Der Vorstand der Aktiengesellschaft kann die fehlerhafte Bestellung eines besonderen Vertreters grundsätzlich nicht durch einseitige Erklärung beenden.
Im Fall der wirksamen Bestellung des besonderen Vertreters ist es allgemein anerkannt, dass der Hauptversammlung als Annexbefugnis zum Bestellungsrecht nach § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG die Kompetenz zur Beendigung derselben zusteht1. Da auch die fehlerhafte Bestellung des Vertreters auf die Ausübung der Bestellungskompetenz der Hauptversammlung zurückgeht, spricht dies dafür, dass im Fall der fehlerhaften Bestellung nichts anderes gilt.
Für eine, gegebenenfalls daneben bestehende Kompetenz des Vorstands zur Beendigung der fehlerhaften Bestellung spricht nicht bereits der praktische Gesichtspunkt, die Abberufung durch die Hauptversammlung wäre aufgrund des zeitlichen Vorlaufs und der Dringlichkeit zu schwerfällig. Denn sollte der Aktiengesellschaft infolge des Tätigwerdens des besonderen Vertreters ein Nachteil drohen, so besteht für den Vorstand, statt die Hauptversammlung mit der Beschlussfassung hierüber zu befassen, die Möglichkeit, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ein Tätigkeitsverbot des besonderen Vertreters zu erwirken2. Sobald die einstweilige Verfügung dem besonderen Vertreter zugestellt ist, hat dieser sein Handeln für die Gesellschaft einzustellen. Im Hinblick darauf bedarf es unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung effektiver Entscheidungsprozesse einer eigenen Beendigungskompetenz des Vorstands nicht.
Überdies hat der besondere Vertreter, anders als der Vorstand bzw. die Aktionäre (vgl. § 245 Satz 1 Nr. 1 und 4, § 249 Satz 1 AktG), keine rechtliche Handhabe, die Wirksamkeit seiner Bestellung anders als durch die Geltendmachung des Anspruchs zu klären3. Er kann allenfalls die Annahme der Bestellung verweigern4, was allerdings nur bei evidenter Nichtigkeit des Geltendmachungs- bzw. Bestellungsbeschlusses in Betracht kommen wird.
Eine einseitige Erklärung des Vorstands würde zudem nicht mit der erforderlichen Rechtssicherheit klarstellen, ob ein fehlerhaft bestelltes Organ weiterhin als (vorläufig) wirksam bestellt anzusehen ist. Eine endgültige Klärung könnte neben einem gegenläufigen Hauptversammlungsbeschluss oder einer Amtsniederlegung durch den besonderen Vertreter grundsätzlich nur eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit der Bestellung herbeiführen. Bis zu einer solchen Entscheidung kann, wie aufgezeigt, durch Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes vorübergehend Klarheit geschaffen werden. Mit der Befugnis zur einseitigen Lösung würde dem Vorstand, gegen den im Regelfall Ansprüche verfolgt werden, demgegenüber ein strategisches Mittel zur Verteidigung gegen die Anspruchsverfolgung in die Hand gegeben5. Insoweit ist es aber nicht sachgerecht, dass der Vorstand dem besonderen Vertreter im Fall eines Streits über die Wirksamkeit der Beschlussfassung das Risiko aufbürden kann, fortan ohne Vergütungsanspruch tätig zu sein.
Eine Befugnis des Vorstands zur Beendigung der Bestellung des besonderen Vertreters kann, anders als die Revision der Beklagten meint, auch nicht damit begründet werden, die Bestellung des besonderen Vertreters sei zum Zweck der Geltendmachung von Ansprüchen erfolgt, die von § 147 Abs. 1 AktG nicht erfasst seien6. Denn auch wenn die Nichtigkeit des Bestellungsbeschlusses, wie hier, damit zusammenhängt, dass der besondere Vertreter zur Geltendmachung von § 147 Abs. 1 AktG nicht unterfallender Ansprüche bestellt wird, sprechen die vorstehend angeführten Umstände dafür, die Kompetenz zur Beendigung der Bestellung bei der Hauptversammlung und nicht beim Vorstand anzusiedeln.
Dass im Fall der Beendigung des Amts eines fehlerhaft bestellten Aufsichtsrats von einer Zuständigkeit des Vorstands ausgegangen wird7, steht dem nicht entgegen. Die Interessenlage ist hier eine andere. Vor allem besteht bei der Beendigung des Aufsichtsratsmandats nicht typischerweise das Risiko einer strategischen Einflussnahme des Vorstands. Zwar gehört es als Bestandteil der Überwachungsfunktion auch zur Aufgabe des Aufsichtsrats, Ansprüche gegenüber dem Vorstand geltend zu machen8. Doch ist der hiermit verbundene Interessengegensatz der Organe, anders als beim besonderen Vertreter, nicht typischerweise in der Bestellung angelegt.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. September 2024 – II ZR 221/22
- Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 39; Krenek, Festschrift Heidel, 2021, S. 527, 542[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 183; Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 9; Lochner/Beneke, ZIP 2020, 351, 355[↩]
- Koch, AktG, 18. Aufl., § 147 Rn. 34[↩]
- vgl. auch Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 239[↩]
- BeckOGK AktG/Mock, Stand 1.06.2024, § 147 Rn.208.1[↩]
- vgl. Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 251[↩]
- BGH, Urteil vom 05.12.2005 – II ZR 291/03, BGHZ 165, 192, 197; MünchKommAktG/Habersack, 6. Aufl., § 101 Rn. 74; KK-AktG/Mertens/Cahn, AktG, 3. Aufl., § 101 Rn. 110; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 291[↩]
- grundlegend BGH, Urteil vom 21.04.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244[↩]
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