Mit der Pflicht des Oberlandesgerichts im Rahmen von Kapitalanleger-Musterverfahren, die Grenzen von Feststellungszielen einzuhalten, hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:
Dem zugrunde lag ein vom Hanseatischen Oberlandesgericht entschiedenen KapMuG-Verfahren1. Das Oberlandesgericht hat – nach Ansicht des Bundesgerichtshofs rechtsfehlerhaft – die mit den Feststellungszielen 1 a aa, 1 a bb und 1 a cc geltend gemachten Prospektfehler zu einem Feststellungsziel zusammengefasst und in Ziffer 1 des Tenors die Feststellung getroffen, dass der Prospekt insoweit unvollständig und irreführend sei, als er im Abschnitt „Marktumfeld“, Unterabschnitt „Flottenanalyse“, keine Darstellung der erwarteten Entwicklung der Gesamtcontainerschiffsflotte in den Jahren 2011 bis 2013 enthalte. Das Oberlandesgericht hat damit die Grenzen der genannten Feststellungsziele überschritten (§ 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 11 Abs. 1 Satz 1 KapMuG aF).
Das Oberlandesgericht hat übersehen, dass mit den Feststellungszielen mehrere Aussagen als fehlerhaft gerügt werden bzw. das Fehlen einer bestimmten Aussage bemängelt wird. So soll festgestellt werden, dass im Prospekt eine derart selektive Angabe der veröffentlichten Daten zum Verhältnis von Angebot (Transportkapazitäten) und Nachfrage (Flottenwachstum) erfolge, dass die Daten ohne verwertbaren Inhalt für das Angebot-Nachfrage-Verhältnis seien, dass nicht auf das bevorstehende Überangebot an Transportkapazitäten und damit eine negative Marktentwicklung hingewiesen werde und dass dem Anleger suggeriert werde, dass die Marktaussichten des Fondsschiffes nicht vom Gesamtmarkt der Containerschiffe und dessen Gesamtauftragsbestand im Orderbuch beeinflusst und geprägt würden, sondern allein das Verhältnis von Angebot und Nachfrage im Größensegment 2.500 TEU bis 3.499 TEU und die diesbezüglichen Kapazitäten im Orderbuch entscheidend seien (Feststellungsziele 1 a aa-cc). Soll die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit einer Kapitalmarktinformation hinsichtlich mehrerer Aussagen festgestellt werden, handelt es sich bei jeder angeblich fehlerhaften oder unzureichenden Aussage um ein eigenständiges Feststellungsziel im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 KapMuG aF2, sodass auch hinsichtlich jedes dieser Feststellungsziele eine eigenständige Prüfung dahingehend zu erfolgen hat, ob es festzustellen ist oder ob es als unbegründet zurückzuweisen ist. Bei der von ihm vorgenommenen Zusammenfassung dieser Feststellungsziele übersieht das Oberlandesgericht zudem, dass die von ihm getroffene Feststellung in dieser Form in keinem dieser Feststellungsziele enthalten ist.
Im Prospekt werden die veröffentlichten Daten zum Verhältnis von Angebot (Transportkapazitäten) und Nachfrage (Flottenwachstum) nicht derart selektiv wiedergegeben, dass die Daten ohne verwertbaren Inhalt für das AngebotNachfrage-Verhältnis wären.
Die Annahme des Oberlandesgerichts, dass der Anleger das im Prospekt für den Containerumschlag in den Jahren 2011 und 2012 prognostizierte Wachstum von 9,7% und mit 9,5% in Bezug zu den Zuwachsraten von etwa 2% pro Jahr für den Auftragsbestand bei Containerschiffen in der Größe zwischen 2.500 TEU und 3.499 TEU setzen und daraus auf einen Nachfrageüberhang an Tonnage schließen würde, trifft nicht zu. Ein solcher Schluss liegt nach dem Prospekt fern. Aus dem Prospekt ergibt sich zum einen, dass die Zuwachsraten für den Containerumschlag ohne eine Aufteilung nach Größenklassen angegeben sind. Zum anderen gibt der Prospekt ausdrücklich an, dass sich der in einem Prozentsatz angegebene Auftragsbestand nur auf Containerschiffe „in der Größe zwischen 2.500 TEU und 3.499 TEU“ bezieht. Bereits dadurch wird für einen Anleger deutlich, dass diese Zahl nur einen kleinen Ausschnitt darstellt und für sich allein für einen Vergleich mit den angegebenen Zuwachsraten beim Containerumschlag nicht aussagekräftig ist.
Auch durch die übrigen Angaben zum Flottenwachstum wird der Anleger nicht dazu verleitet, auf einen Nachfrageüberhang an Tonnage zu schließen. Vielmehr wird der Anleger darauf hingewiesen, dass in den Jahren 2011 und 2012 von einer massiven Ablieferungswelle an Post-Panamax-Containerschiffen auszugehen ist, woraus er schließen kann, dass in diesem Segment deutlich höhere Zuwachsraten zu verzeichnen sein werden als bei der Größenklasse des Fondsschiffs. Außerdem macht der Prospekt deutlich, dass auch bei den Bestellaktivitäten „besonders auffällig“ die „regen Tätigkeiten bei den größten Schiffen“ waren, da in diesem Segment 73 Post-Panamax-Einheiten mit 570.700 TEU neu geordert wurden. Damit ist dem Anleger klar, dass auch in späteren Jahren diese Größenkategorie voraussichtlich bedeutende Zuwächse verzeichnen wird.
Insgesamt wird dem Anleger das Bild vermittelt, dass die Nachfrage nach Tonnage steigt, dass aber auch das Angebot an Tonnage vor allem in dem Bereich der Post-Panamax-Containerschiffe in großem Ausmaß steigen wird, sodass die im Prospekt enthaltenen Daten für den Anleger durchaus einen „verwertbaren Inhalt für das Angebot-Nachfrage-Verhältnis“ haben. Dieser Inhalt weicht auch nicht negativ von der Feststellung des Oberlandesgerichts ab, wonach auf der Grundlage einer Darstellung bei Clarksons davon ausgegangen werden kann, dass allenfalls ein ausgeglichener Markt zu erwarten war.
Der Prospekt musste nicht auf ein bevorstehendes Überangebot an Transportkapazitäten und damit eine negative Marktentwicklung hinweisen, weil das Vorliegen dieser Umstände nicht nachgewiesen ist. Das Oberlandesgericht führt aus, dass nach der unstreitigen Darstellung bei Clarksons in den Jahren „2011 – 2013+“ mit einem Zulauf an Tonnage von 28,8% der Gesamtflotte gerechnet worden sei, wovon knapp 18,7% auf die Jahre 2011 und 2012 entfallen sollten, und folgert daraus, dass dies ein Verhältnis sei, nach dem jedenfalls kein starker Nachfrageüberhang, sondern allenfalls ein ausgeglichener Markt zu erwarten gewesen sei. Damit ist aber bereits das mit dem Feststellungsziel behauptete bevorstehende Überangebot an Transportkapazitäten nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts nicht belegt. Zudem verweist das Oberlandesgericht darauf, dass die Marktstudie des ISL aus November 2010 keine negativen Effekte eines Überangebots an Tonnage angenommen habe und schließlich sogar zu der Schlussfolgerung gelangt sei, dass mit größeren Beeinträchtigungen der Chartermärkte nicht zu rechnen und vielmehr ab dem Jahr 2013 mit einem „vollständig ausgeglichenen Marktumfeld mit einer tendenziellen Tonnageknappheit“ zu rechnen sei. Auch die im Feststellungsziel behauptete Verknüpfung von Überangebot an Transportkapazitäten und negativer Marktentwicklung ist somit nicht nachgewiesen.
Der Vorlagebeschluss war im vorliegenden Fall hinsichtlich des Feststellungsziels 3 gegenstandslos:
Gegenstandslos wird der dem Musterentscheid zugrunde liegende Vorlagebeschluss hinsichtlich eines Feststellungsziels, wenn die Entscheidungserheblichkeit dieses Feststellungsziels aufgrund der vorausgegangenen Prüfung im Musterverfahren entfallen ist3.
Da der Prospekt auch die mit den Feststellungszielen 1 a aa bis dd und 1 b bb geltend gemachten Prospektfehler nicht aufweist, kommt es auf Feststellungen zu einem Verschulden nicht an.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17. September 2024 – XI ZB 8/21
- OLG Hamburg, Entscheidung vom 11.06.2021 – 13 Kap 22/19[↩]
- BGH, Beschluss vom 12.01.2021 – XI ZB 18/17, WM 2021, 672 Rn. 99 mwN[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 12.10.2021 – XI ZB 26/19, WM 2021, 2386 Rn. 27; vom 15.03.2022 – XI ZB 16/20 30; und vom 14.11.2023 – XI ZB 2/21, WM 2024, 393 Rn. 79[↩]
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