Für den Bundesfinanzhof ist es ernstlich zweifelhaft, ob ein im Jahr 2021 in Abzug gebrachter Investitionsabzugsbetrag für eine im Jahr 2022 tatsächlich erworbene und nach § 3 Nr. 72 EStG steuerbefreite Photovoltaikanlage allein wegen des Inkrafttretens dieser Steuerbefreiung gemäß § 7g Abs. 3 Satz 1 EStG im Jahr 2021 rückgängig zu machen ist.
Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken1. Dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen, ist nicht Voraussetzung für die AdV-Gewährung2. Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel bezüglich einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrundeliegenden Norm sein3.
Hiervon ausgehend bestehen nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids 2021 vom 21.11.2023. Es ist zweifelhaft, ob das Finanzamt den Investitionsabzugsbetrag im Streitjahr rückgängig machen durfte. In Ermangelung einer klaren gesetzlichen Regelung erscheint die Beurteilung unsicher, ob der Investitionsabzugsbetrag unter den Umständen des Streitfalls wegen § 3 Nr. 72 EStG bereits im Jahr seines ursprünglichen Abzugs rückgängig zu machen ist oder ob eine entsprechende Hinzurechnung erst später vorgenommen werden kann. Zweifelhaft ist der Veranlagungszeitraum, in dem der „actus contrarius“ zum Investitionsabzugsbetrag zu erfassen ist. Da sich die Entscheidungserheblichkeit dieser ungeklärten einfachrechtlichen Frage auch nicht aus einem anderen Grund in zweifelsfreier Weise verneinen lässt, ist die AdV -unabhängig von verfassungsrechtlichen Fragen- antragsgemäß zu gewähren.
Ein in Anspruch genommener Investitionsabzugsbetrag ist gemäß § 7g Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 EStG rückgängig zu machen, soweit er nicht bis zum Ende des dritten auf das Wirtschaftsjahr des jeweiligen Abzugs folgenden Wirtschaftsjahrs nach § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG hinzugerechnet wurde. Die Rückgängigmachung erfolgt im Abzugsjahr, § 7g Abs. 3 Satz 2 EStG sieht hierfür eine Änderungsvorschrift vor (spezielle Korrekturvorschrift)4. In § 7g Abs. 3 Satz 3 EStG ist zudem eine Ablaufhemmung hinsichtlich der Festsetzungsverjährung normiert.
Voraussetzung für die Rückgängigmachung eines Investitionsabzugsbetrag im Abzugsjahr ist nach § 7g Abs. 3 Satz 1 EStG, dass der in Anspruch genommene Investitionsabzugsbetrag nicht bis zum Ende des dritten auf das Wirtschaftsjahr des jeweiligen Abzugs folgenden Wirtschaftsjahrs nach § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG hinzugerechnet wurde. Die in § 7g Abs. 3 Satz 1 EStG in Bezug genommene Vorschrift des § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG lautet: „Im Wirtschaftsjahr der Anschaffung oder Herstellung eines begünstigten Wirtschaftsguts im Sinne von Absatz 1 Satz 1 können bis zu 50 Prozent der Anschaffungs- oder Herstellungskosten gewinnerhöhend hinzugerechnet werden; die Hinzurechnung darf die Summe der nach Absatz 1 abgezogenen und noch nicht nach den Absätzen 2 bis 4 hinzugerechneten oder rückgängig gemachten Abzugsbeträge nicht übersteigen.„
Welche Folgen die Einführung des § 3 Nr. 72 EStG für die Behandlung eines im Jahr 2021 für den Erwerb einer Photovoltaikanlage in Abzug gebrachten Investitionsabzugsbetrag hat, wird im Einkommensteuergesetz nicht ausdrücklich geregelt. Nach § 3 Nr. 72 Satz 1 EStG sind die Einnahmen und Entnahmen im Zusammenhang mit dem Betrieb näher bestimmter Photovoltaikanlagen, zu denen die vom Antragsteller im Jahr 2022 erworbene Anlage unstreitig zählt, steuerfrei. Werden Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) erzielt und sind die aus dieser Tätigkeit erzielten Einnahmen insgesamt steuerfrei nach Satz 1, ist gemäß § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG kein Gewinn zu ermitteln.
Die Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 72 EStG wurde zusammen mit dem Nullsteuersatz gemäß § 12 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes durch das Jahressteuergesetz 2022 vom 16.12.20225 in § 3 EStG angefügt. Nach der Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 4 Satz 28 EStG (ursprünglich Satz 27) ist § 3 Nr. 72 EStG für Einnahmen und Entnahmen anzuwenden, die nach dem 31.12.2021 erzielt oder getätigt werden. Aufgrund seiner (unecht) rückwirkenden Inkraftsetzung galt § 3 Nr. 72 EStG schon im Zeitpunkt des Anlagenerwerbs des Antragstellers im November 2022.
Zu einem Investitionsabzugsbetrag für eine anzuschaffende Photovoltaikanlage, der bereits im Jahr 2021 in Abzug gebracht wurde, ist dem Gesetz weder in § 7g EStG noch in § 3 Nr. 72 EStG eine ausdrückliche Aussage zu entnehmen. Die Auslegung des Gesetzes ist zweifelhaft und durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs noch nicht geklärt.
Die Regelung des § 3 Nr. 72 Satz 2 EStG, wonach bei nach Satz 1 insgesamt steuerfreien Einnahmen aus einer Photovoltaikanlage kein Gewinn zu ermitteln ist, schließt die gewinnerhöhende Hinzurechnung des Investitionsabzugsbetrags im Anschaffungsjahr nicht notwendigerweise aus. Denn es erscheint durchaus denkbar, § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG dahin auszulegen, dass auch bei der Steuerbefreiung des § 3 Nr. 72 Satz 1 EStG unterfallenden Photovoltaikanlagen eine steuerpflichtige Hinzurechnung im Jahr der Anschaffung als abschließender Gegenakt zum Investitionsabzugsbetrag-Abzug vorgenommen werden kann. Wenn § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG in diesem Sinne auszulegen wäre, entfiele zugleich die Rechtfertigung dafür, die tatbestandlichen Voraussetzungen der speziellen Korrekturvorschrift des § 7g Abs. 3 Satz 1 EStG schon aufgrund der ab dem Jahr 2022 zu versagenden Möglichkeit der Investitionsabzugsbetrag-Hinzurechnung als erfüllt anzusehen.
Das Argument des „actus contrarius“ dürfte nahelegen, die Hinzurechnung trotz zeitlicher Anwendbarkeit des § 3 Nr. 72 EStG ab dem Jahr 2022 noch als steuerpflichtig anzusehen (systematisch-teleologische Auslegung). In diesem Sinne wird auch im BMF-Schreiben vom 17.07.20236 davon ausgegangen, dass die Hinzurechnung des Investitionsabzugsbetrags nach § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG selbst nicht unter die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 72 Satz 1 EStG fällt7.
Der Meinungsstand im Schrifttum ist uneinheitlich und bestätigt die derzeit noch bestehende Unsicherheit der Gesetzesauslegung. Die Frage, wie mit einem Investitionsabzugsbetrag zu verfahren ist, der vor dem 01.01.2022 in Anspruch genommen und noch nicht wieder gewinnerhöhend hinzugerechnet wurde, wird für den Fall, dass nach dem 31.12.2021 in eine nach § 3 Nr. 72 EStG begünstigte Photovoltaikanlage investiert wird, als „äußerst umstritten“ beschrieben8. Zum Teil wird die Auffassung der Finanzverwaltung geteilt9. Die Gegenmeinung hält eine Gewinnkorrektur im Jahr der Anschaffung der Photovoltaikanlage trotz der Einführung des § 3 Nr. 72 EStG für möglich10.
Im Ergebnis ist die den ablehnenden AdV, Beschluss des Finanzgerichts Köln tragende Auffassung, dass der im Jahr 2021 gebildete Investitionsabzugsbetrag unter den Umständen des Streitfalls zwingend im Jahr seines Abzugs rückgängig zu machen ist11, für den Bundesfinanzhof nach der gebotenen summarischen Würdigung ernstlich zweifelhaft. Die Verneinung ernstlicher Zweifel lässt sich insbesondere auch nicht mit dem BFH, Urteil vom 03.12.2019 – X R 11/1912 begründen, da im Streitfall -anders als in dem vom X. Senat entschiedenen Fall- weder der Hinzurechnungszeitraum abgelaufen ist noch beurteilt werden kann, ob eine Hinzurechnung in den drei auf das Abzugsjahr folgenden Wirtschaftsjahren erfolgt ist.
Auf verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrags im Abzugsjahr und auf die Frage, ob insofern ein qualifiziertes Aussetzungsinteresse zu fordern ist13, kommt es hiernach nicht mehr an.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15. Oktober 2024 – III B 24/24 (AdV)
- vgl. zu den allgemeinen Voraussetzungen der AdV z.B. BFH, Beschluss vom 19.03.2014 – III S 22/13, BFH/NV 2014, 856, Rz 17; und BFH, Beschlüsse vom 12.04.2023 – I B 74/22 (AdV), BFHE 280, 181, Rz 13; und vom 07.06.2024 – VIII B 113/23 (AdV), BStBl II 2024, 637, Rz 13 f.[↩]
- BFH, Beschlüsse vom 27.05.2024 – II B 78/23 (AdV), BStBl II 2024, 543, Rz 25; vom 07.06.2024 – VIII B 113/23 (AdV), BStBl II 2024, 637, Rz 14[↩]
- BFH, Beschlüsse vom 12.04.2023 – I B 74/22 (AdV), BFHE 280, 181, Rz 13; vom 07.06.2024 – VIII B 113/23 (AdV), BStBl II 2024, 637, Rz 14[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 29.09.2022 – IV R 18/19, BFHE 278, 273, BStBl II 2023, 326, Rz 25 f.[↩]
- BGBl I 2022, 2294[↩]
- BMF, Schreiben vom 17.07.2023, BStBl I 2023, 1494, Rz 25[↩]
- vgl. BeckOK EStG/Niklaus, 19. Ed. [01.07.2024], EStG § 3 Nr. 72 Rz 26; Perschon, Die Steuerberatung -Stbg- 2023, 47, 51; a.A. Schiffers, DStZ 2023, 11, 16; Schiffers/Seifert, DStZ 2023, 122, 135; Seifert, NWB 2024, 1374, 1382 f.[↩]
- Zapf, juris PraxisReport Steuerrecht -jurisPR-SteuerR- 36/2024 Anm. 4 unter D.[↩]
- Dorn/Isinger, Der Betrieb 2023, 1830; Hennigfeld, EFG 2024, 939, 940; Obermeir, Deutsches Steuerrecht kurzgefasst 2024, 144; Ruiner, Betriebs-Berater 2023, 2269, 2271; Schmidt/Kulosa, EStG, 43. Aufl., § 21 Rz 60; vgl. Nacke, Gestaltende Steuerberatung -GStB- 2024, 246 und Rothe, Finanz-Rundschau 2023, 878, 886, beide mit Hoffnung auf eine Billigkeitsregelung des BMF[↩]
- Fietz/Mayer, NBW 2023, 706, 710 f.; BeckOK EStG/Niklaus, 19. Ed. [01.07.2024], EStG § 3 Nr. 72 Rz 26; Perschon, Stbg 2023, 47, 51; Schiffers, DStZ 2023, 11, 16; Schiffers/Seifert, DStZ 2023, 122, 135; Seifert, NWB 2024, 1374, 1382 f.; kritisch auch Gragert, NWB 2023, 2479, 2486 f., Herold, GStB 2024, 155 und Mücke, NWB 2024, 1060 f. sowie Meyerle, EFG 2024, 962 f., in einer Anmerkung zum Beschluss des Finanzgerichtes Nürnberg vom 01.03.2024 – 5 – V 1163/23, EFG 2024, 955[↩]
- FG Köln, Beschluss vom 14.03.2024 – 7 – V 10/24, EFG 2024, 936[↩]
- BFHE 266, 571, BStBl II 2020, 276 mit Anm. Reddig, jurisPR-SteuerR 22/2020 Anm. 1[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.10.2011 – 1 BvR 1848/11, 1 BvR 2162/11, NJW 2012, 373, Rz 4; und vom 06.05.2013 – 1 BvR 821/13, NVwZ 2013, 935, Rz 7; BFH, Beschlüsse vom 27.05.2024 – II B 78/23 (AdV), BStBl II 2024, 543, Rz 40; und vom 07.06.2024 – VIII B 113/23 (AdV), BStBl II 2024, 637, Rz 59[↩]
Bildnachweis:
- Photovoltaik: skeeze