Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften stellte heute in einem ihm vom britischen High Court of Justice vorgelegten Vorabentscheidungsverfahren klar, unter welchen Voraussetzungen die Mitgliedsstaaten die Entlassung von Arbeitnehmern wegen Versetzung in den Ruhestand gestatten können. Nationale Rechtsvorschriften können danach allgemein vorsehen, dass diese Art einer aus Gründen des Alters vorgenommenen Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist, wenn sie ein verhältnismäßiges Mittel zur Erreichung eines rechtmäßigen sozialpolitischen Ziels aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung darstellt.
Die Richtlinie 2000/781) verbietet Diskriminierungen aus Gründen des Alters in Beschäftigung und Beruf. Ausnahmsweise sieht sie vor, dass bestimmte Ungleichbehandlungen aus Gründen des Alters dann keine Diskriminierung darstellen, wenn sie objektiv und angemessen sind und durch rechtmäßige Ziele, insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung, gerechtfertigt sind. Außerdem müssen die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sein. Die Richtlinie zählt einige Ungleichbehandlungen auf, die einer Rechtfertigung zugänglich sind.
Nach dem die Richtlinie umsetzenden britischen Gesetz können Beschäftigte, die das bei ihrem Arbeitgeber geltende übliche Ruhestandsalter, oder, wenn es ein solches nicht gibt, das 65. Lebensjahr erreicht haben, aus Gründen ihrer Versetzung in den Ruhestand entlassen werden, ohne dass eine solche Behandlung als diskriminierend angesehen werden kann. Das Gesetz nennt einige Kriterien, anhand deren überprüft werden soll, ob der Grund für die Entlassung die Versetzung in den Ruhestand ist, und schreibt die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens vor. Für Beschäftigte unter 65 Jahren enthält das Gesetz keine besonderen Bestimmungen und stellt lediglich den Grundsatz auf, dass jede Diskriminierung aus Gründen des Alters rechtswidrig ist, sofern nicht der Arbeitgeber nachweisen kann, dass sie „ein verhältnismäßiges Mittel zur Erreichung eines rechtmäßigen Ziels“ ist.
Der National Council on Ageing (Age Concern England), eine gemeinnützige Einrichtung zur Förderung des Wohls älterer Menschen, hält diese Rechtsvorschriften für nicht rechtmäßig, weil die Richtlinie mit diesen Bestimmungen nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden sei. Die Möglichkeit, einen Beschäftigten, der das 65. Lebensjahr vollendet habe, wegen seiner Versetzung in den Ruhestand zu entlassen, verstoße gegen die Richtlinie.
Der High Court fragt den Gerichtshof, ob die Mitgliedstaaten nach der Richtlinie verpflichtet sind, die einzelnen Arten von Behandlungen, die gerechtfertigt sein könnten, in Form einer Liste festzulegen, und ob die Richtlinie Rechtsvorschriften entgegensteht, die nur allgemein vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung aus Gründen des Alters keine Diskriminierung darstellt, wenn sie ein verhältnismäßiges Mittel zur Erreichung eines rechtmäßigen Ziels ist.
Der Gerichtshof erinnert daran, dass die Umsetzung einer Richtlinie nicht in jedem Fall verlangt, dass ihre Bestimmungen förmlich in einer ausdrücklichen besonderen Gesetzesvorschrift wiedergegeben werden. Im vorliegenden Fall verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht zur Aufstellung eines spezifischen Verzeichnisses der Ungleichbehandlungen, die durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt sein könnten.
Fehlt es an einer solchen genauen Angabe, ist allerdings wichtig, dass andere, aus dem allgemeinen Kontext der betreffenden Maßnahme abgeleitete Anhaltspunkte die Feststellung des hinter dieser Maßnahme stehenden Ziels ermöglichen, damit dessen Rechtmäßigkeit sowie die Angemessenheit und Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetzten Mittel gerichtlich überprüft werden können. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Ziele, die nach der Richtlinie als „rechtmäßig“ und damit als geeignet angesehen werden können, eine Ausnahme vom Grundsatz des Verbots von Diskriminierungen aus Gründen des Alters zu rechtfertigen, sozialpolitische Ziele wie solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung sind. Diese Ziele unterscheiden sich insoweit, als sie im Allgemeininteresse stehen, von rein individuellen Beweggründen, die der Situation des Arbeitgebers eigen sind, wie Kostenreduzierung oder Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit.
Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob zum einen die britische Regelung einem solchen rechtmäßigen Ziel entspricht und zum anderen die gewählten Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich waren.
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 5. März 2009 – C-388/07
- Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303, S. 16[↩]