Mit der Auslegung einer Schlichtungsklausel einer Partnerschaftsgesellschaft von Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen.
Dem zugrunde lag ein Zivilprozess aus Hamburg: Die Parteien sind als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in einer Partnerschaftsgesellschaft miteinander verbunden. Der Partnerschaftsvertrag enthält u.a. folgende Regelungen:
§ 17 PartV: Im Falle von Streitigkeiten aus diesem Vertrag muss jeder Vertragspartner innerhalb von 4 Wochen die Steuerberaterkammer oder den Steuerberaterverband zwecks Vermittlung anrufen. Kommt innerhalb eines Zeitraumes von 4 Wochen nach dem Schlichtungsversuch keine Einigung zustande, kann sofort das ordentliche Gericht angerufen werden.
§ 25 PartV: Jedem Partner steht ein umfassendes Informations- und Kontrollrecht über sämtliche Angelegenheiten der Partnerschaftsgesellschaft zu. Jeder Partner ist berechtigt, jederzeit die Bücher der Gesellschaft einzusehen und sich Abschriften zu fertigen.
Über die Auslegung des Partnerschaftsvertrags, insbesondere von § 9 PartV, der die Möglichkeit regelt, auch außerhalb der Partnerschaft tätig zu werden, kam es zwischen den Parteien zum Streit. Im Mai 2016 fand ein erfolgloser Schlichtungsversuch des Schlichtungsausschusses der Steuerberaterkammer Schleswig-Holstein statt. Im anschließenden Klageverfahren haben die beklagten Partner die Einrede der Schlichtungsvereinbarung aus § 17 PartV erhoben. Die Klägerin hat daraufhin für die rechtshängigen Klageanträge die Steuerberaterkammer Schleswig-Holstein angerufen, welche die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens abgelehnt hat, da zu diesen Punkten bereits zivilrechtliche Verfahren anhängig seien und bereits im Jahr 2016 ein Schlichtungsversuch der Parteien im Ergebnis nicht erfolgreich gewesen sei.
Das Landgericht Hamburg hat die Klage abgewiesen und die Zulässigkeit der Klage insoweit mangels Durchführung eines Vermittlungsverfahrens der Steuerberaterkammer verneint1. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg zurückgewiesen2. Die daraufhin erhobene Revision hatte vor dem Bundesgerichtshof Erfolg und führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Hanseatische Oberlandesgericht:
Das Hanseatischen Oberlandesgericht hätte das Rechtsmittel der Klägerin nicht mit der Begründung zurückweisen dürfen, die Klägerin habe das nach § 17 PartV vorgesehene Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass die Klägerin für diese Streitigkeiten entgegen § 17 Satz 1 PartV nicht innerhalb von vier Wochen die Steuerberaterkammer oder den Steuerberaterverband zwecks Vermittlung angerufen hat.
Zutreffend ist der rechtliche Ansatz des Hanseatischen Oberlandesgerichts, demzufolge es sich bei § 17 PartV um eine sogenannte Schlichtungs- oder Güteklausel handele, durch die die Anrufung der staatlichen Gerichte so lange ausgeschlossen wird, bis die vertraglich bestimmte Schlichtungsstelle den Versuch unternommen hat, zwischen den Parteien eine einvernehmliche Regelung herbeizuführen. Gegen diese tatrichterliche Auslegung der Vertragsklausel sind Bedenken weder geltend gemacht noch ersichtlich3.
Durch eine solche Schlichtungsklausel wird die Durchführung der Schlichtung zur Prozessvoraussetzung erhoben, die bereits bei der Erhebung der Klage vorliegen muss, so dass damit regelmäßig die sofortige Klagbarkeit ausgeschlossen ist. Die Nichteinhaltung der Schlichtungsvereinbarung ist nur auf die Einrede des Beklagten hin zu beachten4, welche die Beklagten hier schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht erhoben haben.
Entgegen der Ansicht des Hanseatischen Oberlandesgerichts konnten sich die Beklagten aber auf diese Einrede nicht (mehr) mit Erfolg berufen. Auch bei Anlegung eines eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstabs ist die Auffassung des Hanseatischen Oberlandesgerichts rechtsfehlerhaft, die Zulässigkeit der Klageanträge hänge von der von der Klägerin versäumten zeitnahen Durchführung des im Partnerschaftsvertrag vorgesehenen Vermittlungsverfahrens ab.
Die Auslegung eines Individualvertrags ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt hat oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht, etwa weil wesentlicher Auslegungsstoff unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen worden ist5. Leidet die tatrichterliche Auslegung aber an solchen revisionsrechtlich beachtlichen Rechtsfehlern, bindet sie das Revisionsgericht nicht.
So liegt der Fall hier. Das Hanseatischen Oberlandesgericht hat wesentlichen Auslegungsstoff außer Acht gelassen. Die in § 17 Satz 1 PartV vorgesehene Frist von vier Wochen zur Anrufung der Schlichtung ist eine Ausschlussfrist, nach deren fruchtlosem Ablauf der vereinbarte dilatorische Klageverzicht (sanktionslos) entfällt6.
Die Klägerin und der Beklagte zu 1 haben den Verhandlungen über die Gründung ihrer Partnerschaft den Mustervertrag der DATEV für eine Partnerschaftsgesellschaft zugrunde gelegt. An dieser Mustervorlage haben sie Anpassungen vorgenommen und die dort vorgesehene Regelung für ein Schiedsverfahren, nach der über alle Streitigkeit aus diesem Vertrag unter Ausschluss des Rechtswegs ein Schiedsgericht entscheidet, durch die Regelung in § 16 PartV bzw. später in § 17 PartV über die Durchführung eines Vermittlungsverfahrens vor der Steuerberaterkammer bzw. dem Steuerberaterverband vor Anrufung des ordentlichen Gerichts ersetzt.
Nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien diente § 7 Abs. 3 BOStB jedenfalls für die in § 17 PartV getroffene Regelung als Anregung und prägt damit auch den Empfängerhorizont der Parteien. Gemäß § 7 Abs. 3 BOStB sind bei berufsbezogenen Streitigkeiten unter Steuerberatern die Beteiligten verpflichtet, eine gütliche Einigung zu versuchen und vor Einleitung gerichtlicher Schritte grundsätzlich eine Vermittlung durch die Steuerberaterkammer zu beantragen. § 7 Abs. 3 BOStB statuiert damit eine Vorgabe, nach der die Angehörigen der steuerberatenden Berufe einen Schlichtungsversuch im Sinne eines Vermittlungsverfahrens im Regelfall durchzuführen haben. Durch die Vermittlung der Berufskammer soll im Interesse des Ansehens des Berufsstandes verhindert werden, dass die Schwierigkeiten zwischen den Berufsangehörigen in die Öffentlichkeit getragen werden7. Dabei handelt es sich aber lediglich um eine berufsrechtliche Vorgabe, die zivilprozessual mangels Zuständigkeit des Satzungsgebers für die Berufsordnung nicht zwingend zu befolgen ist. Unter Umständen mag bei Nichtdurchführung eines Vermittlungsverfahrens eine Berufspflichtverletzung angenommen werden können; auf die Zulässigkeit eines Zivilprozesses bei einer Streitigkeit zwischen Berufsangehörigen hat dies aber keine Auswirkung8.
Der Wortlaut von § 17 Satz 1 PartV, wonach im Falle von Streitigkeiten aus diesem Vertrag jeder Vertragspartner innerhalb von vier Wochen die Steuerberaterkammer oder den Steuerberaterverband zur Vermittlung anrufen muss, lässt sich mit der Annahme, es handele sich um keine Ausschlussfrist, nicht vereinbaren. Vielmehr schließt es der Wortlaut nach allgemeinem Sprachverständnis aus, dass auch noch nach dem Ablauf dieser Frist ein Schlichtungsverfahren eingeleitet werden kann. § 17 PartV verwehrt es einem Vertragspartner damit nicht, durch Untätigkeit während der Frist von vier Wochen die Schlichtung erfolgreich zu umgehen. Denn die Parteien haben gerade keine Vereinbarung für den Fall getroffen, dass im Falle einer Streitigkeit keine der Vertragsparteien die Schlichtungsstelle binnen der Frist von vier Wochen anruft.
Bei der Frist des § 17 Satz 1 PartV handelt es sich nicht um eine materielle Ausschlussfrist, die dazu führt, dass die Klageanträge von der Klägerin nach deren Verstreichen nicht mehr vor dem ordentlichen Gericht geltend gemacht werden können. Hiergegen spricht neben dem das Verständnis der Parteien prägenden Regelungsgehalt des § 7 Abs. 3 BOStB bereits der nicht eindeutig geregelte Beginn der Frist von vier Wochen im Falle von Streitigkeiten aus dem Partnerschaftsvertrag, so dass eine rechtssichere Feststellung, wann die diese Frist in Gang setzende Streitigkeit entstanden ist, nicht in jedem Fall möglich ist. Des Weiteren stellt das Vermittlungsverfahren vor der Steuerberaterkammer nach § 76 Abs. 2 Nr. 2 StBerG ein Mediationsverfahren dar, also den Versuch einer außergerichtlichen Konfliktbeilegung durch Einschaltung der Steuerberaterkammer als neutralem Dritten mit dem Ziel einer einvernehmlichen Regelung. Bei einem solchen Vermittlungsverfahren der Steuerberaterkammer wird kein Schiedsspruch gemäß §§ 1025 ff. ZPO gefällt. Die Einigung zwischen den Berufsangehörigen auf Vermittlung der Steuerberaterkammer ist ausschließlich ein privatrechtlicher Vertrag, mit dem die Streitigkeit beigelegt werden soll9. Durch § 17 PartV wird somit nur ein Einigungsversuch, nicht aber eine abschließende, die Vertragspartner bindende Entscheidung über die Streitigkeit gewährleistet.
Die Klägerin konnte daher ihre behaupteten Ansprüche unmittelbar gerichtlich geltend machen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. März 2023 – II ZR 152/21
- LG Hamburg, Urteil vom 12.09.2019 – 314 O 107/17[↩]
- OLG Hamburg, Urteil vom 30.08.2021 – 11 U 148/19[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 18.11.1998 – VIII ZR 344/97, NJW 1999, 647, 648[↩]
- BGH, Urteil vom 15.12.2016 – VII ZR 221/15, NJW-RR 2017, 229, 231 Rn. 36; Urteil vom 16.08.2018 – III ZR 267/16, GesR 2018, 677 Rn. 10; beide mwN[↩]
- st. Rspr.; BGH, Urteil vom 11.10.2011 – II ZR 242/09, ZIP 2011, 2299 Rn. 24 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 16.08.2018 – III ZR 267/16, GesR 2018, 677 Rn. 10 ff.[↩]
- Mittelsteiner/Gilgan/Späth, Berufsordnung der Steuerberater, 2002, § 31 Rn. 16 [zur Vorgängervorschrift des § 7 Abs. 3 BOStB][↩]
- OLG Hamm, Urteil vom 07.01.2002 2 U 69/01 51, 62; Maxl/Raab, StBerG, 4. Aufl., § 76 Rn. 64; Mittelsteiner/Gilgan/Späth, Berufsordnung der Steuerberater, 2002, § 31 Rn. 16 [zur Vorgängervorschrift des § 7 BOStB][↩]
- Maxl/Raab, StBerG, 4. Aufl., § 76 Rn. 64[↩]
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