Ist ein Bezieher von Grundsicherungsleistungen als Schöffe tätig, müss er seine Schöffenbezüge gegenüber dem Jobcenter angeben.
In dem hier vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen entschiedenen Fall hatte ein Ingenieur als Hannover geklagt, der seit 2012 Grundsicherungsleistungen bezieht. Anderthalb Jahre später nahm er am Landgericht eine Tätigkeit als Schöffe auf, die er dem Jobcenter jedoch zu keiner Zeit mitteilte. Im Rahmen der Schöffenentschädigung gab er gegenüber dem Landgericht an, als Bauingenieur und Energieberater ein Monatseinkommen von 3.500,00 € zu erzielen. Auf dieser Grundlage erhielt er eine Zeit- und Verdienstausfallentschädigung, die sich für die einzelnen Tätigkeiten in den Jahren 2015 und 2016 auf rund 2.800 € belief. Nachdem das Jobcenter Kenntnis von den Zahlungen erlangt hatte, machte es – unter Berücksichtigung der monatlichen Freibeträge – eine Erstattungsforderung von rund 800 € geltend. Hiergegen klagte der Mann und meinte, ihm stehe ein Jahresfreibetrag von 2.400,00 Euro für Aufwandsentschädigungen zu. Eine Erstattung halte er unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes für ausgeschlossen. Auch habe er wissentlich keine Entschädigung für Verdienstausfall beantragt. Vielmehr sei dem Landgericht bekannt gewesen, dass er Grundsicherungsempfänger sei, und dem Jobcenter sei bekannt, dass er Schöffe sei.
Wie erstinstanzlich bereits das Sozialgericht Hannover1 hat nun auch das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen die Rechtsauffassung des Jobcenters bestätigt und die Klage des Ingenieurs abgewiesen. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut sei kein Jahresfreibetrag, sondern ein Monatsfreibetrag von 200,00 € zu berücksichtigen. Erst 2023 sei mit dem Bürgergeldgesetz eine Neuausrichtung auf das Jahresprinzip erfolgt. Auf Vertrauensschutz könne sich der Ingenieur nicht berufen, da er gegenüber dem Jobcenter unvollständige Angaben gemacht habe. Er habe lediglich mitgeteilt, dass er „vielleicht irgendwann“ als Schöffe tätig werden könne. Über die genaue Ausübung der Tätigkeit oder erhaltene Entschädigungen habe er jedoch nicht informiert. Auch ein allgemeines Beratungsgespräch befreie ihn nicht von seinen konkreten Anzeige- und Mitteilungspflichten.
Rechtsgrundlage der Rückforderungsbescheide ist § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 3 Nr. 2 SGB X in Verbindung mit § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II und § 330 Abs. 2 SGB III. Danach ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen des § 45 Abs. 2 bis 4 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (vgl. zur gebundenen und rückwirkenden Entscheidung: § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III). Zwar darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauensschutz kann sich der Begünstigte allerdings nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X).
Die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Leistungsbewilligung ohne die Ausübung von Ermessen auf der Grundlage der genannten Vorschriften waren vorliegend gegeben. Aufgrund der von dem Ingenieur als Schöffe beim Landgericht H. in den Monaten September und November 2015 und Juni 2016 nach Maßgabe der §§ 15, 18 JVEG bezogenen Verdienstausfallentschädigung war er nicht im ursprünglich bewilligten Umfang hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 SGB II, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende in dem vom Jobcenter zutreffend errechneten Umfang nicht gegeben waren.
Die von dem Ingenieur in den genannten Monaten bezogenen Verdienstausfallentschädigungen stellen grundsätzlich zu berücksichtigendes Einkommen i. S. d. § 11 SGB II dar. Sie sind nicht als zweckbestimmte Leistungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften i. S. d. § 11a Abs. 3 SGB II und damit nicht als anrechnungsfreies Einkommen zu qualifizieren. Denn mit einer Verdienstausfallentschädigung wird kein anderer Zweck als der der Sicherung des Lebensunterhalts verfolgt2.
Die vom Jobcenter der Leistungsrücknahme bzw. der Festsetzung der Erstattungsforderung zugrunde gelegte Berechnung begegnet keinen rechtlichen Bedenken zulasten des Ingenieurs.
Ob hinsichtlich der vorliegend einzig vom Jobcenter als Einkommen angerechneten Verdienstausfallentschädigung nach § 18 JVEG der erhöhte monatliche Grundfreibetrag („Ehrenamtsfreibetrag“) von 200,00 Euro nach § 11 b Abs. 2 Satz 3 SGB II3 oder nur der allgemeine Grundfreibetrag von 100,00 Euro nach § 11 b Abs. 2 Satz 1 SGB II berücksichtigt werden musste, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Der erhöhte Grundfreibetrag ist maßgeblich, wenn eine leistungsberechtigte Person mindestens aus einer Tätigkeit Bezüge oder Einnahmen erhält, die nach § 3 Nr. 12, 26, 26a oder 26b Einkommensteuergesetz (EStG) steuerfrei sind4. Der Ingenieur ist durch die Berücksichtigung eines höheren Freibetrags nicht belastet.
Entgegen dem Ingenieur war der Berechnung vorliegend nicht ein Jahresgesamtfreibetrag in Höhe von 2.400,00 Euro zugrunde zu legen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 11b Abs. 2 Satz 3 SGB II in der hier anzuwendenden Fassung ist maßgeblich ein monatlicher Freibetrag in Höhe von 200,00 Euro. Dass hier von einem monatlichen Freibetrag auszugehen war, wird auch durch die Rechtsentwicklung bestätigt. Denn erst mit dem Wegfall des § 11b Abs. 2 Satz 3 SGB II und der mit Wirkung vom 01.07.2023 durch das Bürgergeld-Gesetz vom 16.12.20225 erfolgten Überführung der Privilegierung von ehrenamtlichen bzw. nebenberuflichen Einkünften in § 11a Abs. 1 Nr. 5 SGB II ist eine Neuausrichtung vom Monats- auf das Jahresprinzip; und vom Freibetragsprinzip auf eine Einkommensprivilegierung erfolgt6.
Der Ingenieur kann sich nach Maßgabe des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht auf Vertrauensschutz berufen, da er dem Jobcenter die Ausübung der Tätigkeit als Schöffe bzw. den damit verbundenen Bezug von Entschädigungen für Verdienstausfall nicht angezeigt hat. Entgegen seinen Angaben ergibt sich aus den Verwaltungsvorgängen nicht die Mitteilung der erhaltenen Geldbeträge. Eine Anzeige ist nicht durch sein Schreiben mit dem Datum „12/2012“ erfolgt, das er in Kopie dem Jobcenter mit Posteingang vom 12.03.2019 vorgelegt hat. In diesem Schreiben bedankt er sich lediglich für eine Beratung im Hinblick auf eine Schöffentätigkeit und teilt mit, dass er als Schöffe/Hilfsschöffe gemeldet sei und sicherlich gelegentlich zum Einsatz kommen könne. Die erforderliche Mitteilung über eine konkrete Tätigkeitsausübung oder gar erhaltene Entschädigungen enthält dieses Schreiben jedoch nicht. In seiner Berufungsschrift vom 13.02.2021 hat er demgemäß selbst ausgeführt, dem Jobcenter mitgeteilt zu haben, dass er „vielleicht irgendwann“ als Schöffe tätig sei. Es bedarf daher auch keiner Klärung, ob das mit dem Datum „12/2012“ versehene Schreiben rechtzeitig, d.h. spätestens bei Aufnahme der Schöffentätigkeit eingereicht wurde oder ob eine Vorlage erst mit dem Schreiben vom 08.03.2019 mit Posteingang vom 11.03.2019 beim Jobcenter erfolgte.
Auch kann sich der Ingenieur nicht mit Erfolg darauf berufen, eine Anzeige nicht für nötig erachtet zu haben, weil ihm das Jobcenter in einem „Extra-Beratungsgespräch“ im Jahr 2012 die Auskunft erteilt habe, dass bei einer Tätigkeit als Schöffe ein Bezug von 2.400,00 Euro anrechnungsfrei sei. Es ist bereits nicht festzustellen, dass das Jobcenter eine derartige Auskunft erteilt hat. Dies wird entgegen dem Ingenieur nicht durch die Beratungsvermerke (Verbis-Vermerke) des Jobcenters für das Kalenderjahr 2012 bestätigt, die der erkennende Senat vollständig beigezogen und ausgewertet hat. Es findet sich dort lediglich unter dem Datum 14.12.2012 ein Vermerk, dass der Ingenieur für eine ehrenamtliche Tätigkeit als Wahlhelfer eingeteilt worden sei und insoweit gegen eine Aufwandsentschädigung in Kürze beschäftigt werde.
Soweit der Ingenieur geltend macht, dass ihm bereits im Rahmen seiner Beschäftigung beim Jobcenter bekannt geworden sei, dass Bezüge aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit bis zu einer Jahrespauschale in Höhe von 2.400,00 Euro anrechnungsfrei seien, führt auch dies nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung. Dies befreit den Ingenieur nicht von den ihm obliegenden Anzeige- und Mitteilungspflichten nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 SGB I. Dies gilt auch, soweit er vorträgt, es sei ihm vom Jobcenter am 8.03.2019 telefonisch zugesagt worden, dass seine ehrenamtliche Tätigkeit als Schöffe anerkannt werde.
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 29. August 2024 – L 11 AS 75/21
- SG Hannover, Urteil vom 18.01.2021 – S 39 AS 2553/19[↩]
- vgl. dazu BSG, Urteil vom 26.05.2011 – B 14 AS 93/10 R, Rn. 17 ff.; vgl. zur Qualifikation als Einkünfte: BFH, Urteil vom 31.01.2017 – IX R 10/16, Rn. 15 ff.[↩]
- in der hier anzuwendenden vom 01.01.2013 bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung des Ehrenamtsstärkungsgesetzes vom 21.03.2013, BGBl. I, S. 556, zuletzt in der Fassung vom 26.07.2016 BGBl. I, S. 1824; seit dem 1.01.2021: monatlich 250,00 Euro, vgl. § 11b Abs. 2 Satz 3 SGB II in der ab da geltenden Fassung vom 21.12.2020, BGBl. I, S. 3096[↩]
- vgl. zur Frage der Steuerpflicht einer Entschädigung nach § 18 JVEG bzw. zum Ausscheiden einer Steuerbefreiung bei gleichzeitigem Bezug von Entschädigungen nach den §§ 5 und 16 JVEG: BFH, a.a.O., Rn. 27 ff. u. 35 ff.[↩]
- BGBl. I, S. 2328[↩]
- vgl. dazu Schmidt/Lange in: Luik/Harich, SGB II, 6. Auflage 2024, § 11a Rn. 12c[↩]
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