Ein Urteil eines Finanzgericht ist i.S. des § 119 Nr. 6 FGO nicht mit Gründen versehen, wenn das Finanzgericht eine (angebliche) Hinzuziehung des Leistungsempfängers zu einem Einspruchsverfahren des Leistenden für rechtmäßig erklärt, obwohl der Hinzugezogene am Einspruchsverfahren des Leistenden nicht beteiligt wird/werden soll, oder wenn das Finanzgericht einen nur an den Leistungsempfänger gerichteten „besonderen Bescheid wegen Umsatzsteuer“, der keinen Regelungs-Ausspruch und keine Steuerfestsetzung enthält, lediglich mit einem Verweis auf eine Literaturstelle, wonach dem hinzugezogenen Leistungsempfänger die Änderung des Bescheids des Leistenden bekanntzugeben sei, für rechtmäßig erklärt.
Zum notwendigen Inhalt eines Urteils gehören nach § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO die Entscheidungsgründe. Gemäß § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO sind im Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. § 119 Nr. 6 FGO sieht ergänzend vor, dass ein Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen ist, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.
Vom Vorliegen eines Verfahrensmangels i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist auszugehen, wenn einem Beteiligten -zumindest in Bezug auf einen der wesentlichen Streitpunkte- die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen1, z.B. wenn das Finanzgericht im Urteil einen wesentlichen Streitpunkt entweder überhaupt nicht erörtert oder mit formelhaften bzw. inhaltlich nicht nachvollziehbaren Formulierungen abhandelt2.
Ein solcher Verfahrensfehler liegt vor.
Das Finanzgericht hat zwar nachvollziehbar begründet, warum es in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs3 davon ausgeht, dass ein Erstattungsantrag eines Bauträgers (hier in Bezug auf die Objekte A und B vom 19.04.2018) kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist.
Es wird aber bereits nicht deutlich, warum das Finanzgericht meint, dass die Hinzuziehung der Bauunternehmerin zum Besteuerungsverfahren der G-GmbH i.S. des § 174 Abs. 5 Satz 2 AO zulässig sei, wenn eine Beteiligung der Bauunternehmerin am Besteuerungsverfahren der G-GmbH tatsächlich nicht erfolgt ist.
§ 174 Abs. 4 AO sieht zwar vor, dass aus einem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden können, weil aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird.
§ 174 Abs. 4 AO gilt gemäß § 174 Abs. 5 Satz 1 AO gegenüber einem Dritten aber nur, wenn der Dritte an dem Besteuerungsverfahren, das zur Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, beteiligt war.
Dies war jedoch wohl schon nicht vom Finanzamt I beabsichtigt; jedenfalls ist es tatsächlich nicht geschehen, wie auch die Aufhebung der Beiladung der G-GmbH durch das Finanzgericht zeigt: Das Besteuerungsverfahren der G-GmbH wurde vielmehr ohne Beteiligung der Bauunternehmerin nur mit der G-GmbH fortgeführt. Daneben wurde ein getrenntes, gegenüber der Bauunternehmerin durch „besondere Bescheide“ eröffnetes Verwaltungs, Einspruchs- und Klageverfahren (ohne Beteiligung der Bauträgerin, der G-GmbH) durchgeführt. Weder die „besonderen Bescheide“ noch die Einspruchsentscheidung wurden der G-GmbH bekanntgegeben; diese wurde auch nicht ihrerseits zum Verfahren der Bauunternehmerin hinzugezogen. Infolge der Hinzuziehung der Bauunternehmerin sollte und hat ein (für die Bauunternehmerin als Dritte unzuständiges) Finanzamt (das Finanzamt I) gegenüber der Bauunternehmerin „besondere Bescheide“ ohne Entscheidung über einen Steueranspruch der G-GmbH oder der Bauunternehmerin erlassen, die angeblich (eventuell als eine Art Grundlagenbescheid) Bindungswirkung für das Besteuerungsverfahren der Bauunternehmerin beim Finanzamt II haben sollen. Gleichzeitig wurde dadurch das verfahrensrechtliche Schicksal der Steuerbescheide im Besteuerungsverfahren der G-GmbH und der „besonderen Bescheide“ völlig entkoppelt. Ermöglicht werden soll eine nachfolgende Änderung der Steuerbescheide bei der Bauunternehmerin als Dritte nicht mehr, wie es § 174 Abs. 4 und 5 AO vorsehen, aufgrund der Änderung der Steuerbescheide der G-GmbH als Steuerpflichtige, sondern aufgrund des Erlasses erstmaliger „besonderer Bescheide“ (nur) gegenüber der Bauunternehmerin. Darauf geht das Urteil des Finanzgericht nicht ein.
Die Ausführungen des Finanzgericht lassen außerdem nicht erkennen, aus welchem Grund es die „besonderen Bescheide“ des Finanzamtes – I wegen Umsatzsteuer für rechtmäßig hält.
Soweit das Finanzgericht dazu auf die Ausführungen in einer Kommentierung4 Bezug genommen hat, weist der Autor in der vom Finanzgericht zitierten Literaturstelle darauf hin, dass dem hinzugezogenen Dritten (hier: der Bauunternehmerin) die Änderung des Bescheids (hier: der G-GmbH) bekanntzugeben sei, damit er dagegen (!) Rechtsbehelfe einlegen kann.
Dies ist vorliegend jedoch gerade nicht geschehen und war ebenfalls nicht beabsichtigt: Das Finanzamt I hat der Bauunternehmerin nicht den gegenüber der G-GmbH ergangenen Änderungsbescheid wegen Umsatzsteuer 2013 und 2014, mit dem es dem Einspruch der G-GmbH abgeholfen hat, bekanntgegeben, sondern ihr gegenüber „besondere Bescheide“ (ohne Steuerfestsetzung und auch sonst ohne einen klaren Regelungs-Ausspruch) erlassen, die von der Bauunternehmerin mit Einspruch und Klage angefochten wurden. Dass (alternativ zu der von Rüsken geforderten) Bekanntgabe des Abhilfebescheids an den Dritten der Erlass solch „besonderer Bescheide“ zulässig sei, findet sich an der vom Finanzgericht einzig zitierten Literaturstelle nicht, so dass die Beteiligten nicht nachvollziehen können, aus welchem Grund das Finanzgericht diese Vorgehensweise als rechtmäßig ansieht. Auch wird vom Finanzgericht nicht erörtert, ob mit dieser Verfahrensweise möglicherweise unzulässigerweise von § 157 Abs. 2, § 179 Abs. 1 AO abgewichen werden soll bzw. worden ist.
Aufgrund dieses Verfahrensfehlers erscheint es sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 FGO das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurückzuverweisen, da beim derzeitigen Verfahrensstand von einer Revisionsentscheidung keine weitere rechtliche Klärung zu erwarten ist5.
Soweit das Urteil des Finanzgericht i.S. des § 107 FGO offenbar unrichtig gewesen sein könnte, als es den -aufgrund der Verfahrensgeschichte unzutreffenden- Eindruck erweckt hat, das Finanzgericht habe auch die Klage gegen das Finanzamt II (und auch zum Streitgegenstand Zinsen zur Umsatzsteuer) abgewiesen, obwohl die Beteiligten diese Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt hatten und das Finanzgericht darüber nicht entscheiden wollte, wie das Zitat des § 138 Abs. 1 FGO zeigt, entfällt ein eventuelles Berichtigungserfordernis mit der Aufhebung der Vorentscheidung und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Finanzgericht.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 30. Juni 2021 – XI B 81/20
- vgl. BFH, Beschluss vom 11.12.2013 – XI B 33/13, BFH/NV 2014, 714, Rz 17; BFH, Urteil vom 14.11.2018 – XI R 32/17, BFH/NV 2019, 280, Rz 23[↩]
- vgl. BFH, Beschlüsse vom 05.12.2013 – XI B 17/13, BFH/NV 2014, 548, Rz 8; vom 11.05.2015 – XI B 29/15, BFH/NV 2015, 1257, Rz 11[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 08.10.2019 – V R 15/18, BFHE 266, 28[↩]
- Klein/Rüsken, a.a.O., § 174 Rz 72[↩]
- vgl. dazu allgemein BFH, Beschluss vom 27.10.2020 – XI B 33/20, BFH/NV 2021, 459, Rz 25, m.w.N.[↩]