Eine doppelte Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und -bezügen kann sich nicht allein daraus ergeben, dass ein Steuerpflichtiger in der Vergangenheit keine Altersvorsorgeaufwendungen geltend gemacht hat, obwohl sie einkommensteuerlich abziehbar gewesen wären; in diesem Fall sind die Aufwendungen nicht in die nach den Maßstäben des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 19.05.20211 anzustellende Vergleichsrechnung einzubeziehen.
Die vom Versorgungswerk der Rechtsanwälte gewährte Altersrente ist nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften steuerlich als sonstige Einkünfte zu berücksichtigen. Die Rentenbezieher kann nicht beanspruchen, dass die Altersrente wegen des im Jahr 2005 unterbliebenen Abzugs seiner Beitragszahlungen als Sonderausgaben im Streitjahr niedriger angesetzt wird.
Das erstinstanzlich mit dem Streitfall befasste Finanzgericht Köln2 ist, so der Bundesfinanzhof, zutreffend davon ausgegangen, dass die dem Rentenbezieher erstmals im Dezember 2015 zugeflossene Altersrente des Versorgungswerks im angefochtenen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa und bb EStG zu versteuern ist. Nach Vorlage der Bescheinigung des Versorgungswerks wurde der Rentenanteil, der infolge der beantragten Anwendung der Öffnungsklausel lediglich der Besteuerung mit dem Ertragsanteil unterliegt, zutreffend bestimmt und nur der verbleibende Rententeilbetrag einer Besteuerung mit dem im Jahr des Rentenbeginns geltenden Besteuerungsanteil in Höhe von 70 % unterworfen.
Der Rentenbezieher kann jedoch -wie das Finanzgericht ebenfalls richtig erkannt hat- nicht beanspruchen, dass die Einkünfte aus der Altersrente wegen des im Jahr 2005 unterbliebenen Abzugs der Beitragszahlungen als Sonderausgaben im Streitjahr niedriger angesetzt werden.
Das EStG sieht die begehrte „nachgelagerte Steuerfreistellung“ der in der Ansparphase an das Versorgungswerk geleisteten Beitragszahlungen für 2005, deren steuerliche Geltendmachung als Sonderausgaben unterblieben ist, in der Rentenauszahlungsphase nicht vor. Die in Rede stehenden Beiträge des Rentenbeziehers sind nach Inkrafttreten des AltEinkG geleistet worden. Dieses regelt für Altersvorsorgebeiträge die steuerliche Berücksichtigung allein über einen Sonderausgabenabzug während der Aufbauphase.
Die hier begehrte „nachgelagerte Steuerfreistellung“ ist auch nicht verfassungsrechtlich zur Vermeidung einer doppelten Besteuerung geboten.
Im Hinblick auf das von Verfassungs wegen bestehende Verbot einer doppelten Besteuerung ist geklärt, dass eine solche nicht gegeben ist, wenn die Summe der voraussichtlichen steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse mindestens ebenso hoch ist wie die Summe der aus versteuertem Einkommen aufgebrachten Altersvorsorgeaufwendungen3.
Bereits hieraus wird deutlich, dass im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung einer doppelten Besteuerung ein Vergleich von Summen anzustellen ist, die sich aus den gesamten während der Aufbauphase geleisteten Altersvorsorgeaufwendungen (aus versteuertem Einkommen) einerseits und den gesamten während der Auszahlungsphase voraussichtlich gewährten (steuerfreien) Rentenzuflüsse andererseits zusammensetzen. Nur soweit im Saldo durch die Besteuerung eine doppelte Belastung entsteht, kann dem Steuerpflichtigen aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Anspruch auf eine Milderung des Steuerzugriffs in der Rentenbezugsphase zustehen4.
Mit diesen Vorgaben ist der Ansatz des Rentenbeziehers, die seine in einem bestimmten Veranlagungszeitraum der Aufbauphase geleisteten Altersvorsorgebeiträge isoliert mit Blick auf den tatsächlichen steuerlichen Abzug hin betrachten und im Fall des tatsächlichen (endgültigen) Nichtabzugs zugleich eine in diesem Umfang gegebene doppelte Besteuerung annehmen, nicht vereinbar. Der Rentenbezieher setzt zu Unrecht die endgültige steuerliche Nichtberücksichtigung einzelner steuerlich abzugsfähiger Aufwendungen mit einer verfassungsrechtlich unzulässigen doppelten Besteuerung in diesem Umfang gleich. Letztere ergibt sich allerdings erst, soweit die gesamte voraussichtlich zu erwartende steuerliche Entlastung in der Auszahlungsphase die während der Aufbauphase verbliebene steuerliche Belastung der Altersvorsorgebeiträge nicht erreicht.
Das Finanzgericht Köln hat zutreffend ausgeführt, eine (möglicherweise eintretende) Doppelbelastung beruhe im Streitfall nicht auf einem Fehler des Gesetzes bzw. dessen mangelnder Ausdifferenzierung, sondern allein darauf, dass die Rentenbezieher die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit zum Sonderausgabenabzug der Beiträge für das Jahr 2005 tatsächlich nicht in Anspruch genommen hätten. Damit hat das Finanzgericht der Argumentation der Rentenbezieher, ein an sich möglicher, tatsächlich aber nicht geltend gemachter und daher unterbliebener Sonderausgabenabzug von Altersvorsorgeaufwendungen während der Ansparphase könne zu einer doppelten Besteuerung führen, bereits im Ausgangspunkt widersprochen.
Der Bundesfinanzhof ist ebenfalls der Auffassung, dass bei der verfassungsrechtlichen Prüfung einer doppelten Besteuerung solche Umstände außer Betracht bleiben müssen, die darauf beruhen, dass der frühere Sonderausgabenabzug aufgrund eines den Beteiligten des Besteuerungsverfahrens dabei im Einzelfall unterlaufenen Fehlers nicht den gesetzlichen Abzugsmöglichkeiten entspricht. Maßgebend für die Berechnung ist vielmehr die objektive Anwendung der gesetzlichen Regelungen. Eine doppelte Besteuerung kann sich nicht daraus ergeben, dass ein Steuerpflichtiger in der Vergangenheit keine Altersvorsorgeaufwendungen geltend gemacht hat, obwohl sie einkommensteuerlich abziehbar gewesen wären5.
Dies folgt aus der im AltEinkG verwirklichten gesetzgeberischen Grundsatzentscheidung für die nachgelagerte Besteuerung und der darin vorgenommenen gesetzlichen Ausgestaltung der Übergangsregelungen, die im Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt keiner Einzelfallkorrektur bedarf.
Der vorliegend sinngemäß geltend gemachte Anspruch einer alternativ zu eröffnenden Möglichkeit der Steuerfreistellung sowohl in der Aufbau- als auch in der Auszahlungsphase, um jede denkbare und -wie hier- rein verfahrensrechtlich bedingte (anteilige) doppelte Besteuerung auszuschließen, besteht verfassungsrechtlich nicht.
Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit ausgeführt, dass das Verbot doppelter Besteuerung entweder durch eine Steuerfreistellung von Altersvorsorgeaufwendungen (in der Aufbauphase) oder durch eine Nichtbesteuerung von Alterseinkünften, die aus versteuertem Einkommen stammten, (in der Auszahlungsphase) beachtet werden könne6. Vor diesem Hintergrund ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, dass der Gesetzgeber sich dafür entschieden hat, im Rahmen des Konzepts der nachgelagerten Besteuerung eine steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen allein in der Aufbauphase vorzusehen.
Des Weiteren durfte der Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem AltEinkG aufgrund seiner bei der Ausgestaltung von Übergangsregelungen gegebenen Befugnis zu gröberen Typisierungen in Einzelfällen auftretende denkbare Besonderheiten in weitem Umfang vernachlässigen. Die gesetzlichen Regelungen müssen daher insbesondere nicht allein im Verfahren fußenden Unzulänglichkeiten bei der Geltendmachung einer materiell-rechtlich ausreichenden Berücksichtigungsmöglichkeit Rechnung tragen. Dies gilt insbesondere, wenn in Einzelfällen Vorsorgeaufwendungen schon nicht erklärt werden, sie im Veranlagungszeitraum in fehlerhafter Weise unberücksichtigt bleiben und/oder in solchen Fällen ein fristgerechter Einspruch ausbleibt und/oder wegen eingetretener Festsetzungsverjährung eine Korrektur auch nicht mehr aufgrund von Änderungsvorschriften erfolgen kann.
Ermöglichen die materiell-rechtlichen Vorschriften eine ausreichende steuerliche Berücksichtigung von Altersvorsorgeaufwendungen und kommt deren entlastende Wirkung lediglich durch eine verfahrensrechtlich bedingte Nichtgeltendmachung nicht zum Tragen, so besteht für ihre Korrektur im Einzelfall von Vornherein keine Veranlassung.
Insoweit unterscheidet sich der Streitfall in maßgeblicher Weise auch von den (materiell-rechtlichen) „Abzugsbeschränkungen während der Beitragsphase“. Daher ist bei der Prüfung einer doppelten Besteuerung danach zu unterscheiden, ob Beiträge in der Ansparphase teilweise wegen Begrenzung des Sonderausgabenabzugs auf einen Höchstbetrag steuerlich nicht berücksichtigt werden konnten oder ob deren steuerliche Nichtberücksichtigung -wie im Streitfall- allein auf der fehlenden Geltendmachung des Sonderausgabenabzugs beruht. Im ersten Fall sind die Beiträge insoweit als aus versteuertem Einkommen erbracht anzusehen7, im anderen Fall können die Beiträge nicht in die Vergleichsrechnung einbezogen werden.
Auch sonst ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich, die es -dem Revisionsantrag entsprechend- erlauben könnte, die „Einkünfte“ des Rentenbeziehers geringer zu besteuern. Insbesondere lässt es das Abflussprinzip (§ 11 Abs. 2 Satz 1 EStG) nicht zu, die im Jahr 2005 geleisteten Altersvorsorgeaufwendungen noch im Streitjahr als Sonderausgaben abzuziehen.
Die vom Rentenbezieher erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch. Soweit die Rentenbezieher beanstanden, das Finanzgericht habe unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz und die BFH-Rechtsprechung nicht aufgeklärt, ob vorliegend eine Fallgestaltung einer unzulässigen Doppelbesteuerung gegeben sei, ist festzuhalten, dass die Rentenbezieher ihr eigenes Verständnis einer doppelten Besteuerung vorgetragen haben, dem das Finanzgericht lediglich entgegengetreten ist.
Dass der Rentenbezieher eine Prüfung des Verbots der doppelten Besteuerung auf der Basis der höchstrichterlichen Rechtsprechung begehrt hätte8, ist schon nicht ersichtlich. Darüber hinaus ist -ausgehend von der vom Finanzgericht im angefochtenen Urteil festgestellten Bescheinigung des Versorgungswerks und den darin aufgeführten Beiträgen des Rentenbeziehers an das Versorgungswerk im Zeitraum vom 01.01.1985 bis zum 30.11.2015- eine doppelte Besteuerung offensichtlich nicht gegeben. Denn nach der -im Kern- zutreffenden Berechnung des Finanzamtes in seiner Revisionserwiderung, die zugunsten des Rentenbeziehers von einer auf 21 Jahre abgerundeten durchschnittlichen Lebenserwartung ausgeht, übersteigt bereits die Summe der voraussichtlichen steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse des Rentenbeziehers allein (73.080 €) -ohne Berücksichtigung der Hinterbliebenenversorgung der Ehefrau9- die Summe sämtlicher von ihm erbrachter Beiträge an das Versorgungswerk (66.532,76 €), und zwar unabhängig davon, in welchem Umfang diese überhaupt aus versteuertem Einkommen geleistet wurden.
Eine Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht gemäß § 76 Abs. 2 FGO, die regelmäßig eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör bedeutet10, liegt ebenfalls nicht vor.
Das Finanzgericht brauchte den (fachkundigen) Rentenbezieher nicht gesondert darauf hinzuweisen, es beabsichtige -so die Rentenbezieher-, „eine Entscheidung auf der Basis des Verschuldensprinzips zu treffen“. Der hinter diesem Vorbringen stehende Gedanke, die Rentenbezieher hätten den Sonderausgabenabzug für die an das Versorgungswerk für das Jahr 2005 geleisteten Beiträge tatsächlich nicht in Anspruch genommen, obwohl es ihnen rechtlich möglich gewesen wäre, war bereits vom Finanzamt in der Einspruchsentscheidung angeführt worden. Vor diesem Hintergrund mussten die Rentenbezieher ohne Weiteres damit rechnen, dass dieser Umstand auch für die finanzgerichtliche Entscheidung von Bedeutung sein könnte.
In diesem Zusammenhang bestand für das Finanzgericht auch keine Notwendigkeit, den „Verursachungsbeitrag“ der Rentenbezieher, dass sie eine Berücksichtigung der in Rede stehenden Beiträge im Einkommensteuerbescheid für 2005 beantragt und darauf nicht verzichtet hätten, weiter aufzuklären. Das Finanzgericht hat hinsichtlich der Frage einer doppelten Besteuerung entscheidend auf den tatsächlichen Nichtabzug der Beiträge als Sonderausgaben abgestellt. Das weitere Verhalten der Rentenbezieher, dass sie sich nachträglich (vergeblich) um eine Korrektur bemüht hatten, war daher nicht entscheidungserheblich.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 6. April 2022 – X R 27/20
- BFH, Urteil vom 19.05.2021 – X R 33/19, BFHE 273, 266, Rz 33 ff.[↩]
- FG Köln, Urteil vom 04.11.2019 – 11 K 2132/18[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 19.05.2021 – X R 33/19, BFHE 273, 266, Rz 22, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 273, 266, Rz 21[↩]
- vgl. Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10 EStG Rz 342[↩]
- vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 29.09.2015 – 2 BvR 2683/11, BStBl II 2016, 310, Rz 35[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 06.04.2016 – X R 2/15, BFHE 253, 370, BStBl II 2016, 733, Rz 55; in BFHE 273, 266, Rz 104 f., jeweils auch zur Rechtslage ab 2005[↩]
- vgl. dazu BFH, Urteil in BFHE 254, 545, Rz 25[↩]
- vgl. hierzu BFH, Urteil in BFHE 273, 266, Rz 38 ff.[↩]
- vgl. Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 76 Rz 72[↩]
Bildnachweis:
- Geldscheine: moerschy