Schließt sich ein Zweitkorrektor der Bewertung einer Prüfungsleistung durch den Erstkorrektor vollumfänglich an, führt dies nicht dazu, dass er im Rahmen des Überdenkensverfahrens an die dort erfolgte Anhebung der Benotung durch den Erstkorrektor gebunden wäre, und zwar auch dann nicht, wenn die Anhebung auf der Abschwächung der Kritik an einem bestimmten Abschnitt der Prüfungsleistung beruht, hinsichtlich dessen auch der Zweitkorrektor seine ursprüngliche Kritik relativiert hat.
In der hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Nichtzulassungsbeschwerde ging es um die Frage, ob sich der Zweitgutachter mit dem Votum „Einverstanden“ auch dem Bewertungssystem des Erstgutachters anschließt, ob er demnach zwingend ebenfalls seine Bewertung heraufsetzen muss, wenn er wie der Erstgutachter eine ursprüngliche Kritik an der Klausurbearbeitung relativiert und diese Kritik nach dem Bewertungssystem des Erstgutachters tragend für die ursprüngliche Benotung war, so dass dieser seine ursprüngliche Note auch aufgewertet hat. Diese Frage stellte sich vor dem Hintergrund, dass sich im vorliegenden Fall der Zweitkorrektor der Klausur Ö I im Rahmen seiner Erstbewertung den Ausführungen in der Erstbewertung des Erstkorrektors angeschlossen und sich diese „vollinhaltlich zu eigen“ gemacht, hingegen im Rahmen des Überdenkensverfahrens an seiner Bewertung der Klausurleistung mit „mangelhaft (3 Punkte)“ festgehalten hat, obwohl der Erstkorrektor hier nach Abschwächung seiner Kritik an einem bestimmten Abschnitt der Klausurlösung des Klägers – nämlich der Begründung einer gerichtlichen Kostenentscheidung – seine Bewertung um einen Punkt auf „ausreichend (4 Punkte)“ angehoben hat.
Der Kläger sieht bei dieser Sachlage in der Entscheidung des Zweitkorrektors über die Aufrechterhaltung seiner Benotung einen unzulässigen Austausch des Bewertungssystems; mit dem kommentarlosen Anschließen an die Erstbewertung des Erstkorrektors mache sich der Zweitkorrektor auch dessen Bewertungssystem zu eigen und sei hieran im Stadium des Überdenkensverfahrens entsprechend gebunden. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof1 ist diesem bereits in der Vorinstanz vorgebrachten Einwand des Klägers nicht gefolgt. Dass der Zweitkorrektor sich im Rahmen seiner Erstbewertung dem Erstkorrektor angeschlossen habe, bedeute nicht, dass er auch dessen Bewertungssystem übernommen habe. Es begegne keinen Bedenken, dass der Zweitprüfer im Überdenkensverfahren zu einem anderen Urteil als der Erstkorrektor gelange. Der Zweitkorrektor habe im erforderlichen Maße dargelegt, aus welchen Gründen er die Klausurleistung des Klägers entgegen der nunmehrigen Einschätzung des Erstkorrektors nach wie vor als im Ganzen nicht mehr brauchbar erachte. Bei wohlwollender Betrachtung könne man seiner Zweitbewertung zwar entnehmen, dass auch er – wie der Erstkorrektor – seine Kritik an der Begründung der gerichtlichen Kostenentscheidung durch den Kläger abgemildert habe. Er habe aber mehrere verbleibende Schwächen dieser Begründung aufgezeigt, die in der Überdenkenserklärung des Erstprüfers nur teilweise anklingen würden. Zudem habe er im Rahmen seiner Überdenkenserklärung deutlich gemacht, dass diese Gesichtspunkte für seine Erstbewertung nicht erheblich gewesen seien.
Das Bundesverwaltungsgericht schloss sich dieser Einschätzung an. Dies folgt für das Bundesverwaltungsgericht – unabhängig von der generellen Frage, inwieweit der Kläger überhaupt eine gerichtliche Kontrolle der Fehlerfreiheit des Überdenkensverfahrens begehren kann2 – aus den nachstehenden Erwägungen:
Sofern ein Zweitkorrektor sich ohne weitere Anmerkungen mit der Bewertung des Erstkorrektors vollumfänglich einverstanden erklärt, kann sich dieses Einverständnis auf den Inhalt der Bewertung nur insoweit beziehen, als dieser in der schriftlichen Bewertungsbegründung zum Ausdruck gelangt ist. Im Hinblick auf prüfungsspezifische Wertungen, hinsichtlich derer jedem Prüfer nach ständiger Rechtsprechung ein nur beschränkter gerichtlicher Überprüfung zugänglicher Bewertungsspielraum zusteht3, bestehen indes Grenzen der Objektivierbarkeit, die ihrer vollen Abbildung in der schriftlichen Bewertungsbegründung notwendig entgegenstehen4. Hieraus ergibt sich zwingend, dass ein Zweitkorrektor, der sich die Bewertung des Erstkorrektors „vollinhaltlich“ zu eigen macht, hiermit nicht sein Einverständnis mit sämtlichen prüfungsspezifischen Wertungen des Erstkorrektors und demzufolge auch nicht mit dem ihnen zugrunde liegenden Bewertungssystem erklärt. Die Annahme einer entsprechenden Bindung des Zweitkorrektors im Rahmen des Überdenkensverfahrens geht daher schon im Ansatz fehl. Unabhängig davon liegt der Entscheidung des Erstkorrektors im Rahmen des Überdenkensverfahrens, seine Kritik an einem bestimmten Abschnitt der Klausurbearbeitung abzuschwächen und auf dieser Grundlage die Benotung anzuheben, regelmäßig eine erneute prüfungsspezifische Wertung – zumindest im Hinblick auf das dieser Abschwächung beizulegende Gewicht – zugrunde. Schwächt wie im vorliegenden Fall auch der Zweitkorrektor – seinerseits ebenfalls aufgrund einer prüfungsspezifischen Wertung – seine Kritik ab, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass er dieser Abschwächung ein identisches Gewicht wie der Erstkorrektor beimisst. Dies illustriert gerade der vorliegende Fall darin, dass der Zweitkorrektor ungeachtet der Abschwächung seiner Kritik an der in Rede stehenden Begründung der gerichtlichen Kostenentscheidung deren verbleibende Mängel nach der Würdigung durch den Verwaltungsgerichtshof stärker als der Erstkorrektor akzentuiert hat.
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. September 2012 – 6 B 35.12