§ 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG enthält eine (negative) Fiktion. Danach gelten die Vorschriften des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes nicht in Betrieben einer juristischen Person für die Mitglieder des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist. Dies gilt uneingeschränkt jedenfalls dann, wenn die organschaftliche Stellung als Geschäftsführer zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung (noch) besteht1.
Keine Auswirkungen auf die Beurteilung der Kündigung hat es, wenn der Geschäftsführer sein Amt nach Zugang der Kündigung niederlegt, weil für die Kündigung als Gestaltungserklärung die Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung maßgeblich sind. Das gilt auch für den gesellschaftsrechtlichen Status2. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Organstellung bei Kündigungszugang (bzw. Betriebsübergang) noch im Handelsregister eingetragen ist. Eine solche Eintragung beeinträchtigt die Wirksamkeit der Niederlegung nicht. Die Amtsniederlegung ist eine formfreie, einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die grundsätzlich jederzeit und fristlos erfolgen kann. Unbeschadet möglicher abweichender gesellschaftsvertraglicher Regelungen genügt es für die Wirksamkeit der Amtsniederlegungserklärung, wenn diese einem der gesamtvertretungsberechtigten Gesellschafter oder einer von diesen bevollmächtigten Person zugeht3. Damit endet das Amt als Geschäftsführer, ohne dass es auf die Eintragung ins Handelsregister ankommt. Diese wirkt ebenso wie im Fall der Abberufung nur deklaratorisch4.
Die Bestellung begründet für sich genommen keine schuldrechtliche Beziehung zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer5. Es gilt der der Regelung des § 38 Abs. 1 GmbHG zu entnehmende Trennungsgrundsatz, wonach Organ- und Anstellungsverhältnis in ihrem Bestand unabhängig voneinander sind6.
Für die Annahme, die Parteien hätten zusätzlich zum Arbeitsvertrag einen Dienstvertrag schließen wollen, bedarf es weiterer, über die Bestellung hinausgehender tatsächlicher Anhaltspunkte7. Solche für einen konkludenten Dienstvertragsschluss erforderlichen konkreten Anhaltspunkte sind aber weder festgestellt noch dargelegt worden. Die „Änderung zum Arbeitsvertrag“ vom 20.12.2017 diente lediglich dazu, den bereits bestehenden Arbeitsvertrag an die dem Geschäftsführer übertragene Geschäftsführertätigkeit anzupassen und den Vertrag im Übrigen unverändert fortbestehen zu lassen. Umstände dafür, dass die Parteien zusätzlich zum Arbeitsvertrag einen Dienstvertrag schließen wollten, worauf zB eine im Zusammenhang mit der Bestellung erfolgte Anhebung der Vergütung hinweisen könnte, sind ebenfalls weder vorgetragen noch festgestellt worden. Die rechtliche Beziehung zwischen dem Geschäftsführer und der Schuldnerin war daher allein durch den Arbeitsvertrag geregelt, der auch der Organstellung zugrunde lag8.
Dem steht auch nicht entgegen, dass ein GmbH-Geschäftsführer regelmäßig auf der Grundlage eines Dienstvertrags tätig wird. Zwar kommt eine Weisungsgebundenheit, die über das übliche unternehmerische Weisungsrecht einer Gesellschaft gegenüber einem Geschäftsführer hinausgeht, und die so stark ist, dass sie auf einen Status des betreffenden Geschäftsführers als Arbeitnehmer schließen lässt, nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht9. Allerdings betrifft dies nur Fälle, in denen abweichend von der Bezeichnung des Vertrags als Dienstvertrag aufgrund seiner tatsächlichen Durchführung ein Arbeitsvertrag anzunehmen ist. Haben die Parteien – wie vorliegend – ein Arbeitsverhältnis vereinbart, ist es auch regelmäßig als ein solches einzuordnen. Auf die tatsächliche Durchführung kommt es dann nicht an. Dies folgt aus der Vertragsfreiheit der Parteien10. Soweit das aus § 106 GewO folgende Direktionsrecht des Arbeitgebers mit der Organstellung unvereinbar ist, ist es (stillschweigend) für die Dauer der Bestellung beschränkt und lebt mit dem Ende der Bestellung wieder auf11.
Dass das der Organstellung zugrunde liegende Anstellungsverhältnis ein Arbeitsverhältnis ist, steht der Anwendung des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht entgegen.
Die Fiktion des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG kommt auch und gerade dann zum Tragen, wenn das der Organstellung zugrunde liegende schuldrechtliche Anstellungsverhältnis – wie vorliegend – materiell-rechtlich ein Arbeitsverhältnis ist. Andernfalls wäre die Regelung bedeutungslos. Der Schutz vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen gilt nach § 1 Abs. 1 KSchG nur für Arbeitnehmer. Insoweit hat § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG für Geschäftsführer, die auf der Grundlage eines Dienstvertrags tätig sind, lediglich klarstellende Wirkung. Die Norm ist jedoch darüber hinaus als negative Fiktion gefasst. Die in § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG bezeichneten Organvertreter sollen ungeachtet eines etwaig zugrunde liegenden Arbeitsverhältnisses allein aufgrund ihrer organschaftlichen Stellung aus dem Anwendungsbereich des allgemeinen Kündigungsschutzes herausgenommen sein12.
Ein anderes Verständnis ist auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten nicht geboten. Der im Ersten Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes geregelte Schutz vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen fällt nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts13.
Zwar kann § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG als nur einseitig zwingendes Recht – auch konkludent, zugunsten des Arbeitnehmers abbedungen und der Kündigungsschutz damit auf vertraglicher Grundlage ausgedehnt werden. Dafür genügt jedoch die bloße Beschäftigung des Geschäftsführers als Geschäftsführer auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags nicht. Dies widerspräche der dargelegten gesetzlichen Konzeption des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG. Für die Annahme, dass die Vertragsparteien hiervon abweichen wollten, bedarf es hinreichender Anhaltspunkte14. Solche Umstände sind vorliegend weder festgestellt noch vom Geschäftsführer vorgetragen worden.
Ein Wille der Parteien zur Abbedingung des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG kann – entgegen der Auffassung des Geschäftsführers – auch nicht im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung angenommen werden. Die Voraussetzungen für eine solche Vertragsauslegung liegen offenkundig nicht vor15. Gründe, weshalb eine planwidrige Regelungslücke vorliegen und eine auf einen beiderseitigen Interessenausgleich gerichtete Vervollständigung des Vertrags gerade in einer Abbedingung des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG liegen sollte, sind weder festgestellt noch vom Geschäftsführer nachvollziehbar dargelegt worden.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Juli 2023 – 6 AZR 228/22
- BAG 27.04.2021 – 2 AZR 540/20, Rn. 11; 21.09.2017 – 2 AZR 865/16, Rn. 12; 23.02.2017 – 6 AZR 665/15, Rn. 34, BAGE 158, 214; 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, Rn. 22[↩]
- ausführlich hierzu BAG 21.09.2017 – 2 AZR 865/16, Rn. 13 ff. mwN[↩]
- vgl. BGH 17.09.2001 – II ZR 378/99, zu 1 der Gründe, BGHZ 149, 28; MünchKomm-GmbHG/Stephan/Tieves 4. Aufl. § 38 Rn. 68 f.[↩]
- vgl. BAG 3.12.2014 – 10 AZB 98/14, Rn. 25 mwN[↩]
- vgl. BAG 17.06.2020 – 7 AZR 398/18, Rn.19 mwN; 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, Rn. 15[↩]
- vgl. BAG 17.06.2020 – 7 AZR 398/18, Rn.19; BGH 11.10.2010 – II ZR 266/08, Rn. 7; 10.05.2010 – II ZR 70/09, Rn. 9[↩]
- Zaumseil NZA 2020, 1448, 1451; Reinfelder RdA 2016, 87, 93[↩]
- vgl. BAG 26.10.2012 – 10 AZB 55/12, Rn.19 f.[↩]
- vgl. BAG 8.02.2022 – 9 AZB 40/21, Rn. 22; 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, Rn. 18, BAGE 116, 254[↩]
- vgl. BAG 17.06.2020 – 7 AZR 398/18, Rn. 15; 18.03.2014 – 9 AZR 740/13, Rn. 21; 25.01.2007 – 5 AZB 49/06, Rn. 12; MünchKomm-BGB/Spinner 9. Aufl. § 611a Rn. 90[↩]
- vgl. BAG 26.10.2012 – 10 AZB 55/12, Rn.19; Reinfelder RdA 2016, 87, 93[↩]
- vgl. BAG 21.09.2017 – 2 AZR 865/16, Rn. 18 ff. mwN; 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, Rn. 22; 17.01.2002 – 2 AZR 719/00, zu II 1 a der Gründe, BAGE 100, 182[↩]
- BAG 21.09.2017 – 2 AZR 865/16, Rn.20[↩]
- vgl. BAG 16.10.2008 – 7 AZR 253/07 (A), Rn. 29, BAGE 128, 134; 4.12.2002 – 7 AZR 545/01, zu II 1 a bb der Gründe, BAGE 104, 103; vgl. auch BGH 10.05.2010 – II ZR 70/09, Rn. 13 f.[↩]
- vgl. zu diesen Voraussetzungen BAG 9.05.2023 – 3 AZR 174/22, Rn. 50; 21.07.2021 – 5 AZR 10/21, Rn. 32 mwN; BGH 4.05.2022 – XII ZR 64/21, Rn. 27, BGHZ 233, 266[↩]