Werden im Rahmen der Prüfung der behinderungsbedingten Unfähigkeit zum Selbstunterhalt die behinderungsbedingten Mehraufwendungen nicht im Einzelnen nachgewiesen, sondern wird der Behinderten-Pauschbetrag gemäß § 33b Abs. 1 bis 3 EStG angesetzt, können daneben nicht zusätzlich Aufwendungen angesetzt werden, die entweder bereits durch den Pauschbetrag für den Grundbedarf oder den Behinderten-Pauschbetrag abgegolten werden. Unter bestimmten Voraussetzungen können behinderungsbedingte Fahrtaufwendungen neben dem Behinderten-Pauschbetrag geltend gemacht werden, soweit sie nachgewiesen oder glaubhaft gemacht worden und angemessen sind. Unter bestimmten Voraussetzungen können behinderungsbedingte Fahrtaufwendungen neben dem Behinderten-Pauschbetrag geltend gemacht werden, soweit sie nachgewiesen oder glaubhaft gemacht worden und angemessen sind.
Die durch das Gesetz zur Erhöhung der Behinderten-Pauschbeträge und zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen vom 09.12.2020 eingefügte Pauschalierungsregelung des § 33 Abs. 2a EStG ist erstmals für den Veranlagungszeitraum 2021 anzuwenden. Aus A 19.4 Abs. 5 Satz 7 und dem Vorwort der Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz vom 17.09.2021 kann nicht abgeleitet werden, dass die Verwaltung sich selbst binden wollte, die Pauschalierungsregelung des § 33 Abs. 2a EStG bereits für die Veranlagungszeiträume 2017 bis 2020 als Schätzungsregelung anzuwenden.
In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall streitet eine Mutter um den Kindergeldanspruch für ein behindertes Kind für den Zeitraum Juli 2018 bis November 2018. Die 1959 geborenen Tochter lebte im Jahr 2018 in einer eigenen Wohnung. Für sie war im Jahr 2018 ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 festgestellt. Seit mindestens 2008 wurde der Mutter für ihre Tochter fortlaufend Kindergeld bewilligt. Die Tochter bezog seit dem 01.07.2018 eine Erwerbsminderungsrente in Höhe von 1.065,61 € brutto / 948,39 € netto. Mit Bescheid vom 20.03.2019 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Juli 2018 bis einschließlich November 2018 auf und forderte das überzahlte Kindergeld in Höhe von 970 € von der Mutter zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Tochter in der Lage sei, sich selbst zu unterhalten.
In dem dagegen geführten Einspruchsverfahren reichte die Mutter eine Aufstellung der von T durchgeführten Fahrten ein, aus der sich unter anderem regelmäßige Fahrten zur Fachambulanz, zur Physiotherapie und zu einer Selbsthilfegruppe ergaben. Die Familienkasse wies den Einspruch als unbegründet zurück und ging weiter davon aus, dass die der Tochter zur Verfügung stehenden Mittel ausreichten, damit diese sich selbst unterhalten konnte. Hinsichtlich der geltend gemachten behinderungsbedingten Fahrtkosten lehnte die Familienkasse einen pauschalen Ansatz ab und verlangte einen Nachweis oder eine Glaubhaftmachung der Durchführung der Fahrten. Insoweit erkannte sie die Fahrten zur Apotheke und zum Psychotherapeuten mangels Angaben zur Häufigkeit nicht an. Die Fahrten zur Mutter, zu Beerdigungen und zu Rechtsberatungen sah die Familienkasse als nicht behinderungsbedingt an. Ebenso wenig erkannte sie die geltend gemachten Kosten für die Nahverkehrskarte an.
Mit der hiergegen gerichteten Klage machte die Mutter geltend, dass anstelle der tatsächlich glaubhaft gemachten Fahrtkosten ein Pauschbetrag in Höhe von 75 € pro Monat (entspricht 3.000 km pro Jahr zu je 0,30 €) zu berücksichtigen sei. Das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern gab der Klage statt und hob den angefochtenen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid auf1. Zur Begründung des Ansatzes für die Fahrtkosten verwies das Finanzgericht darauf, dass sich aus A 19.4 Abs. 5 Satz 7 der Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (DA-KG 2021) vom 17.09.20212 unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Selbstbindung der Verwaltung die Pflicht ergebe, pauschale monatliche Fahrtkosten in Höhe von 75 € anzuerkennen.
Auf die Revision der Familienkasse hob der Bundesfinanzhof das finanzgerichtliche Urteil auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück an das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern. Das Finanzgericht sei auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Tochter im Streitzeitraum als behindertes Kind kindergeldrechtlich zu berücksichtigen sei:
Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Weitere Voraussetzung ist, dass die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist, sofern nicht aufgrund der Übergangsregelung des § 52 Abs. 40 Satz 5 EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19.07.20063, inzwischen § 52 Abs. 32 Satz 1 EStG, weiterhin die vorher geltende Altersgrenze (Vollendung des 27. Lebensjahres) maßgeblich geblieben ist.
Das Finanzgericht hat festgestellt, dass für T im Jahr 2018 ein GdB von 80 festgestellt war. Feststellungen dazu, welcher Art diese Behinderung ist und dass die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres -beziehungsweise im Falle des Eingreifens der Übergangsregelung vor Vollendung des 27. Lebensjahres- eingetreten ist, hat das Finanzgericht nicht getroffen. Solche Feststellungen sind insbesondere auch nicht deshalb entbehrlich, weil das Finanzgericht festgestellt hat, dass die Mutter für T seit mindestens 2008 Kindergeld bezogen hat.
Das Tatbestandsmerkmal „außerstande ist, sich selbst zu unterhalten“ ist im Gesetz nicht näher umschrieben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist ein behindertes Kind dann außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann4.
Die Fähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt ist anhand eines Vergleichs zweier Bezugsgrößen zu prüfen, nämlich des aus dem Grundbedarf und dem behinderungsbedingten Mehrbedarf bestehenden gesamten existenziellen Lebensbedarfs des Kindes einerseits und seiner finanziellen Mittel andererseits5. Diese Prüfung hat für jeden Monat gesondert zu erfolgen6.
Der behinderungsbedingte Mehrbedarf umfasst Aufwendungen, die gesunde Kinder nicht haben. Dazu gehören alle mit einer Behinderung zusammenhängenden außergewöhnlichen Belastungen, insbesondere solche für Hilfen bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, ebenso zum Beispiel auch Wäsche, Erholung und typische Erschwernisaufwendungen7. Diese können einzeln nachgewiesen oder mit dem maßgeblichen Pauschbetrag (§ 33b Abs. 1 bis 3 EStG) angesetzt werden8.
Werden die behinderungsbedingten Mehraufwendungen nicht im Einzelnen nachgewiesen, sondern der maßgebliche Behinderten-Pauschbetrag angesetzt, können daneben nicht zusätzlich Aufwendungen angesetzt werden, die entweder bereits durch den Pauschbetrag für den Grundbedarf9 oder den Behinderten-Pauschbetrag10 abgegolten werden.
Angesetzt werden kann dagegen ein nicht vom Behinderten-Pauschbetrag erfasster behinderungsbedingter Sonderbedarf. Für diesen gilt allerdings -vorbehaltlich des Bestehens weiterer gesetzlicher Pauschalen- das allgemeine Erfordernis, dass die Aufwendungen dem Grunde und der Höhe nach substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen sind11. Steht ein behinderungsbedingter Mehrbedarf dem Grunde nach zur Überzeugung des Gerichts fest, ist er bei fehlendem Nachweis der Höhe nach gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO) zu schätzen12.
Nach § 33b Abs. 1 EStG wird der Behinderten-Pauschbetrag wegen der Aufwendungen für die Hilfe bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, für die Pflege sowie für einen erhöhten Wäschebedarf gewährt. Für die genannten Kategorien von Aufwendungen kann das Wahlrecht zwischen Einzelnachweis und Pauschbetrag im jeweiligen Veranlagungszeitraum nur einheitlich ausgeübt werden (§ 33b Abs. 1 Satz 2 EStG). Dies gilt entsprechend für die im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG anzustellende Berechnung.
Nicht unter die in § 33b Abs. 1 EStG genannten drei Kategorien von Aufwendungen fallen und daher nicht vom Behinderten-Pauschbetrag abgedeckt werden Operationskosten sowie Heilbehandlungen, Kuren, Arznei- und Arztkosten13. Sie können daher neben dem Behinderten-Pauschbetrag berücksichtigt werden.
Auch der Ansatz von Fahrtkosten kommt neben dem Behinderten-Pauschbetrag in Betracht. So hat die Rechtsprechung bei Personen mit schwerer Körperbehinderung, die in ihrer Geh- und Stehfähigkeit so erheblich beschränkt sind, dass sie sich außerhalb des Hauses nur mithilfe eines Fahrzeugs fortbewegen können, grundsätzlich alle Kraftfahrzeug-Aufwendungen für Privatfahrten neben dem Behinderten-Pauschbetrag anerkannt, soweit sie einen angemessenen Umfang nicht überschreiten14. In diesem Fall wurde die Angemessenheitsgrenze des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG auf 15 000 km pro Jahr festgelegt15.
Auf Basis dieser Rechtsprechung hat die Verwaltung auch für Personen, die zwar nicht außergewöhnlich gehbehindert (Merkzeichen aG), blind (Merkzeichen Bl) oder hilflos (Merkzeichen H), aber geh- und stehbehindert (GdB von mindestens 80 oder GdB von mindestens 70 und Merkzeichen G) sind, eine Angemessenheitsgrenze bezüglich Aufwendungen für durch die Behinderung veranlasste unvermeidbare Fahrten, soweit sie nachgewiesen oder glaubhaft gemacht worden sind, vorgesehen und diese auf 3.000 km im Jahr festgelegt16.
Ebenso hat die Rechtsprechung bei den vorgenannten Gruppen von behinderten Personen ohne Merkzeichen aG, Bl oder H die zusätzlich zum Behinderten-Pauschbetrag erfolgende Berücksichtigung von Kosten für durch die Behinderung veranlasste unvermeidbare Fahrten als außergewöhnliche Belastung anerkannt, soweit sie nachgewiesen oder glaubhaft gemacht werden und angemessen sind, wobei Aufwendungen für Fahrten bis zu 3.000 km im Jahr als angemessen angesehen wurden17.
Hinsichtlich der Höhe der anzurechnenden Aufwendungen hat der Bundesfinanzhof bereits entschieden, dass einzeln nachgewiesene Kraftfahrzeug-Kosten nur insoweit im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG angemessen sind, als sie die in den Einkommen- und Lohnsteuerrichtlinien für die Berücksichtigung von Kraftfahrzeug-Kosten als Werbungskosten und Betriebsausgaben festgesetzten Pauschbeträge nicht übersteigen18. Wer auf ein eigenes Fahrzeug verzichtet, zum Beispiel weil die tatsächlichen Kosten eines Kraftfahrzeugs wegen der geringen Fahrleistung bei Ansatz der Pauschbeträge nicht zu finanzieren sind, kann stattdessen die tatsächlich angefallenen Kosten eines -behinderungsgerechten- öffentlichen Verkehrsmittels, gegebenenfalls auch eines Taxis, als außergewöhnliche Belastung geltend machen19.
Durch das Gesetz zur Erhöhung der Behinderten-Pauschbeträge und zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen vom 09.12.202020 wurde § 33 Abs. 2a EStG eingefügt, der eine behinderungsbedingte Fahrtkostenpauschale regelt. Diese erhalten unter anderem Menschen mit einem GdB von mindestens 80 (§ 33 Abs. 2a Satz 2 Nr. 1 EStG). Die Pauschale beträgt in diesem Fall 900 € (§ 33 Abs. 2a Satz 3 EStG). Die Regelung ist gemäß § 52 Abs. 33c EStG i.d.F. des vorgenannten Gesetzes erstmals für den Veranlagungszeitraum 2021 anzuwenden. Ziel dieser Neuregelung war es, die betroffenen Steuerpflichtigen von den bestehenden Nachweispflichten und die Finanzämter von Prüfungstätigkeiten zu entlasten. Anstelle des bisherigen individuellen und aufwändigen Einzelnachweises der behinderungsbedingt entstandenen Fahrtkosten sollte eine Pauschbetragsregelung in Höhe der bisher geltenden Maximalbeträge eingeführt werden. Damit sollten die durch die Behinderung veranlassten Aufwendungen für unvermeidbare Fahrten abgegolten werden21.
Bei Anwendung der vorgenannten Rechtsgrundsätze ist das Finanzgericht auf Basis seiner bisherigen tatsächlichen Feststellungen zu Unrecht davon ausgegangen, dass T außerstande war, sich selbst zu unterhalten.
Zu Recht hat das Finanzgericht beim monatlichen Bedarf der T den Grundbedarf in Höhe von 1/12 des im Veranlagungszeitraum 2018 anzusetzenden Grundfreibetrags von 9.000 €, mithin 750 €, berücksichtigt. Des Weiteren hat es zu Recht den Behinderten-Pauschbetrag, der bei einem GdB von 80 im Veranlagungszeitraum 2018 1.060 € betrug, zeitanteilig berücksichtigt, woraus sich weitere 88, 33 € pro Monat ergeben. Auch medizinische Aufwendungen, die das Finanzgericht in Höhe von 45 € festgestellt hat, können neben dem Behinderten-Pauschbetrag als behinderungsbedingter Sonderbedarf angesetzt werden.
Zu Unrecht hat das Finanzgericht hingegen eine Fahrtkostenpauschale in Höhe von 75 € pro Monat angesetzt.
Der Abzug der Fahrtkostenpauschale des § 33 Abs. 2a EStG scheitert daran, dass diese für den Veranlagungszeitraum noch keine Anwendung findet.
Da nach den bisherigen Feststellungen des Finanzgerichtes nicht davon ausgegangen werden kann, dass bei T eines der Merkzeichen aG, Bl oder H vorlag, kann sie nicht dem Kreis der behinderten Menschen zugerechnet werden, bei dem alle Fahrtkosten in angemessenem Umfang anerkannt werden können.
Soweit das Finanzgericht eine Schätzung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 Abs. 1 AO -im Streitfall: das Vorliegen von durch die Behinderung veranlassten unvermeidbaren Fahrten- für möglich hält, da es den steuererheblichen Sachverhalt nicht mit letzter Sicherheit ermitteln könnte, ist ihm nicht beizupflichten. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs erlaubt § 162 Abs. 1 AO nur die Schätzung quantitativer Größen, nicht aber die Schätzung rein qualitativer Besteuerungsmerkmale im Sinne der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Besteuerung22. Zudem fehlt es auch an der vom Finanzgericht angenommenen Unaufklärbarkeit.
T hat im Einspruchsverfahren mit dem vom Finanzgericht in Bezug genommenen Schreiben vom 04.03.2020 die von ihr durchgeführten Fahrten detailliert dargelegt. Insoweit konnte das Finanzgericht im Einzelnen prüfen, ob es sich um durch die Behinderung veranlasste unvermeidbare Fahrten handelte oder ob diese bereits -wie von der Familienkasse bezüglich der Fahrten zur Mutter, zu Beerdigungen und zu Rechtsberatungen angenommen- durch den angesetzten Grundbedarf abgegolten waren. Soweit T die Anzahl der Fahrten zur Apotheke und zum Psychotherapeuten nicht bezifferte, hätte das Finanzgericht versuchen müssen, den Sachverhalt weiter aufzuklären, oder im Falle der Nichtaufklärbarkeit nach Beweislastgrundsätzen entscheiden müssen.
Überdies widerspricht die pauschale Schätzung des Finanzgerichtes auch dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers, der sich nach den Gesetzesmaterialien dahin konkretisieren lässt, dass die Pauschbetragsregelung erst ab dem Veranlagungszeitraum 2021 an die Stelle „des bisherigen individuellen und aufwändigen Einzelnachweises der behinderungsbedingt entstandenen Fahrtkosten“ treten sollte23.
Ein Ansatz von Fahrtkosten in Höhe von 75 € pro Monat war auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung gerechtfertigt.
Verwaltungsvorschriften können die Finanzverwaltung unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes binden und einen auch von den Finanzgerichten zu beachtenden Rechtsanspruch der Steuerpflichtigen begründen, nach Maßgabe der Ermessensrichtlinie behandelt zu werden, soweit sie eine ausreichende Rechtsgrundlage haben, der Gesetzeslage nicht widersprechen und Ermessenserwägungen der Finanzbehörden festschreiben24. Die Finanzgerichte und der Bundesfinanzhof können jedoch nur unterbinden, dass die Finanzverwaltung in Einzelfällen, die offensichtlich von der Verwaltungsanweisung gedeckt werden, von dieser ohne zwingende Sachgründe in willkürlicher Weise abweicht25. Die Finanzgerichte und der Bundesfinanzhof dürfen die Verwaltungsanweisung bei der Prüfung eines Verstoßes gegen die Selbstbindung der Verwaltung zudem nicht selbst auslegen, sondern nur überprüfen, ob deren Auslegung durch die Behörde möglich ist. Maßgeblich ist nicht, wie das Finanzgericht oder der Bundesfinanzhof die Verwaltungsanweisung verstehen, sondern wie die Verwaltung sie verstanden hat und verstanden wissen will26.
A 19.4 Abs. 5 Satz 7 DA-KG 2021 bestimmt in Übereinstimmung mit dem Gesetzestext des § 33 Abs. 2a EStG, dass für Aufwendungen für durch die Behinderung veranlasste Fahrten eine jährliche Pauschale von 900 € berücksichtigt wird, wenn ein GdB von mindestens 80 oder ein GdB von mindestens 70 und das Merkzeichen G vorliegt. Bereits aus A 19.4 Abs. 5 Satz 9 DA-KG 2021, der bestimmt, dass „Abweichend von § 33 Abs. 2a EStG…“ unter bestimmten Voraussetzungen auch Aufwendungen für durch die Behinderung veranlasste Fahrten ohne Vorliegen eines GdB anzuerkennen sein können, ergibt sich, dass die vorangehenden Sätze 7 und 8 nur die für 2021 geltende Rechtslage wiedergeben und mit ihnen keine Ermessensentscheidungen gelenkt werden sollen. Zudem ergibt sich aus der vom Finanzgericht zitierten Passage aus dem Vorwort der Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz („Die DA-KG 2021 gibt auch die Rechtslage der Jahre 2017 bis 2020 wieder. Sie ist in allen noch nicht bestandskräftig festgesetzten Kindergeldfällen anzuwenden, soweit die zeitliche Anwendbarkeit nicht beispielsweise durch Gesetz oder innerhalb der Dienstanweisung selbst ausdrücklich eingeschränkt wird.“), dass die Verwaltung die unterschiedlichen Rechtsstände in der Verwaltungsvorschrift abbilden wollte. Insoweit weist die Familienkasse zu Recht darauf hin, dass die Einschränkung der zeitlichen Anwendbarkeit des § 33 Abs. 2a EStG aus der diesbezüglichen Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 33c EStG und damit aus dem Gesetz selbst folgt. Nur dieses Verständnis der Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz entspricht dem Verständnis der Verwaltung. Soweit das Bundeszentralamt für Steuern davon abgesehen hat, die unterschiedlichen Rechtsstände für die Jahre 2017 bis 2021 vollständig darzustellen, kann daraus nicht abgeleitet werden, dass die Verwaltung ihre Gesetzesbindung missachten wollte.
Die Sache war für den Bundesfinanzhof jedoch noch nicht spruchreif. Dem Finanzgericht wurde daher die Gelegenheit gegeben, im zweiten Rechtsgang die erforderlichen, bisher jedoch fehlenden tatsächlichen Feststellungen nachzuholen, welche insbesondere die Beurteilung ermöglichen, ob und in welchem Umfang im Streitzeitraum Aufwendungen für durch die Behinderung veranlasste unvermeidbare Fahrten (zum Beispiel mit dem Kraftfahrzeug der Mutter, mit dem öffentlichen Personennahverkehr oder mit einem Taxi) vorlagen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 10. Juli 2024 – III R 2/23
- FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 17.06.2022 – 3 K 152/20, EFG 2024, 1115[↩]
- BStBl I 2021, 1598[↩]
- BGBl I 2006, 1652[↩]
- BFH, Urteil vom 15.12.2021 – III R 48/20, BFHE 275, 169, BStBl II 2022, 444, Rz 14, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteile vom 20.04.2023 – III R 7/21, BFHE 280, 223, BStBl II 2023, 911, Rz 15, m.w.N.; und vom 15.12.2021 – III R 48/20, BFHE 275, 169, BStBl II 2022, 444, Rz 15, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 20.04.2023 – III R 7/21, BFHE 280, 223, BStBl II 2023, 911, Rz 15, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteile vom 20.04.2023 – III R 7/21, BFHE 280, 223, BStBl II 2023, 911, Rz 16, m.w.N.; und vom 31.08.2006 – III R 71/05, BFHE 214, 544, BStBl II 2010, 1054, unter II. 2.[↩]
- BFH, Urteil vom 20.04.2023 – III R 7/21, BFHE 280, 223, BStBl II 2023, 911, Rz 16, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 12.12.2012 – VI R 101/10, BFHE 240, 50, BStBl II 2015, 651, unter II. 2.b aa zu Besuchsfahrten zur Familie[↩]
- BFH, Urteil vom 31.08.2006 – III R 71/05, BFHE 214, 544, BStBl II 2010, 1054, unter II. 2.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 12.12.2012 – VI R 101/10, BFHE 240, 50, BStBl II 2015, 651, unter II. 2.b bb[↩]
- BFH, Urteil vom 12.12.2012 – VI R 101/10, BFHE 240, 50, BStBl II 2015, 651, unter II. 2.b bb[↩]
- BFH, Urteile vom 21.06.2001 – III R 58/98, BFH/NV 2001, 1261, unter II. 1.e; und vom 04.11.2004 – III R 38/02, BFHE 208, 155, BStBl II 2005, 271, unter II. 1.a; ebenso die Verwaltung, s. dazu R 33b Abs. 1 Satz 4 der Einkommensteuer-Richtlinien 2012[↩]
- z.B. BFH, Urteil vom 02.10.1992 – III R 63/91, BFHE 169, 427, BStBl II 1993, 286, unter 2., m.w.N., betreffend den Abzug von Fahrtkosten als außergewöhnliche Belastung[↩]
- BFH, Urteil vom 02.10.1992 – III R 63/91, BFHE 169, 427, BStBl II 1993, 286, unter 3.; vgl. auch BFH, Urteil vom 21.11.2018 – VI R 28/16, BFH/NV 2019, 265, Rz 13 und BFH, Beschluss vom 15.06.2010 – VI B 11/10, BFH/NV 2010, 1631, Rz 4 ff.[↩]
- BMF, Schreiben vom 11.04.1994, BStBl I 1994, 256; abgelöst durch das u.a. für den hier streitigen Veranlagungszeitraum 2018 gültige BMF, Schreiben vom 29.04.1996, BStBl I 1996, 446[↩]
- BFH, Beschluss vom 21.05.2004 – III B 171/03, BFH/NV 2004, 1404, unter 1.; BFH, Urteil vom 17.11.2004 – VIII R 18/02, BFH/NV 2005, 691, unter II. 1.b[↩]
- BFH, Urteil vom 18.12.2003 – III R 31/03, BFHE 205, 74, BStBl II 2004, 453, unter II. 2.[↩]
- BFH, Urteil vom 18.12.2003 – III R 31/03, BFHE 205, 74, BStBl II 2004, 453, unter II. 2., mit Anmerkung Jäger, HFR 2004, 450[↩]
- BGBl I 2020, 2770, BStBl I 2020, 1355[↩]
- BT-Drs.19/21985, S. 15 f.[↩]
- BFH, Urteil vom 03.11.2010 – I R 4/10, BFH/NV 2011, 800, Rz 18[↩]
- vgl. BT-Drs.19/21985, S. 15 f.[↩]
- BFH, Urteil vom 09.09.2020 – III R 37/19, BFH/NV 2021, 449, Rz 22, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 04.07.2023 – VIII R 29/20, BFHE 281, 1, BStBl II 2023, 1005, Rz 18, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 04.07.2023 – VIII R 29/20, BFHE 281, 1, BStBl II 2023, 1005, Rz 22, m.w.N.[↩]