Kein Vertretungszwang bei der Streitwertbeschwerde

Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes am 1. Juli 2008 entsprach es der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung, dass für die Streitwertbeschwerde die Regelungen des GKG als speziellere Normen der Regelung des § 67 VwGO vorgehen und deshalb insoweit eine Vertretung durch einen Bevollmächtigten nicht erforderlich war1. Die Frage, ob der Vertretungszwang nach Maßgabe des § 67 Abs. 2 bis 7 VwGO seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts zum 1. Juli 2008 Geltung auch für die Streitwertbeschwerde beansprucht, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet2. Vor dem Hintergrund gerade auch neuerer Entwicklungen hat sich jetzt auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht der Auffassung angeschlossen, wonach auch nach der Gesetzesänderung zum 1. Juli 2008 für Streitwertbeschwerden kein Vertretungszwang gilt.

Kein Vertretungszwang bei der Streitwertbeschwerde

Der Wortlaut des durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts eingefügten § 66 Abs. 5 GKG lässt verschiedene Deutungen zu. Danach können Anträge und Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben oder schriftlich eingereicht werden. Weiter heißt es: „Für die Bevollmächtigung gelten die Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensordnung entsprechend.“ Dieser Satz 2 kann als Regelung verstanden werden, die für die im Zusammenhang mit der Bevollmächtigung stehenden Fragen insgesamt den Vorrang der jeweiligen Verfahrensordnungen anordnet3. Dann würde der im Prozess vor dem Oberverwaltungsgericht gemäß § 67 Abs. 4 VwGO vorgesehene Vertretungszwang auch für die Streitwertbeschwerde gelten. Denkbar ist aber auch, dass nur geregelt werden sollte, was gilt, falls sich die Beteiligten für eine Bevollmächtigung entscheiden. Dann wären unter Regelungen „für die Bevollmächtigung“ nur solche zu verstehen, die sich mit dem „Wie“ der Bevollmächtigung befassen, und etwa die Frage, durch welchen Bevollmächtigten sich die Beteiligten im kostenrechtlichen Verfahren vertreten lassen können, nach dem Fachrecht zu entscheiden. Für die Frage, „ob“ es einer Vertretung bedarf, bliebe es dagegen bei der bisherigen Rechtslage, wonach kein Vertretungszwang anzunehmen war4.
Die Gesetzesbegründungen zu der genannten Änderung lassen ebenfalls keinen eindeutigen Schluss zu, da sie einander widersprechen. Während es in der Begründung zur Änderung des § 67 VwGO5 heißt:

„Eine Ausnahme vom Vertretungszwang vor diesen Gerichten besteht nach Satz 1 nur in Prozesskostenhilfeverfahren. In allen übrigen Angelegenheiten, insbesondere bei der Abgabe von weitreichenden Prozesshandlungen wie etwa Erledigungserklärungen und Rechtsmittelrücknahmen, besteht künftig Vertretungszwang. Gleiches gilt für Streitwert- und Kostenbeschwerden.“

wird in der Begründung zur Änderung des § 66 GKG6 ausgeführt:

„Die Änderung der Vertretungsvorschriften in den einzelnen Verfahrensordnungen macht eine Anpassung für die kostenrechtlichen Verfahren erforderlich. Dabei kann sich jeder Beteiligte durch eine solche Person vertreten lassen, die auch nach der Verfahrensordnung des zugrunde liegenden Verfahrens Bevollmächtigter sein kann. Ein Anwaltszwang gilt in kostenrechtlichen Verfahren (wie bisher) nicht, wie durch den unveränderten § 66 Abs. 5 Satz 1 zweiter Halbsatz klargestellt wird.“

Angesichts der danach weder anhand des Gesetzeswortlauts noch der Ausführungen in der Gesetzesbegründung eindeutig zu beantwortenden Frage des Vertretungszwanges für Streitwertbeschwerden war der Senat darauf verwiesen, den Regelungszweck und mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers anhand anderer Anhaltspunkte zu ermitteln. Aus neueren Entwicklungen ergibt sich, dass mit der seinerzeitigen Änderung ein Vertretungszwang für die Streitwertbeschwerde nicht geschaffen werden sollte. Die Bundesregierung, auf deren Initiative auch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts zurückging, hat nämlich zwischenzeitlich einen Gesetzentwurf zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht vorgelegt7. Darin ist vorgesehen, § 66 Abs. 5 Satz 1 Halbs.1 GKG wie folgt zu fassen: „Anträge und Erklärungen können ohne Mitwirkung eines Bevollmächtigten schriftlich eingereicht oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden“. Ausweislich der Gesetzesbegründung8 soll dadurch „eine Klarstellung erfolgen“, dass in Streitwert- und Kostenbeschwerden bzw. entsprechenden Erinnerungen auch dann kein Anwalts- oder Vertretungszwang besteht, wenn dies im zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren der Fall ist. Dadurch solle „Auslegungszweifeln in der Praxis“ vorgebeugt werden. Nachdem der Rechtsauschuss des Bundestages sich mit dem Gesetzentwurf befasst und hinsichtlich dieser Regelung seine unveränderte Annahme empfohlen hat9, wurde er am 23. April 2009 in zweiter und dritter Lesung vom Bundestag einstimmig angenommen. Auch wenn das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrechts noch nicht in Kraft getreten ist und der Rechtsausschuss des Bundesrates am 5. Mai 2009 – aus anderen Gründen – die Anrufung des Vermittlungsausschusses empfohlen10 hat, so kann es jedenfalls als Indiz für den Willen des Gesetzgebers dienen und zur Auslegung herangezogen werden. Es ist danach davon auszugehen, dass der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts aus dem Jahr 2008 keinen Vertretungszwang schaffen wollte, sondern die Erhebung von Streitwert- und Kostenbeschwerden (weiter) ohne Mitwirkung eines Bevollmächtigten möglich sein sollte.

Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. Mai 2009 – 12 OA 354/08

  1. vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 01.09.2005 – 1 S 1635/05 -, NJW 2006, S. 241; Bayerischer VGH, Beschl. v. 12.11.2002 – 1 C 02.2136-, NVwZ-RR 2003, 604; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 26.07.2006 – 2 OA 1043/06 -, juris; a.A. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 26.02.2003 – 8 OA 39/03 -, juris; OVG Lüneburg, Beschl. v. 08.07.1997, – 12 O 3289/97 -, juris; Beschl. v. 21.08.2000 – 12 O 3031/00 -[]
  2. dafür OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 11.09.2008 – 1 L 91.08 -, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 05.11.2008 – 3 O 577/08 -, juris; a.A., d.h. kein Vertretungszwang: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 09.09.2008 – 5 E 1093/08 -, NVwZ 2009, 123; offen gelassen: Bayerischer VGH, Beschl. v. 02.03.2009 – 7 C 08.1731 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 19.01.2009 – 3 S 2967/08, juris[]
  3. so OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 11.09.2008, aaO; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 05.11.2208, aaO[]
  4. so OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 09.09.2008, aaO[]
  5. BT-Drs. 16/3655, S. 97[]
  6. BT-Drs. 16/3655, S. 100[]
  7. vgl. BT-Drs. 16/11385[]
  8. BT-Drs. 16/11385, S. 98, 99[]
  9. vgl. BT-Drs. 16/12717[]
  10. vgl. BR-Drs. 377/1/09[]