Der fehlerhaft bestellte besondere Vertreter einer Aktiengesellschaft – und seine Haftung

Ein besonderer Vertreter haftet ohne Rücksicht auf die Wirksamkeit seiner Bestellung1 grundsätzlich nach der Lehre von der fehlerhaften Bestellung für Pflichtverletzungen.

Der fehlerhaft bestellte besondere Vertreter einer Aktiengesellschaft – und seine Haftung

Dabei musste der Bundesgerichtshof vorliegend nicht entscheiden2, ob sich eine solche Haftung aus einer entsprechender Anwendung des § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG3 oder aus § 280 Abs. 1 BGB4 ergibt, bzw. ob beide Vorschriften nebeneinander anwendbar sind5. Denn im Ergebnis besteht Einigkeit, dass die dogmatische Herleitung der Haftung auf den Sorgfaltsmaßstab keinen Einfluss hat6

Der besondere Vertreter handelt nicht bereits deswegen pflichtwidrig, weil er trotz Nichtigkeit der Bestellung namens der Beklagten einen Prozess anstrengt.

Eine Pflicht des besonderen Vertreters, die Wirksamkeit seiner Bestellung zu prüfen, besteht allenfalls in Bezug auf offensichtliche Fehler der Bestellung7

Der besondere Vertreter handelt pflichtwidrig, wenn er die offensichtlich aussichtslose gerichtliche Geltendmachung eines Anspruchs betreibt8. Ob etwas anderes gilt, wenn aus dem Geltendmachungsbeschluss eine unbedingte Pflicht zur gerichtlichen Verfolgung des Anspruchs abzuleiten ist9, bedurfte im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Streitfall ebenso wenig einer Entscheidung, wie die Frage, ob der besondere Vertreter in diesem Fall gehalten ist, auf eine erneute Befassung der Hauptversammlung hinzuwirken, er sein Amt niederlegen muss10 oder sich die Pflicht zur Verfolgung des Anspruchs ohne weiteres erledigt11.

Bei der Beurteilung, ob die Anspruchsverfolgung wegen offensichtlicher Erfolglosigkeit unterbleiben muss, ist einerseits zu berücksichtigen, dass der besondere Vertreter den im Geltendmachungsbeschluss zum Ausdruck kommenden Willen der Hauptversammlung zur Anspruchsverfolgung nicht unterlaufen darf12. Der besondere Vertreter ist an die im Geltendmachungsbeschluss zum Ausdruck kommende Willensbildung der Hauptversammlung gebunden, auch wenn diese im Hinblick auf Stimmrechtsbeschränkungen nur von der Minderheit von Aktionären getragen ist. Soweit eine treuwidrige Ausübung von Herrschaftsmacht entgegen dem Gesellschaftsinteresse im Raum steht, muss dies im Rahmen einer Anfechtung des Geltendmachungsbeschlusses (§ 243 Abs. 1 AktG) geklärt werden, die nach Maßgabe von § 245 AktG den anderen Aktionären und dem Vorstand, nicht aber dem besonderen Vertreter eröffnet ist. 

Der besondere Vertreter hat andererseits bei seiner Entscheidung darüber, wie er die Ansprüche geltend macht, eigenverantwortlich im Interesse der Gesellschaft zu handeln13. Im Interesse der Gesellschaft liegt regelmäßig eine effektive und möglichst kostenschonende Anspruchsverfolgung. Entsprechend hat der besondere Vertreter vor einer gerichtlichen Anspruchsverfolgung den maßgeblichen Sachverhalt im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten aufzuklären und auf dieser Grundlage die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung zu prüfen. Daraus kann indes nicht abgeleitet werden, dass die Verfolgung der Ansprüche bereits dann unterbleiben müsste, wenn sich die Prozessführung nach entsprechender Sachverhaltsaufklärung als risikoreich erweist. Von der offensichtlichen Erfolglosigkeit der Rechtsverfolgung muss der besondere Vertreter nur ausgehen, wenn die gerichtliche Anspruchsverfolgung nach sorgfältiger Tatsachenermittlung erkennbar keinen Erfolg haben wird.

Ob die gerichtliche Verfolgung des Anspruchs auf der Grundlage der pflichtgemäß ermittelten Tatsachengrundlage als offensichtlich erfolglos anzusehen war, unterliegt gemäß § 286 ZPO der Beurteilung des Tatrichters, der unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden hat, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt14

Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. September 2024 – II ZR 221/22

  1. Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 622; Wachter/Zwissler, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 42; Mock/Goltner, AG 2019, 787, 789[]
  2. offenlassend bereits BGH, Urteil vom 21.06.2022 – II ZR 181/21, BGHZ 222, 152 Rn. 34[]
  3. so KG, AG 2012, 328, 329; Grigoleit/Grigoleit/Rachlitz, AktG, 2. Aufl., § 147 Rn. 28; BeckOGK AktG/Mock, Stand 1.06.2024, § 147 Rn. 220 ff.; Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 599 ff.; Krenek, Festschrift Heidel, 2021, S. 527, 539; U. H. Schneider ZIP 2013, 1985, 1991[]
  4. MünchKommAktG/Arnold, 5. Aufl., § 147 Rn. 105; Koch, AktG, 18. Aufl., § 147 Rn. 37; Krebs in Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 24; KK-AktG/Rickers/Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 731 ff.; Roßkopf, Festschrift Marsch-Barner, 2018, S. 457, 467 f.; Verhoeven, ZIP 2008, 245, 251; offenlassend Wachter/Zwissler, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 42[]
  5. so Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 23a; Bayer/Selentin ZGR 2022, 159, 166 ff.[]
  6. KK-AktG/Rickers/Vetter, AktG, 3. Aufl., § 147 Rn. 734; Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 604; Wachter/Zwissler, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 42[]
  7. Wachter/Zwissler, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 36; Lochner/Benecke, ZIP 2020, 351, 356; wohl auch Bayer/Selentin, ZGR 2022, 159, 174; eine Prüfungspflicht ablehnend Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 541; Mock/Goltner, AG 2019, 787, 789[]
  8. Krebs in Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 21; BeckOGK AktG/Mock, Stand 1.06.2024, § 147 AktG Rn. 55.2, 56, 176 und 191; KK-AktG/Rieckers/Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 541; Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn.196, 426; Roßkopf in Goette/Arnold, Handbuch Aufsichtsrat, 2. Aufl., Rn. 2882; Kling, ZGR 2009, 190, 207 ff.; Roßkopf/Gayk, DStR 2020, 2078, 2082[]
  9. OLG München, ZIP 2008, 73, 76; Koch, AktG, 18. Aufl., § 147 Rn. 25; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 24; Bayer/Selentin, ZGR 2022, 159, 178 ff.; Uwe H. Schneider, ZIP 2013, 1985, 1990; ähnlich Humrich, Der besondere Vertreter im Aktienrecht, 2013, S. 129 f.[]
  10. vgl. Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 426; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 24 f.; Mimberg in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 5. Aufl., § 42 Rn. 42.25; Hüffer, ZHR 174 [2010], 642, 664; Mörsdorf, ZHR 183 [2019], 695, 710; Verhoeven, ZIP 2008, 245, 250 f.[]
  11. Humrich, Der besondere Vertreter im Aktienrecht, 2013, S. 129 f.[]
  12. Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 426[]
  13. Holle, ZHR 182 [2018], 569, 593 f.[]
  14. BGH, Beschluss vom 11.05.2021 – II ZR 56/20, WM 2021, 1692 Rn 32; Urteil vom 27.11.2021 – VII ZR 257/20, WM 2022, 87 Rn. 32 jeweils mwN[]

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