Die richterliche Überzeugungsbildung zum Ablauf streitiger Tatsachen einer mündlichen Prüfung darf nicht ausschließlich auf die informatorische Anhörung eines Prüfers gestützt werden. Zum Nachweis tatsächlicher Vorgänge und des äußeren Ablaufs der Prüfung stehen die prozessüblichen Beweismittel – insbesondere auch die Zeugenvernehmung von Prüfern, Protokollführern oder Mitprüflingen – zur Verfügung.
Der Anspruch auf nachträgliche Neubewertung einer mündlichen Prüfungsleistung setzt voraus, dass eine hinreichende Beurteilungsgrundlage zur Verfügung steht. Ist dies nicht der Fall, verbleibt nur die Möglichkeit einer Prüfungswiederholung.
In welcher Weise sich das Gericht seine Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen bestimmter entscheidungserheblicher tatsächlicher Umstände verschafft und welches Maß und welche Art der Sachaufklärung es für geboten erachtet, steht grundsätzlich in seinem tatrichterlichen Ermessen (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Auch die lediglich informatorische Anhörung einer Person, ohne die Förmlichkeiten einer Zeugenvernehmung, ist daher grundsätzlich geeignet, zur richterlichen Überzeugungsbildung beizutragen1. Derartige Erklärungen können der Klarstellung oder Ergänzung des Beteiligtenvorbringens dienen.
Informatorische Anhörungen sind aber strikt von der Beweisaufnahme zu unterscheiden und vermögen diese auch nicht zu ersetzen. Würdigt ein Tatsachengericht die Anhörung, wie es eine förmliche Vernehmung im Rahmen einer Beweisaufnahme hätte auswerten dürfen, liegt daher ein Verfahrensfehler vor2. Insbesondere darf ein Gericht seine Überzeugung über streitige und entscheidungserhebliche Tatsachen nicht ausschließlich auf die Bekundungen eines in der mündlichen Verhandlung nur informatorisch gehörten Prüfers gründen3. Damit würden nicht nur die verfahrensrechtlichen Sicherungen umgangen, die das Prozessrecht für den Beweis durch Zeugen oder Sachverständige vorsieht4, sondern auch die Nachprüfbarkeit der gemachten Aussagen und Schlussfolgerungen durch das Rechtsmittelgericht vereitelt. Denn regelmäßig – und dementsprechend auch hier – wird über die bei der Anhörung gemachten Angaben ein den Anforderungen aus §§ 160 Abs. 3 Nr. 4, 162 ZPO entsprechendes Protokoll nicht gefertigt und im Urteil nur auf gewisse Erklärungen Bezug genommen5. Der konkrete Ablauf der mündlichen Prüfung ist von den Beteiligten aber unterschiedlich dargestellt worden. Da weitere Erkenntnismittel für das Gericht nicht zur Verfügung standen, hätten die Widersprüche im tatsächlichen Vortrag der Beteiligten daher im gerichtlichen Verfahren durch eine Beweisaufnahme aufgeklärt werden müssen. Zum Nachweis solcher tatsächlicher Vorgänge und des äußeren Ablaufs der Prüfung stehen die prozessüblichen Beweismittel zur Verfügung, neben der Parteivernehmung also auch die Zeugenvernehmung von Prüfern, Protokollführern, Mitprüflingen oder Zuhörern6.
Hinzuweisen ist schließlich auch darauf, dass ein Prüfling im Anschluss an die Bekanntgabe der Note eine Begründung der Bewertung seiner mündlichen Prüfungsleistung schon aus verfassungsrechtlichen Gründen verlangen kann7.
Die angegriffene Benotung der in der mündlichen Prüfung erbrachten Leistung enthält nicht nur fachliche Urteile, sondern „untrennbar“ hiermit verknüpft auch prüfungsspezifische Bewertungen8. Diese werden von einem Prüfergremium im Gesamtzusammenhang des Prüfungsverfahrens und im wertenden Vergleich anhand der bei vergleichbaren Prüfungen entwickelten Erfahrungen gebildet und sind damit in einem nachträglichen Gerichtsverfahren nur eingeschränkt nachvollziehbar. Angesichts dieser fehlenden Rekonstruierbarkeit der Prüfungssituation und dem aus dem Grundsatz der Chancengleichheit folgenden Erfordernis, für alle Prüflinge möglichst vergleichbare Bedingungen und Bewertungskriterien zu gewährleisten, kann auch im Falle der (feststehenden) Fehlerhaftigkeit einer Bewertung diese grundsätzlich nicht durch ein Gericht ersetzt werden. Der situationsbedingte Gesamtrahmen des Prüfungsgeschehens einer mündlichen Prüfung lässt eine Korrektur und fehlerfreie Neubewertung daher nur durch die zuständigen Prüfer selbst zu.
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Voraussetzung hierfür ist aber, dass eine ausreichende Grundlage für die Neubeurteilung zur Verfügung steht. Denn mündliche Prüfungen sind im Gegensatz zu Klausuren einer nachträglichen Betrachtung nicht zugänglich und werden regelmäßig auch nicht umfassend protokolliert9. Selbst die nachträglich auf Verlangen fixierte Begründung ist nur auf die vorgebrachten Einwände bezogen, weil sie nur der Ermittlung dient, ob ein Bewertungsfehler tatsächlich vorliegt10. Das „gesamte Umfeld, in dem die Prüfungsfragen gestellt und die Antworten gegeben werden“ und das ggf. Rückschlüsse „auf die Überzeugungskraft der Argumente, auf die prompte oder zögerliche Beantwortung der gestellten Fragen sowie etwa allgemein Unsicherheiten im Verhalten des Prüflings“ liefern könnte, ist damit regelmäßig allenfalls eingeschränkt dokumentiert11. Die Erinnerung der Prüfer an das konkrete Prüfungsgeschehen lässt aber erfahrungsgemäß schnell nach, so dass sich die erforderliche Entscheidungsgrundlage einer Neubewertung „verflüchtigt“. Denn hierfür ist nicht ausreichend, dass der Verlauf der Prüfung „in groben Zügen“ rekonstruiert werden kann, vielmehr verlangt eine ordnungsgemäße Bewertung auch die Berücksichtigung wesentlicher Einzelheiten, wie etwa „Gesichtspunkte des mehr oder weniger schnellen Erfassens des Wesentlichen, des ‚Mitgehens‘ im Prüfungsgespräch und die Sicherheit der Darlegungen des Prüflings“12. Ohne eine hinreichend zuverlässige Beurteilungsgrundlage kann nachträglich eine (korrigierte) Leistungsbewertung aber nicht stattfinden. Die Erfüllung eines hierauf gerichteten Anspruchs ist schlicht unmöglich, weil die erbrachte Prüfungsleistung nach einem entsprechenden Zeitablauf nicht mehr erfassbar ist13. Insoweit verbleibt nur die Möglichkeit einer Wiederholungsprüfung.
Der Anspruch auf Neubewertung setzt daher voraus, dass angesichts der Umstände des konkreten Einzelfalles und insbesondere der vorhandenen, die Erinnerung der Prüfer stützenden Unterlagen eine hinreichend verlässliche Entscheidungsgrundlage für eine nachträgliche (Neu-)Bewertung der erbrachten Prüfungsleistung vorhanden ist.
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Oktober 2010 – 9 S 1478/10
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.05.1991 – 4 NB 23/90, Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 237; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.02.2001 – 3 S 2574/99[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 23.01.1981 – IV C 88/77, NJW 1981, 1748[↩]
- vgl. BGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.07.2008 – 9 S 442/09, VBlBW 2009, 24; dazu auch BGH, Urteil vom 19.02.1998 – I ZR 20/96, NJW-RR 1998, 1601[↩]
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.01.1988 – 4 B 256/87, NJW 1988, 2491[↩]
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.04.2006 – 6 PB 1/06, PersR 2006, 389[↩]
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.03.1994 – 6 B 65/93, VBlBW 1994, 309[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 06.09.1995 – 6 C 18/93, BVerwGE 99, 185, 195 und 200[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.04.1991 – 1 BvR 419/81 u.a., BVerfGE 84, 34, 53; BVerwG, Urteil vom 06.09.1995 – 6 C 18/93, BVerwGE 99, 185, 196[↩]
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.03.1994 – 6 B 56/93[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 10.10.2002 – 6 C 7/02, NJW 2003, 1063[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 06.09.1995 – 6 C 18/93, BVerwGE 99, 185, 196 f.[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 11.04.1996 – 6 B 13/96, NVwZ 1997, 502[↩]
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.04.1996 – 6 B 13/96, NVwZ 1997, 502; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.09.2005 – 9 S 473/05, VBlBW 2006, 145[↩]