Die Reform des europäischen Telekommunikationsrechts ist heute im Europäischen Parlament zunächst gescheitert. Das Telekompaket geht damit in die Vermittlung. Das Parlament folgte heute zwar weitgehend dem zwischen Parlamentsvertretern und tschechischer Ratspräsidentschaft ausgehandelten Kompromiss. In der Frage der Grundrechte von Internetnutzern votierten die Abgeordneten jedoch gegen die im Vorfeld ausgehandelte Einigung und nahmen wieder ihre Position aus Erster Lesung ein: Grundrechte und Freiheiten der Endnutzer dürften keinesfalls ohne vorherige Entscheidung der Justizbehörden eingeschränkt werden.
Ein besserer Zugang zu Telekommunikationsdiensten, fairer Wettbewerb, die Reform der Frequenzvergabe und eine Stärkung der Rechte der Verbraucher und des Datenschutzes sind die Ziele des Telekompakets. Da das EP heute einen Teil des Kompromisses zur Rahmenrichtlinie für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste geändert hat, geht das gesamte Telekompaket in den Vermittlungsausschuss.
Einschränkung von Grundrechten
Mit 407 Ja-Stimmen, 57 Nein-Stimmen und 171 Enthaltungen verabschiedeten die Abgeordneten identische Änderungsanträge verschiedener Fraktionen aus Erster Lesung, denen zufolge die Grundrechte und Freiheiten der Endnutzer „keinesfalls ohne vorherige Entscheidung der Justizbehörden eingeschränkt werden dürfen, es sei denn, die öffentliche Sicherheit ist bedroht; in diesem Fall kann die Entscheidung der Justizbehörden im Nachhinein erfolgen“.
Der abgelehnte Kompromisstext sah vor, bei Maßnahmen die Grundrechte und Freiheiten natürlicher Personen zu achten, einschließlich des Schutzes der Privatsphäre, der Meinungsfreiheit und des Zugangs zu Informationen sowie des Rechts auf eine Entscheidung eines unabhängigen und unparteiischen rechtmäßig eingesetzten und unter Achtung der Verfahrensordnung gemäß der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten agierenden Gerichts.
Bestätigt wurde heute vom Europäischen Parlament dagegen die im Vorfeld erzielte Einigung in folgenden Bereichen:
Zugang zu neuen Netzen öffnen
In Zukunft sollen marktbeherrschende Betreiber dazu verpflichtet werden können, den Zugang zu ihren Netzen für Mitwettbewerber zu öffnen, die Rahmenrichtlinie für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste wird entsprechend geändert.
Nationale Regulierungsbehörden sollen Investitionen in neue Infrastruktur wie Glasfasernetze (so genannte „Zugangsnetze der nächsten Generation“) fördern. Eine Verpflichtung, den Zugang zu diesen neuen Netzen zu öffnen, sollte daher dem „Risiko der investierenden Unternehmen gebührend Rechnung tragen“ und „verschiedene Vereinbarungen zur Diversifizierung des Investitionsrisikos zwischen Investoren und Zugangsbewerbern“ zulassen.
Moderne Vergabe von Funkfrequenzen
Um die strategische Planung, Koordinierung und Harmonisierung der Funkfrequenznutzung in der EU zu verbessern, sollte die Kommission Legislativvorschläge für ein mehrjähriges Programm im Bereich der Funkfrequenzpolitik machen, so der Kompromiss. So könne man sicherstellen, dass drahtlose Dienste in Zukunft EU-weit kompatibel sind.
Die überarbeitete Rahmenrichtlinie etabliert außerdem die „Neutralität der Kommunikationstechnologien und -dienste“ als verbindliches Prinzip für die Frequenzvergabe. Das heißt, in Zukunft könnte jede Anwendung in jedem Frequenzband angeboten werden. Dadurch wäre es z. B. möglich, Frequenzen, die durch den Übergang von analogem zu digitalem Rundfunk frei werden, für Breitbandinternet zu nutzen.
Engere Zusammenarbeit bei Marktregulierung
Die Einigung mit dem Rat beinhaltet auch einen Kompromiss über die Schaffung eines neuen Gremiums der Europäischen Regulierungsbehörden für elektronische Kommunikation (GEREK). GEREK soll aus einem Rat der 27 nationalen Regulierungsbehörden bestehen, der als unabhängiges Expertengremium Empfehlungen zu Regulierungsmaßnahmen gibt, damit der europäische Rechtsrahmen EU-weit einheitlich angewendet wird.
Trennung von Netzinfrastruktur und Diensten nur in Ausnahmefällen
Nationale Regulierer müssen zukünftig die Kommission und GEREK konsultieren, bevor sie Maßnahmen zur Marktregulierung ergreifen, so die abgeänderte Rahmenrichtlinie. Falls die Kommission und GEREK „ernste Bedenken“ äußern, dass die Maßnahme ein Hemmnis für den Binnenmarkt darstellen könnte, so sollen die Kommission, GEREK und die nationale Regulierungsbehörde eng zusammenarbeiten, um „die am besten geeignete und effektivste Maßnahme“ zu ermitteln.
Laut der überarbeiteten Richtlinie zum Netzzugang kann ein nationaler Regulierer in Ausnahmefällen einen etablierten Betreiber dazu auffordern, seine Netzinfrastruktur von den Abteilungen zu trennen, die Dienste über diese Infrastruktur anbieten. Das Netz verbleibt jedoch im Eigentum des Betreibers.
Verarbeitung personenbezogener Daten und Schutz der Privatsphäre
Eine Einigung konnte auch erzielt werden zur Verarbeitung personenbezogener Daten und zum Schutz der Privatsphäre. Ziel der entsprechenden Richtlinie ist die Gewährleistung eines hohen Schutzes der Verbraucher- und Nutzerrechte, einschließlich des Rechts auf Privatsphäre und des Datenschutzes in der elektronischen Kommunikation, insbesondere durch verschärfte Sicherheitsbestimmungen und verbesserte Durchsetzungsmechanismen. Sichergestellt werden soll, dass die elektronische Kommunikation vertrauenswürdig, sicher und zuverlässig ist. Persönliche Daten werden in Zukunft besser geschützt vor gesetzeswidriger oder nicht autorisierter Speicherung. Nutzer müssen auf jeden Fall vom Diensteanbieter bzw. Netzbetreiber vollständig über mögliche Einschränkungsbedingungen und Grenzen bei der Nutzung der elektronischen Kommunikationsdienste informiert werden. All dies sind wichtige Voraussetzungen für eine ausgrenzungsfreie Informationsgesellschaft, die eine reibungslose Entwicklung und breite Einführung neuer innovativer Dienste und Anwendungen ermöglicht.
Hotline 116000 für vermisste Kinder
Angesichts des spezifischen Charakters der Meldungen über vermisste Kinder und der zurzeit begrenzten Verfügbarkeit dieses Dienstes sollten die Mitgliedstaaten die Rufnummer nicht nur reservieren, sondern auch jede Anstrengung unternehmen, um die unverzügliche Verfügbarkeit der Hotline 116000 für vermisste Kinder in ihrem Hoheitsgebiet tatsächlich sicherzustellen, so die „Richtlinie zu elektronischen Kommunikationsnetzen: Verarbeitung personenbezogener Daten und Schutz der Privatsphäre“. Zu diesem Zweck sollen die Mitgliedstaaten erforderlichenfalls Ausschreibungsverfahren einleiten, um an einer Bereitstellung dieses Dienstes interessierte Parteien anzusprechen.