In einem Strafurteil ist die Einlassung des Angeklagten wiederzugeben und unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise zu würdigen1. Die Einlassung bestimmt Umfang und Inhalt der Darlegung im Urteil2.
Ohne die Wiedergabe der Einlassung kann das Revisionsgericht nicht überprüfen, ob der Tatrichter die Bedeutung der Angaben des Angeklagten zutreffend erkannt und bewertet hat und damit den Feststellungen eine erschöpfende Würdigung des Sachverhalts zugrunde liegt3.
Es bedarf somit einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten, um die Beweiswürdigung des Tatrichters auf sachlichrechtliche Fehler hin überprüfen zu können4.
Allenfalls in rechtlich und tatsächlich einfach gelagerten Fällen kann das Gericht auf die Wiedergabe der Einlassung und die Auseinandersetzung mit den Angaben des Angeklagten verzichten, ohne gegen die materiellrechtliche Begründungspflicht zu verstoßen5.
Im Ordnungswidrigkeitenrecht gelten keine anderen Grundsätze6.
So auch in dem hier entschiedenen Fall einer Kartellordnungswidrigkeit: In den Urteilsgründen des Oberlandesgerichts fehlt es an einer Wiedergabe und demzufolge auch jeglicher Auseinandersetzung mit den Einlassungen der Nebenbetroffenen. Dass sich die Nebenbetroffenen in der Hauptverhandlung zur Sache eingelassen haben (vgl. § 88 Abs. 3, § 87 Abs. 2 Satz 1 OWiG), ist den Urteilsgründen als der für die Sachrüge maßgeblichen Prüfungsgrundlage zu entnehmen. Denn dem Oberlandesgericht zufolge beruhen die getroffenen Feststellungen auch auf den Einlassungen dieser Nebenbetroffenen, „soweit ihnen gefolgt werden konnte“. Der Inhalt dieser Einlassungen ist dem Urteil indes nicht zu entnehmen. Soweit der Generalbundesanwalt in diesem Zusammenhang auf zwei Stellen in den Urteilsgründen verweist und daraus ableitet, das angefochtene Urteil setze sich in hinreichender Weise mit den Angaben der Nebenbetroffenen auseinander, überzeugt dies nicht. Zum einen führt das Oberlandesgericht nur aus, die Einlassungen verhielten sich nicht zu geäußerten Bedenken gegen den Informationsaustausch, ohne den positiven Inhalt der Angaben darzustellen. Zum anderen geht es auf einen „Einwand“ der Verteidigung der Nebenbetroffenen und einen hierzu gestellten Hilfsbeweisantrag also gerade nicht auf die Einlassungen ein.
Die Wiedergabe der Einlassungen der Nebenbetroffenen war auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Bei der vorliegenden Kartellbußgeldsache handelt es sich wie bereits die Urteilsgründe belegen nicht um einen rechtlich und tatsächlich einfach gelagerten Fall. Mangels Wiedergabe der Einlassungen der Nebenbetroffenen ist der Bundesgerichtshof daher nicht in der Lage zu prüfen, ob sich das Oberlandesgericht unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise eine tragfähige Grundlage für seine Überzeugungsbildung verschafft und das materielle Recht richtig angewendet hat.
Die Sachrügen der Betroffenen, die sich wie dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmen ist selbst nicht zur Sache eingelassen haben, sind ebenfalls erfolgreich. Durch die unterbliebene Würdigung der Einlassungen der Nebenbetroffenen ist die Beweiswürdigung auch zu Lasten dieser Beschwerdeführer lückenhaft.
Das Tatgericht hat gemäß § 261 StPO die Beweise erschöpfend zu würdigen7. Ein mit der Sachbeschwerde angreifbarer Mangel kann daher auch darin liegen, dass vorhandene Beweismittel sofern sich dies aus dem Urteil ergibt ersichtlich nicht ausgeschöpft worden sind8. Dem Urteil muss bedenkenfrei entnommen werden können, dass das Tatgericht bei seiner Prüfung keinen wesentlichen Gesichtspunkt außer Acht gelassen hat, der geeignet sein könnte, das Beweisergebnis zu beeinflussen9. Daran fehlt es hier.
Die Einlassungen anderer Betroffener und Nebenbetroffener in der Hauptverhandlung sind Beweismittel im weiteren Sinn10, denen gegenüber den beschwerdeführenden Betroffenen die Wirkungen einer Zeugenaussage zukommen11. Solche Angaben müssen im Prozessverhältnis zu den Beschwerdeführern, von denen sie nicht stammen zwar im Urteil nicht stets wiedergegeben werden12. Sie müssen in den schriftlichen Urteilsgründen aber jedenfalls gewürdigt werden, wenn die Angaben für die Entscheidung Wesentliches beinhalten13.
Dem angefochtenen Urteil ist wie bereits ausgeführt zu entnehmen, dass sich die Nebenbetroffenen teilweise bestreitend zum Tatvorwurf eingelassen haben. Die Nebenbetroffenen trafen nach den Feststellungen die kartellrechtswidrige Grundabsprache, weshalb ihre zur Sache erfolgten Einlassungen insgesamt von wesentlicher Bedeutung für die Überzeugungsbildung des Oberlandesgerichts waren. Die wesentliche Bedeutung der Einlassungen auch für die Betroffenen ergibt sich bereits daraus, dass die Verbandsgeldbußen gegen die Nebenbetroffenen nach § 30 Abs. 1 OWiG ohne Hinzutreten weiterer Voraussetzungen für die von ihren Leitungspersonen, also den Betroffenen, begangene Kartellordnungswidrigkeit festgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Einlassungen der Nebenbetroffenen zur Sache die den Betroffenen jeweils vorgeworfene Tat zum Gegenstand haben.
Hinzu kommt, dass hier allen Nebenbetroffenen und Betroffenen zur Last gelegt wird, sie hätten sich durch einen nach § 1 GWB verbotenen Informationsaustausch in den Sitzungen des Verkaufsleiterausschusses der Konditionenvereinigung an derselben Kartellordnungswidrigkeit beteiligt (§ 14 OWiG).
Das Oberlandesgericht durfte sich daher nicht damit begnügen, für die entscheidende Frage des Vorliegens kartellrechtswidrigen Verhaltens (maßgeblich) nur die belastenden Aussagen von Zeugen heranzuziehen, ohne auf den Inhalt der Einlassungen der Nebenbetroffenen einzugehen und diese zu würdigen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Tatgericht seine Überzeugung von den Umständen, die den Kartellverstoß begründen namentlich von der Grundabsprache zum Informationsaustausch, dem Inhalt der zwischen den Unternehmensvertretern ausgetauschten Informationen sowie deren Mehrwert für die Kartellanten, obwohl es sich teilweise um allgemein zugängliche Daten handelte , entscheidend auf die Angaben von Zeugen gestützt hat, die wie die Betroffenen an den Sitzungen des Verkaufsleiterausschusses teilgenommen haben. Insoweit waren mögliche Abweichungen der Zeugenaussagen von den Einlassungen der Nebenbetroffenen, für die die Betroffenen gehandelt haben, zwingend in den Blick zu nehmen.
Hierfür bestand auch deshalb Veranlassung, weil sich das Oberlandesgericht was für sich betrachtet schon rechtlich bedenklich sein könnte14 mit der Aussagemotivation der Zeugen, die wegen der Teilnahme an den Sitzungen des Verkaufsleiterausschusses selbst tatbeteiligt waren, nicht befasst hat. Insoweit war die Möglichkeit einer Falschbelastung der Betroffenen durch die tatbeteiligten Zeugen in Bedacht zu nehmen. Deren Aussagen könnten dadurch motiviert gewesen sein, die Einstellung des eigenen Verfahrens zu erreichen, seine Wiederaufnahme zu vermeiden oder selbst eine geringere Geldbuße auferlegt zu bekommen.
Ferner ist bei der Würdigung der Beweise zu bedenken, dass den Be20 kundungen eines Zeugen grundsätzlich nicht schon durch seine Verfahrensrolle höheres Gewicht zukommt als anders lautenden Angaben der Nebenbetroffenen. Maßgeblich ist vielmehr der inhaltliche Wert einer Aussage15. Hierfür sind die vom Oberlandesgericht angeführten Übereinstimmungen der Zeugenaussagen schon wegen der möglichen identischen Aussagemotivation nicht allein entscheidend. Die Würdigung der Einlassungen der Nebenbetroffenen war daher ungeachtet der Zeugenaussagen auch bezogen auf die Betroffenen nicht entbehrlich.
m Ergebnis ist somit zu besorgen, dass das Oberlandesgericht zum Nachteil der Betroffenen wesentliche Beweisergebnisse übergangen hat.
Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils mitsamt den Feststellungen (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 Abs. 2 StPO).
Die Urteilsaufhebung ist gemäß § 357 Satz 1 StPO16 auf die Betroffenen zu 5 und 6 sowie den Nebenbetroffenen zu 5 zu erstrecken, die kein Rechtsmittel eingelegt haben. Sie sind von der Gesetzesverletzung ebenso betroffen. Aufgrund der unterbliebenen Würdigung der Einlassungen der Nebenbetroffenen zu 1 bis 4 fehlt den Feststellungen des Oberlandesgerichts auch insoweit eine tragende Beweisgrundlage17.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. Juni 2019 – KRB 10/18
- st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 27.09.2017 4 StR 142/17, NStZ 2018, 113; Beschluss vom 30.12 2014 2 StR 403/14, NStZ 2015, 299, 300; Beschluss vom 10.12 2014 3 StR 489/14, NStZ 2015, 473[↩]
- vgl. BGH, NStZ 2015, 473; KKStPO/Kuckein/Bartel, 8. Aufl., § 267 StPO Rn. 14[↩]
- vgl. BGH, NStZ 2015, 299, 300; OLG Köln, StraFo 2003, 313[↩]
- vgl. BGH, NStZ 2015, 299, 300[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 07.05.1998 4 StR 88/98, NStZ-RR 1999, 45[↩]
- vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 28.04.2017 1 RBs 35/17 13; KKOWiG/Senge, 5. Aufl., § 71 Rn. 107 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 07.06.1979 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20; Urteil vom 10.08.2011 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111[↩]
- vgl. KKStPO/Gericke, 8. Aufl., § 337 StPO Rn. 30[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 12.02.2015 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148; Urteil vom 17.12 1980 2 StR 622/80, StV 1981, 114[↩]
- vgl. Eschelbach in BeckOK StPO, 32. Ed., § 261 Rn. 62[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 27.09.2017 4 StR 142/17, NStZ 2018, 114[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 04.09.1997 1 StR 487/97, NStZ 1998, 51; LR/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 267 Rn. 63; jeweils zu Zeugen[↩]
- vgl. BGH, NStZ 1998, 51; KKStPO/Kuckein/Bartel, 8. Auflage, § 267 StPO Rn. 13[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 22.02.2012 1 StR 349/11, NStZ 2013, 353, 355; MünchKomm-StPO/Miebach, 1. Aufl., § 261 Rn. 241 f. mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 21.01.2004 1 StR 379/03, NStZ 2004, 635, 636[↩]
- vgl. zu dessen Anwendbarkeit im Rechtsbeschwerdeverfahren BGH, Beschluss vom 08.05.1990 KRB 2/90, wistra 1991, 30; LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 357 Rn. 1; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 79 Rn. 36[↩]
- vgl. zu diesem Erstreckungsgrund BGH, Beschluss vom 15.04.2013 3 StR 35/13, NStZ 2014, 53, 54 mwN; Beschluss vom 22.08.2013 1 StR 378/13, StraFo 2014, 24[↩]