Der „Fahndungsaufruf“ auf Facebook – und das anwaltliche Berufsrecht

Die Bezeichnung einer Person als „Arschloch“ und „Ratte“ in einem „Fahndungsaufruf“ bei Facebook durch einen Rechtsanwalt stellt eine gewichtige Herabsetzung dieser Person mit beleidigendem Inhalt dar und verstößt gegen das dem Rechtsanwalt obliegende Gebot, sich bei seiner Berufsausübung nicht unsachlich zu verhalten.

Der „Fahndungsaufruf“ auf Facebook – und das anwaltliche Berufsrecht

In einem Zivilverfahren vertrat der hier sanktionierte Rechtsanwalt die rechtlichen Interessen einer Geschädigten aus einer Körperverletzungshandlung. Er hatte einen zivilrechtlichen Titel (Versäumnisurteil) gegen Herrn Dirk H. erwirkt und in der weiteren Folge für seine Mandantin versucht, die Vollstreckung aus diesem Versäumnisurteil zu betreiben. Mit dem Ziel der Vollstreckung stellte der Rechtsanwalt den Aufenthaltsort des Dirk H. mit am 13.02.bzw. 14.02.2014 auf Facebook eingestellten „Fahndungsaufruf“ dergestalt fest, dass er ausführte:

„Kennt irgendjemand Dirk H. aus P.? Das ist eines dieser Arschlöcher, die mutig genug sind, ne Frau zu verkloppen, die 1½ Köpfe kleiner und 30 kg leichter und wenig mobil ist, weil sie Kinder dabei hat. (Eine jener Ratten, die) sich danach vor dem Gerichtsvollzieher (verstecken) verdrücken, wenn es um die Kohle geht, den von ihm angerichteten Schaden halbwegs wieder gutzumachen. Gewohnt hat er mal in der G.str. xx in xx P., geboren am xx.xx.19xx, arbeitet(e) (bei Txx. T.-Montageservice) in St. Wenn irgendjemand weiß, wo sich dieser feige Frauenschläger aufhält, bitte PN an mich. Cool wäre es, wenn Ihr in und um P. TEILEN könntet. Datenschutz: Mir scheiß egal, ich bin Anwalt und nicht das Programmheftchen der P.partei.“

Nach Feststellung des Aufenthaltsortes des Dirk H. führte der Rechtsanwalt über Facebook u. a. aus:

„Ich bedanke mich bei allen Helfern, einen verurteilten Frauenschläger zu finden. Jetzt kann der Gerichtsvollzieher weitermachen. Ich hoffe, dass ich viele Nachahmer finde, die den Weg in ein Zeitalter frei posten, indem das Internet geschützte Netzwerk den Dorffriseur ersetzt und somit die Gesellschaft zusammenhalten.“

Das Amtsgericht Neubrandenburg erließ am 15.04.2014 unter dem Az. 301 Cs 708/14 einen Strafbefehl gegen den Rechtsanwalt wegen des Vorwurfs der Beleidigung. Gegen den Rechtsanwalt wurde eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 90,00 Euro festgesetzt. Daraufhin legte der Rechtsanwalt form- und fristgerecht Einspruch gegen diesen Strafbefehl ein, woraufhin das Amtsgericht Neubrandenburg Termin zur Hauptverhandlung bestimmte. Der Rechtsanwalt erschien trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zum Termin, so dass sein Einspruch gegen den Strafbefehl mit Urteil des Amtsgerichts Neubrandenburg verworfen wurde.

Der Rechtsanwalt hat sich mit dem Bevollmächtigten des Dirk H. in einer dann gegen den Rechtsanwalt geführten Schadenersatzangelegenheit darauf geeinigt, die Anwaltskosten seines Bevollmächtigten im zivilrechtlichen Schadenersatzverfahren zu tragen, die mit insgesamt ca. 800,00 Euro, einschließlich eines Schmerzensgeldes, geltend gemacht worden waren. Im Gegenzug sollten alle gegen den Rechtsanwalt gerichteten Anträge, auch der Strafantrag, zurückgenommen werden.

Daraufhin beantragte der Rechtsanwalt Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand und entschuldigte nachträglich sein Fernbleiben in der Hauptverhandlung unter Beifügung einer ärztlichen Bescheinigung. Der Rechtsanwalt des Dirk H. erklärte sodann namens und in Vollmacht des Dirk H. die Rücknahme des Strafantrages, woraufhin das Amtsgericht Neubrandenburg das gegen den Rechtsanwalt geführte Strafverfahren gemäß § 206 a StPO einstellte.

Nach Ansicht des Anwaltsgerichtshofs Rostock hat der Rechtsanwalt damit schuldhaft gegen das Gebot verstoßen, sich bei seiner Berufsausübung nicht unsachlich zu verhalten, §§ 43, 43 a Abs. 3 BRAO.

Der Rechtsanwalt hat mit dem am 13.02.bzw. 14.02.2014 auf der Internetplattform Facebook eingestellten „Fahndungsaufruf“ sowie mit der entsprechenden Eintragung am 17.02.2014 auf dieser Plattform die Berufspflichten im Sinne der §§ 43, 43 a Abs. 3 BRAO vorsätzlich verletzt. Die vom Rechtsanwalt verbreiteten Äußerungen stellen sich inhaltlich als Erklärungen dar, die strafrechtlich erheblich die Schwelle der Beleidigung überschreiten, § 185 StGB. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie der berufsrechtlichen Rechtsprechung, der sich der Anwaltsgerichtshof anschließt, ist die Schwelle zur sanktionswürdigen Pflichtverletzung überschritten, wenn eine Herabsetzung nach Inhalt und Form als strafbare Beleidigung (§ 185 StGB) zu beurteilen ist1.

Sowohl die Bezeichnung, die konkret auf die Person des Dirk H. gerichtet ist, dass er eines dieser „Arschlöcher“ sei bzw. eine jener „Ratten“, ist eine gewichtige Herabsetzung der Person mit beleidigendem Inhalt. Das verwendete Schimpfwort selbst stellt eine grobe Form der Beleidigung dar, es bringt nicht nur die eigene Missachtung gegenüber dem Adressaten zum Ausdruck, sondern hat zweifelsfrei ehrverletzenden Charakter. Der herbeigeführte Vergleich mit Ratten stellt die in Verbindung gebrachte Person auf eine Stufe mit als minderwertig geltenden und im großen Umfang schädlichen Tieren, die nach herrschender Auffassung mit allen Mitteln zu bekämpfen sind.

Der Anwaltsgerichtshof sieht keinen Rechtfertigungsgrund darin, dass der Rechtsanwalt den von ihm in der Internetplattform eingestellten „Fahndungsaufruf“ zur Ermöglichung der Vollstreckung eines durch den Rechtsanwalt erwirkten zivilrechtlichen Urteils gestartet hat. Die Voraussetzungen für eine allenfalls in Betracht kommende Wahrnehmung berechtigter Interessen sind nicht gegeben. Zwar ist anerkannt, dass grundsätzlich starke, eindringliche Ausdrücke im „Kampf um das Recht“ genutzt werden dürfen. Eine Suche nach einem Zahlungsverpflichteten ist aber auf vielerlei Art möglich, ohne dass herabsetzende, beleidigende Vergleiche über die Person des Zahlungsverpflichteten gemacht werden müssen. Der Zweck heiligt keineswegs die Mittel. Dieses muss insbesondere dann gelten, wenn, wie vorliegend, durch den Rechtsanwalt die Ehrverletzung und Herabsetzung der Persönlichkeit des Dirk H. gleichzeitig in Verbindung gebracht wird mit dessen verachtenswertem Verhalten als vermeintlichem Frauenschläger und der Rechtsanwalt hierfür als Medium eine Internetplattform gegenüber einer völlig unbekannten und zahlenmäßig unbegrenzten Empfängerschaft nutzt, die geeignet sein kann, unkontrolliert Selbstjustizvorstellungen hervorzurufen und schlimmstenfalls in Gang zu setzen.

Die zu verhängende anwaltsgerichtliche Maßnahme ist gemäß § 113 Abs. 1 BRAO aus § 114 Abs. 1 BRAO zu entnehmen.

Bei der Zumessung der zu erkennenden Maßnahme ist zu berücksichtigen, in welchem Maße durch die Pflichtverletzung das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität des Anwaltsstandes betroffen und damit das Ansehen der Rechtsanwaltschaft geschädigt wurde2. Entscheidend ist, welche Maßnahme erforderlich ist, um zu erreichen, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt künftig seinen beruflichen Pflichten nachkommt und sich an das Sachlichkeitsgebot hält3.

Auch nach Auffassung des Anwaltsgerichtshofes genügen eine Verwarnung oder nur ein Verweis nicht. Der Rechtsanwalt hat gegen grundlegende Pflichten anwaltlicher Tätigkeit verstoßen und damit das Ansehen und die Stellung des Rechtsanwalts beeinträchtigt. Der Rechtsanwalt hat seine Pflichtverletzung unter Nutzung eines Mediums mit unbegrenzter Öffentlichkeitswirkung begangen.

Der Anwaltsgerichtshof hält vielmehr – neben einem Verweis – eine Geldbuße für geboten und sieht unter Berücksichtigung der vom Rechtsanwalt mitgeteilten Einkünfte die Verhängung der vom Anwaltsgericht als anwaltsgerichtliche Maßnahme für erforderlich gehaltenen Geldbuße von 3.000,00 Euro ebenfalls als angemessene und erforderliche Sanktion an.

Bei einem Geldbußerahmen bis zu 25.000,00 Euro4 hält sich diese Geldbuße im unteren Bereich des Rahmens. Dabei hat der Anwaltsgerichtshof zu Gunsten des Rechtsanwalts berücksichtigt, dass der Rechtsanwalt sich geständig eingelassen hat. Der Anwaltsgerichtshof hat weiter gewürdigt, dass der Rechtsanwalt einen Geldbetrag an den durch die Beleidigung Betroffenen gezahlt hat, wobei nur eine geringe Gewichtung zu Gunsten des Rechtsanwalts erfolgen konnte, da ersichtlich die Zahlung mit dem Hauptzweck geleistet wurde, um den Beleidigten zur Strafantragsrücknahme im parallel zunächst gegen den Rechtsanwalt geführten Strafverfahren zu veranlassen. Zu seinen Gunsten wurde weiter berücksichtigt, dass gegen den Rechtsanwalt bislang noch keine anwaltsgerichtlichen Maßnahmen verhängt worden sind.

Anwaltsgerichtshof Rostock, Urteil vom 27. November 2015 – 1 AmtsgerichtH 5/12

  1. BVerfG 10.10.1995, 1 BvR 1476/19 u. a., juris; BHG 01.12.2014, AnwZ 29/14[]
  2. Vgl. Feuerich, § 114 BRAO Rn. 93[]
  3. Vgl. Feuerich aaO[]
  4. Vgl. § 114 Abs. 1 Nr. 3 BRAO[]