Die Durchgriffshaftung nach § 7e Abs. 7 Satz 2 SGB IV gegen die Organe einer juristischen Person findet auf die gesetzliche Regelung zur Insolvenzsicherung von Wertguthaben aus Altersteilzeitverträgen nach § 8a AltTZG keine Anwendung.
Inhaltsübersicht
Verletzung von Aufklärungspflichten[↑]
Eine Haftung der Geschäftsführer nach § 311 Abs. 3 BGB wegen des Verhaltens der Geschäftsführer bei der Begründung der Altersteilzeitverhältnisse scheidet aus. Nach § 311 Abs. 3 BGB entsteht ein haftungsbegründendes Schuldverhältnis mit dem Dritten, wenn er in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst1. Selbst wenn die Geschäftsführer bestehende Aufklärungspflichten verletzt haben sollten, scheidet eine persönliche Haftung der Geschäftsführer aus. Eine Schadensersatzpflicht träfe nicht die Geschäftsführer, sondern die von ihnen gesetzlich vertretene Gemeinschuldnerin. Werden Vertragsverhandlungen von einem Vertreter geführt, richten sich Schadensersatzansprüche wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen nach §§ 164, 278 BGB regelmäßig gegen den Vertretenden und nicht gegen den Vertreter2. Nur ausnahmsweise haften Vertreter aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen. Das setzt voraus, dass der Vertreter entweder dem Vertragsgegenstand besonders nahe steht und bei wirtschaftlicher Betrachtung gewissermaßen in eigener Sache handelt oder er gegenüber dem Verhandlungspartner in besonderem Maß persönliches Vertrauen in Anspruch genommen und dadurch die Vertragsverhandlungen beeinflusst hat3.
Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter[↑]
Der geltend gemachte Anspruch ist nicht nach dem Rechtsinstitut des Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter gerechtfertigt.
Zwar ist anerkannt, dass auch dritte Personen, die nicht unmittelbar an einem Vertrag beteiligt sind, in den Schutzbereich eines solchen Vertrages einbezogen werden können4. Dies setzt jedoch neben der notwendigen Leistungsnähe weiter voraus, dass ein schutzwürdiges Interesse des Dritten in den Schutzbereich des Vertrages gegeben sein muss. Ein solches Schutzbedürfnis ist jedenfalls dann abzulehnen, wenn dem Dritten – hier den betroffenen Arbeitnehmern – ein eigener vertraglicher Anspruch – gleich gegen wen – zusteht, der über den selben bzw. einen gleichwertigen Inhalt verfügt5.
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Voraussetzungen kommt eine Anwendung des Rechtsinstituts des Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter nicht in Betracht. Dieses Ergebnis folgt einerseits bereits aus der durch den Gesetzgeber vorgenommenen Beschränkung der Haftung für Verbindlichkeiten einer Gesellschaft auf ausschließlich das Gesellschaftsvermögen nach § 13 Abs. 2 GmbhG in Verbindung mit der in § 43 GmbHG normierten Innenhaftung eines Geschäftsführers.
Angesichts des aufgezeigten gesetzgeberischen Hintergrundes können einem Geschäftsführeranstellungsvertrag jedenfalls grundsätzlich keine Schutzwirkungen zu Gunsten der bei der Gesellschaft beschäftigten Arbeitnehmer entnommen werden. Denn der Vertrag zwischen einem Geschäftsführer und der Gesellschaft regelt – wenn nicht ausnahmsweise weitergehende Vereinbarungen getroffen werden – die Rechte und Pflichten zwischen diesen Vertragsparteien und sieht im Fall von Vertragspflichtverletzungen gegebenenfalls eine Innenhaftung (§ 43 GmbHG) vor. Im Außenverhältnis verbleibt es gegenüber den sonstigen Vertragspartnern der Gesellschaft bei der ausschließlich auf das Gesellschaftsvermögen beschränkten Haftung nach § 13 Abs. 2 GmbHG. Nach diesen unmissverständlichen gesetzlichen Vorgaben vermag ein Geschäftsführeranstellungsvertrag jedenfalls dem Grunde nach keine Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter zu entfalten. Davon geht offenbar im Übrigen auch der Gesetzgeber selbst aus. Denn die mit § 7e Abs. 7 SGB IV eingeführte Durchgriffshaftung auf die Organe einer juristischen Person wäre ansonsten überflüssig gewesen.
Zudem verfügen die 136 betroffenen Arbeitnehmer nicht über das notwendige Schutzbedürfnis im oben genannten Sinn. Denn auch die Klägerin stellt nicht in Abrede, dass diesbezüglich direkte Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer gegen die Gemeinschuldnerin selbst bestehen. Die von der Klägerin vertretene Auffassung würde im Ergebnis dazu führen, dass die Frage der notwendigen Schutzbedürftigkeit dritter Personen nicht auf der Grundlage einer diesbezüglichen Auslegung des Vertrages zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner zu beantworten wäre, sondern vielmehr von der zu erzielenden – zufälligen – (Befriedigungs-)quote nach Abwicklung und Abschluss eines Insolvenzverfahrens abhängig wäre. Ein solches Ergebnis vermag nach Ansicht der Kammer rechtlich nicht zu überzeugen.
Drittschadensliquidation[↑]
Die Voraussetzungen für eine Haftung der Geschäftsführer nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation sind nicht gegeben.
Im Rahmen einer Drittschadensliquidation macht derjenige, in dessen Person die Voraussetzungen einer Anspruchsnorm mit Ausnahme des Schadens erfüllt sind, fremden Schaden geltend, wobei er seinen Anspruch an den wirtschaftlich geschädigten Dritten abzutreten hat. Damit soll verhindert werden, dass der Schädiger aus der für ihn zufälligen Verlagerung des Schadens auf einen nicht anspruchsberechtigten Dritten Vorteile zieht6.
Die genannten Vorgaben sind vorliegend nicht erfüllt. Unabhängig von der Frage, ob eine Anwendung der Grundsätze der Drittschadensliquidation hier bereits an der unter I. 2. beschriebenen Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen gemäß § 13 Abs. 2 GmbHG scheitert, ist jedenfalls die Voraussetzung einer zufälligen Schadensverlagerung nicht gegeben. Denn der Schaden – sofern man mit der Klägerin von einer fehlenden Insolvenzsicherung ausgeht – ist von vornherein bei den betroffenen 136 Arbeitnehmern angesiedelt und entstanden, verbunden mit einem daraus resultierenden Ersatzanspruch unmittelbar gegen die Gemeinschuldnerin. Mithin sind Anhaltspunkte für eine zufällige Schadensverlagerung nicht erkennbar. Aus diesem Grund ist auch die Frage der Wirksamkeit der Forderungsabtretung dem Grunde nach von der Gemeinschuldnerin an die Klägerin rechtlich nicht von Belang. Der Schaden ist – wenn er denn zu bejahen ist – unter Verletzung der Pflichten der Gemeinschuldnerin aus den jeweiligen Arbeitsverträgen originär bei den betroffenen Arbeitnehmern mit der Folge daraus resultierender Ersatzansprüche gegen die Gemeinschuldnerin entstanden. Vereinfacht gesagt ist es für die rechtliche Argumentation der Klägerin erforderlich, die Voraussetzung der zufälligen Schadensverlagerung durch das Erfordernis einer notwendigen Verlagerung des Insolvenzrisikos zu ersetzen. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist mithin keine vergleichbare Interessenkonstellation mit den in der Rechtsprechung anerkannten Fällen der Drittschadensliquidation gegeben. Vielmehr geht es der Klägerin um eine Erweiterung der Anwendung der Grundsätze der Drittschadensliquidation auf einen bisher nicht umfassten Sachverhalt. Dafür besteht aber nach Auffassung des Gerichts angesichts des anerkannt restriktiven Anwendungsbereiches der Drittschadensliquidation keine Rechtsgrundlage.
Deliktische Schadensersatzansprüche[↑]
Deliktische Schadensersatzansprüche gegen die Geschäftsführer sind ebenfalls nicht gegeben.
Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt eine Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB nicht in Betracht, da ein Wertguthaben, welches ein Arbeitsnehmer in der Altersteilzeit angespart habe, kein sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellt. Eine Haftung der Geschäftsführer gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 8a Abs. 1 AltTZG kommt nicht in Frage. Zwar stellt § 8a AltTZG ein Schutzgesetz im Verhältnis zum Arbeitgeber dar. Dies bezieht sich jedoch nur auf die Gemeinschuldnerin. Die Vorschrift begründet keine Durchgriffshaftung von gesetzlichen Vertretern juristischer Personen. Für organschaftliche Vertreter fehlt der besondere Haftungsgrund, da diese keine Normadressaten seien. Schließlich bieten sich keinerlei Anhaltspunkte für eine Haftung der Geschäftsführer nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 263, 266 StGB. Dies gelte ebenso für die Frage einer sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB.
Anspruch aus § 7e Abs. 7 SGB IV[↑]
Gemäß § 7e Abs. 7 Satz 1 SGB IV haftet der Arbeitgeber für den entstandenen Schaden, wenn es wegen eines nicht geeigneten oder nicht ausreichenden Insolvenzschutzes zu einer Verringerung oder einem Verlust des Wertguthabens kommt.
Die vorbenannte Norm bietet nach dem eindeutigen Wortlaut jedoch keinen Anspruch im Umfang eines Erfüllungsanspruches. Vielmehr kann ein Schaden im Sinne des § 7e Abs. 7 SGB IV ausschließlich im Umfang des Verlustes des bereits erdienten Wertguthabens angenommen werden7. Nach der Gesetzesbegründung8 entspricht dieses Ergebnis auch dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, soweit dort wie folgt ausgeführt ist:
„Tritt infolge der unzureichenden Sicherung ein Verlust am Wertguthaben des Beschäftigten ein, hat der Arbeitgeber bzw. der auf Seiten des Arbeitgebers persönlich haftende Geschäftsführer oder Vorstand hierfür einen Ersatz zu leisten. …“
Mithin entspricht der Schadensumfang im Sinne des § 7e Abs. 7 SGB IV – wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung von einer Anwendbarkeit auf Altersteilzeitverträge ausgeht – nicht dem Umfang des notwendigen Versicherungsschutzes nach § 8a AltTZG. Die Schadensberechnung ist deshalb in der Weise vorzunehmen, dass das erdiente Wertguthaben auf Bruttolohnbasis ohne Arbeitgeberanteile bis zum Zeitpunkt der Insolvenz bzw. – wie hier – bis zum Zeitpunkt der Zahlung des Insolvenzgeldes (hier bis zum 31.07.2012) zu berechnen ist. Abzuziehen sind gegebenenfalls bereits die während der Freistellungsphase verbrauchten Beträge sowie die in der Arbeitsphase erhaltenen Aufstockungsbeträge. Dies entspricht im Übrigen den tariflichen Abwicklungsvorgaben in § 5 Abs. 5 TVFlexÜ, der wie folgt lautet:
„Endet das Altersteilzeitarbeitsverhältnis vorzeitig, hat der Beschäftigte Anspruch auf eine etwaige Differenz zwischen den ausgezahlten Leistungen (Altersteilzeitentgelt und Aufstockungsbetrag) und dem Entgelt für den Zeitraum seiner tatsächlichen Beschäftigung.
Dies gilt auch bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge Tod des Beschäftigten oder infolge einer Insolvenz des Arbeitgebers.
Bei der Auszahlung sind die aktuellen Tarifentgelte zu Grunde zu legen.“
Nach der benannten tariflichen Vorgabe ist auch im Fall der Insolvenz das Altersteilzeitarbeitsverhältnis wie ein „Störfall“ zu behandeln und abzuwickeln. Die Tarifnorm verstößt auch nicht gegen § 8a AltTZG. Denn es wird keine Einschränkung der notwendigen Insolvenzsicherung vorgenommen, sondern lediglich die Berechnungsmethode zur Bemessung der tatsächlichen Höhe des erdienten Wertguthabens vorgenommen. Da eine vergangenheitsbezogene Berechnung bis zum Insolvenzzeitpunkt bzw. – wie hier – bis zum Zeitpunkt der Zahlung des Insolvenzgeldes vorzunehmen ist, kommt eine Anrechnung des Insolvenzgeldes bzw. später gezahlter Sozialleistungen – entgegen der Auffassung der Geschäftsführer – nicht in Betracht. Denn diese Leistungen stehen in keinem Zusammenhang und sind insbesondere keine Ersatzleistungen für bereits erdiente Wertguthaben.
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Voraussetzungen hat die Klägerin die geltend gemachte Schadenshöhe von 3, 8 Millionen Euro unter Benennung des notwendigen Tatsachenvortrages schlüssig und nachvollziehbar dargelegt. Für die 136 betroffenen Arbeitnehmer ist Beginn und Ende der Altersteilzeit, das Ende der Arbeitsphase und der Beginn der Freistellungsphase, die Bruttomonatsbeträge sowie die hälftigen Bruttomonatsbeträge und die jeweiligen Aufstockungsleistungen konkret benannt worden. Diese Angaben ergeben sich auch nicht lediglich aus Anlagen, sondern sind in den diesbezüglichen Schriftsätzen im Einzelnen dargelegt und verarbeitet worden. Das Bestreiten mit Nichtwissen durch die Geschäftsführer ist deshalb nicht ausreichend (§ 138 Abs. 2, 4 ZPO).
Zudem sprechen nach Auffassung des Gerichts gewichtige Gründe dafür, dass – die Anwendbarkeit auf den vorliegenden Fall unterstellt – auch die weiteren Voraussetzungen des § 7e Abs. 7 SGB IV erfüllt sind.
Entgegen der Verpflichtung aus § 8a AltTZG ist nach Auflösung der zuvor bestehenden Insolvenzsicherungen keine ersetzende Insolvenzsicherung rechtswirksam begründet worden.
Gemäß § 8a Abs. 1 Satz 1 AltTZG ist der Arbeitgeber verpflichtet, das Wertguthaben einschließlich des darauf entfallenden Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag mit der ersten Gutschrift in geeigneter Weise gegen das Risiko seiner Zahlungsunfähigkeit abzusichern, wenn eine Vereinbarung über die Altersteilzeit im Sinne von § 2 Abs. 2 AltTZG zum Aufbau eines Wertguthabens führt, dass den Betrag des dreifachen des Regelarbeitsentgelts nach § 6 Abs. 1 AltTZG einschließlich des darauf entfallenden Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag übersteigt.
Die genannten Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die ursprünglich bestehenden Insolvenzsicherungen sind nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien aufgelöst worden. Eine ersetzende Insolvenzsicherung ist auf der Grundlage der „Kautionsversicherung für Altersteilzeit“ in Verbindung mit der „Globalbürgschaft zur Absicherung von Wertguthaben aus Altersteilzeit“ nicht rechtswirksam begründet worden.
Die Geschäftsführer haben den Umstand der Minderung bzw. des Untergangs der Wertguthaben der 136 betroffenen Arbeitnehmer gemäß § 7e Abs. 7 Satz 2 und Satz 3 SGB IV auch zu vertreten.
Gemäß der genannten Norm haften auch die organschaftlichen Vertreter einer juristischen Person gesamtschuldnerisch für den Schaden. Gemäß § 7e Abs. 7 Satz 3 SGB IV haften der Arbeitgeber oder ein organschaftlicher Vertreter nicht, wenn sie den Schaden nicht zu vertreten haben.
Aus der zuletzt genannten Formulierung folgt, dass im Falle der Minderung oder des Verlustes von Wertguthaben von Beschäftigten das Verschulden vermutet wird. Es besteht lediglich die Möglichkeit der Exkulpation9.
Der Geschäftsführer einer GmbH ist gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG im Rahmen der zu beobachtenden Legalitätspflicht u. a. gehalten, insbesondere auch durch organisatorische Vorkehrungen das rechtmäßige Verhalten der Gesellschaft nach außen sicher zu stellen10. Im Fall der Delegation auf Mitarbeiter erwachsen daraus auch Überwachungspflichten, die insbesondere – wie hier – in finanziellen Krisensituationen zum tragen kommen11.
Gemessen an den benannten Voraussetzungen kann vorliegend von einem mangelnden Verschulden der Geschäftsführer im Sinne des § 7e Abs. 7 Satz 3 SGB IV nicht ausgegangen werden. Der Vortrag der Geschäftsführer, man habe die Insolvenzsicherung der Altersteilzeitguthaben an den langjährigen Mitarbeiter und Prokuristen F. der Gemeinschuldnerin delegiert, ist nicht ausreichend.
Die Geschäftsführer atten von der Auflösung der ursprünglich bestehenden Insolvenzsicherungen und der daraus resultierenden gesetzlichen Notwendigkeit zur Neubegründung einer ersetzenden Insolvenzsicherung positive Kenntnis. Auch war ihnen im streiterheblichen Zeitraum die überaus angespannte wirtschaftliche Situation der Gemeinschuldnerin bewusst. Allein vor diesem Hintergrund wären die Geschäftsführer verpflichtet gewesen, durch entsprechende Organisations- und Überwachungsmaßnahmen den rechtswirksamen Abschluss eines Treuhandvertrages sicher zu stellen.
Trotz der vorstehenden Ausführungen bleibt die Klage im Ergebnis ohne Erfolg. Denn nach Auffassung des Gerichts erstreckt sich die Möglichkeit der Durchgriffshaftung nach § 7e Abs. 7 Satz 2 SGB IV nicht auf unterlassene Insolvenzsicherungen aus Altersteilzeitverhältnissen im Sinne von § 8a AltTZG.
Gemäß § 8a Abs. 1 Satz 1, zweiter Halbsatz AltTZG findet § 7e SGB IV keine Anwendung. Ob diese Bestimmung nur auf den spezialgesetzlichen Vorrang der Regelungen des § 8a AltTZG im Verhältnis des Arbeitnehmers zum Arbeitgeber hinweist oder auch die Durchgriffshaftung des organschaftlichen Vertreters nach § 7e Abs. 7 Satz 2 SGB IV ausschließt, ist umstritten12.
Die Kammer ist in Anwendung der anerkannten Auslegungsregeln zu dem Ergebnis gelangt, dass die Durchgriffshaftung nach § 7e Abs. 7 Satz 2 SGB IV auf die gesetzliche Regelung zur Insolvenzsicherung von Wertguthaben aus Altersteilzeitverträgen nach § 8a AltTZG keine Anwendung findet. Der Gesetzgeber hat die unterschiedlichen Regelungsmaterien von Wertguthaben aus Arbeitsverhältnissen einerseits und solchen aus Altersteilzeitverträgen andererseits mit jeweils abschließenden gesetzlichen Normierungen abweichend voneinander geregelt. Nach dem Wortlaut des § 8a Abs. 1, zweiter Halbsatz AltTZG ist eine Anwendbarkeit des § 7e SGB IV ausnahmslos nicht gegeben. Ansonsten hätte eine textliche Klarstellung – z. B.: mit Ausnahme des § 7e Abs. 7 SGB IV – nahe gelegen. Soweit die Auffassung vertritt, auf der Grundlage des unergiebigen Wortlautes des § 8a Abs. 1, zweiter Halbsatz AltTZG biete die Gesetzessystematik bereits überwiegende Anhaltspunkte für die Anwendbarkeit der Durchgriffshaftung nach § 7e Abs. 7 Satz 2 SGB IV, jedenfalls sei sie aber nach verfassungskonformer Auslegung geboten, so vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen.
Sowohl nach Sinn und Zweck als auch nach der zu Grunde liegenden Gesetzessystematik der Insolvenzsicherung von Wertguthaben aus Arbeitsverhältnissen einerseits und der Insolvenzsicherung von Wertguthaben aus Altersteilzeitverträgen andererseits lässt sich ein vom Wortlaut des § 8a Abs. 1, zweiter Halbsatz AltTZG abweichendes Ergebnis nicht herleiten. Dies gilt im Übrigen auch für die Formulierungen in der Gesetzesbegründung13.
Zunächst ist offenbar auch der Gesetzgeber insoweit von zu differenzierenden Regelungsmaterien ausgegangen, als in der vorbenannten Drucksache auf Seite 11 ausgeführt wird: Der auf die Besonderheiten der Altersteilzeit zugeschnittene Insolvenzschutz im Altersteilzeitgesetz ist für eine wirkungsvolle Verbesserung des Insolvenzschutzes für all die bisweilen völlig unterschiedlichen Formen und Modelle von Wertguthaben nur bedingt geeignet und auch nicht auf alle flexiblen Arbeitszeitmodelle anwendbar. Daneben unterliegt der normierte Anspruch auf Sicherheitsleistung wie alle vergleichbaren Rechtshandlungen der Insolvenzanfechtung und bietet für das Wertguthaben selbst keinen hinreichenden Insolvenzschutz. Im Übrigen muss der Insolvenzschutz anders als bei der Altersteilzeit in vielen Fällen auf eine Laufzeit von Wertguthaben von mehreren Jahrzehnten, im Extremfall auf 50 Jahre abgestimmt sein, so dass die Anforderungen hieran in besonderer Weise zugeschnitten werden müssen.
Es entspricht mithin dem Willen des Gesetzgebers, für Wertguthaben aus Arbeitsverhältnissen einerseits und solchen aus Altersteilzeitverträgen andererseits in § 8a AltTZG und § 7e SGB IV jeweils unterschiedlich ausgestaltete Insolvenzschutzregelungen treffen zu wollen. In Kenntnis der Problematik um eine fehlende Durchgriffshaftung hat der Gesetzgeber nicht nur auf die Aufnahme einer in § 7e Abs. 7 Satz 2 und Satz 3 SGB IV vergleichbaren Regelung in § 8a AltTZG verzichtet, sondern darüber hinaus den § 7e SGB IV ausdrücklich und ausnahmslos für nicht anwendbar erklärt und diesbezüglich konsequent in der Gesetzesbegründung § 8a AltTZG als „lex speczialis“ zu § 7e SGB IV erklärt14. Danach finden lediglich im Übrigen die Wertguthabenvorschriften des Vierten Buches Sozialgesetzbuch Anwendung. Die weiteren Ausführungen zu Artikel 2 enthalten ebenfalls keinerlei Anhaltspunkte für eine beabsichtigte Anwendung von § 7e Abs. 7 Satz 2 und Satz 3 SGB IV auf die Insolvenzsicherung nach § 8a AltTZG.
Schließlich bestehen auch gesetzessystematische Bedenken gegen eine Anwendbarkeit von § 7e Abs. 7 SGB IV im Rahmen des § 8a AltTZG. Wie bereits unter III. 1. ausgeführt entspricht der Schutzumfang des § 7e Abs. 7 Satz 1 SGB IV (Schutz vor Verringerung und Verlust des erdienten Wertguthabens) nicht dem Versicherungsschutz nach § 8a AltTZG. Die Vorgaben des § 8a Abs. 2 AltTZG finden in § 7e Abs. 7 Satz 1 SGB IV keine Berücksichtigung. Hätte der Gesetzgeber eine Erstreckung des Anwendungsbereiches des § 7e Abs. 7 SGB IV auf § 8a AltTZG beabsichtigt, so wäre eine Ergänzung um die Schadensdefinition bei fehlender Insolvenzsicherung in Altersteilzeitverträgen insbesondere im Blockmodell geboten gewesen. Auch diesbezüglich lässt die Gesetzesbegründung keinerlei Rückschlüsse zu.
Auch ist kein anderes Ergebnis im Rahmen einer vorzunehmenden verfassungskonformen Auslegung wegen Besorgnis der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes geboten15. Der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz wird bei der hier vertretenen Auffassung nicht tangiert. Dieser verbietet grundsätzlich die unterschiedliche Behandlung vergleichbarer Sachverhalte. Ein solcher Tatbestand ist aber vorliegend bereits deshalb – ungeachtet des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraumes – nicht gegeben, weil es sich bei der gesetzlich ausgestalteten Insolvenzsicherung von Wertguthaben aus Altersteilzeitverträgen nach § 8a AltTZG einerseits und solchen aus Arbeitsverhältnissen gemäß § 7e SGB IV andererseits nicht um vergleichbare Sachverhalte handelt. Wertguthaben aus Arbeitsverhältnissen können sofort abgewickelt werden, wenn es an einer – hinreichenden – Insolvenzsicherung fehlt, da es lediglich um Beträge geht, die in der Vergangenheit durch den Arbeitnehmer erdient und angespart worden sind und zwar in der Regel ohne Zusatzleistungen durch den Arbeitgeber. Im Falle von Altersteilzeitverträgen insbesondere im Blockmodell stellt sich dementgegen das Problem, dass für die Vergangenheit Aufstockungsleistungen gezahlt worden sind und im Blockmodell die angesparten Wertguthaben sukzessiv während der Freistellungsphase verbraucht werden sollen. In diesen Fällen ist die sofortige Abwicklung im Fall einer nicht bestehenden bzw. nicht nachgewiesenen Insolvenzsicherung gesetzlich gerade nicht vorgesehen. Auf Grund der Zukunftswirkung sieht § 8a Abs. 4 AltTZG deshalb in Abweichung von § 7e SGB IV einen sofortigen und durchsetzbaren Sicherungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber in Höhe des bestehenden Wertguthabens vor, so dass es offenbar nach den Vorstellungen des Gesetzgebers keiner gesteigerten Schutzmaßnahme im Wege der Verankerung einer Durchgriffshaftung nach dem Vorbild des § 7e Abs. 7 Satz 2 und Satz 3 SGB IV bedarf.
Landesarbeitsgericht Mecklenburg -Vorpommern, Urteil vom 11. Februar 2015 – 3 Sa 107/14
- BAG, Urteil vom 13.02.2007 – 9 AZR 106/06[↩]
- BAG, Urteil vom 21.11.2006 – 9 AZR 206/06[↩]
- BAG, Urteil vom 23.10.2010 – 9 AZR 44/09; vom 13.02.2007 – 9 AZR 207/06; vom 21.11.2006 – 9 AZR 206/06[↩]
- BGH vom 02.07.1996 – X ZR 104/94 11[↩]
- BGH vom 02.07.2006, a. a. O., Rn. 17, 18; a. A. Deinert, „zur Haftung organschaftlicher Vertreter für unzureichende Insolvenzsicherung von Altersteilzeitkonten“, RdA 2014, Seite 327, 335[↩]
- BAG vom 18.07.2006 – 1 AZR 578/05 15[↩]
- zutreffend: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht Band I, 82. Ergänzungslieferung Juni 2014; Seewald Rn. 35 zu § 7e SGB IV[↩]
- Drucksache 16/10289, Seite 18[↩]
- zutreffend Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Band 1, 82. Ergänzungslieferung Juni 2014, Seewald, Rn. 38 zu § 7e SGB IV[↩]
- BGH vom 15.10.1996 – VI ZR 319/95 22[↩]
- BGH vom 15.10.1996 a. a. O., Rn. 23[↩]
- unentschieden BAG vom 23.02.2010 – 9 AZR 44/09 54[↩]
- Drucksache 16/10289, Seite 10 bis 20[↩]
- Drucksache 16/10289, Seite 20 zu Artikel 2[↩]
- a. A. Deinert, a. a. O., Seite 333[↩]