Wird ein Drittanfechtungsrecht der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft hinsichtlich der gesonderten Feststellung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos bejaht, ist jedenfalls nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Gesellschafter den sich aus § 166 AO ergebenden Beschränkungen unterworfen sind.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs richtet sich der Feststellungsbescheid gemäß § 27 Abs. 2 KStG ausschließlich gegen die dort genannte Kapitalgesellschaft. Obgleich dem steuerlichen Einlagekonto für die eigene Ertragsbesteuerung der Kapitalgesellschaft keine unmittelbare Bedeutung zukommt, hat der Bundesfinanzhof dieser die Befugnis zuerkannt, gegen den Feststellungsbescheid vorzugehen1. Dieser Bescheid entfaltet über § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG materiell-rechtliche Bindungswirkung auch für die Anteilseigner. Nach dieser Vorschrift gehören Bezüge aus Anteilen an einer Körperschaft nicht zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen, soweit für diese Eigenkapital i.S. des § 27 KStG als verwendet gilt. Tatbestandsmerkmal des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG sind damit die im Bescheid nach § 27 Abs. 2 KStG ausgewiesenen Bestände. Gilt danach das steuerliche Einlagekonto für die Leistung der Körperschaft als verwendet, ist diese Verwendungsfiktion auch auf der Ebene der Gesellschafter zu beachten. Ein Gesellschafter kann sich deshalb nicht mit Erfolg darauf berufen, das steuerliche Einlagekonto sei im Bescheid über die Feststellung des steuerlichen Einlagekontos unzutreffend ausgewiesen2. Ob wegen der bestehenden materiell-rechtlichen Bindungswirkung auch die Gesellschafter der Kapitalgesellschaft neben dieser gegen den Feststellungsbescheid als Drittanfechtungsberechtigte klagen können, hat der Bundesfinanzhof noch nicht entschieden3.
Der hier erkennende I. Senat des Bundesfinanzhofs hat insoweit zwar erhebliche Zweifel, aber selbst wenn ein Drittanfechtungsrecht der Gesellschafter bestünde, so wäre dies jedenfalls den sich aus § 166 AO ergebenden Beschränkungen unterworfen.
Ist die Steuer dem Steuerpflichtigen gegenüber unanfechtbar festgesetzt, so hat dies gemäß § 166 AO neben einem Gesamtrechtsnachfolger auch gegen sich gelten zu lassen, wer in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft eigenen Rechts anzufechten.
Die Voraussetzungen dieser Norm sind erfüllt. Es entspricht allgemeiner Meinung, dass § 166 AO nicht im engeren Sinne allein Steuerfestsetzungen gegenüber dem Steuerpflichtigen erfasst, sondern auf die den Steuerbescheiden grundsätzlich gleichgestellten (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO) Bescheiden über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und deren Adressaten zu erstrecken ist4. Im Streitfall ist somit der gegenüber der C ergangene Bescheid vom 14.06.2016 tatbestandlich erfasst; der Bescheid ist auch unanfechtbar geworden, weil es diesbezüglich auf den Eintritt der formellen Bestandskraft der C „gegenüber“ ankommt5. Die weitere Voraussetzung des § 166 AO („wer in der Lage gewesen wäre, den … Bescheid … kraft eigenen Rechts anzufechten“) erfüllen die Gesellschafter ebenfalls, wenn man ihnen -wie geltend gemacht- die Drittanfechtungsbefugnis zuspricht. Letzteres ist mangels gegenteiliger gesetzlicher Aussagen nicht auf die allgemein anerkannten Fälle des Insolvenzverwalters oder sonstiger Parteien kraft Amtes beschränkt, sondern erfasst allgemein Drittanfechtungsfälle6. Für das Merkmal „in der Lage gewesen wäre“ kommt es im Übrigen nicht darauf an, ob der Dritte rein tatsächlich die Möglichkeit zur Einspruchseinlegung besaß oder ob er Kenntnis vom Inhalt der von § 166 AO vorausgesetzten Steuerfestsetzung oder der Feststellung von Besteuerungsgrundlagen hatte. Vielmehr ist allein auf dessen rechtliche Befugnis abzustellen, aus eigenem Recht einen Bescheid anfechten zu können7.
Die Rechtsfolge des § 166 AO8 besteht darin, dass der Dritte, der von dem ihm zustehenden Anfechtungsrecht bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft des Bescheids nicht Gebrauch macht, die (angebliche) Rechtswidrigkeit des Bescheids -im Streitfall die unzutreffende Höhe des Bestands des steuerlichen Einlagekontos- wegen der sich auf ihn erstreckenden Bestandskraft nicht mehr geltend machen kann. Seine Klage wäre demgemäß abzuweisen. Ob als unzulässig oder unbegründet, ändert nichts an den fehlenden Erfolgsaussichten des Rechtsschutzbegehrens und kann daher für Zwecke der Entscheidung über den AdV-Antrag dahinstehen.
Dass die Gesellschafter den Bescheid hiernach nicht mehr auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüfen lassen können, begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass die Regelung des § 166 AO mit den sich aus Art.19 Abs. 4 GG ergebenden Anforderungen grundsätzlich vereinbar ist9.
Auch mit der Einbeziehung der -vom Bundesfinanzhof unterstellten- Drittanfechtungsbefugnis in den Anwendungsbereich des § 166 AO wird der Rechtsschutz der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft gegenüber dem Feststellungsbescheid gemäß § 27 Abs. 2 KStG nicht in unzumutbarer und durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert.
In erster Linie gebietet es der Sachgrund der Rechtssicherheit, die -vom Bundesfinanzhof im Rahmen des vorliegenden Beschlussverfahrens angenommene- Drittanfechtungsbefugnis der Anteilseigner dem Regime des § 166 AO zu unterwerfen.
Mit der von § 27 Abs. 2 Satz 1 KStG angeordneten gesonderten Feststellung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos und deren Bindungswirkung für die nächstfolgende Feststellung wollte der Gesetzgeber Rechtssicherheit für die regelungsbetroffenen Steuerpflichtigen und den Fiskus herstellen10. § 27 Abs. 2 KStG dient in besonderer Weise der Ordnung der steuerlichen Verhältnisse einer Vielzahl von Betroffenen. Die Gesamtregelung des steuerlichen Einlagekontos in § 27 KStG hat Bedeutung für die Kapitalgesellschaft -insbesondere in ihrer Eigenschaft als potentielle Haftungsschuldnerin11- wie auch für die an ihr beteiligten Gesellschafter, deren Zahl in die Tausende gehen kann, wie das Beispiel großer Aktiengesellschaften zeigt. Mit der gesonderten Feststellung werden jährlich sämtliche Veränderungen des Einlagekontos erfasst und zum Jahresende verbindlich festgeschrieben. Die Bindung des Folgebescheids an den Bescheid des Vorjahres (§ 27 Abs. 2 Satz 2 KStG) sorgt für eine kontinuierliche Festschreibung des Bestands und der unterjährigen Bestandsveränderungen. Ohne diese verfahrensrechtlichen Sicherungen könnte jederzeit auch für weit zurückreichende Besteuerungszeiträume die jeweils maßgebliche Höhe des Einlagekontos in Zweifel gezogen werden. Je nachdem welche und wie viele der potentiell anfechtungsberechtigten Gesellschafter von ihrem Anfechtungsrecht Gebrauch machen, bestünde zudem die Gefahr inhaltlich divergierender Entscheidungen. Dieser Gefahr könnte durch verfahrensrechtliche Sicherungen nicht hinreichend begegnet werden. So hat der Bundesfinanzhof z.B. bereits entschieden, dass die Anfechtung des Feststellungsbescheids gemäß § 27 Abs. 2 KStG durch die Kapitalgesellschaft nach geltender Rechtslage nicht zur notwendigen Beiladung der Gesellschafter führt12. Die Bestandskrafterstreckung gemäß § 166 AO dient somit sowohl der Rechtssicherheit als auch der Rechtsanwendungsgleichheit, indem sie die formelle Bestandskraft des gegenüber der Kapitalgesellschaft ergangenen Feststellungsbescheids auf etwaige Drittanfechtungsberechtigte erstreckt.
Die damit verbundenen Beschränkungen des Primärrechtsschutzes -etwaige sekundärrechtliche Rechtschutzmöglichkeiten gegenüber der Kapitalgesellschaft und deren gesetzliche und bevollmächtigte Vertreter bei Abgabe fehlerhafter Feststellungserklärungen bleiben unberührt- sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) insbesondere bei sog. mehrpoligen Rechtsverhältnissen hinzunehmen13. Ein solches Rechtsverhältnis wird durch den Gesetzgeber in § 27 KStG geordnet, was angesichts der Weite des Kreises der Betroffenen und deren ggf. abweichenden Interessenlagen keiner weiteren Erläuterung bedarf.
Mit der vom Bundesfinanzhof im Streitfall befürworteten Anwendung des § 166 AO wird der Rechtsschutz gegenüber fehlerhaften Feststellungsbescheiden auch nicht in unverhältnismäßiger Weise beschnitten. Diesbezüglich ist vor allem darauf hinzuweisen, dass der Kapitalgesellschaft umfassende Anfechtungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, so dass die von Art.19 Abs. 4 GG gebotene Kontrolle des Verwaltungshandelns dem Grunde nach sichergestellt ist (kein Rechtswegausschluss). So hat der Bundesfinanzhof in seiner Rechtsprechung die Befugnis der Kapitalgesellschaft, gegen den Feststellungsbescheid gemäß § 27 Abs. 2 KStG zu klagen, ausdrücklich bejaht14. Darin unterscheidet sich die Rechtslage erheblich von anderen Konstellationen, in denen der Bundesfinanzhof das Klagerecht eines Dritten anerkannt hat. So ist der von den Gesellschaftern angesprochene Einbringungsfall dadurch gekennzeichnet, dass die das Betriebsvermögen aufnehmende Kapitalgesellschaft den Körperschaftsteuerbescheid, in dem materiell-rechtlich bindend für den Einbringenden der Wertansatz für das eingebrachte Vermögen als „Veräußerungspreis“ festgeschrieben wird, mangels eigener Beschwer nicht anfechten kann15. Es gilt weiterhin zu bedenken, dass das Verhältnis zwischen der Kapitalgesellschaft und ihren Gesellschaftern zwar vom Trennungsprinzip beherrscht wird, doch stehen sich beide Ebenen nicht beziehungslos gegenüber. Vielmehr sind Gesellschaft und Gesellschafter gesellschaftsvertraglich miteinander verbunden und die Gesellschafter können ihre daraus resultierenden Rechte (z.B. Informationsrechte) einsetzen, um die Kapitalgesellschaft zur Einlegung von Einsprüchen gegen vermeintlich rechtswidrige Feststellungsbescheide zu veranlassen.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 10. Dezember 2019 – I B 35/1
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 30.01.2013 – I R 35/11, BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560[↩]
- BFH, Urteil vom 19.05.2010 – I R 51/09, BFHE 230, 128, BStBl II 2014, 937[↩]
- bejahend z.B. Hess. FG, Urteil vom 01.12.2015 – 4 K 1355/13, EFG 2016, 687; Brühl, DStR 2017, 1129; Ott, Steuern und Bilanzen 2018, 273; Streck/Binnewies, KStG, 9. Aufl., § 27 Rz 42; verneinend z.B. Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgericht vom 19.09.2019 – 1 K 73/18, juris; Mössner in Mössner/Seeger, Körperschaftsteuergesetz, 4. Aufl., § 27 Rz 159; Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 27 KStG Rz 113a; wohl auch Wernicke in Lademann, Körperschaftsteuergesetz, § 27 Rz 118; den Streit referierend z.B. Pohl in Micker/Pohl, BeckOK KStG, § 27 Rz 257[↩]
- Klein/Rüsken, AO, 14. Aufl., § 166 Rz 16; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 166 AO Rz 4; Krumm in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 166 AO Rz 11; Oellerich in Gosch, AO § 166 Rz 7; Rosenke in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO, § 166 Rz 21[↩]
- Krumm, a.a.O., Rz 13; Heuermann, a.a.O., Rz 6[↩]
- Krumm, a.a.O., Rz 24[↩]
- zum Vorstehenden z.B. BFH, Urteil vom 20.01.1998 – VII R 80/97, BFH/NV 1998, 814, zu einer steuerfestsetzungsgleichen Lohnsteueranmeldung; Rüsken, a.a.O., Rz 7[↩]
- vgl. Heuermann, a.a.O., Rz 3: „Art Präklusion“[↩]
- Krumm, a.a.O., Rz 3, m.w.N.; Oellerich, a.a.O., Rz 15[↩]
- allgemeine Meinung vgl. BT-Drs. 7/1470, S. 379 und 14/2683, S. 121, zur vergleichbaren Rechtslage bei der früheren gesonderten Feststellung der Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals gemäß § 47 KStG a.F.; Gosch/Bauschatz, KStG, 3. Aufl., § 27 Rz 67; Berninghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, § 27 KStG Rz 81[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560[↩]
- BFH, Beschluss vom 25.09.2018 – I B 49/16, BFH/NV 2019, 288[↩]
- vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 23.05.2006 – 1 BvR 2530/04, BVerfGE 116, 1; Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig, GG, Art.19 Abs. 4 Rz 22[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560[↩]
- BFH, Urteil vom 25.04.2012 – I R 2/11, BFH/NV 2012, 1649, m.w.N.[↩]