Der rechtwidrige begünstigende Verwaltungsakt – und das schutzwürdige Vertrauen

Ob ein (rechtswidriger) begünstigender Verwaltungsakt haftungsrechtlich schutzwürdiges Vertrauen begründet oder ob einer entsprechenden Vertrauensgrundlage objektive Umstände oder subjektive Kenntnisse beziehungsweise sich aufdrängende Erkenntnismöglichkeiten des Empfängers entgegenstehen, ist nicht erst eine Frage des mitwirkenden Verschuldens im Sinne des § 254 BGB, sondern bereits eine solche der objektiven Reichweite des dem Betroffenen durch das Amtshaftungsrecht gewährten Vermögensschutzes.

Der rechtwidrige begünstigende Verwaltungsakt – und das schutzwürdige Vertrauen

Ob die Grundlage für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Geschädigten nachträglich entfallen ist, lässt sich nur aufgrund einer alle relevanten objektiven und subjektiven Umstände einbeziehenden umfassenden Würdigung des Sachverhalts feststellen1.

So hat jetzt der Bundesgerichtshof eine schuldhafte Amtspflichtverletzung der Bediensteten des Landkreises darin gesehen, dass für den zwischen dem Erwerber und seinen Eltern geschlossenen Schenkungsvertrag eine Grundstücksverkehrsgenehmigung erteilt wurde, obwohl die Streithelferin bereits zuvor Ansprüche an den Flurstücken nach dem Vermögensgesetz angemeldet hatte. Die verletzte Amtspflicht entfaltete auch Drittschutz zu Gunsten des Erwerbers. Die Amtspflicht, die Grundstücksverkehrsgenehmigung bei Vorliegen einer Anmeldung vermögensrechtlicher Ansprüche nicht sogleich zu erteilen, sondern das Genehmigungsverfahren auszusetzen, besteht auch gegenüber dem Vertragspartner des Verfügungsberechtigten. Dieser soll davor bewahrt werden, im Vertrauen darauf, dass zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung kein Restitutionsverfahren anhängig ist, Aufwendungen zu machen und Dispositionen zu treffen, die sich später als nutzlos herausstellen2.

Das Vertrauen des Erwerbers in die Rechtmäßigkeit der Grundstücksverkehrsgenehmigung ist jedoch nach der Mitteilung des Amts zur Regelung offener Vermögensfragen nicht mehr schutzwürdig gewesen.

Ob ein (rechtswidriger) begünstigender Verwaltungsakt haftungsrechtlich schutzwürdiges Vertrauen begründet oder ob einer entsprechenden Vertrauensgrundlage objektive Umstände oder subjektive Kenntnisse beziehungsweise sich aufdrängende Erkenntnismöglichkeiten des Empfängers entgegenstehen, ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht erst eine Frage des mitwirkenden Verschuldens im Sinne des § 254 BGB, sondern bereits eine solche der objektiven Reichweite des dem Betroffenen durch das Amtshaftungsrecht gewährten Vermögensschutzes3. Entsprechendes gilt, wenn das schutzwürdige Vertrauen bei dem Geschädigten nachträglich entfällt4.

Im Ansatz orientiert sich die haftungsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Bezug auf die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Geschädigten auch an dem Rechtsgedanken des § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG5. Dies bedeutet indes nicht, dass vorliegend das Vertrauen des Erwerbers in die Rechtmäßigkeit der Grundstücksverkehrsgenehmigung und damit in das Nichtvorliegen von Anmeldungen von Restitutionsansprüchen nur dann nicht mehr schutzwürdig ist, wenn eine der in § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 bis 3 VwVfG genannten Fallkonstellationen vorliegt. Bereits im Verwaltungsverfahrensrecht legen die Regelungen des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 bis 3 VwVfG nicht abschließend fest, wann der Vertrauensschutz entfällt6. Vielmehr kann Vertrauensschutz auch für weitere Fallgestaltungen zu verneinen sein, in denen es an einer Grundlage für ihn fehlt7. Letzteres gilt erst recht für den haftungsrechtlichen Vertrauensschutz. Dieser bezieht die vertrauensschutzrechtlichen Wertungen des Verwaltungsverfahrensrechts in § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG zwar ein8. Ob die Grundlage für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Geschädigten nachträglich entfallen ist, lässt sich jedoch nur aufgrund einer alle relevanten objektiven und subjektiven Umstände des betreffenden Sachverhalts einbeziehenden umfassenden Würdigung feststellen. Insbesondere entfällt die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Geschädigten nicht ausschließlich dann, wenn dieser die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts – hier: der Grundstücksverkehrsgenehmigung – gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt hat.

Bei Anwendung der vorgenannten Grundsätze ist davon auszugehen, dass aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falls das Vertrauen des Erwerbers in die Grundstücksverkehrsgenehmigung in Anbetracht der Mitteilung des Amts zur Regelung offener Vermögensfragen über das Vorliegen eines Rückübertragungsantrags nicht mehr schutzwürdig war.

Die dem Erwerber zwei Jahre zuvor erteilte Grundstücksverkehrsgenehmigung war insofern ohne Belang. Die Anschlussrevision verkennt die Bedeutung der Grundstücksverkehrsgenehmigung, wenn sie meint, aus § 2 GVO ergebe sich, dass das in § 3 Abs. 3 VermG normierte Unterlassungsgebot für alle Verfügungen überwunden werde, die sich als Investitionen im Rahmen eines genehmigten Geschäfts darstellten. Das Genehmigungserfordernis sowie die Grundbuchsperre nach der Grundstücksverkehrsordnung dienen dazu, das nur schuldrechtlich wirkende Unterlassungsgebot des § 3 Abs. 3 VermG und damit den öffentlichrechtlichen Restitutionsanspruch verfahrensrechtlich abzusichern9. Eine Überwindung des Unterlassungsgebots kann durch die Genehmigung schon deshalb nicht stattfinden, weil der Verfügungsberechtigte auf ihrer Grundlage nur darauf vertrauen kann, dass zum Zeitpunkt ihrer Erteilung keine Anmeldung vorlag beziehungsweise noch kein Restitutionsverfahren anhängig war10. Das Unterlassungsgebot des § 3 Abs. 3 VermG reicht damit zeitlich über die Grundstücksverkehrsgenehmigung hinaus. Dies ergibt sich auch aus § 3 Abs. 4 Satz 1 VermG. Danach kann der Verfügungsberechtigte erst über das Eigentum verfügen und schuldrechtliche oder dingliche Verpflichtungen eingehen, wenn die Anmeldefrist des § 3 der Anmeldeverordnung versäumt wurde und keine verspätete Anmeldung vorliegt. Zwar löst eine verspätete Anmeldung eines Rückübertragungsanspruchs nicht unbegrenzt die Unterlassungspflicht des Verfügungsberechtigten aus. Erforderlich ist vielmehr, dass bei der Anmeldung die Ausschlussfristen des § 30a VermG eingehalten wurden11. Vorliegend war jedoch zum Zeitpunkt der Erteilung der Grundstücksverkehrsgenehmigung am 3.09.1992 die am 31.12 1992 endende Ausschlussfrist des § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG noch nicht abgelaufen, so dass eine Anmeldung noch möglich war und das Unterlassungsgebot des § 3 Abs. 3 VermG eingreifen konnte.

Die Einholung eines Negativattests auch für die beiden betroffenen Flurstückel ag daher auch im objektiven Interesse des – in das auf den vorgenannten Flurstücken befindliche Gebäude weiter investierenden – Erwerbers.

In Anbetracht der vorgenannten Umstände war das Vertrauen des Erwerbers in die zwei Jahre zuvor erteilte Grundstücksverkehrsgenehmigung nicht (mehr) schutzwürdig. Dabei ist nicht entscheidend, ob im Rahmen der vorliegend anzunehmenden Rechtsscheinvollmacht (vgl. § 172 Abs. 1 BGB) eine Zurechnung des Vertreterwissens – hier: von der Anmeldung von Restitutionsansprüchen – entsprechend § 166 Abs. 1 BGB erfolgen kann12. Denn die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Erwerbers entfällt, wie ausgeführt, nicht erst im Fall der (ihm zugerechneten) Kenntnis von dem an die B. GmbH gerichteten Schreiben des Amts zur Regelung offener Vermögensfragen vom 26.09.1994 und der sich daraus ergebenden Rechtswidrigkeit der Grundstücksverkehrsgenehmigung. Sie entfällt vielmehr bereits aufgrund einer Gesamtschau der vorgenannten objektiven und subjektiven Umstände. Wer als Verfügungsberechtigter in einer Situation, in der die Einholung eines Negativattests hinsichtlich aller in seinem Eigentum stehender Grundstücke nahe und zudem in seinem objektiven Interesse liegt, eine in Bezug auf die betroffenen Grundstücke umfassende Vollmachtsurkunde zur Einholung eines Negativbescheides ausstellt, ist im Hinblick auf sein Vertrauen auf eine zwei Jahre zuvor erteilte Grundstücksverkehrsgenehmigung und das Nichtvorliegen von angemeldeten Restitutionsansprüchen unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht mehr schutzwürdig, wenn dem Bevollmächtigten nach Vorlage der Vollmachtsurkunde die Anmeldung von Restitutionsansprüchen mitgeteilt wird.

Der Erwerber konnte auch nicht darauf vertrauen, dass der Landkreis, weil sein Amt zur Regelung offener Vermögensfragen die Grundstücksverkehrsgenehmigung vom 03.09.1992 nicht zurücknahm, eine etwaige Restitutionsanmeldung jedenfalls als offensichtlich unbegründet ansah.

Die Rücknahme einer rechtswidrig erteilten Grundstücksverkehrsgenehmigung stellt gemäß § 5 Satz 1 GVO in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eine Ermessensentscheidung dar, bei der die Interessen des Veräußerers, des Erwerbers, des Restitutionsantragstellers sowie der öffentliche Belang eines funktionsfähigen Grundstücksmarkts zu berücksichtigen sind13. Vor diesem Hintergrund kamen vorliegend für die nicht erfolgende Rücknahme der Grundstücksverkehrsgenehmigung auch andere Gründe in Betracht als die offensichtliche Unbegründetheit einer etwaigen Restitutionsanmeldung. Es kann deshalb – entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung – im Hinblick auf die Rücknahme der Grundstücksverkehrsgenehmigung auch nicht von einem intendierten Ermessen in dem Sinne ausgegangen werden, dass im Regelfall von einer Verpflichtung zur Ermessensausübung in Gestalt der Rücknahme des Verwaltungsakts auszugehen ist14. § 5 Satz 1 GVO in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG lässt sich nicht entnehmen, dass bei Vorliegen einer rechtswidrigen Grundstücksverkehrsgenehmigung stets deren Rücknahme zu erfolgen hat. Durch die Erteilung der Genehmigung und ihre nachträgliche Aufhebung werden Rechte und Interessen verschiedener Personen betroffen, so dass auf eine Ermessensentscheidung nicht verzichtet werden kann15. Dabei kann der Umstand, dass – wie vorliegend – der Ausgang des Restitutionsverfahrens noch ungewiss ist, dafür sprechen, eine erteilte Grundstücksverkehrsgenehmigung (noch) nicht aufzuheben. Von einer Ermessensreduzierung auf Null im Sinne einer Verpflichtung zur Aufhebung der Genehmigung kann in derartigen Fällen nicht ausgegangen werden.

Auch das Schreiben des landkreises vom 06.01.1998 sowie der Umstand, dass nach dem Vortrag des Erwerbers auf Anfrage seines damaligen Bevollmächtigten im Januar 1998 der Landkreis eine Aufhebung der Grundstücksverkehrsgenehmigung ablehnte, konnten keine Vertrauensgrundlage für die Investitionen des Erwerbers (mehr) dafür schaffen, dass die Behörde die Restitutionsanträge als offensichtlich unbegründet ansah. Denn diese Erklärungen erfolgten zeitlich nach den durch den Erwerber getroffenen Investitionen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 10. Dezember 2015 – III ZR 27/14

  1. Fortführung BGH, Urteil vom 11.10.2007 – III ZR 301/06, MDR 2008, 22, 23 f mwN[]
  2. BGH, Urteile vom 10.04.2003 – III ZR 38/02, VIZ 2003, 353, 354; vom 10.05.2001 – III ZR 223/00, VIZ 2001, 488, 489; und vom 04.03.1999 – III ZR 29/98, VIZ 1999, 346, 347[]
  3. BGH, Urteile vom 11.10.2007 – III ZR 301/06, MDR 2008, 22, 23 f; vom 10.04.2003 aaO; vom 11.04.2002 – III ZR 97/01, MDR 2002, 944; und vom 11.10.2001 – III ZR 63/00, BGHZ 149, 50, 53 f; Staudinger/Wöstmann, BGB, Neubearbeitung 2013, § 839 Rn. 248[]
  4. vgl. dazu BGH, Urteil vom 19.03.1992 – III ZR 16/90, BGHZ 117, 363, 372; OLG Brandenburg, Urteil vom 14.10.2008 – 2 U 7/08 31 f; Staudinger/Wöstmann aaO[]
  5. BGH, Urteil vom 16.01.1997 – III ZR 117/95, BGHZ 134, 268, 284[]
  6. BVerwGE 143, 230 Rn. 18; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., § 48 Rn. 148 f[]
  7. Sachs Rn. 149[]
  8. BGH, Urteil vom 16.01.1997 aaO[]
  9. BGH, Urteile vom 20.11.2014 – III ZR 494/13, NJW-RR 2015, 269, 270 Rn. 18; und vom 04.03.1999 – III ZR 29/98, VIZ 1999, 346, 347[]
  10. BGH, Urteil vom 04.03.1999 aaO[]
  11. Redeker/HirtschuIz/Tank in Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, VermG, § 3 Rn. 335 [Stand September 2013][]
  12. bejahend Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S. 79[]
  13. OVG Weimar, VIZ 2000, 670, 671; OVG Bautzen, VIZ 1995, 245, 246 f; Faßbender, VIZ 1993, 527, 532[]
  14. zum intendierten Ermessen bei einem Subventionswiderruf vgl. BVerwGE 105, 55, 57[]
  15. OVG Weimar aaO; zur Abwägung des Restitutionsinteresses der Alteigentümer mit dem Veräußerungs- und Erwerbsinteresse des Verfügungsberechtigten beziehungsweise von dessen Vertragspartner im Rahmen des Rücknahmeermessens vgl. BGH, Urteil vom 04.03.1999 – III ZR 29/98, VIZ 1999, 346, 348[]

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