Das Opfer als einzige Belastungszeugin

An die Darstellung der Überzeugungsbildung im Urteil sind dann besondere Anforderungen zu stellen, wenn das Tatgericht seine Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen allein auf die Angaben des Geschädigten stützt.

Das Opfer als einzige Belastungszeugin

In einer solchen Konstellation, in der die Entscheidung im Wesentlichen davon abhängt, ob das Gericht den Angaben des einzigen Belastungszeugen folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat.

Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn die Aussage des Belastungszeugen in einem wesentlichen Detail als bewusst falsch anzusehen ist1.

Diese Darlegungsanforderungen erfüllt das hier vom Bundesgerichtshof aufgehobene landgerichtliche Urteil nicht.: Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass die Nebenklägerin bei ihrer ersten Vernehmung in der Hauptverhandlung wahrheitswidrig in Abrede gestellt hatte, Nacktfotos in ihren „Facebook-Account“ eingestellt zu haben. Soweit die Strafkammer in Übereinstimmung mit der Sachverständigen die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin durch diese Unwahrheit nicht in Frage gestellt sieht, weil der Vorfall für die Zeugin sehr schambesetzt gewesen und die Verneinung von Tatsachen die einfachste Form der Lüge sei, aus der auf eine Neigung zur Erfindung komplexer Sachverhalte wie der beschriebenen Tat nicht geschlossen werden müsse, begegnet dies zwar noch keinen rechtlichen Bedenken. Ein Darlegungsmangel liegt aber insoweit vor, als das Landgericht sich nicht weiter mit der Schilderung der Nebenklägerin auseinandersetzt, die einen in ihrer Gegenwart vorgenommenen sexuellen Übergriff des Angeklagten auf eine andere Geschädigte behauptet hat, der von dieser als Zeugin in der Hauptverhandlung nicht bestätigt worden war. Die Strafkammer lässt offen, ob sie von der Unwahrheit dieser Angaben der Nebenklägerin ausgeht und führt lediglich an, nach Auffassung der Sachverständigen ergebe die Erfindung einer solchen Geschichte hinsichtlich der Hypothese einer gezielten Mehrbelastung des Angeklagten keinen Sinn. Dies genügt im Hinblick auf die besondere Beweiskonstellation nicht. Vielmehr hätte sich die Strafkammer zunächst eine Überzeugung darüber verschaffen müssen, ob sie den Schilderungen der Nebenklägerin insoweit trotz der gegenteiligen Angaben der möglicherweise Geschädigten glaubt. Denn wenn die Nebenklägerin auch insoweit die Unwahrheit gesagt haben sollte, hätte sie sich mit diesen Angaben nicht auf das Verneinen einer Frage als der „einfachsten Form der Lüge“ beschränkt, sondern wahrheitswidrig eine Begebenheit geschildert, mit der sie den Angeklagten zu Unrecht – zusätzlich – belastet hätte. Dann hätte es aber einer eingehenden Erörterung bedurft, weshalb sie der Nebenklägerin zum Tatvorwurf dennoch Glauben schenkt.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 8. März 2016 – 3 StR 18/16

  1. BGH, Urteile vom 29.07.1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 159; vom 17.11.1998 – 1 StR 450/98, BGHSt 44, 256; vom 12.11.2003 – 2 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 87; Beschluss vom 19.11.2014 – 4 StR 427/14, NStZ 2015, 602, 603[]