Ob Lehrende sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, ist von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängig. Es gibt keine gefestigte und langjährige Rechtsprechung, wonach eine lehrende Tätigkeit – insbesondere als Dozent an einer Volkshochschule – bei entsprechender Vereinbarung stets als selbstständig anzusehen wäre.
In dem hier vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall bietet die klagende Volkshochschule unter anderem Kurse zur Vorbereitung auf die Erlangung eines Realschulabschlusses auf dem zweiten Bildungsweg an. Der beigeladene Student vereinbarte mit ihr die Erteilung von Unterricht vom 07.08.2017 bis 22.06.2018 insbesondere im Rahmen solcher Kurse in den prüfungsrelevanten Fächern Politik und Wirtschaft. Für die folgenden Jahre wurden entsprechende Vereinbarungen abgeschlossen. Zum 31.07.2021 beendete der Student die Tätigkeit als Honorardozent. Er wurde ab September 2021 von der Volkshochschule in ein Angestelltenverhältnis übernommen. Nach den in die Honorarvereinbarungen einbezogenen Allgemeinen Vertragsbedingungen der Volkshochschule liegen die methodisch-didaktische Durchführung des Lehrauftrags und der Inhalt im Einzelnen bei dem Dozenten. Ein Weisungsrecht der Volkshochschule wird ausgeschlossen. Den Unterricht gestaltete der Student selbstständig. Die Volkshochschule stellte die Unterrichtsräume zur Verfügung und stimmte die Unterrichtseinheiten zeitlich mit dem Studenten und den anderen Dozenten ab. Die Vergütung wurde für tatsächlich geleistete Unterrichtsstunden nach Vorlage der Teilnehmerlisten oder für die Teilnahme an Kurskonferenzen von der Volkshochschule gezahlt. Der Student übermittelte, soweit möglich, eine Leistungseinschätzung für die einzelnen Schüler an die Fachbereichsleitung. Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund stellte die Versicherungspflicht des Studenten aufgrund Beschäftigung bei der klagenden Volkshochschule als „Honorardozent (Politik/Wirtschaft)“ beginnend ab 7.08.2017 fest.
Auf die Klage der Volkshochschule hat das Sozialgericht Hildesheim die angefochtenen Bescheide aufgehoben; der Student habe als Honorardozent eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt1. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat die Berufung der Deutschen Rentenversicherung Bund zurückgewiesen2. Bei der statusrechtlichen Beurteilung von lehrenden Tätigkeiten würden sich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung unterschiedliche Ansätze zeigen. Anknüpfend an das gesetzgeberische „Anerkenntnis“ der selbstständigen Ausübung von Lehrtätigkeiten in § 2 Satz 1 Nummer 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch würden nach hergebrachter Rechtsprechung3 relativ strenge Anforderungen an die Annahme einer abhängigen Beschäftigung aufgestellt, sofern sich die Beteiligten auf eine selbstständige Tätigkeit geeinigt hätten. Demgegenüber komme dem Parteiwillen außerhalb von lehrenden Tätigkeiten ein deutlich geringeres Gewicht zu. Bei der statusrechtlichen Beurteilung einer Musikschullehrerin4 habe das Bundessozialgericht nicht die Sonderrechtsprechung für lehrende Tätigkeiten herangezogen, sondern sich maßgeblich an den allgemeinen Abgrenzungskriterien ausgerichtet. Damit werde im Ergebnis ein anderes Regel-Ausnahme-Verhältnis postuliert. Für den streitgegenständlichen Zeitraum sei noch die frühere, in Jahrzehnten herausgebildete und gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zu lehrenden Tätigkeiten heranzuziehen, die ein schutzwürdiges Vertrauen in ihren Fortbestand bewirkt habe.
Dem widersprach nun das Bundessozialgericht und hob auf die Revision der Deutschen Rentenversicherung Bund as Urteil des Landessozialgerichts auf:
Der beigeladene Dozent unterlag trotz der vereinbarten freien Mitarbeit aufgrund Beschäftigung vom 07.08.2017 bis 22.06.2018 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Die von fremdbestimmten Abläufen geprägte Lehrtätigkeit hatte sich in ein von der Volkshochschule verantwortetes Konzept zur Erlangung des Realschulabschlusses auf dem zweiten Bildungsweg ohne wesentliche unternehmerische Freiheiten eingefügt. Hinsichtlich des anschließenden Zeitraums führte die Revision mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen zur Zurückverweisung.
Die Volkshochschule kann sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Es besteht keine frühere gefestigte und langjährige Rechtsprechung, wonach eine lehrende Tätigkeit – insbesondere als Dozent an einer Volkshochschule – bei entsprechender Vereinbarung stets als selbstständig anzusehen wäre. Einem Vertrauensschutz steht schon der Einzelfallcharakter von Statusentscheidungen entgegen. Die Abgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit wird nicht abstrakt für bestimmte Berufs- und Tätigkeitsbilder vorgenommen. Insbesondere die einen unternehmerischen Spielraum kennzeichnenden Merkmale lassen sich grundsätzlich nicht unabhängig vom Einzelfall und von den Entwicklungen des Arbeitsmarktes festschreiben. Ein Vertrauensschutz ergibt sich auch nicht aus dem Indiz des Parteiwillens. Der Senat hat dazu auch schon früher darauf hingewiesen, dass der Schutzzweck der Sozialversicherung es ausschließt, über die rechtliche Einordnung allein nach dem Willen der Vertragsparteien zu entscheiden. Soweit sich in jüngeren Senatsentscheidungen teilweise unterschiedliche Betrachtungsweisen und Bewertungen als in früherer Rechtsprechung – etwa zur Bedeutung äußerer Rahmenbedingungen – finden, handelt es sich jedenfalls nicht um eine grundlegende Neuorientierung, sondern um eine dynamische Fortentwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Typusbegriff der Beschäftigung.
Bundessozialgericht, Urteil vom 5. November 2024 – B 12 BA 3/23
- SG Hildesheim, Urteil vom 31.08.2020 – S 4 BA 11719[↩]
- LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.12.2022 – L 2 BA 47/20[↩]
- vgl. BSG, Urteil vom 12.02.2004 – B12 KR 26/02 R; und Urteil vom 14.03.2018 – B 12 R 3/17 R – BSGE 125, 177[↩]
- BSG, Urteil vom 28.06.2022 – B 12 R 3/20 R – SozR 4-2400 § 7 Nummer 65[↩]
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- Bundessozialgericht: Dirk Felmeden