Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten entfalten Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung, § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, so dass trotz des Rechtsmittels gezahlt werden muss. Allerdings kann die Behörde auf Antrag die Vollziehung des Gebührenbescheides bis zur Entscheidung über Widerspruch oder Klage aussetzen, § 80 Abs. 4 VwGO. Lehnt die Behörde diese Aussetzung ab oder droht bereits eine Vollstreckung, kann die Aussetzung der Vollziehung auf Antrag auch vom Verwaltungsgericht angeordnet werden, § 80 Abs. 5, 6 VwGO.
Dieser Antrag ist jedoch nur zulässig, wenn entweder die Behörde die Aussetzung zuvor abgelehnt hat (§ 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO) oder eine Vollstreckung droht (§ 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO).
§ 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO („drohende Vollstreckung“) regelt ebenso wie § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO („vorherige Ablehnung durch die Behörde“) eine Zugangsvoraussetzung. Die erfolglose vorherige Stellung eines Aussetzungsantrages bei der Behörde nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO ist daher nur dann gemäß § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO entbehrlich, wenn eine Vollstreckung bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung beim Verwaltungsgericht droht.
Nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in den Fällen der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO, zu denen die Anforderung von Rundfunkgebühren gehört, nur zulässig, wenn die Behörde zuvor einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder teilweise abgelehnt hat. Diese Zugangsvoraussetzung ist nach Stellung des Antrages auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei Gericht nicht mehr nachholbar1.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO ist auch nicht trotz des Fehlens eines zuvor beim Antragsgegner gestellten und durch diesen abgelehnten Antrags auf Aussetzung der Vollziehung gemäß § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO ausnahmsweise zulässig. Nach dieser Vorschrift gilt das Erfordernis der vorherigen erfolglosen Antragstellung bei der Behörde nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO nicht, wenn eine Vollstreckung droht.
Im Hinblick auf den Zweck des nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO vorgeschriebenen behördlichen Aussetzungsverfahrens, die verwaltungsinterne Kontrolle zu stärken und die Gerichte von Aussetzungsanträgen zu entlasten2, ist bei der Auslegung der Ausnahmeregelung des § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO ein strenger Maßstab anzulegen3. Denn bei einer weiten Auslegung dieser Regelung könnte dieses Ziel nicht mehr erreicht werden und würde sie ihren Charakter als Ausnahmeregelung verlieren. In einem weiten Sinne „droht“ nämlich nahezu bei jedem auf die Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten gerichteten Verwaltungsakt im Falle der Nichtbefolgung der Zahlungsaufforderung die Vollstreckung. Eine Vollstreckung droht im Sinne des § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO daher erst dann, wenn der Beginn konkreter Vollstreckungsmaßnahmen von der Behörde für einen unmittelbar bevorstehenden Termin angekündigt worden ist, konkrete Vorbereitungen der Behörde für eine alsbaldige Vollstreckung getroffen worden sind oder die Vollsteckung bereits begonnen hat4.
Auch § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO regelt eine Zugangsvoraussetzung, die bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung beim Verwaltungsgericht am 28. April 2010 hätte erfüllt sein müssen. Anhaltspunkte, die eine unterschiedliche rechtliche Bewertung der Sätze 1 und 2 des § 80 Abs. 6 VwGO rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Der Satz 2 des § 80 Abs. 6 VwGO eröffnet Ausnahmen von dem Erfordernis der vorherigen erfolglosen Antragstellung bei der Behörde nach Satz 1 und teilt daher dessen rechtliche Einordnung5. Da § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO eine Zugangsvoraussetzung regelt, sind mithin auch die in § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO geregelten Ausnahmen hiervon Zugangsvoraussetzungen, die bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung bei Gericht vorliegen müssen und nicht nachholbar sind.
Auch der nach dem oben Gesagten eine enge Auslegung fordernde Zweck des behördlichen Aussetzungsverfahrens nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO, die verwaltungsinterne Kontrolle zu stärken und die Gerichte von Aussetzungsanträgen zu entlasten, spricht dafür, nicht nur in Satz 1 des § 80 Abs. 6 VwGO, sondern auch in dessen Satz 2 die Regelung einer Zugangsvoraussetzung zu sehen. Denn könnte die Ausnahme von dem Erfordernis der vorherigen erfolglosen Antragstellung bei der Behörde nach § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO auch noch nach der Antragstellung bei Gericht eingreifen, liefe das Antragserfordernis des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO vielfach leer, da die Behörden im Falle einer fortgesetzten Zahlungsverweigerung in der Regel „irgendwann“ Vollstreckungsmaßnahmen durchführen, mit der Folge, dass in all diesen Fällen das Erfordernis einer vorherigen Antragstellung bei der Behörde nachträglich auch dann entfiele, wenn der Betroffene zum Zeitpunkt der Antragstellung bei Gericht einer drohenden Vollstreckung noch nicht ausgesetzt gewesen ist und hinreichend Zeit gehabt hat, zuvor einen Aussetzungsantrag bei der Behörde zu stellen. Dies würde dem genannten Zweck des behördlichen Aussetzungsverfahrens ersichtlich zuwider laufen. Zwar ist es dem Betroffenen auch nach der vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht für richtig gehaltenen rechtlichen Einordnung des § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO im Falle des nachträglichen Drohens der Vollstreckung nicht verwehrt, nach Ablehnung seines ersten Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes einen aufgrund der zwischenzeitlichen Änderung der Sachlage zulässigen neuen Antrag bei Gericht zu stellen, doch bliebe der Verstoß gegen das Erfordernis einer vorherigen erfolglosen Antragstellung bei der Behörde nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO in Übereinstimmung mit dem genannten Gesetzeszweck nicht ohne eine Sanktion, da der „übereilt“ beim Gericht gestellte erste Antrag wegen des Fehlens der Zugangsvoraussetzungen des § 80 Abs. 6 VwGO abgelehnt würde.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 27. August 2010 – 4 ME 164/10
- Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: November 2009, § 80 Rn. 343 f.; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 80 Rn. 185 m.w.N.[↩]
- so ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum 4. VwGOÄndG vom 27.4.1990, BT-Drs. 11/7030, S. 24[↩]
- vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.08.2006 – 9 S 4.06[↩]
- ständige Rechtsprechung des Nds. OVG: u. a. Beschlüsse vom 09.07.2009 – 4 ME 163/09, vom 23.09.2008 – 4 ME 279/08; vom 04.09.2008 – 4 ME 278/08, vom 27.08.2008 – 4 ME 252/08; und vom 10.11.2006 – 4 ME 188/06; ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.08.2006 – 9 S 4.06; OVG Saarlouis, Beschluss vom 22.06.1992 – 1 W 29/92, NVwZ 1993, 490; Kopp/Schenke, a.a.O., § 80 Rn. 186[↩]
- Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., § 80 Rn. 350; a. A. Redeker/v. Oertzen, VwGO, 15. Aufl. 2010, § 80 Rn. 43; offen gelassen von VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 9.3.1992 – 2 S 3215/91 -, VBlBW 1992, 374[↩]