Steuerbefreiung für in mehreren Blockheizkraftwerken erzeugten Strom

Für die Behandlung mehrerer an unterschiedlichen Standorten befindlichen Stromerzeugungseinheiten als virtuelles Kraftwerk gemäß § 12b Abs. 2 Satz 1 StromStV ist es nicht erforderlich, dass die einzelnen Stromerzeugungseinheiten nur insgesamt oder kombiniert gesteuert werden können. Die Versagung der Steuerbefreiung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 des Stromsteuergesetzes für in mehreren Blockheizkraftwerken erzeugten Strom aufgrund fehlender Erlaubnis ist jedenfalls dann nicht unionsrechtswidrig und nicht unverhältnismäßig, wenn dem Betreiber der Anlage das Entlastungsverfahren gemäß § 12a der Stromsteuer-Durchführungsverordnung (StromStV) offensteht.

Steuerbefreiung für in mehreren Blockheizkraftwerken erzeugten Strom

Die in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall klagende Unternehmerin betrieb im Kalenderjahr 2017 fünf mit Biomasse betriebene Blockheizkraftwerke (BHKW), von denen sie von einem den Betrieb im Laufe des Jahres 2017 einstellte, mit einer elektrischen Nennleistung von jeweils unter 2 MW an ihrem Betriebssitz, sowie an zwei weiteren Standorten. Sie betrieb die BHKW mit dem von ihr hergestellten Biogas, wofür sie Gasleitungen hatte verlegen lassen. Der von ihr erzeugte Strom wurde grundsätzlich in das öffentliche Stromnetz eingespeist und von der A GmbH an Letztverbraucher geleistet. Die Betreiberin selbst leistete den Strom nicht an Letztverbraucher. Sie entnahm jedoch von dem von ihr erzeugten Strom Mengen zur Stromerzeugung vor dem Einspeisepunkt über eine gesonderte Leitung der Biogasanlage. Teilweise bezog sie zusätzlich Strom von einem Versorger als sogenannte Überschusseinspeisung. Die A A GmbH war durch eine Fernsteuerung der BHKW in der Lage, jederzeit die jeweilige Ist-Einspeisung abzurufen und die Einspeiseleistung bedarfsgerecht zu erhöhen oder zu vermindern. Das Hauptzollamt erteilte der Betreiberin mit Verfügung vom 27.11.2017 mit Wirkung ab dem 12.09.2017 die Erlaubnis, Strom als Versorgerin leisten zu dürfen, und setzte in der Folge gegen die Betreiberin unter Bezugnahme auf die Steueranmeldung „für das Kalenderjahr 2017“ Stromsteuer fest, ohne hierbei die von der Betreiberin zur Stromerzeugung entnommene Strommenge zu berücksichtigen.

Das Finanzgericht Düsseldorf urteilte, der Steuerbescheid sei rechtswidrig, soweit mehr als … € Stromsteuer festgesetzt worden sei. Die Stromsteuer sei für den Strom entstanden, den die Betreiberin erzeugt habe und der in das Versorgungsnetz eingespeist worden sei. Die strittige Strommenge sei nicht gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG von der Stromsteuer befreit, weil der von der Betreiberin erzeugte Strom nicht aus einem ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Energieträgern gespeisten Netz oder einer entsprechenden Leitung entnommen, sondern in das öffentliche Stromnetz eingespeist worden sei. Der Strom sei auch nicht nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG von der Steuer befreit, weil die Betreiberin nicht selbst an Letztverbraucher geleistet habe. Dennoch gelte sie nach § 1a Abs. 5 Satz 1 der Stromsteuer-Durchführungsverordnung (StromStV) als Versorgerin und sei somit Steuerschuldnerin. Die vier von der Betreiberin im maßgeblichen Zeitraum betriebenen BHKW seien zum Zweck der Stromerzeugung zentral von der A GmbH gesteuert worden und hätten eine elektrische Nennleistung von insgesamt mehr als 2 MW. § 12b Abs. 2 StromStV genüge dem Gesetzesvorrang. Die von der Betreiberin entnommene Strommenge sei jedoch aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG von der Steuer befreit, auch wenn der Betreiberin insoweit keine Erlaubnis erteilt worden sei. Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung oder einen Missbrauch seien nicht ersichtlich. Der Umstand, dass die Betreiberin mittlerweile einen Entlastungsantrag nach § 12a StromStV gestellt habe, ändere an dem durch § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG begründeten Anspruch auf Steuerbefreiung nichts.

Auf die Revision des Hauptzollamtes hob der Bundesfinanzhof des Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf auf und wies die Klage insgesamt ab: Für die im Revisionsverfahren noch im Streit stehende Strommenge ist die Stromsteuer gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StromStG entstanden, weil die Betreiberin als Versorgerin nach § 2 Nr. 1 StromStG dem Versorgungsnetz1 Strom zum Selbstverbrauch entnommen hat (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StromStG).

Die Betreiberin war auch in dem Zeitraum Versorgerin, in dem sie noch nicht über eine entsprechende Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Satz 1 StromStG verfügte (bis einschließlich 11.09.2017), weil das Vorliegen einer förmlichen Erlaubnis ausweislich der Definition in § 2 Nr. 1 StromStG kein Tatbestandsmerkmal des Versorgerstatus ist. Maßgeblich ist insofern lediglich, dass Strom geleistet wird, was vorliegend aufgrund der Leistung von Strom durch die Betreiberin an die A GmbH der Fall ist. Dass es sich bei der A GmbH ihrerseits um eine Versorgerin handelt, ändert daran nichts, weil auch derjenige als Versorger anzusehen ist, der seinerseits an einen Versorger leistet.

Die Betreiberin ist hinsichtlich der entnommenen Strommenge als Versorgerin (§ 2 Nr. 1 StromStG) Steuerschuldnerin gemäß § 5 Abs. 2 Alternative 1 StromStG.

Der von der Betreiberin im streitigen Zeitraum entnommene Strom ist nicht gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG von der Steuer befreit.

Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den Bundesfinanzhof bindenden Feststellungen des Finanzgericht entnahm die Betreiberin von ihr erzeugten Strom zur Stromerzeugung vor dem Einspeisepunkt.

Allerdings verfügte die Betreiberin nicht über eine Erlaubnis zur steuerbefreiten Entnahme von Strom nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG. Eine entsprechende Erlaubnis ist jedoch gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 StromStG Voraussetzung für die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG.

In Bezug auf den Erlaubnisvorbehalt für die steuerfreie Verwendung von Energieerzeugnissen nach § 24 Abs. 2 Satz 1 des Energiesteuergesetzes hat der Bundesfinanzhof ausgeführt, dass dadurch die Steueraufsicht gewährleistet und eine effektive Ausgestaltung der zollamtlichen Steueraufsichtsmaßnahmen ermöglicht werden soll. Durch die Kenntnis der zugelassenen Verteiler und Verwender soll die Zollverwaltung zudem eine Gleichmäßigkeit der Besteuerung durch einzelne Steueraufsichtsmaßnahmen und Außenprüfungen sicherstellen können2.

Diese Erwägungen lassen sich auf die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG und die dafür nach § 9 Abs. 4 StromStG erforderliche Erlaubnis übertragen. Denn durch das Erlaubnisverfahren wird das Hauptzollamt in die Lage versetzt, die technischen Gegebenheiten beim Stromerzeuger sowie die Verwendung des Stroms und damit die sachlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiung zu prüfen, bevor steuerbefreiter Strom entnommen wird.

Darüber hinaus wird die Erlaubnis gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 StromStG nur Personen erteilt, gegen deren steuerliche Zuverlässigkeit keine Bedenken bestehen. Dies ist insofern gerechtfertigt, als eine Steuerbefreiung -anders als die nachträglich zu beantragende Steuerentlastung nach § 12a StromStV- von vorneherein gewährt wird und somit im Interesse der Sicherung des Steueraufkommens und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sichergestellt sein muss, dass nur diejenigen Personen steuerfreien Strom entnehmen, die neben den sachlichen auch die persönlichen Voraussetzungen dafür erfüllen.

Die Prüfung dieser sachlichen und persönlichen Voraussetzungen ist dem Hauptzollamt -entgegen der Auffassung der Betreiberin- nicht anhand der nachträglich erstellten Steueranmeldung möglich, sondern nur im Rahmen des der Entnahme vorausgehenden Erlaubnisverfahrens. Denn die gemäß § 8 StromStV im Rahmen des Erlaubnisverfahrens verlangten Angaben (unter anderem Steuernummer beim zuständigen Finanzamt, gegebenenfalls Umsatzsteuer-Identifikationsnummer) und Anlagen (Handelsregisterauszug, Betriebserklärung, Angaben zu Zähl- oder Messeinrichtungen, Betriebsstättenverzeichnis, Erklärung zu steuerlichem Beauftragten nach § 214 AO) werden überwiegend in der Steueranmeldung nicht gefordert. Darin werden insbesondere die entnommenen Strommengen, getrennt nach den verschiedenen Steuersätzen und Steuerbefreiungen, angegeben.

Das Erfordernis, vor der Entnahme von nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG steuerbefreiten Stroms zur Stromerzeugung nach § 9 Abs. 4 StromStG eine Erlaubnis zu beantragen, ist aufgrund der Ausgestaltung des Erlaubnisverfahrens nicht vergleichbar mit der Vorgabe, zur Erlangung einer Stromsteuerbegünstigung ein bestimmtes Formular zu verwenden.

Abgesehen davon ist nach den besonderen Umständen des Streitfalls die von der Betreiberin abgegebene Steueranmeldung nicht geeignet, die Berechtigung zur steuerbefreiten Verwendung von Strom zur Stromerzeugung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG zu belegen, weil sich die Angaben, welche die Betreiberin in der Steueranmeldung gemacht hat, widersprechen. So hat die Betreiberin eine Strommenge sowohl zum Regelsteuersatz als auch als steuerfrei gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 Buchst. a StromStG angegeben. Darüber hinaus handelt es sich bei der Strommenge nach dem Vorbringen der Betreiberin in der mündlichen Verhandlung nicht um die insgesamt erzeugte Strommenge, sondern lediglich um die Menge, die bei ihr vor Ort geblieben ist.

Das grundsätzliche Erfordernis einer Erlaubnis für die Verwendung von steuerbefreitem Strom widerspricht nicht den unionsrechtlichen Vorgaben und steht auch mit der EuGH-Rechtsprechung im Einklang.

Nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2003/96/EG (Energiesteuerrichtlinie -EnergieStRL-) sind die Mitgliedstaaten berechtigt, Maßnahmen zur Sicherstellung der korrekten und einfachen Anwendung der Steuerbefreiungen (zum Beispiel auch zur Stromerzeugung verwendeter Energieerzeugnisse) und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung und -vermeidung oder Missbrauch festzulegen. Somit ergibt sich unmittelbar aus dem Unionsrecht die Berechtigung der Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu ergreifen, die der Einhaltung der Voraussetzungen der in Art. 14 Abs. 1 EnergieStRL geregelten Steuerbefreiungen dienen.

Da die Energiesteuerrichtlinie weder einen bestimmten Mechanismus zur Kontrolle der Verwendung von Energieerzeugnissen noch Maßnahmen zur Bekämpfung der mit dem Verkauf möglicherweise verbundenen Steuerhinterziehung im Einzelnen vorgibt, obliegt es den Mitgliedstaaten, unter Beachtung des Unionsrechts in ihrem nationalen Recht solche Mechanismen und Maßnahmen vorzusehen. Die Mitgliedstaaten verfügen somit bei der Festlegung und der Durchführung von auf den jeweiligen nationalen Kontext abgestimmten politischen Maßnahmen über einen Gestaltungsspielraum3.

Dementsprechend hat der EuGH das grundsätzliche Erfordernis einer Erlaubnis bislang nicht beanstandet. In seinem Urteil Polihim-SS vom 02.06.2016 – C-355/14, EU:C:2016:403, Rz 57 hat der EuGH vielmehr betont, dass die Energiesteuerrichtlinie nicht die Frage regelt, auf welche Weise der Nachweis zu führen ist, dass die Energieerzeugnisse zu Zwecken verwendet werden, die einen Anspruch auf Befreiung begründen, und hat in diesem Zusammenhang auf die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Ergreifung von Steueraufsichtsmaßnahmen nach Art. 14 Abs. 1 EnergieStRL hingewiesen.

Die Versagung der Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG aufgrund der fehlenden Erlaubnis nach § 9 Abs. 4 StromStG verstößt auch nicht gegen den unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Bei der Ausübung ihrer Befugnisse müssen die Mitgliedstaaten die allgemeinen Rechtsgrundsätze beachten, die Bestandteil der Rechtsordnung der Union sind und zu denen insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit gehören4. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfen Maßnahmen, welche die Mitgliedstaaten erlassen, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern, nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist5.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäische Union6 verstößt es gegen Unionsrecht, wenn die Verletzung nationaler formeller Anforderungen dadurch sanktioniert wird, dass eine obligatorische Steuerbegünstigung nach der Energiesteuerrichtlinie verweigert wird. Denn die nationalen Regelungen dürfen nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um eine korrekte und einfache Anwendung solcher Befreiungen sicherzustellen sowie Steuerhinterziehung und -vermeidung oder Missbrauch zu verhindern7.

Ausgehend von diesen Grundsätzen verstößt eine Versagung der Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG im Streitfall nicht gegen den unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, weil der Betreiberin für die von ihr begehrte Steuerbegünstigung noch das Entlastungsverfahren nach § 12a StromStV offensteht.

Die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG beruht auf der obligatorischen Steuerbefreiung gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EnergieStRL, weshalb deren Umsetzung durch nationales Recht den Anforderungen des unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entsprechen muss. Allerdings steht es den Mitgliedstaaten grundsätzlich frei, die durch die Energiesteuerrichtlinie vorgesehene Steuerbefreiung direkt oder über eine (nachträgliche) Entlastung zu gewähren (vgl. Art. 6 EnergieStRL).

Im deutschen Recht sind beide Varianten vorgesehen und sowohl eine Steuerbefreiung für die Entnahme von Strom zur Stromerzeugung unter Erlaubnisvorbehalt (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 StromStG) als auch eine Steuerentlastung (§ 12a StromStV) geregelt. Dass die Rechtsgrundlage der Steuerentlastung nicht unmittelbar im Stromsteuergesetz, sondern in der auf dessen Grundlage erlassenen Stromsteuer-Durchführungsverordnung enthalten ist (vgl. § 11 Nr. 8 Buchst. b StromStG), ändert nichts daran, dass ein Entlastungsverfahren neben der Steuerbefreiung allgemeingültig geregelt wurde und somit von jedem Stromerzeuger beantragt werden kann. Allein die fehlende Erlaubnis nach § 9 Abs. 4 StromStG führt somit nicht zu einem endgültigen Verlust der obligatorischen Steuerbegünstigung im Sinne der oben dargestellten EuGH-Rechtsprechung.

Vielmehr steht der Betreiberin das Steuerentlastungsverfahren nach § 12a Abs. 1 Satz 1 StromStV offen, für das sie bereits einen Antrag gestellt hat.

Die zur Stromerzeugung verbrauchte Strommenge ist auch nicht gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG von der Stromsteuer befreit.

Entgegen der Auffassung des Hauptzollamtes ist der Bundesfinanzhof zur Prüfung weiterer Steuerentlastungstatbestände befugt.

Der sachliche Umfang der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils ergibt sich in erster Linie aus der Urteilsformel (§ 105 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Zu deren Auslegung sind erforderlichenfalls Tatbestand und Entscheidungsgründe heranzuziehen, ohne dass die Begründung eines Urteils als solche beziehungsweise die Urteilselemente rechtskraftfähig wären8. Mit der Urteilsformel hat das Finanzgericht die Steuerfestsetzung auf einen bestimmten Betrag begrenzt. Die sachliche Bindungswirkung der Vorentscheidung beschränkt sich daher auf diesen Betrag.

Soweit die Vorentscheidung nicht in Rechtskraft erwachsen ist, ist sie voll überprüfbar. Nach dem Grundsatz der Vollrevision ist die Entscheidung der Vorinstanz materiell-rechtlich in vollem Umfang und damit ohne Einschränkung auf die von den Beteiligten vorgebrachten Streitpunkte zu überprüfen, wenn die Revisionsklägerin -wie im Streitfall- ihr Rechtsmittel in zulässiger Weise auf die Verletzung materiellen Rechts stützt (§ 118 Abs. 3 Satz 2 FGO; BFH, Urteile vom 11.05.2023 – V R 22/21, BFHE 280, 367, Rz 15; und vom 24.08.2022 – XI R 25/20, BFHE 277, 524, Rz 15, jeweils m.w.N.). Davon ausgehend kann geprüft werden, ob die vom Finanzgericht ausgesprochene teilweise Aufhebung des Steuerbescheids vom 11.07.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.10.2018 auch auf andere Gründe beziehungsweise andere Steuerbefreiungstatbestände als die vom Finanzgericht für richtig gehaltenen gestützt werden kann.

Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG ist Strom aus erneuerbaren Energieträgern von der Steuer befreit, wenn dieser aus einem ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Energieträgern gespeisten Netz oder einer entsprechenden Leitung entnommen wird. Eine Erlaubnis war für diesen Befreiungstatbestand im Streitjahr 2017 nicht vorgesehen.

Die hier in Streit stehende Strommenge wurde zwar aus erneuerbaren Energieträgern hergestellt.

Allerdings wurde sie nicht aus einem im Streitzeitraum noch erforderlichen „grünen Netz“ entnommen. Da die Betreiberin Strom an die A GmbH leistete, war sie -wenn auch teilweise ohne die dafür erforderliche Erlaubnis- Versorgerin im Sinne von § 2 Nr. 1 StromStG. Die Leitungen auf dem Gelände eines Versorgers sind Bestandteil des Versorgungsnetzes, das der Bundesfinanzhof als einziges Versorgungsnetz versteht, aus dem auch Versorger Strom entnehmen können9. Das allgemeine Versorgungsnetz enthält jedoch nicht nur Strom aus erneuerbaren Energieträgern, sondern sogenannten Egalstrom, sodass die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG nicht erfüllt sind.

Die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a StromStG für Strom, der in Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von bis zu 2 MW erzeugt wird; und vom Betreiber der Anlage als Eigenerzeuger im räumlichen Zusammenhang zu der Anlage zum Selbstverbrauch entnommen wird, liegen ebenfalls nicht vor.

Ausgehend von den Feststellungen des Finanzgericht ist die Betreiberin nicht Eigenerzeugerin, sondern Versorgerin, die einen Teil des Stroms zum Selbstverbrauch entnimmt.

Darüber hinaus sind die BHKW der Betreiberin als eine Anlage (sogenanntes virtuelles Kraftwerk) zu betrachten, weil deren gesamte elektrische Nennleistung über 2 MW liegt und eine getrennte Betrachtung der einzelnen BHKW im Streitfall nicht in Betracht kommt.

Stromerzeugungseinheiten an unterschiedlichen Standorten gelten nach § 12b Abs. 2 Satz 1 StromStV als eine Anlage zur Stromerzeugung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG, sofern die einzelnen Stromerzeugungseinheiten zum Zweck der Stromerzeugung zentral gesteuert werden; dies ist insbesondere der Fall, wenn die einzelnen Stromerzeugungsanlagen nach § 36 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes -EEG-10 fernsteuerbar sind, und der erzeugte Strom zumindest teilweise in das Versorgungsnetz eingespeist werden soll.

Im Streitfall werden die einzelnen BHKW durch die A GmbH mittels Fernsteuerung gesteuert, wodurch die A GmbH in der Lage ist, jederzeit die jeweilige Ist-Einspeisung abzurufen und die Einspeiseleistung bedarfsgerecht zu erhöhen oder zu vermindern (vgl. § 36 Abs. 1 Satz 1 EEG). Dass die BHKW nur insgesamt oder kombiniert zu steuern sein müssen, wie die Betreiberin meint, ergibt sich aus § 12b Abs. 2 Satz 1 StromStV nicht. Die Zusammenbetrachtung mehrerer Stromerzeugungseinheiten zu einer Anlage setzt lediglich voraus, dass „die einzelnen Stromerzeugungseinheiten“ „fernsteuerbar sind“. Diese Voraussetzungen sind ausgehend von den Feststellungen des Finanzgericht im Streitfall erfüllt.

Dagegen, dass die einzelnen Anlagen infolge der Fernsteuerung kombiniert oder insgesamt zentral gesteuert werden oder in einer Verbindung stehen müssen, spricht auch § 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 EEG, weil dort auf die jeweilige Ist-Einspeisung abgestellt wird. Außerdem enthält § 36 Abs. 1 Satz 2 EEG eine gesonderte Regelung für mehrere Anlagen, die über denselben Verknüpfungspunkt mit dem Netz verbunden sind und für die gemeinsame technische Einrichtungen vorgehalten werden. Diese Regelung wäre überflüssig, wenn sich die Regelung zur Fernsteuerung nach Satz 1 ohnehin nur auf verbundene Anlagen bezöge.

Im Übrigen hat der Bundesfinanzhof zu § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG entschieden, dass ausgehend von dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung von einem funktionsbezogenen Anlagenbegriff auszugehen ist, der eine isolierte Betrachtung einzelner Module verbietet11. Denn die steuerliche Freistellung von Anlagen mit geringer Stromerzeugung soll insbesondere die dezentrale Stromerzeugung in Kleinanlagen fördern12. Eine isolierte Betrachtung jeder einzelnen stromerzeugenden Einheit liefe diesem gesetzgeberischen Ziel zuwider. Denn bei dieser Auslegung könnten Stromerzeuger an einem Standort beliebig viele KWK-Anlagen mit einer jeweiligen Nennleistung von bis zu 2 MW errichten und zusammen betreiben, ohne dass die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG entfiele. Darüber hinaus sprechen auch fiskalpolitische Gründe gegen eine Ausweitung des als Ausnahmeregelung konzipierten Befreiungstatbestands13.

Diese Erwägungen können aufgrund des gemeinsamen Tatbestandsmerkmals der elektrischen Nennleistung von bis zu 2 MW auch auf die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a StromStG übertragen werden, zumal auch der Gesetzgeber eine steuerliche Begünstigung virtueller Kraftwerke nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG nicht beabsichtigte14.

Bei der Auslegung von § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a StromStG ist zudem Art. 21 Abs. 5 Unterabs. 3 Satz 2 EnergieStRL zu berücksichtigen, wonach die Mitgliedstaaten kleine Stromerzeuger von der Steuer befreien können, sofern sie die zur Stromerzeugung verwendeten Energieerzeugnisse besteuern. Dies spricht ebenfalls für eine restriktive Handhabung der Steuerbefreiungsvorschrift.

Eine Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG scheidet aus, weil die elektrische Nennleistung der Anlage überschritten ist und die A GmbH und nicht die Betreiberin den Strom an Letztverbraucher geleistet hat.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 17. Oktober 2023 – VII R 50/20

  1. zum Begriff des Versorgungsnetzes vgl. BFH, Beschluss vom 24.02.2016 – VII R 7/15, Rz 14[]
  2. BFH, Urteil vom 29.11.2022 – VII R 36/20, Rz 23, m.w.N.[]
  3. vgl. neunter Erwägungsgrund zur EnergieStRL; EuGH, Urteil ROZ-SWIT vom 02.06.2016 – C-418/14, EU:C:2016:400, Rz 23; vgl. dazu auch BFH, Urteil vom 29.11.2022 – VII R 36/20, Rz 53[]
  4. EuGH, Urteile Mecsek-Gabona vom 06.09.2012 – C-273/11, EU:C:2012:547; ROZ-SWIT vom 02.06.2016 – C-418/14, EU:C:2016:400, jeweils m.w.N. und Polihim-SS vom 02.06.2016 – C-355/14, EU:C:2016:403, Rz 59[]
  5. vgl. EuGH, Urteil Gabalfrisa u.a. vom 21.03.2000 – C-110/98 bis – C-147/98, EU:C:2000:145, Rz 52; EuGH, Beschluss Transport Service vom 03.03.2004 – C-395/02, EU:C:2004:118, Rz 29, m.w.N. und EuGH, Urteil Collee vom 27.09.2007 – C-146/05, EU:C:2007:549[]
  6. vgl. EuGH Urteile Petrotel-Lukoil vom 07.11.2019 – C-68/18, EU:C:2019:933 und Turbogas vom 27.06.2018 – C-90/17, EU:C:2018:498[]
  7. EuGH, Urteil Polihim-SS vom 02.06.2016 – C-355/14, EU:C:2016:403, Rz 62[]
  8. vgl. BFH, Urteil vom 27.09.2016 – VIII R 16/14, Rz 31, m.w.N.[]
  9. vgl. BFH, Beschluss vom 24.02.2016 – VII R 7/15, Rz 14 f.[]
  10. vom 21.07.2014, BGBl I 2014, 1066, zuletzt geändert durch Art. 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetz vom 29.06.2015, BGBl I 2015, 1010[]
  11. BFH, Urteile vom 23.06.2009 – VII R 42/08, BFHE 225, 476, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern -ZfZ- 2009, 276, unter II. 1.b; und vom 15.09.2020 – VII R 30/19, Rz 25[]
  12. BFH, Urteil vom 23.06.2009 – VII R 34/08, BFH/NV 2009, 1673, unter II. 1.b[]
  13. vgl. im Einzelnen BFH, Urteil vom 23.06.2009 – VII R 42/08, BFHE 225, 476, ZfZ 2009, 276, unter II. 1.b[]
  14. vgl. BT-Drs. 17/7324, S. 2[]

Bildnachweis:

  • Blockheizkraftwerk: GerfriedC