Besteuerung von Erwerbsminderungsrenten

Erwerbsminderungsrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sind seit dem Inkrafttreten der Neuregelung zur steuerlichen Behandlung der Alterseinkünfte durch das Alterseinkünftegesetz zum 1. Januar 2005 nicht mit dem – gewöhnlich niedrigeren – Ertragsanteil, sondern wie Altersrenten mit dem sogenannten Besteuerungsanteil zu besteuern.

Besteuerung von Erwerbsminderungsrenten

Dies enschied jetzt der Bundesfinanzhof in drei bei ihm anhängigen Verfahren. Bereits 2009 und 2010 hatte der Bundesfinanzhof die Verfassungsmäßigkeit des AltEinkG in Bezug auf die Altersrenten grundsätzlich bejaht. Nun hat er entschieden, dass die Neuregelung auch in Bezug auf die Erwerbsminderungsrenten nicht gegen die Verfassung verstoße.

In dem jetzt vom Bundesfinanzhof entschiedenen Leitfall1 hatte die Klägerin im Jahr 2005 eine Erwerbsminderungsrente erhalten. Diese Rente wurde mit einem Besteuerungsanteil von 50% der Besteuerung unterworfen. Wäre die Rente demgegenüber noch im Jahr 2004 – dem Jahr vor dem Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes – gezahlt worden, wäre sie nur mit einem Ertragsanteil von 4% zu besteuern gewesen.

Die durch die Neuregelung des § 22 Nr. 1 Satz 3 EStG eingetretene Steuermehrbelastung der Klägerin sah der Bundesfinanzhof als durch den grundlegenden Systemwechsel der Rentenbesteuerung, der durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts notwendig geworden war, gerechtfertigt an. Es bestehe hinsichtlich der Erwerbsminderungsrenten kein entscheidender Unterschied zu den Altersrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Renten der gesetzlichen Rentenversicherung wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sind mit dem Besteuerungsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG der Besteuerung zu unterwerfen.

Die Einbeziehung der Erwerbsminderungsrenten in diese Vorschrift ist nicht verfassungswidrig.

Gleichstellung der Erwerbsminderungsrenten mit den Altersrenten im Rahmen der Rentenbesteuerung

Erwerbsminderungsrenten der gesetzlichen Rentenversicherung gehören zu den Leibrenten und sonstigen Leistungen, die gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG zu besteuern sind. Daher bestimmt sich der Besteuerungsanteil der Rente nach der Tabelle des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG; eine Ertragsanteilsbesteuerung gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst a Doppelbuchst. bb EStG i.V.m. § 55 Abs. 2 EStDV ist nicht möglich. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Einbeziehung der Erwerbsminderungsrenten in die Vorschrift des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG bestehen nicht.

Zu den sonstigen Einkünften des § 22 EStG gehören auch Leibrenten und andere Leistungen, die aus den gesetzlichen Rentenversicherungen, den landwirtschaftlichen Alterskassen, den berufsständischen Versorgungseinrichtungen und aus Rentenversicherungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG erbracht werden, soweit sie jeweils der Besteuerung unterliegen (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 1 EStG). Bemessungsgrundlage ist der Besteuerungsanteil, der nach den Vorgaben des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Sätze 2 bis 8 EStG errechnet wird.

Sozialversicherungsrenten sind Leibrenten im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG a.F.2. Solche Renten sind, wenn sie auf eine bestimmte Zeit beschränkt sind oder zu einem früheren Zeitpunkt mit dem Tod des Versicherten enden, abgekürzte Leibrenten3. Daran hat sich durch die Neuregelung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG aufgrund des AltEinkG nichts geändert. Zu den Leibrenten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen gehören alle in § 33 SGB VI aufgezählten Rentenarten, die durch die gesetzliche Rentenversicherung gewährt werden, nämlich die Renten wegen Alters (§ 33 Abs. 2, §§ 35 ff. SGB VI), wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 33 Abs. 3, §§ 43 ff. SGB VI) sowie wegen Todes (§ 33 Abs. 4, §§ 46 ff. SGB VI).

Während die Erwerbsminderungsrenten als abgekürzte Leibrenten bis zum Inkrafttreten des AltEinkG nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Satz 4 EStG a.F. i.V.m. § 55 Abs. 2 EStDV zu besteuern waren, fehlt der Neuregelung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG ein Hinweis auf eine Ertragsanteilsbesteuerung aufgrund der EStDV, so dass auch die Erwerbsminderungsrenten –ebenso wie die anderen in § 33 SGB VI genannten Renten– mit dem Besteuerungsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Sätze 2 ff. EStG zu besteuern sind4.

Demgegenüber werden nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG die Leibrenten, „die nicht solche im Sinne des Doppelbuchstaben aa sind“, mit dem in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 4 EStG bestimmten Ertragsanteil besteuert. Ebenfalls einer Ertragsanteilsbesteuerung unterliegen auf Antrag die Leibrenten nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG, soweit die Leibrenten auf bis zum 31.12. 2004 geleisteten Beiträgen beruhen, welche mindestens zehn Jahre oberhalb des Höchstbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden. Sind diese Renten abgekürzte Leibrenten, wird der Ertragsanteil durch eine Rechtsverordnung bestimmt (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 5 EStG). Diese Vorschrift bildet i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 3 EStG die Ermächtigungsgrundlage für die Regelung des § 55 Abs. 2 EStDV, in der die Ertragsanteile für abgekürzte Leibrenten festgelegt worden sind.

Der fehlende Hinweis in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG auf eine mögliche Ertragsanteilsbesteuerung beruht auf keinem Versehen des Gesetzgebers. Dieser hat vielmehr bewusst entschieden, abgekürzte und nicht abgekürzte Leibrenten der Basisversorgung gleich zu behandeln, so dass es eines Hinweises nicht bedurfte.

Dies zeigt die Begründung des Gesetzentwurfs zum AltEinkG, in der ausdrücklich darauf hingewiesen wird, der Regelungsgehalt des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG umfasse sämtliche Rentenarten, insbesondere auch Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Hinterbliebenenrenten, die bisher als abgekürzte Leibrenten nach der Ertragsanteilstabelle in § 55 Abs. 2 EStDV besteuert worden seien. Begründet wird diese Entscheidung mit der steuerlichen Entlastung der zugrunde liegenden Beiträge5.

Die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers, bei der Besteuerung der Sozialversicherungsrenten nicht nach abgekürzten und lebenslangen Leibrenten zu differenzieren, entspricht dem Sinn und Zweck der durch das AltEinkG eingeführten nachgelagerten Besteuerung der Alterseinkünfte.

Die Neuregelung der Besteuerung der Alterseinkünfte war notwendig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 6. März 20026 die unterschiedliche Besteuerung von Beamtenpensionen und Sozialversicherungsrenten für gleichheitswidrig erklärt hatte. Es hatte für die steuerliche Entlastungswirkung der Ertragsanteilsbesteuerung der Sozialversicherungsrenten im Vergleich zur Besteuerung von Versorgungsbezügen der Ruhestandsbeamten keine hinreichenden sachlichen Gründe gesehen. Dem für die Ertragsanteilsbesteuerung der Sozialversicherungsrenten maßgeblichen Leitbild einer entgeltlich erworbenen Leibrente entspreche allenfalls ein Anteil der Rentenzahlung, der weniger, in vielen Fällen auch deutlich weniger als die Hälfte der Rentenzahlungen ausmache. Dies beruhe vor allem auf dem gemäß § 3 Nr. 62 EStG steuerfreien Arbeitgeberanteil und dem Bundeszuschuss7.

Dieser Befund des BVerfG kann nicht auf die Altersrenten beschränkt werden; er gilt vielmehr in gleichem Maße für die Erwerbsminderungsrenten. Deswegen bedurfte es auch in Bezug auf die Besteuerung der sozialversicherungsrechtlichen Erwerbsminderungsrenten einer Neuregelung, um die verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Verhältnis zur Besteuerung entsprechender (beamtenrechtlicher) Versorgungsbezüge zu beenden.

Das AltEinkG umfasst den gesamten Komplex des von der Sachverständigenkommission zur Neuordnung der steuerlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen8 erarbeiteten Drei-Schichten-Modells. Die erste Schicht stellt die Basisversorgung durch die gesetzliche Rentenversicherung, die landwirtschaftlichen Alterskassen, die berufsständischen Versorgungseinrichtungen sowie die kapitalgedeckte Altersversorgung, die sog. Rürup-Rente dar. Die zweite Schicht dient der Zusatzversorgung9 und die dritte Schicht umfasst Kapitalanlageprodukte, die der Alterssicherung dienen können, aber nicht müssen. Die Besteuerung der Basisversorgung beruht auf dem Konzept der nachgelagerten Besteuerung: Die Altersrenten sind als solche steuerbar; zu berücksichtigen sind –wenn auch zeitlich versetzt– die Aufwendungen und Erträge, die sich aus den Beiträgen und den Rentenzahlungen ergeben10. Dies gilt gleichermaßen für die Besteuerung von Erwerbsminderungsrenten; sie beruhen ebenfalls auf den Beiträgen, die der Steuerpflichtige in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat und die, soweit sie nicht bereits nach § 3 Nr. 62 EStG steuerfrei waren, von ihm zumindest teilweise steuermindernd geltend gemacht werden konnten und können.

Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung der Erwerbsminderungsrenten

Die gesetzliche Neuregelung der Besteuerung der Alterseinkünfte ist –auch soweit sie die Besteuerung der Erwerbsminderungsrenten der Basisversorgung betrifft– verfassungsgemäß.

Der Bundesfinanzhof hat in ständiger Rechtsprechung bei der Besteuerung der Altersrenten den Übergang zur nachgelagerten Besteuerung grundsätzlich als verfassungskonform angesehen, sofern nicht gegen das Verbot der Doppelbesteuerung verstoßen wird11.

Auch gegen die Besteuerung der Erwerbsminderungsrenten der Basisversorgung gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die nachgelagerte Besteuerung der Erwerbsminderungsrenten der Basisversorgung verstößt nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 GG.

Die Ungleichbehandlung der Erwerbminderungsrente der Klägerin im Vergleich zu Erwerbsminderungsrenten, deren Besteuerung in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG geregelt ist und die lediglich mit dem Ertragsanteil besteuert werden, ist dadurch gerechtfertigt, dass –wie oben unter II.01.d bb dargelegt– die Beiträge zu den Basisversorgungseinrichtungen steuerlich geltend gemacht werden können.

Dagegen sind die Beitragszahlungen zu privaten Leibrentenversicherungen, sofern es sich nicht um Altversicherungen im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b EStG (jetzt: § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG) handelt, nicht als Sonderausgaben steuerlich abziehbar. Ähnliches gilt für die dem § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb Satz 2 EStG zugrunde liegenden Beitragszahlungen, die jenseits der Beitragsbemessungsgrenze entrichtet wurden. Sie konnten in der Vergangenheit wegen der Höchstbeträge des § 10 Abs. 3 EStG a.F. steuerlich nicht berücksichtigt werden. Diese Beiträge wurden damit aus versteuertem Einkommen gezahlt. Haben sich die Beitragszahlungen aber nicht steuermindernd ausgewirkt, so ist es gerechtfertigt, nur den Teil der Rente steuerlich zu erfassen, der zusätzlich zum angesparten Rentenkapital als Zinsanteil zur Auszahlung gelangt.

Dass in der Vergangenheit die Beiträge zur privaten Rentenversicherung unter Umständen in einem vergleichbaren Umfang wie Beiträge zu den Basisversorgungssystemen steuerlich berücksichtigt werden konnten, ändert daran nichts. Die von dem Gesetzgeber seinerzeit gewählte Lösung, alle privaten Rentenversicherungen, die nicht unter § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG fallen, (nur) mit dem Ertragsanteil des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG zu besteuern12, ist unter dem Gesichtspunkt der Vereinfachung und Pauschalierung zulässig. Der Gesetzgeber konnte bei Schaffung des AltEinkG zu Recht davon ausgehen, dass sich Beiträge zur privaten Rentenversicherung –vor allem wegen des Überschreitens der Sonderausgabenhöchstbeträge– nur in einem geringeren Maße steuerlich auswirken konnten. Die Besteuerung des Ertragsanteils der korrespondierenden Rentenzahlungen war daher insoweit eine folgerichtige gesetzliche Lösung13.

Ein Verstoß gegen Art. 3 GG liegt auch nicht darin, dass Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß § 3 Nr. 1 Buchst. a EStG steuerfrei sind. Aus Art. 3 Abs. 1 GG ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber. Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen14. Der Grund für die Beschränkung der Steuerfreiheit in § 3 Nr. 1 Buchst. a EStG auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist sozialpolitischer Natur. Es sollen nur Leistungen an einen Personenkreis von der Steuer freigestellt werden, der dem Gesetzgeber auch bei der Regelung der Versicherungspflicht als schutzwürdig erschienen ist15.

Entgegen der Auffassung der Kläger verstößt die Besteuerung der Erwerbsminderungsrenten der Basisversorgung mit dem Besteuerungsanteil nicht gegen das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (Leistungsfähigkeitsprinzip).

Ihr Argument, durch die Erwerbsminderung wachse den Betroffenen keine zusätzliche Leistungsfähigkeit zu16, kann einen Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip nicht begründen. Bei der Einkommensteuer zeigt sich die Leistungsfähigkeit in der individuellen Zahlungsfähigkeit des Steuerpflichtigen17. Diese Zahlungsfähigkeit wird durch die vom Steuerpflichtigen erzielten Einkünfte begründet, sei es durch Einkünfte aus aktiver Erwerbstätigkeit oder durch Rentenzahlungen, unabhängig davon, ob es sich um Alters- oder um Erwerbsminderungsrenten handelt. Entsprechend hat auch das Bundesverfassungsgericht den Charakter einer Verletztenrente dahingehend gewürdigt, dass diese „ebenso wie der Arbeitslohn selbst der Sicherung des Lebensunterhalts dient“18.

Falls die Kläger meinen, eine Erwerbsminderung bedinge erhöhte Aufwendungen und führe damit zu einer geminderten steuerlichen Leistungsfähigkeit, ist darauf hinzuweisen, dass im Einkommensteuerrecht diesen zusätzlichen Belastungen durch Regelungen wie § 33 und § 33b EStG Rechnung getragen wird.

Bedeutet der Hinweis dagegen, durch die erhöhte Besteuerung der Erwerbsminderungsrenten sei keine ausreichende Versorgung mehr gewährleistet, kann dies ebenfalls nicht zu einem Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip führen. Für die verfassungsrechtliche Würdigung der einschlägigen Normen des EStG am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG kommt es ausschließlich auf die einkommensteuerliche Belastung an, die diese Normen19 bei verschiedenen Steuerpflichtigen bewirken. Außerhalb der verfassungsrechtlich maßgeblichen Vergleichsperspektive liegen dagegen Be- und Entlastungswirkungen, die sich jenseits der einkommensteuerlichen Belastung erst aus dem Zusammenspiel mit den Normen des Besoldungs-, Versorgungs- und Sozialversicherungsrechts ergeben20.

Ein Verstoß gegen Art. 14 GG ist nicht erkennbar. Die Besteuerung der Erwerbsminderungsrente der Klägerin mit dem Besteuerungsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG anstatt mit einem Ertragsanteil gemäß § 55 Abs. 2 EStDV verstößt nicht gegen das Verbot der Übermaßbesteuerung.

In seinem Beschluss vom 18. Januar 200621 hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, es sei grundsätzlich nicht zu beanstanden, hohe Einkommen auch hoch zu belasten, soweit beim betroffenen Steuerpflichtigen nach Abzug der Steuerbelastung ein –absolut und im Vergleich zu anderen Einkommensgruppen betrachtet– hohes, frei verfügbares Einkommen bleibe, das die Privatnützigkeit des Einkommens sichtbar mache. Sei Letzteres gewährleistet, liege es weitgehend im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, die Angemessenheit im Sinne vertikaler Steuergerechtigkeit selbst zu bestimmen. Auch wenn dem Übermaßverbot keine zahlenmäßig zu konkretisierende allgemeine Obergrenze der Besteuerung entnommen werden könne, dürfe allerdings die steuerliche Belastung auch höherer Einkommen für den Regelfall nicht so weit gehen, dass der wirtschaftliche Erfolg grundlegend beeinträchtigt werde und damit nicht mehr angemessen zum Ausdruck komme22. Nach diesen Grundsätzen kann bei den Klägern eine Übermaßbesteuerung im Streitjahr nicht festgestellt werden.

Sofern die Kläger in dem erheblichen Anstieg der steuerlichen Belastung den Grund für eine mögliche Verfassungswidrigkeit der Besteuerung der Erwerbsminderungsrenten gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG sehen, machen sie einen Verstoß gegen den Vertrauensschutzgrundsatz geltend.

Der Bundesfinanzhof hat –zu Altersrenten– bereits entschieden, dass die geänderte Besteuerung der Renteneinkünfte aufgrund des Systems der nachgelagerten Besteuerung unter Aufgabe des Systems der Ertragsanteilsbesteuerung nicht gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes verstößt23. Die Abwägung zwischen dem Ausmaß des durch die Gesetzesänderung verursachten Vertrauensschadens und der Beeinträchtigung der geschützten Grundrechtspositionen des Einzelnen (insbesondere Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG) einerseits und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl andererseits führe zu dem Ergebnis, dass die verfassungsrechtlich geforderte Beseitigung der steuerlichen Ungleichbehandlung der Alterseinkünfte –bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Finanzierbarkeit der Neuregelung für die öffentlichen Haushalte– das Interesse des Steuerpflichtigen am Fortbestand der Ertragsanteilsbesteuerung seiner Renteneinkünfte überwiege.

Die Abwägung in Bezug auf die Besteuerung von Erwerbsminderungsrenten führt zu demselben Ergebnis. Zwar ist –wie im Streitfall– von einem erheblichen Anstieg der individuellen steuerlichen Belastung des betroffenen Steuerpflichtigen auszugehen. Dieses ist aber kein entscheidender Unterschied zur Besteuerung der Altersrenten, die durch das AltEinkG ebenfalls teilweise gravierend stärker steuerlich belastet wurden.

Das Ergebnis wird durch die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht zur Verfassungswidrigkeit der Rückwirkung einiger Vorschriften des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/200224 gestützt. Auch in den diesen Beschlüssen zugrunde liegenden Sachverhalten ergaben sich durch die Neuregelungen erhebliche Verschlechterungen der Rechtspositionen eines Steuerpflichtigen, sei es durch die Kürzung der Entlastung von Entschädigungszahlungen, sei es durch die Verlängerung der Haltefristen bei Grundstücksveräußerungsgeschäften oder durch die Absenkung der Beteiligungsquote bei der Besteuerung von Veräußerungen von Anteilen an Kapitalgesellschaften. Die damit verbundenen steuerlichen Mehrbelastungen, teilweise sogar erstmaligen Steuerbelastungen, sind mit den Verschlechterungen, denen die Kläger ausgesetzt sind, vergleichbar.

Das Bundesverfassungsgericht hat in allen drei Beschlüssen nochmals klargestellt, dass der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz den Staatsbürger nicht vor jeder Enttäuschung bewahren kann. Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen25.

Im Falle der Veräußerungsfrist nach § 23 EStG hat das BVerfG ausdrücklich erkannt, dass deren Verlängerung so lange keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne, wie die Frist noch nicht abgelaufen sei, da die bloße Möglichkeit, Gewinne später steuerfrei vereinnahmen zu können, keine (vertrauens-)rechtlich geschützte Position begründe26. Hinzu komme, dass angesichts langjähriger Auseinandersetzungen und verschiedener gescheiterter Reformversuche zur Erweiterung der Besteuerung privater Veräußerungsgewinne mit der Möglichkeit einer Realisierung derartiger Vorhaben seit langem zu rechnen gewesen sei.

Diese Erwägungen gelten entsprechend für die Erwartung des Steuerpflichtigen bei Eintritt in die gesetzliche Rentenversicherung, seine Renteneinkünfte aus der gesetzlichen Rentenversicherung nur mit dem Ertragsanteil versteuern zu können. Auch im Fall der Rentenbesteuerung war bereits seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. MÄrz 198027, spätestens aber seit dem BVerfG-Urteil in BVerfGE 105, 73 bekannt, dass die Ertragsanteilsbesteuerung der Sozialversicherungsrenten verfassungsrechtlich problematisch war, so dass mit einer Neuregelung der Besteuerung von Renten gerechnet werden musste. Entsprechendes gilt für die gesetzlichen Erwerbsminderungsrenten, da auch diese Renten im Vergleich zu einer entsprechenden Beamtenversorgungsleistung steuerlich erheblich geringer belastet wurden. Das Vertrauen der Kläger auf den Nichteintritt eines deutlichen Anstiegs der Steuerbelastung der Renteneinkünfte war daher nur noch eingeschränkt schützenswert. Die verfassungsrechtlich geforderte Beseitigung der Ungleichbehandlung von Renten und Beamtenpensionen überwiegt infolgedessen das Interesse der Kläger an dem dauerhaften Fortbestehen der Ertragsanteilsbesteuerung der Erwerbsminderungsrente der Klägerin.

Bundesfinanzhof, Urteile vom 13. April 2011 – X R 54/09, X R 19/09 und X R 33/09

  1. X R 54/09[]
  2. BFH, Urteil vom 08.03.1989 – X R 16/85, BFHE 156, 432, BStBl II 1989, 551, unter 2.a[]
  3. BFH, Urteile vom 04.10.1990 – X R 60/90, BFHE 162, 298, BStBl II 1991, 89; und vom 10.07.2002 – X R 46/01, BFHE 199, 541, BStBl II 2003, 391[]
  4. so auch FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.11.2008 – 15 K 15099/08; FG Düsseldorf, Urteil vom 11.03.2009 – 7 K 3215/08 E, EFG 2009, 1381; Nds. FG, Urteil vom 18.11.2009 – 2 K 309/07, EFG 2010, 719; FG Münster, Urteil vom 24.03.2010 – 12 K 2243/08 E, EFG 2010, 1129; Fischer in Kirchhof, EStG, 10. Aufl., § 22 Rz 38; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 30. Aufl., § 22 Rz 43; Risthaus in Herrmann/Heuer/Raupach, § 22 EStG Rz 280; Lüsch in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 22 Rz 80; Lindberg in Frotscher, EStG, 06. Aufl., Freiburg 1998 ff., § 22 Rz 150; Jansen/Myßen/ Killat-Risthaus, Renten, Raten, Dauernde Lasten, 14. Aufl., Rz 1255 f.[]
  5. vgl. den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen, BT-Drucks. 15/2150, S. 40[]
  6. BVerfG, Urteil vom 06.03.2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73[]
  7. vgl. BVerfG, Urteil in BVerfGE 105, 73, unter C.V.1.b und c[]
  8. Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, Bd. 74[]
  9. betriebliche Altersvorsorge und Riester-Rente[]
  10. vgl. BFH, Urteil vom 26.11.2008 – X R 15/07, BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710[]
  11. BFH, Urteile in BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710; vom 19.01.2010 – X R 53/08, BFHE 228, 223; vom 04.02.2010 – X R 58/08, BFHE 228, 326; und X R 52/08, BFH/NV 2010, 1253; vom 18.05.2010 – X R 1/09, BFH/NV 2010, 1803; und X R 29/09, BFHE 229, 309[]
  12. vgl. BT-Drucks. 15/2150, S. 41 f.[]
  13. siehe BFH, Urteil in BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710, unter II.2.b cc[]
  14. ständige Rechtsprechung des BVerfG, siehe z.B. BVerfG, Beschluss vom 26.07.2010 – 2 BvR 2227, 2228/08, BFH/NV 2010, 1983, m.w.N.[]
  15. BFH, Urteil vom 14.03.1972 – VIII R 26/67, BFHE 105, 136, BStBl II 1972, 536[]
  16. ebenso Bauschatz in Korn, § 22 EStG Rz 95, und Korn/Strahl, Kölner Steuerdialog 2004, 14360, 14365[]
  17. BVerfG, Beschluss vom 21.06.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164[]
  18. BVerfG, Beschluss vom 16.03.2011 – 1 BvR 591, 593/08, FamRZ 2011, 871[]
  19. ggf. im Verbund mit anderen Normen des Einkommensteuerrechts[]
  20. BVerfG, Urteil in BVerfGE 105, 73, unter C.II.[]
  21. BVerfG, Beschluss vom 18.01.2006 – 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97[]
  22. BVerfG, Beschluss in BVerfGE 115, 97, m.w.N.[]
  23. so die BFH, Urteile in BFHE 228, 223; in BFHE 228, 326, und in BFH/NV 2010, 1253, m.w.N.[]
  24. BVerfG, Beschlüsse vom 07.07.2010 – 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BFH/NV 2010, 1976; 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BFH/NV 2010, 1959 und 2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06, BFH/NV 2010, 1968[]
  25. vgl. z.B. BVerfG, Beschluss in BFH/NV 2010, 1959, unter C.II.01.c, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BVerfG[]
  26. BVerfG, Beschluss in BFH/NV 2010, 1959, unter C.II.2.a[]
  27. BVerfG, Beschluss vom 26.03.1980 – 1 BvR 121, 122/76, BVerfGE 54, 11[]