Bei sog. Reihengeschäften ist die Prüfung, welche von mehreren Lieferungen über ein und denselben Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat nach § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a Abs. 1 UStG steuerfrei ist, anhand der objektiven Umstände und nicht anhand der Erklärungen der Beteiligten vorzunehmen; Erklärungen des Erwerbers können allerdings im Rahmen der Prüfung des Vertrauensschutzes (§ 6a Abs. 4 UStG) von Bedeutung sein.
Schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte ab und gelangt dieser Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer (Reihengeschäft), ist die Beförderung oder Versendung des Gegenstands nur einer der Lieferungen zuzuordnen. Bei einem innergemeinschaftlichen Reihengeschäft mit drei Beteiligten (A, B und C) und zwei Lieferungen (A an B sowie B an C) setzt die erforderliche Zuordnung der (einen) innergemeinschaftlichen Beförderung oder Versendung des Gegenstands zu einer der beiden Lieferungen eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und insbesondere die Feststellung voraus, ob der Ersterwerber (B) dem Zweiterwerber (C) die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, im Inland übertragen hat.
Dabei kommt es auf die objektiven Umstände an; hiervon abweichende Absichtsbekundungen können im Rahmen der Prüfung des Vertrauensschutzes von Bedeutung sein. Verbleiben nach der erforderlichen Sachverhaltsaufklärung durch das Finanzgericht, bei der insbesondere der Ersterwerber (B) zur Sachverhaltsaufklärung herangezogen werden kann, nicht behebbare Zweifel daran, dass der Ersterwerber (B) dem Zweiterwerber (C) die Verfügungsmacht noch im Inland übertragen hat, ist die Warenbewegung der ersten Lieferung (A an B) zuzuordnen.
Eine umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung setzt u.a. voraus, dass der gelieferte Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union befördert oder versendet wird. Dies festzustellen bereitet insbesondere bei sog. Reihengeschäften immer wieder Schwierigkeiten: Liefert ein Unternehmer (A) Waren an einen anderen Unternehmer (B), der diese an einen dritten Unternehmer (C) weiterliefert, kann nur diejenige Lieferung umsatzsteuerfrei sein, der der Warentransport in den anderen Mitgliedstaat zuzuordnen ist.
Im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall verkaufte eine deutsche GmbH (A) im Jahr 1998 zwei Maschinen an ein US-amerikanisches Unternehmen (B). B teilte A auf Anfrage lediglich die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer eines finnischen Unternehmens (C) mit, an die es die Maschinen weiterverkauft habe. Die Maschinen wurden von einer von B beauftragten Spedition bei A abgeholt und zu C nach Finnland verschifft. Das Finanzamt (Finanzamt) behandelte die Lieferung der A nicht als steuerfrei, weil B keine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer eines Mitgliedstaats der EU verwendet habe.
Nach Ansicht des zuvor auf Vorlage des BFH mit dem Streitfall befassten Gerichtshof der Europäischen Union ist bei sog. Reihengeschäften regelmäßig die Lieferung von A an B umsatzsteuerfrei; anders ist es jedoch, wenn B der C bereits Verfügungsmacht an der Ware verschafft hat, bevor die Ware das Inland verlassen hat. Dies ist anhand aller objektiven Umstände des Einzelfalls und nicht lediglich anhand der Erklärungen des B zu prüfen.
A, das Finanzamt und das Finanzgericht konnten im Nachhinein nicht mehr ermitteln, wann B die Verfügungsmacht an den Waren der C verschafft hatte. Das Finanzgericht gab deshalb der Klage statt. Der BFH bestätigte dieses Ergebnis. § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 1 UStG enthalte die gesetzliche Vermutung, dass im Zweifel die erste Lieferung (von A an B) steuerfrei sei. Diese greife im Streitfall. Trotz der bestehenden praktischen Schwierigkeiten sei nach derzeitiger Rechtslage an den genannten Rechtsgrundsätzen festzuhalten. Eventuelle Rechtsänderungen vorzunehmen sei Aufgabe des Gesetz- oder Richtliniengebers.
Im Rahmen seines Urteils zeigte der BFH außerdem eine für die Unternehmer bestehende Absicherungsmöglichkeit auf: Nach Auffassung des BFH kann sich z.B. A von B versichern lassen, dass B die Befugnis, über den Gegenstand der Lieferung wie ein Eigentümer zu verfügen (Verfügungsmacht), nicht auf einen Dritten übertragen wird, bevor der Gegenstand der Lieferung das Inland verlassen hat. Verstößt B gegen diese Versicherung, kommt die Gewährung von Vertrauensschutz für A in Betracht und B schuldet ggf. die deutsche Umsatzsteuer (§ 6a Abs. 4 UStG).
Eine -gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG umsatzsteuerfreie- innergemeinschaftliche Lieferung liegt nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG vor, wenn der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat (Nr. 1), der Abnehmer ein Unternehmer ist, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat (Nr. 2 Buchst. a), und der Erwerb des Gegenstands der Lieferung beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt (Nr. 3).
Nach § 6a Abs. 3 Satz 1 UStG müssen die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vom Unternehmer nachgewiesen sein.
Dazu ist auf der Grundlage von § 6a Abs. 3 Satz 2 UStG in § 17a Abs. 1 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) in der im Streitjahr geltenden Fassung geregelt worden, dass der Unternehmer bei innergemeinschaftlichen Lieferungen im Geltungsbereich dieser Verordnung durch Belege nachweisen muss, dass er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat; dies muss sich aus den Belegen eindeutig und leicht nachprüfbar ergeben (sog. Belegnachweis).
Ferner bestimmt § 17c Abs. 1 Satz 1 UStDV, dass bei innergemeinschaftlichen Lieferungen der Unternehmer im Geltungsbereich dieser Verordnung die Voraussetzungen der Steuerbefreiung „einschließlich Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers“ buchmäßig nachweisen muss (sog. Buchnachweis). Die Voraussetzungen müssen eindeutig und leicht nachprüfbar aus der Buchführung zu ersehen sein (§ 17c Abs. 1 Satz 2 UStDV).
Die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG beruht auf Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern.
Danach „befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen: a)) die Lieferungen von Gegenständen im Sinne des Artikels 5, die durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb des in Artikel 3 bezeichneten Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, der/die als solcher/solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns des Versands oder der Beförderung der Gegenstände handelt“.
Der Bundesfinanzhof hat zu der streitbefangenen Lieferung im ersten Revisionsverfahren1 bereits Folgendes entschieden: Die Beteiligten haben ein sog. Reihengeschäft (§ 3 Abs. 6 Satz 5 UStG) vorgenommen. Die A-GmbH kann nur dann eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung ausgeführt haben, wenn die innergemeinschaftliche Versendung der Maschinen von Deutschland nach Finnland der ersten Lieferung zwischen der A-GmbH und B zugeordnet werden kann; denn die Beförderung oder Versendung des Gegenstands sei gemäß § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG nur einer der Lieferungen zuzuordnen.
Wird der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer, den Abnehmer oder einen vom Lieferer oder vom Abnehmer beauftragten Dritten befördert oder versendet, gilt die Lieferung nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt (vgl. auch Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG; nun Art. 32 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem -MwStSystRL-). Gemäß § 3 Abs. 7 Satz 2 UStG gilt in den Fällen des § 3 Abs. 6 Satz 5 Folgendes:
- Lieferungen, die der Beförderungs- oder Versendungslieferung vorangehen, gelten dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung des Gegenstandes beginnt.
- Lieferungen, die der Beförderungs- oder Versendungslieferung folgen, gelten dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung des Gegenstandes endet.
§ 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 1 UStG enthält eine gesetzliche Vermutung dahingehend, dass der Ersterwerber bei der Beförderung oder Versendung als Abnehmer der Vorlieferung und nicht als Lieferer an den letzten Abnehmer tätig wird. Die Vermutung kann indes gemäß § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2 UStG widerlegt werden. Zwar ist in der Richtlinie 77/388/EWG keine entsprechende oder eine sonstige Regelung vorgesehen. § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG ist trotz der Rechtsprechung des EuGH zur Maßgeblichkeit der Umstände des Einzelfalls bei der Zuordnung (nur) einer innergemeinschaftlichen Beförderung oder Versendung zu einer von zwei aufeinander folgenden Lieferungen nach wie vor anwendbar, muss aber unionsrechtskonform ausgelegt werden. Der Auffassung, die in § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG enthaltene Vermutung sei unionsrechtswidrig, ist der Bundesfinanzhof nicht gefolgt.
Danach ist die Beförderung oder Versendung entsprechend § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2 UStG nicht der ersten Lieferung zuzuordnen, wenn sich der Nachweis, dass der Ersterwerber den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet hat, aus einer -wie der EuGH2 im Streitfall entschieden hat- umfassenden Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls ergibt, und insbesondere der Zeitpunkt bestimmt wird, zu dem die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, dem Endempfänger übertragen worden ist.
An den genannten Grundsätzen hält der Bundesfinanzhof trotz der in Rechtsprechung und Literatur geäußerten Kritik, der sich sowohl das Finanzamt als auch das Sächsische Finanzgericht in dem angefochtenen Urteil3 angeschlossen haben, fest.
Das Finanzgericht Münster4 hat die Rechtsansicht vertreten, es komme in Fällen der vorliegenden Art allein auf die „Verpflichtung und Absichtsbekundung“ des Zwischenerwerbers an, den Liefergegenstand zu befördern oder zu versenden. Das Sächsische Finanzgericht3 folgt dem im Grundsatz, hat seiner Entscheidung aber gleichwohl (zutreffend) gemäß § 126 Abs. 5 FGO die -davon abweichende- rechtliche Beurteilung des Bundesfinanzhofs in seinem zurückverweisenden Urteil in BFHE 242, 845 zugrunde gelegt6. Auch das Finanzamt hält die Auffassung des Finanzgerichts Münster für zutreffend.
Das Finanzgericht Münster hält die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs für „problematisch“7. Bei grenzüberschreitenden Lieferumsätzen könne der erste Lieferer insbesondere bei Abholfällen regelmäßig nicht beurteilen, ob und wann dem Letztempfänger die Befähigung, wie ein Eigentümer über die Sache zu verfügen, übertragen werde. Mit der Übergabe der Ware habe der erste Lieferer seine vertraglichen Pflichten erfüllt. Der Zwischenerwerber habe regelmäßig weder eine Pflicht noch ein Interesse daran, den ersten Lieferer darüber zu informieren, was er „zu welchen Zeitpunkten mit der Ware macht“. Die Steuerpflicht könne nicht von Umständen abhängen, die weder in der Willens- noch der Wissenssphäre des Liefernden liegen8.
Das Finanzgericht Münster, das Sächsische Finanzgericht und das Finanzamt verkennen nach Ansicht des Bundesfinanzhofs im Rahmen ihrer Analyse, dass es bei der Prüfung der Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung -aus unionsrechtlicher Sicht- auf die objektiven Umstände ankommt9.
Dabei kommt es gerade nicht nur -wie das Finanzgericht Münster und das Sächsische Finanzgericht meinen- auf die „Verpflichtungen und Absichtsbekundungen“ des Lieferers und des Erwerbers an10.
So kann z.B. im Abholfall der Lieferer ebenfalls nicht beurteilen, ob und wann der Gegenstand der Lieferung den Mitgliedstaat physisch verlassen wird. Mit der Übergabe der Ware hat der Unternehmer seine Pflichten an sich erfüllt. Der Zwischenerwerber hat kein Interesse daran, den ersten Lieferer darüber zu informieren, dass der Gegenstand im Inland verbleiben wird. Gleichwohl ist für die Steuerbefreiung des § 6a Abs. 1 UStG, Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG erforderlich, dass der Gegenstand aufgrund dieses Versands oder dieser Beförderung den Liefermitgliedstaat physisch verlassen hat11.
Eine andere, hiervon zu trennende Frage ist es, ob dem Steuerpflichtigen -trotz Nichtvorliegens der objektiven Voraussetzungen der Steuerbefreiung- aufgrund der Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit (im Wege des Vertrauensschutzes) die Steuerbefreiung zu gewähren ist12.
Diese Frage ist nach nationalem Recht nicht im Rahmen des § 6a Abs. 1 UStG, sondern des § 6a Abs. 4 UStG zu prüfen.
Diese Unterscheidung muss auch unionsrechtlich vorgenommen werden, weil die Rechtsfolgen verschieden sind.
Während bei Vorliegen der objektiven Voraussetzungen der innergemeinschaftlichen Lieferung als logische Folge ein innergemeinschaftlicher Erwerb durch den Erwerber im Bestimmungsmitgliedstaat erfolgt13 und zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung der Umsatz des Lieferers steuerfrei zu belassen ist, ist in dem Fall, dass dem Lieferer trotz Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG Vertrauensschutz zu gewähren ist, der Erwerber (hier: B) im Liefermitgliedstaat zur Umsatzsteuer heranzuziehen14.
Daran zeigt sich auch, dass es für die Steuerpflichtigen nicht lediglich um formale Zuordnungen, sondern um „finale Besteuerungswirkungen“ geht15, weil jeder Umsatz für sich zu betrachten ist16. Auch bei Reihengeschäften ist eine klare Abgrenzung der Steuerhoheit der Mitgliedstaaten zu gewährleisten17.
Entgegen der Auffassung des Finanzgericht Münster ist das VSTR, Urteil des Unionsgerichtshofs18 nicht abweichend von dem BFH, Urteil in BFHE 242, 84, BFH/NV 2013, 1524 zu verstehen.
Das Finanzgericht Münster19 hat dazu ausgeführt, der EuGH wolle in Rz 32 und 34 des VSTRUrteils18 die Fallgestaltungen darstellen, in denen die bewegte Lieferung keinesfalls mehr20 bzw. zweifellos21 der ersten Lieferung zugeordnet werden müsse. Aus Rz 32 könne jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass eine Zuordnung der bewegten Lieferung auf den zweiten Liefervorgang nur dann erfolgen könne, wenn die tatsächliche Verfügungsmacht an den Liefergegenständen bereits vor dem Warentransport noch im Herkunftsland auf den Letzterwerber übergegangen sei. Rz 35 des Urteils VSTR des Unionsgerichtshofs18 sei zu entnehmen, „dass eine Zurechnung der bewegten Lieferung zum 2. Umsatzgeschäft auch dann erfolgen kann, wenn der 1. Erwerber dem 1. Lieferer mitteilt, dass er die Ware an einen dritten Unternehmer in einem anderen Land, als dem des 1. Umsatzgeschäfts, weiterverkauft hat“. In Rz 37 des Urteils VSTR stelle der Unionsgerichtshof zwar auf weitere Umstände ab, die eine Zuordnung der bewegten Lieferung möglich machen sollen und nenne in diesem Zusammenhang die Übertragung der tatsächlichen Sachherrschaft auf den Letzterwerber vor der Beförderung. Diese Formulierung könne aber auch so verstanden werden, dass eine bloße „Erklärung“ des Ersterwerbers über den Weiterverkauf der Liefergegenstände an einen dritten Unternehmer nicht ausreichend sein solle. Es müsse vielmehr eine „umfassende Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalles“ erfolgen.
Dieser Auslegung des Urteils VSTR des Unionsgerichtshof18 durch das Finanzgericht Münster liegt zunächst das bereits geschilderte Fehlverständnis zugrunde. Insbesondere sind in dem vom Finanzgericht Münster22 geschilderten Fall, wenn im Ursprungsmitgliedstaat dem zweiten Erwerber noch keine Verfügungsmacht verschafft worden ist, die objektiven Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 Nr. 1 UStG trotz Mitteilung des Weiterverkaufs gegeben und der Umsatz des ersten Lieferers ist -bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG- im Ursprungsmitgliedstaat steuerfrei zu belassen23. Damit geht im Bestimmungsmitgliedstaat der innergemeinschaftliche Erwerb des ersten Erwerbers (und nicht des zweiten Erwerbers) einher24. Das Recht, einen in seinem Hoheitsgebiet erfolgten innergemeinschaftlichen Erwerb des ersten Erwerbers und die anschließende Lieferung an den zweiten Erwerber beim ersten Erwerber zu besteuern, kann dem Bestimmungsmitgliedstaat nicht durch eine (bloße) Absichtsbekundung des ersten Erwerbers entzogen werden25.
Der vom Finanzgericht Münster in seinem Urteil26 vertretenen Auslegung des Urteils VSTR des EuGH stehen vor allem klar Rz 36 und Rz 37 dieses Urteils des Unionsgerichtshofs27 entgegen, in denen der EuGH ausgeführt hat:
„Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens teilweise der letztgenannten Fallgestaltung entsprechen könnte, da Atlantic gegenüber der VSTR-Tochter vor der Beförderung der in Rede stehenden Gegenstände nach Finnland erklärt haben soll, dass die Gegenstände bereits an ein finnisches Unternehmen weiterverkauft worden seien, dessen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer Atlantic der VSTR-Tochter mitgeteilt hat.
Diese Umstände können jedoch für sich allein nicht als Nachweis dafür dienen, dass die Übertragung des Rechts, über die in Rede stehenden Gegenstände wie ein Eigentümer zu verfügen, auf das finnische Unternehmen vor der Beförderung dieser Gegenstände nach Finnland stattgefunden hätte; es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falles zu beurteilen, ob dies der Fall war.“
Diese Ausführungen des Unionsgerichtshofs können nur so verstanden werden, dass eine (bloße) Erklärung des Ersterwerbers B vor der Beförderung der in Rede stehenden Gegenstände nach Finnland gegenüber A, dass die Gegenstände bereits an das finnische Unternehmen C weiterverkauft worden seien, gerade nicht für eine Zurechnung der Beförderung der Gegenstände zur ersten Lieferung ausreicht.
Zudem hat der EuGH in Rz 37 des Urteils VSTR28 den nationalen Gerichten aufgegeben, unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falles zu beurteilen, ob „dies“, das heißt „die Übertragung des Rechts, über die in Rede stehenden Gegenstände wie ein Eigentümer zu verfügen, auf das finnische Unternehmen vor der Beförderung dieser Gegenstände nach Finnland stattgefunden“ hat.
Dies bestätigen auch die Rz 33 und 34 desselben EuGH, Urteils: Der EuGH stellt dort die beiden möglichen Alternativen für die Lösung des Streitfalls dar und grenzt danach ab, in welchem Staat dem Zweiterwerber (C) Verfügungsmacht verschafft wird. Erlangt der Zweiterwerber (C) sie bereits im Inland, kann nur die zweite Lieferung die grenzüberschreitende sein. Umgekehrt kann nur die erste Lieferung die grenzüberschreitende sein, wenn der Zweiterwerber (C) keine Verfügungsmacht im Inland erlangt29.
Aufgrund dieser Erwägungen greift auch der Einwand von Teilen der Literatur, der Bundesfinanzhof habe Rz 37 des EuGH, Urteils VSTR28 „missverstanden“30 nicht durch31.
Soweit in der Literatur der Einwand erhoben wird, der Bundesfinanzhof unterliege einem „Zirkelschluss“, weil aus der Beförderung oder Versendung die Verschaffung der Verfügungsmacht abzuleiten sei und nicht umgekehrt bei Verschaffung der Verfügungsmacht die Rechtsfolgen des § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG ausgelöst werden32, übersieht diese Auffassung, dass es sich bei der Verschaffung der Verfügungsmacht (§ 3 Abs. 1 UStG, Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG, Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL) und der Beförderung bzw. Versendung in den anderen Mitgliedstaat (§ 3 Abs. 6 UStG, Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG, Art. 32 Unterabs. 1 MwStSystRL) um zwei verschiedene Tatbestandsmerkmale der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen handelt33.
Die herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur leitet zwar aus § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG, Art. 8 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG, Art. 32 Unterabs. 1 MwStSystRL ab, diese regelten neben dem Ort auch den Zeitpunkt der Lieferung34. Liegen beide Tatbestandsmerkmale vor, fällt nach dieser Auffassung die Verschaffung der Verfügungsmacht (als erstes Tatbestandsmerkmal) mit dem Beginn der Beförderung oder Versendung (als zweites Tatbestandsmerkmal) zeitlich zusammen.
Trotzdem handelt es sich um verschiedene Tatbestandsmerkmale, die getrennt zu prüfen sind; sonst bedürfte es auch einer Fiktion nicht.
Weder allein der Besitz befähigt den Besitzer35 noch allein die Beförderung eines Gegenstands den Beförderer36 dazu, über Gegenstände wie ein Eigentümer zu verfügen.
Entsprechend ist auch nach Auffassung des Bundesfinanzhofs bei Beförderung oder Versendung von Gegenständen die tatsächliche Verschaffung der Verfügungsmacht und ihr tatsächlicher Zeitpunkt zu prüfen, wenn es um die Entscheidung geht, ob die Warenbewegung der Lieferung zugeordnet werden kann oder nicht37.
Die Auffassung, der Bundesfinanzhof hätte § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG für unionsrechtswidrig erklären sollen38, beachtet nicht hinreichend, dass das in § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG zum Ausdruck kommende Regel-Ausnahme-Verhältnis dem Unionsrecht entspricht.
Auch der EuGH geht -wie übrigens auch Art. 28c Teil E Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt: Art. 141 MwStSystRL) und § 25b Abs. 1 und 3 UStG- davon aus, dass die Zuordnung der Warenbewegung zur ersten Lieferung der Regelfall ist39 und die Zuordnung zur zweiten Lieferung die Ausnahme40.
Deshalb hält der Bundesfinanzhof daran fest, dass § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG unionsrechtskonform ausgelegt werden kann und der in Halbsatz 2 mögliche Gegenbeweis nur unter den im BFH, Urteil in BFHE 242, 84, BFH/NV 2013, 1524, Rz 47 ff. genannten Umständen geführt ist.
Die Kritik, aufgrund dieser Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs und/oder des Bundesfinanzhofs könnten weder die leistenden Unternehmer noch die Finanzverwaltungen rechtssicher beurteilen, welcher Lieferung eine Warenbewegung zuzuordnen ist41, führt ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis.
Zum einen ist eine ggf. vorliegende Unsicherheit bei Beurteilung der Umstände des Einzelfalls im Wesentlichen Folge der Entscheidung des Richtliniengebers, trotz des Wegfalls der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen der Union im innergemeinschaftlichen Warenverkehr am Bestimmungslandprinzip festzuhalten42.
Zum anderen besteht bezüglich der allgemeinen Voraussetzungen für die Annahme einer Lieferung keine Rechtsunsicherheit.
Zu dem Begriff der Lieferung liegt eine ständige Rechtsprechung des EuGH vor43. Der BFH umschreibt diesen Vorgang seit jeher und ebenfalls in ständiger Rechtsprechung als Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag44, ohne damit inhaltlich von der Rechtsprechung des EuGH abzuweichen45. Eine Übertragung der Befugnis, wie ein Eigentümer über einen Gegenstand zu verfügen, kann danach z.B. sowohl in der Eigentumsübertragung auf den Erwerber46 als auch in der freiwilligen Übergabe durch den Eigentümer an den Erwerber47 zu sehen sein.
Ebenso liegt zu den im Rahmen der Beurteilung zu berücksichtigenden Umständen eine ständige Rechtsprechung vor.
Die Frage, ob, wann und wo eine Lieferung erfolgt, d.h. die Befugnis, wie ein Eigentümer über einen Gegenstand zu verfügen, übertragen worden ist, ist von den nationalen Gerichten anhand des gegebenen Sachverhalts zu beurteilen48. Maßgeblich sind die Gesamtumstände des Einzelfalls, d.h. die konkreten vertraglichen Vereinbarungen49 und deren tatsächliche Durchführung unter Berücksichtigung der Interessenlage der Beteiligten50.
Zudem stellen sowohl das nationale Recht als auch die Rechtsprechung des EuGH dem Lieferer Vertrauensschutzregelungen zur Verfügung51.
In diesem Rahmen kann sich der leistende Unternehmer zur Minimierung von Risiken z.B. vom Erwerber versichern lassen, dass der Erwerber die Befugnis, über den Gegenstand der Lieferung wie ein Eigentümer zu verfügen (Verfügungsmacht), nicht auf einen Dritten übertragen wird, bevor der Gegenstand der Lieferung den Liefermitgliedstaat physisch verlassen hat. Dies zu tun (oder nicht), liegt derzeit in seiner unternehmerischen Entscheidung.
Im Übrigen ist es ggf. Aufgabe des Gesetz- oder Verordnungsgebers -über die Vermutungsregelung des § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG und den Belegnachweis des § 17a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 4 UStDV a.F., § 17a Abs. 1 und 2 UStDV i.d.F. ab 1.10.2013 hinaus- durch Änderung des UStG oder der UStDV in den Grenzen des Unionsrechts z.B. andere widerlegbare Vermutungen aufzustellen oder in anderer Form die Bedürfnisse der Praxis zu berücksichtigen (vgl. Art. 28c Teil A Einleitungssatz der Richtlinie 77/388/EWG, Art. 131 MwStSystRL, § 6a Abs. 3 Satz 2 UStG).
Sieht das nationale Recht eines EU-Mitgliedstaats jedoch nur vor, dass die Lieferung nachzuweisen ist, bzw. hängt das Niveau der verlangten Nachweise von den konkreten Umständen des betreffenden Umsatzes ab, sind die Nachweispflichten lediglich nach den im nationalen Recht dafür ausdrücklich vorgesehenen Voraussetzungen und nach der für ähnliche Geschäfte üblichen Praxis zu bestimmen52. Es ist dem BFH weder möglich, Wahlrechte für Unternehmer zu schaffen, die das Unionsrecht nicht vorsieht, noch allgemeine Nachweispflichten für leistende Unternehmer vorzusehen, die das nationale Recht nicht enthält.
Im hier vom Bundesfinanzhof zu beurteilenden Fall war für den Bundesfinanzhof die Entscheidung des Sächsischen Finanzgerichts53, die Warenbewegung sei im Streitfall der Lieferung der Verkäuferin (zivilrechtlich: der A-GmbH) an den Ersterwerber (B) zuzuordnen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Das Finanzgericht konnte nicht feststellen, ob die B der – C-Ltd. (bereits) im Inland die Befähigung übertragen hat, wie ein Eigentümer über die Maschinen zu verfügen.
Es hat zur Begründung ausgeführt, Lieferbedingungen oder der Kaufvertrag könnten nicht vorgelegt werden. Ob ein solcher „als Urkunde“ existiere, habe ebenfalls nicht geklärt werden können. Die A-GmbH komme als Lieferer an die B in Betracht. Für eine Lieferung der B an die – C-Ltd. als der bewegten Lieferung spreche zwar der Umstand, dass die B die Transportverantwortlichkeit und einen Teil der Kosten zu tragen gehabt habe, dass die – C-Ltd. den Kaufpreis vor Beginn der Lieferung am 14.12 1998 gezahlt und dass B der A-GmbH den Verkauf vor diesem Zeitpunkt mitgeteilt habe. In der Gesamtschau der Umstände sei dennoch nicht der Nachweis geführt, dass B die Maschinen als Lieferer befördert habe und die – C-Ltd. die Sachherrschaft bereits vor Beginn der Lieferung habe. Das Finanzgericht lege § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG so aus, dass die gesetzliche Vermutung erst dann erschüttert sei, wenn der Nachweis als Lieferer durch den mittleren Unternehmer auch tatsächlich geführt sei. Bloße Zweifel genügten insoweit nicht. Zur Zuordnung der bewegten Lieferung reiche allein die Mitteilung des Ersterwerbers an den Erstlieferer über einen Weiterverkauf nicht aus.
Diese -von den Rechtsgrundsätzen des zurückverweisenden BFH, Urteils in BFHE 242, 84, BFH/NV 2013, 1524 ausgehende- Würdigung des Finanzgericht ist auf Basis seiner tatsächlichen Feststellungen, die kein Beteiligter mit Verfahrensrügen angegriffen hat, möglich und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze; sie bindet daher gemäß § 118 Abs. 2 FGO den Bundesfinanzhof54; denn wenn sich schon das der Lieferung von B an die – C-Ltd. zugrunde liegende Rechtsverhältnis nicht ermitteln lässt, kann auch nicht beurteilt werden, welche Regelungen zur Verschaffung der Verfügungsmacht darin enthalten waren.
Ferner ist das Finanzgericht zutreffend davon ausgegangen, für den Fall, dass -nach (der von Amts wegen durchzuführenden) Sachverhaltsaufklärung durch das Finanzgericht, bei der Dritte, insbesondere der Ersterwerber, zur Sachverhaltsaufklärung herangezogen werden können (z.B. §§ 93, 97 AO, § 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4, §§ 81, 85 FGO)- Zweifel daran verbleiben, ob der Ersterwerber den Gegenstand „als Lieferer befördert oder versendet hat“ oder nicht, sei nach § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 1 UStG die Warenbewegung der ersten Lieferung zuzuordnen55.
Die regelmäßige Zuordnung der Warenbewegung zur ersten Lieferung, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die einer Zuordnung der innergemeinschaftlichen Warenbewegung zur Lieferung des Erstverkäufers entgegen stehen, entspricht im Übrigen auch der Ansicht des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem Nachfolgeerkenntnis „EMAG Handel Eder“56.
Zwar weist das Finanzamt zu Recht darauf hin, dass auch das Finanzamt von der Vermutung des § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 1 UStG ausgehen dürfe. Deshalb ist auch das Finanzamt -insoweit möglicherweise entgegen der Auffassung des Finanzgericht- nicht generell verpflichtet, den Gegenbeweis des § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2 UStG zu führen, sondern darf ebenfalls (bis Anhaltspunkte vorliegen, dass der tatsächliche Geschehensablauf hiervon abweicht) von der Vermutung des § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 1 UStG ausgehen. Dies hat das Finanzamt sowohl in der Einspruchsentscheidung als auch im Verfahren des ersten Rechtszugs noch getan.
Wenn das Finanzamt jedoch nun im zweiten Rechtszug die Vermutungsregelung nicht mehr angewendet wissen will und geltend macht, die Lieferung der Klägerin sei steuerpflichtig, weil die Warenbewegung der zweiten Lieferung zuzurechnen sei, so ist es an ihm, den Nachweis dieses für ihn günstigen Umstands zu führen.
Ebenso hat das Finanzgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise den Streitfall dahin gehend gewürdigt, dass der innergemeinschaftliche Erwerb der B in Finnland der Erwerbsbesteuerung unterliegt.
Das Finanzgericht hat dazu festgestellt, dass die B nicht unter einer eigenen USt-IdNr. aufgetreten sei und auch keine gehabt habe. Damit habe die A-GmbH auch keine Aufzeichnungspflichten verletzen können. Die A-GmbH habe die USt-IdNr. der – C-Ltd. der Finanzverwaltung mitgeteilt. Des Weiteren habe die A-GmbH redlicherweise alle ihr zumutbaren Maßnahmen zur Mitteilung der Identifikationsnummer der B ergriffen. Dafür spreche insbesondere, dass der Vorgang mit dem zuständigen Sachgebietsleiter des Finanzamt besprochen worden; und vom Außenprüfer nicht beanstandet worden sei. Dem sei das Finanzamt nicht entgegengetreten.
Auch diese Würdigung des Finanzgericht ist aufgrund der von ihm im Urteil festgestellten Tatsachen, insbesondere der dem Finanzgericht vorliegenden Unterlagen zum Ablauf der Bestellung und Lieferung, die sämtlich keine portugiesische USt-IdNr. der B enthalten, sondern die ausdrückliche, schriftliche Mitteilung der USt-IdNr. eines Dritten, sowie aufgrund des Aktenvermerks des Prokuristen der Klägerin zum Inhalt des Gesprächs mit dem Finanzamt, verbunden mit dem Beweisangebot, Prokuristen, Sachgebietsleiter und Außenprüfer als Zeugen zu vernehmen, möglich und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze; sie bindet daher den Bundesfinanzhof (§ 118 Abs. 2 FGO).
Zwar reicht -möglicherweise entgegen der Auffassung des Finanzgericht- allein der Umstand, dass das Finanzamt dem Vortrag der Klägerin nicht entgegen getreten ist, für sich genommen nicht aus, um auf weitere Sachverhaltsaufklärung zu verzichten; denn das zur Ermittlung von Amts wegen verpflichtete Finanzgericht (§ 76 Abs. 1 FGO) muss auch Fragen nachgehen, über welche die Beteiligten nicht streiten, wenn insoweit Zweifel bestehen57.
Jedoch hängen Umfang und Intensität der vom Finanzgericht anzustellenden Ermittlungen auch vom Vortrag und Verhalten der Beteiligten ab; denn das Gericht ist nicht verpflichtet, einen Sachverhalt ohne bestimmten Anlass zu erforschen58.
Hier durfte das Finanzgericht berücksichtigen, dass das Finanzamt trotz der Hinweise des Bundesfinanzhofs im Rahmen der Zurückverweisung hinsichtlich beider Punkte im zweiten Rechtsgang einen abweichenden tatsächlichen Geschehensablauf noch nicht einmal behauptet, geschweige denn beantragt hat, zum Beweis eines abweichenden Geschehensablaufs Beweise zu erheben, z.B. Zeugen zu vernehmen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 25. Februar 2015 – XI R 15/14
- BFH, Urteils in BFHE 242, 84, BFH/NV 2013, 1524[↩]
- Urteil VSTR in HFR 2012, 1212, UR 2012, 832, Rz 32[↩]
- Sächs. Finanzgericht, Urteil vom 12.03.2014 – 2 K 1127/13[↩][↩]
- FG Münster, EFG 2014, 682[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 242, 84, BFH/NV 2013, 1524[↩]
- vgl. MwStR 2014, 619[↩]
- FG Münster, EFG 2014, 682, Rz 35[↩]
- FG Münster, EFG 2014, 682, Rz 36[↩]
- vgl. z.B. EuGH, Urteile vom 27.09.2007 – C-409/04, Teleos u.a., Slg. 2007, I-7797, BStBl II 2009, 70, Rz 39 f.; vom 07.12 2010 – C-285/09, R, Slg. 2010, I-12605, BStBl II 2011, 846, Rz 39; vom 16.12 2010 – C-430/09, Euro Tyre Holding, Slg. 2010, I-13335, UR 2011, 176, Rz 28; VSTR in HFR 2012, 1212, UR 2012, 832, Rz 30, jeweils m.w.N. aus der ständigen Rechtsprechung des EuGH[↩]
- vgl. EuGH, Urteil VSTR in HFR 2012, 1212, UR 2012, 832, Rz 37; Sterzinger, UR 2013, 45, 48[↩]
- EuGH, Urteile Teleos u.a. in Slg. 2007, I-7797, BStBl II 2009, 70, Rz 33 ff., 42; vom 27.09.2007 – C-184/05, Twoh, Slg. 2007, I-7897, BStBl II 2009, 83, Rz 23[↩]
- vgl. EuGH, Urteil Teleos u.a. in Slg. 2007, I-7797, BStBl II 2009, 70, Rz 43 ff.[↩]
- EuGH, Urteile Teleos u.a. in Slg. 2007, I-7797, BStBl II 2009, 70, Rz 24, 26 f., 36 f., 41 f.; vom 27.09.2007 – C-146/05, Collée, Slg. 2007, I-7861, BStBl II 2009, 78, Rz 23; vom 18.11.2010 – C-84/09, X, Slg. 2010, I-11645, UR 2011, 103, Rz 28; vom 06.09.2012 – C-273/11, Mecsek-Gabona, HFR 2012, 1121, UR 2012, 796, Rz 29[↩]
- EuGH, Urteil Teleos u.a. in Slg. 2007, I-7797, BStBl II 2009, 70, Rz 67; in Deutschland umgesetzt durch § 6a Abs. 4 Satz 2 UStG; insoweit zutreffend aus österreichischer Sicht Schwab, Österreichische Steuerzeitung 2014, 32, 35[↩]
- a.A. Prätzler, juris PraxisReport Steuerrecht 34/2014, Nr. 6, unter D.[↩]
- vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 12.01.2006 – C-484/03 u.a., Optigen, Slg. 2006, I-483, BFH/NV Beilage 2006, 144, Rz 47[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 06.04.2006 – C-245/04, EMAG Handel Eder, Slg. 2006, I-3227, BFH/NV Beilage 2006, 294, Rz 26 ff., 40 ff.[↩]
- EuGH, Urteil VSTR in HFR 2012, 1212, UR 2012, 832[↩][↩][↩][↩]
- FG Münster EFG 2014, 682, Rz 35 ff.[↩]
- EuGH, aaO, Rz 32[↩]
- EuGH, aaO, Rz 34[↩]
- FG Münster, EFG 2014, 682, Rz 38[↩]
- vgl. EuGH, Urteil Collée in Slg. 2007, I-7861, BStBl II 2009, 78, Rz 30[↩]
- vgl. allgemein z.B. EuGH, Urteil „X“ in Slg. 2010, I-11645, UR 2011, 103, Rz 27[↩]
- vgl. auch BFH, Urteil vom 21.01.2015 – XI R 5/13, Rz 35 f., m.w.N.[↩]
- FG Münster, EFG 2014, 682, Rz 37 ff.[↩]
- EuGH, Urteils VSTR in HFR 2012, 1212, UR 2012, 832[↩]
- EuGH, HFR 2012, 1212, UR 2012, 832[↩][↩]
- ebenso z.B. Ismer/Pull, MwStR 2014, 152, 154[↩]
- Nieskens, DB 2013, 1872, 1874[↩]
- das Verständnis des Bundesfinanzhofs teilend z.B. Prätzler, DB 2012, 2654, 2658 f.; Bürger, UR 2012, 941, 944; von Streit, UStB 2013, 47, 50, 54; Meurer, Steuerberater Woche 2013, 76, 82; Sterzinger, UR 2013, 45, 48; Matheis/Kandlhofer, UVR 2013, 380, 384; Ismer/Pull, MwStR 2014, 152; Looks, MwStR 2015, 52, 54[↩]
- Hiller, MwStR 2013, 652, 654 f.; Nieskens, DB 2013, 1872; Nieskens, UR 2013, 823, 824 ff.; Nieskens/Heinrichshofen/Matheis, UR 2014, 513, 516; Sterzinger, NWB 2013, 4028, 4033[↩]
- vgl. zu den Tatbestandsmerkmalen neben Rz 29 des EuGH, Urteils Euro Tyre Holding in Slg. 2010, I-13335, UR 2011, 176, und Rz 30 des EuGH, Urteils VSTR in HFR 2012, 1212, UR 2012, 832; aus neuerer Zeit EuGH, Urteil vom 09.10.2014 – C-492/13, Traum, HFR 2014, 1131, UR 2014, 943, Rz 24 und 25[↩]
- BFH, Urteil vom 06.12 2007 – V R 24/05, BFHE 219, 476, BStBl II 2009, 490, unter II. 1.b, m.w.N. zur herrschenden Meinung in der Literatur; Abschn. 13.01. Abs. 2 Satz 2 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses; a.A. z.B. Frye, UR 2013, 889, 892 ff.; Michl in Offerhaus/Söhn/Lange, § 3 UStG Rz 11, 115; wohl auch Ismer/Pull, MwStR 2014, 152, 155[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 14.07.2005 – C-435/03, British American Tobacco International Ltd., Slg. 2005, I-7077, BFH/NV Beilage 2005, 332, Rz 36[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 03.06.2010 – C-237/09, De Fruytier, Slg. 2010, I-4985, HFR 2010, 892, Rz 25[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 219, 476, BStBl II 2009, 490, unter II. 1.e, zum Kauf auf Probe: Verschaffung der Verfügungsmacht nach Beförderung als Lieferung i.S. des § 3 Abs. 7 UStG; Ismer/Pull, MwStR 2014, 152, 153 f.; ebenso möglicherweise früher noch Nieskens, UR 2012, 17, 21[↩]
- so z.B. Weymüller, MwStR 2014, 623, 624; ebenso im Ergebnis bereits von Streit, UStB 2013, 47, 49; zweifelnd Kettisch, UR 2014, 593, 605 f.[↩]
- EuGH, Urteile Euro Tyre Holding in Slg. 2010, I-13335, UR 2011, 176, Rz 32; VSTR in HFR 2012, 1212, UR 2012, 832, Rz 32[↩]
- EuGH, Urteile Euro Tyre Holding in Slg. 2010, I-13335, UR 2011, 176, Rz 33; VSTR in HFR 2012, 1212, UR 2012, 832, Rz 33[↩]
- Büchter-Hole, EFG 2014, 684; Herzing, Steuerrecht kurzgefasst 2013, 433; Höink/Forster, DB 2014, 1896; Meurer, MwStR 2013, 555; Nieskens/Heinrichshofen/Matheis, UR 2014, 513; dies., Deutsches Steuerrecht -DStR- 2014, 1368; dies., UVR 2014, 249; Slapio in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 64 Rz 137; Sterzinger, NWB 2013, 4028, 4032 f.; Wäger, UR 2014, 81, 101; Winter, DStR 2013, 1979, 1980 f.; s. auch zu Unklarheiten im Vereinigten Königreich Lang-Horgan, MwStR 2013, 394, 395 f.; zur unterschiedlichen Beurteilung von Reihengeschäften durch die Finanzverwaltungen der Mitgliedstaaten s. auch Bericht Nr. 29 der „VAT Expert Group“ der EU vom 13.01.2014, taxud.c.1(2014)83538, abrufbar auf der Internetseite der EU, Tz.06.2 und Anlage 3, sowie Körner, MwStR 2014, 763[↩]
- vgl. dazu EuGH, Urteile Teleos u.a. in Slg. 2007, I-7797, BStBl II 2009, 70, Rz 21 f.; Mecsek-Gabona in HFR 2012, 1121, UR 2012, 796, Rz 34 f.[↩]
- neben den genannten Urteilen z.B. auch vgl. EuGH, Urteile vom 06.02.2003 – C-185/01, Auto Lease Holland BV, Slg. 2003, I-1317, BFH/NV Beilage 2003, 108, BStBl II 2004, 573, Rz 31 ff.; vom 21.04.2005 – C-25/03, HE, Slg. 2005, I-3123, BStBl II 2007, 24, Rz 64; vom 29.03.2007 – C-111/05, Aktiebolaget NN, Slg. 2007, I-2697, UR 2007, 420, Rz 32[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 24.04.1969 – V 176/64, BFHE 95, 410, BStBl II 1969, 451; vom 20.02.1986 – V R 133/75, BFH/NV 1986, 311; vom 29.09.1987 – X R 13/81, BFHE 151, 469, BStBl II 1988, 153; vom 16.04.2008 – XI R 56/06, BFHE 221, 475, BStBl II 2008, 909[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 16.04.1997 – XI R 87/96, BFHE 182, 444, BStBl II 1997, 585, unter II. 6.; vom 08.09.2011 – V R 43/10, BFHE 235, 501, BStBl II 2014, 203, unter II. 1.[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 242, 84, BFH/NV 2013, 1524, Rz 72, m.w.N.; Kettisch, UR 2014, 593, 600[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 21.11.2013 – C-494/12, Dixons, HFR 2014, 84, MwStR 2013, 774, Rz 23 f., 27 f.[↩]
- vgl. EuGH, Urteile vom 08.02.1990 – C-320/88, Shipping and Forwarding Enterprise Safe, Slg. 1990, I-285, Rz 7 f., 13; vom 15.12 2005 – C-63/04, Centralan Property, Slg. 2005, I-11087, BFH/NV Beilage 2006, 136, Rz 60 ff., 63; vom 16.02.2012 – C-118/11, Eon Aset Menidjmunt, HFR 2012, 454, UR 2012, 230, Rz 38 ff., 41; vom 18.07.2013 – C-78/12, Evita-K, HFR 2013, 857, UR 2014, 475, Rz 33 bis 35[↩]
- vgl. dazu z.B. Ismer/Pull, MwStR 2014, 152, 155, unter 3.02.1[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 09.02.2006 – V R 22/03, BFHE 213, 83, BStBl II 2006, 727; in BFHE 221, 475, BStBl II 2008, 909; s. auch BFH, Beschluss vom 31.01.2002 – V B 108/01, BFHE 198, 208, BStBl II 2004, 622[↩]
- vgl. die Ausführungen unter II. 3.a cc; s. auch Ismer/Pull, MwStR 2014, 152, 157[↩]
- EuGH, Urteil Mecsek-Gabona in HFR 2012, 1121, UR 2012, 796, Rz 37 f.[↩]
- Sächsisches FG, aaO[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 11.08.2011 – V R 50/09, BFHE 235, 32, BStBl II 2012, 151, Rz 27; vom 13.11.2013 – XI R 24/11, BFHE 243, 471, BFH/NV 2014, 471[↩]
- ebenso Szabo/Tausch/Kraeusel, UVR 2013, 280, 282; a.A. Nieskens, UR 2013, 823, 826[↩]
- österr. VGH, Erkenntnis vom 25.06.2007 – 2006/14/0107, a.E.[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 17.05.1995 – X R 185/93, BFH/NV 1995, 1076[↩]
- vgl. z.B. BFH, Beschluss vom 22.08.2006 – I B 21/06, BFH/NV 2007, 10, m.w.N.[↩]