Ein Anspruch auf eine tarifliche Abfindung kann voraussetzen, dass nach Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses tatsächlich eine Rentenkürzung eintritt. Einem Abfindungsanspruch steht in diesem Fall entgegen, dass der Kläger nach Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses eine abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte gemäß § 236b Abs. 2 SGB VI in Anspruch nehmen konnte.
Auch wenn der Tarifvertrag hierbei von einer „zu erwarteten“ Rentenkürzung spricht, kann die Auslegung des Tarifvertrags eher für die Voraussetzung einer real eintretenden Rentenkürzung nach Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses sprechen.
Mit dem Begriff „erwarten“ wird ausgedrückt, dass man fest mit dem Eintreten eines Ereignisses rechnet1. Da das Ereignis in der Zukunft liegt, kann sich die Erwartung auch nur auf die in der Zukunft liegende Rechtslage beziehen. Die Wortwahl „zu erwarten haben“ greift dabei lediglich den Umstand auf, dass die Rentenzahlung sich nicht unmittelbar an die Änderung des Arbeitsverhältnisses in ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis anschließt, sondern erst nach der Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses fällig wird. Deshalb bestimmt § 6 Abs. 2 Satz 4 TV ATZ AOK, dass die Abfindung zum Ende der Altersteilzeit gezahlt werden soll. Der Auslegung des Klägers, es sei der Zeitpunkt des Abschlusses des Altersteilzeitarbeitsvertrags maßgeblich, steht der Wortlaut des § 6 Abs. 2 Satz 1 TV ATZ AOK entgegen. Danach kommt es nicht darauf an, ob Beschäftigte bei Abschluss des Altersteilzeitarbeitsvertrags Rentenkürzungen zu erwarten haben. Maßgeblich ist vielmehr, ob dies „nach Inanspruchnahme der Altersteilzeit“ der Fall sein wird.
Nur diese Auslegung entspricht Sinn und Zweck der Tarifregelung. Wie schon aus dem Wortlaut der im hier entschiedenen Fall massgeblichen tariflichen Regelung („eine Rentenkürzung zu erwarten haben“) folgt, soll die Abfindung eine spätere Rentenkürzung pauschal abmildern. Dem entspricht auch die Staffelung nach dem Lebensalter, die bei höherem Lebensalter zu Beginn der Altersteilzeit niedrigere Abfindungen vorsieht. Die Tarifvertragsparteien sind ersichtlich von der Annahme ausgegangen, dass jüngere Arbeitnehmer wegen früheren Rentenbeginns höhere Rentenkürzungen hinnehmen müssen als ältere Arbeitnehmer. In diesem Zusammenhang versteht sich auch die Wortwahl „zu erwarten haben“. Denn insoweit knüpft die Regelung für die Berechnung der Abfindung mit ihrer Staffelung nicht an die tatsächliche, sondern an die aufgrund des Lebensalters üblicherweise zu erwartende Rentenkürzung an. Zudem stellt die Tarifregelung für die Höhe der Abfindung nicht auf die Dauer des beendeten Arbeitsverhältnisses ab, was für eine Entlassungsabfindung zum Ausgleich des Verlusts des Arbeitsplatzes typisch wäre.
Letztlich führte eine andere Auslegung auch zu sinnwidrigen Ergebnissen. Folgte aus dem bei Abschluss des Altersteilzeitarbeitsvertrags geltenden gesetzlichen Rentenrecht keine Rentenkürzung bei Renteneintritt nach Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses, stände dem Arbeitnehmer auch dann keine Abfindung zu, wenn sich das Rentenrecht zu seinem Nachteil änderte und er tatsächlich eine Rentenkürzung hinnehmen müsste.
Unionsrechtliche Erwägungen stehen dieser Auslegung nicht entgegen. Die Gegenansicht beruft sich ohne Erfolg darauf, der Gerichtshof der Europäischen Union habe entschieden, dem Diskriminierungsverbot wegen des Alters stehe es entgegen, wenn eine Regelung vorsehe, dass Arbeitnehmer keine Entlassungsabfindung beziehen könnten, allein weil sie Anspruch auf Altersrente hätten2. Diese Rechtsprechung ist hier nicht einschlägig. Bei der hier streitgegenständlichen Abfindunghandelt es sich nicht um eine Entlassungsabfindung. Wie bereits ausgeführt, ist die Abfindung nicht wegen des Verlusts des Arbeitsplatzes zu zahlen. Sie ist vielmehr ein pauschaler Ausgleich für eintretende Rentenkürzungen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12. Dezember 2017 – 9 AZR 45/17