Der für die Annahme eines Befunderhebungsfehlers erforderliche Pflichtwidrigkeitsvorwurf kann darin bestehen, dass die medizinisch gebotene Befundung mit einem von Beginn an nur notdürftig reparierten Gerät unternommen wird, auch wenn das Gerät zunächst noch verwertbare Aufzeichnungen liefert (hier: CTG-Kontrolle mit einem lediglich mit einem Heftpflaster geflickten CTG-Gerät).
Kardiotokographie (Cardiotocography, CTG) ist die simultane Registrierung und Aufzeichnung der Herztöne des ungeborenen Kindes und der Wehentätigkeit der werdenden Mutter (HerzWehenschreiber). Ein Dauer-CTG während der Geburt war auch zu dem im hier entschiedenen Streitfall maßgeblichen Zeitpunkt im Jahr 2004 bereits medizinischer Standard. Die Durchführung eines geplanten Geburtsvorgangs mit einem von vornherein nur notdürftig mit Heftpflaster geflickten CTG-Gerät wäre daher von Beginn an als behandlungsfehlerhaft zu beurteilen, was sich freilich nur und erst dann auswirkt, wenn das Gerät infolge des Defekts unrichtige oder unvollständige Befunde liefert. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts entfällt die Fehlerhaftigkeit des Vorgehens nicht deshalb, weil die akustischen Signale auch nach dem Ausfall der Schreibfunktion weiterhin zu hören waren und weil der von der Ärztin behelfsmäßig vorgenommene manuelle Abgleich mit dem Pulsschlag der Mutter in der konkreten Situation eines Ausfalls der Schreibfunktion des CTG-Geräts unter der Geburt nicht zu beanstanden ist. Insofern ist vielmehr zu unterscheiden zwischen einem nicht immer vermeidbaren kurzfristigen Funktionsausfall und einem wie hier von vornherein bestehenden Mangel mit absehbaren Fehlerfolgen. Entsprechend früher setzt der Pflichtwidrigkeitsvorwurf rechtlich im Streitfall an, wobei er entsprechend dem jeweiligen Verantwortungsbereich der behandelnden Belegärzte wie des Krankenhauses an das Bereithalten oder die Verwendung eines fehlerhaften Geräts anknüpft.
Unabhängig von der Frage, ob dieser Behandlungsfehler als grob zu bewerten wäre, ist im vorliegenden Fall festgestellt, dass das CTG-Gerät bis zum Papierwechsel kurz nach 16.00 Uhr ordnungsgemäß funktionierte und verwertbare schriftliche Aufzeichnungen der Herztöne des Klägers lieferte. Der Ausfall jedenfalls der Schreibfunktion des CTG-Gerätes beruhte auf dem bereits zuvor bestehenden Defekt des Gerätes, der sich nunmehr realisierte, indem der nur notdürftig mit Heftpflaster befestigte Stecker im Zuge des Papierwechsels herausfiel und sich danach wegen eines abgebrochenen Plastikteils nicht mehr richtig befestigen ließ, woraufhin das Gerät nunmehr unvollständige Befunde lieferte. Bei weiterhin ordnungsgemäßer Aufzeichnung der Herztöne des Klägers wäre die zu diesem Zeitpunkt einsetzende Unterversorgung des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit offenbar geworden und hätte eine Reaktion der behandelnden Krankenhausärztin erfordert, nämlich eine Entscheidung über die sofortige Entbindung etwa in Gestalt der Vakuumextraktion oder der Sectio. Da das Absehen von einer Reaktion der Krankenhausärztin unter den für das Kind lebensbedrohlichen Umständen des Falles grob fehlerhaft gewesen wäre, käme diesem nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Umkehr der Beweislast für die haftungsbegründende Kausalität von Pflichtverletzung und Schaden zu Gute1.
Der Umstand, dass eine vergleichbare Fehlableitung der Herztöne der Mutter statt des Kindes auch mit einem anderen, funktionstüchtigen Gerät der gleichen Bauart hätte passieren können, ändert an dieser Kausalitätsvermutung zugunsten des Kindes nichts. Dieser Umstand stünde unter dem Gesichtspunkt des rechtmäßigen Alternativverhaltens vielmehr zur Beweislast der Ärzte bzw. des Krankenhauses und würde somit erst dann relevant, wenn diese zur Überzeugung des Gerichts bewiesen, dass es auch bei Verwendung eines funktionstüchtigen Gerätes zu einer nicht erkennbaren Fehlableitung der Herztöne gekommen wäre. Die bloße Möglichkeit genügte hierfür nicht2.
Im weiteren Verfahren wird das Gericht daher zunächst festzustellen haben, wie lange das defekte CTG-Gerät trotz der nach 16.00 Uhr aufgetretenen Aufzeichnungslücken noch in Betrieb gelassen und wann das Ersatzgerät angeschlossen wurde. Sodann wird sich das Gericht eine Überzeugung davon zu bilden haben, ob es auch bei Verwendung eines funktionstüchtigen Gerätes zu einer nicht erkennbaren Fehlableitung der Herztöne gekommen wäre. In Abhängigkeit hiervon wird das Gericht ggf. weiter aufzuklären haben, ob der Defekt des CTG-Gerätes bereits am Morgen des Geburtstages bestand, ob dies für die behandelnden Ärzte zurechenbar erkennbar war und wer im Belegarztverhältnis der Ärzte und des Krankenhauses für die Funktionsfähigkeit des CTG-Gerätes verantwortlich war. Für die Beurteilung einer Haftung der beim Belegarzt angestellten, in der Facharztausbildung befindlichen Ärztin wird ggf. zu klären sein, wann diese die ärztliche Leitung des Geburtsvorgangs übernommen hat und ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt sie ihrerseits Kenntnis von dem Defekt des CTG-Gerätes hätte erlangen können.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 24. Juli 2018 – VI ZR 294/17
- vgl. BGH, Urteile vom 11.04.2017 – VI ZR 576/15, VersR 2017, 888 Rn. 17; vom 02.07.2013 – VI ZR 554/12, VersR 2013, 1174 Rn. 11; vom 27.04.2004 – VI ZR 34/03, BGHZ 159, 48, 56 f.; vgl. auch § 630h Abs. 5 Satz 2 BGB[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 22.05.2012 – VI ZR 157/11, NJW 2012, 2024 Rn. 12; vom 09.12 2008 – VI ZR 277/07, BGHZ 179, 115 Rn. 11; Beschluss vom 16.10.2007 – VI ZR 229/06, NJW-RR 2008, 263 Rn. 14; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., Rn. B 230; jeweils mwN[↩]