllte die Arbeitgeberin offenkundig keine Verbindlichkeiten ihrer Arbeitnehmer gegenüber Dritten.

Das Finanzamt nimmt dessen ungeachtet dessen einen Zufluss der den Arbeitnehmern nicht ausgezahlten Lohnbestandteile deshalb an, weil die Arbeitnehmer wegen der erst im November 2011 mit der Arbeitgeberin abgeschlossenen Wertguthabenvereinbarungen und der bis dahin fehlenden Zeitwertkontengarantie das Insolvenzrisiko hinsichtlich der für den Aufbau der Wertguthaben vorgesehenen Beträge getragen und daher die wirtschaftliche Verfügungsmacht hierüber erlangt hätten. Dabei übersieht das Finanzamt allerdings, dass die fehlende Insolvenzsicherung und das damit einhergehende Risiko des (Wert-)Verlusts eines vom Arbeitgeber nicht ausgezahlten beziehungsweise nicht erfüllten Lohnanspruchs als solches nicht zum Zufluss von Arbeitslohn führt. Vielmehr ist das Risiko, durch die Insolvenz des Schuldners einen (Wert-)Verlust zu erleiden, jedem (nicht insolvenzgesicherten) Anspruch immanent. Trotzdem führt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs das bloße Innehaben von Ansprüchen gegen den Arbeitgeber nicht zum Zufluss von Arbeitslohn beim Arbeitnehmer6. Denn das Tragen des Insolvenzrisikos in Bezug auf den Arbeitslohnanspruch begründet (noch) keine wirtschaftliche Verfügungsmacht über das durch die spätere Erfüllung des Anspruchs -und damit das für den Zufluss maßgebliche- Erlangte.

Soweit sich das Finanzamt im Hinblick auf die bis November 2011 fehlende Zeitwertkontengarantie auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 17.06.20097 beruft, kann eine Fallgestaltung, wie sie nach dem vom Finanzgericht festgestellten Sachverhalt im Streitfall vorliegt, dort von vornherein nicht angesprochen sein. Denn es ist denklogisch ausgeschlossen, dass eine erst zu vereinbarende, aber noch nicht abgeschlossene Wertguthabenvereinbarung bereits eine Zeitwertkontengarantie beinhaltet. Dementsprechend wird in dem vorgenannten BMF, Schreiben auch verlangt, dass die „getroffene Vereinbarung“ eine Zeitwertkontengarantie vorsieht.

Der Bundesfinanzhof muss in dem vorliegenden Verfahren daher nicht entscheiden, ob er sich der in dem BMF, Schreiben vom 17.06.20097 vertretenen Auffassung anschließen könnte. Er hat allerdings bereits entschieden, dass es für den Zufluss von Arbeitslohn im Zusammenhang mit einer Wertguthabenvereinbarung gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung nicht auf die (zivilrechtliche) Wirksamkeit der Vereinbarung ankommt, sofern die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis gleichwohl eintreten und bestehen lassen8. Der Zufluss von Arbeitslohn richtet sich im Ertragsteuerrecht nach steuerrechtlichen Maßstäben und folglich grundsätzlich nicht danach, ob eine Wertguthabenvereinbarung den sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben -insbesondere der §§ 7d und 7e SGB IV- entspricht. Eine andere -im Streitfall ebenfalls nicht entscheidungserhebliche- Frage ist es, welche steuerlichen Rechtsfolgen sich für den Zufluss von Arbeitslohn im Falle der Auflösung des Wertguthabens wegen eines vom Rentenversicherungsträger festgestellten Verstoßes gegen die Zeitwertkontengarantie (§ 7e Abs. 6 SGB IV) ergeben.

Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 28.10.20209 ergibt sich für den Streitfall nichts anderes. Das Urteil betraf die Frage der steuerlichen Anerkennung einer zwischen nahen Angehörigen abgeschlossenen Wertguthabenvereinbarung nach den Kriterien des Fremdvergleichs, nicht aber die hier zu beurteilende Frage des Zuflusses von Arbeitslohn bei Arbeitnehmern, die der Arbeitgeberin (Arbeitgeberin) als fremde Dritte gegenüberstehen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 28. Juni 2023 – VI R 28/21

  1. Thür. FG, Urteil vom 25.11.2021 – 4 K 122/18, EFG 2022, 120[]
  2. BFH, Urteil vom 22.02.2018 – VI R 17/16, BFHE 260, 532, BStBl II 2019, 496, Rz 26[]
  3. BFH, Urteil vom 23.08.2017 – VI R 4/16, BFHE 259, 304, BStBl II 2018, 208, Rz 20[]
  4. BFH, Urteil vom 22.02.2018 – VI R 17/16, BFHE 260, 532, BStBl II 2019, 496, Rz 27, m.w.N.[]
  5. BFH, Urteil vom 22.02.2018 – VI R 17/16, BFHE 260, 532, BStBl II 2019, 496, Rz 28 ff.[]
  6. BFH, Urteile vom 27.05.1993 – VI R 19/92, BFHE 172, 46, BStBl II 1994, 246; vom 18.08.2016 – VI R 18/13, BFHE 255, 58, BStBl II 2017, 730, Rz 15; und vom 22.02.2018 – VI R 17/16, BFHE 260, 532, BStBl II 2019, 496, Rz 29[]
  7. BStBl I 2009, 1286, unter B.V.01.[][]
  8. s. BFH, Urteil vom 04.09.2019 – VI R 39/17, Rz 13 ff.[]
  9. BFH, Urteil vom 28.10.2020 – X R 1/19, BFHE 270, 505, BStBl II 2021, 283[]

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