Aufwendungen für die Beschäftigung von privaten Arbeitskräften durch eine vollstationär untergebrachte Person können nur dann eine außergewöhnliche Belastung darstellen. wenn zusätzliche pflegerische Leistungen notwendig sind, die vom Pflegeheim nicht erbracht werden und für die deshalb noch ambulante Pflegekräfte beschäftigt werden müssen.
Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind, sind aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen1.
In ständiger Rechtsprechung geht der Bundesfinanzhof davon aus, dass Krankheitskosten dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Dies gilt auch für Aufwendungen für die Pflege eines Steuerpflichtigen, der infolge einer Krankheit in einem Pflegeheim untergebracht ist. Es gelten insoweit die allgemeinen Grundsätze über die Abziehbarkeit von Krankheitskosten2.
Die im hier entschiedenen Streitfall angefallenen Aufwendungen für die vollstationäre Unterbringung im Pflegeheim sind außergewöhnliche Belastungen. Anlass und Grund für den Umzug in das Heim war die durch Krankheit eingetretene Pflegebedürftigkeit; es lag somit eine krankheitsbedingte Unterbringung im Pflegeheim vor. Das Finanzamt hat dementsprechend auch die an die Einrichtung geleisteten Beträge für Unterbringung, Verpflegung und Pflege abzüglich des von der Pflegekasse getragenen Kostenanteils und der Haushaltsersparnis dementsprechend als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt.
Die zusätzlich geleisteten Aufwendungen für die Beschäftigung der privaten Arbeitskräfte sind vorliegend dagegen nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. Insoweit fehlte es bereits an einer entsprechenden substantiierten Darlegung.
Zwar ist das Finanzgericht davon ausgegangen, bei der Beschäftigung des „Pflegepersonals“ habe es sich um „Maßnahmen einer Kranken- und Heilbehandlung“ gehandelt. Diese Annahme des Finanzgericht wird indes durch keinerlei Sachverhaltsfeststellungen gestützt. Da insoweit mithin nicht nachvollziehbar ist, wie das Finanzgericht zu dieser Folgerung gelangt ist, ist der Bundesfinanzhof hieran auch ohne entsprechende Rüge nicht nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden3.
Ob und in welchem Umfang ein Steuerpflichtiger der Pflege bedarf, ergibt sich in der Regel aus den Gutachten des Medizinischen Dienstes zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit.
Ausweislich der im Streitfall vorgelegten Gutachten war M zunächst infolge einer ersten Begutachtung seit 2006 in Pflegestufe I eingereiht. Als erforderliche Pflege wurden 100 Minuten pro Tag angesetzt (davon Grundpflege 55 Minuten und Hauswirtschaft 45 Minuten). Die hauswirtschaftliche Versorgung umfasste Einkaufen, Kochen, die Reinigung der Wohnung, Spülen sowie Wäsche und Kleidungspflege. Zur Körperpflege gehörten die Unterstützung oder Teilübernahme bei der Ganzkörperwäsche, Teilwäsche Unterkörper, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Hilfe beim Toilettengang und dergleichen sowie Hilfe bei der Ernährung, Ankleiden, Entkleiden etc. Die Behandlungspflege umfasste eine dreimal tägliche Medikamentenverabreichung.2011 wurde M erneut begutachtet und nun die Pflegestufe II mit der Erforderlichkeit einer vollstationären Unterbringung anerkannt. Der Zeitbedarf für die Körperpflege wurde mit 97 Minuten, bei der Ernährung mit 30 Minuten, für die Mobilität mit 80 Minuten und für die Hauswirtschaft mit 60 Minuten je Tag (insgesamt 267 Minuten) veranschlagt.
Einen atypischen Pflegebedarf lassen die Gutachten nicht erkennen, so dass zunächst davon auszugehen ist, dass das Pflegeheim, in dem M vollstationär untergebracht war, die gesamten pflegerischen Bedarfe sichergestellt hat. Denn unter einer vollstationären Pflege versteht man allgemein die dauerhafte Unterbringung in einer Einrichtung (z.B. einem Pflegeheim), in der die Bewohner Tag und Nacht, d.h. „rund um die Uhr“, betreut werden (vgl. § 71 Abs. 2 SGB XI). Dabei wird die komplette Versorgung inklusive Unterkunft, Verpflegung und Pflege entsprechend der jeweiligen Pflegestufe (seit 1.01.2017: Pflegegrad) übernommen. Die leistungsgerechte Vergütung, die zugelassene Pflegeheime bei stationärer Pflege nach § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XI erhalten, umfasst zudem nicht nur die voll- oder teilstationären Pflegeleistungen, sondern auch die medizinische Behandlungspflege und die soziale Betreuung (§ 84 Abs. 1 SGB XI).
Es mag zwar denkbar sein, dass trotz der Unterbringung in einem Pflegeheim nach § 71 Abs. 2 SGB XI zusätzliche pflegerische Leistungen notwendig sind, die vom Pflegeheim nicht erbracht werden und für die deshalb noch ambulante Pflegekräfte beschäftigt werden müssen. Für diesen Fall hat der Steuerpflichtige aber nachvollziehbar darzulegen und nachzuweisen, welchen pflegerischen Bedarf er hatte, und dass und warum dieser nicht vom Pflegeheim gedeckt werden konnte.
Entsprechendes hat die Steuerpflichtige hier nicht dargetan, obwohl ihr insoweit die Darlegungslast oblag. Sie hat noch nicht einmal die Leistungen der privaten Arbeitskräfte im Einzelnen beschrieben, sondern sich lediglich wiederholt darauf berufen, deren Tätigkeiten seien aufgrund der Schwere der Erkrankung erforderlich gewesen und hätten dazu gedient, diese erträglicher zu machen. Auch aus dem im Einspruchsverfahren vorgelegten privatärztlichen Attest ergibt sich weder ein über den in den Gutachten des Medizinischen Dienstes festgestellten hinausgehender Pflegebedarf noch erschließt sich, zu welchen Pflegeleistungen die privaten Arbeitskräfte -zumal in dem tatsächlich entlohnten Umfang- herangezogen wurden. Der Aufforderung des Finanzamt, eine Bescheinigung der Heimleitung über die Notwendigkeit einer zusätzlichen Pflege vorzulegen, ist sie ebenfalls nicht nachgekommen.
Die bislang vom Finanzamt berücksichtigte zumutbare Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG ist entsprechend den Ausführungen im Urteil des Bundesfinanzhofs vom 19.01.20174 stufenweise zu ermitteln und entsprechend jeweils zu mindern.
- z.B. BFH, Urteile vom 18.04.2002 – III R 15/00, BFHE 199, 135, BStBl II 2003, 70; vom 10.05.2007 – III R 39/05, BFHE 218, 136, BStBl II 2007, 764; vom 25.07.2007 – III R 64/06, BFH/NV 2008, 200[↩]
- BFH, Urteil vom 09.12 2010 – VI R 14/09, BFHE 232, 343, BStBl II 2011, 1011[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 25.06.2003 – X R 72/98, BFHE 202, 514, BStBl II 2004, 403[↩]
- BFH, Urteil vom 19.01.2017 – VI R 75/14, BFHE 256, 339[↩]