Der Bundesgerichtshof hat das Urteil gegen den „Ideengeber“ und „Initiator“ der Cum-Ex-Geschäften eines Hamburger Privatbankhauses bestätigt.
Das Landgericht Bonn hat den Angeklagten im Zusammenhang mit sog. Cum-Ex-Geschäften wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt1. Nach den Feststellungen des Landgerichts initiierte der Angeklagte die von dem Bankhaus W. in den Jahren 2007 bis 2011 durchgeführten Cum-Ex-Geschäfte und beteiligte sich an diesen nicht nur als Rechts- und Steuerberater, sondern auch als „Strategieberater“. Die über Eigenhandel und Fonds abgewickelten Geschäfte zielten darauf ab, deutsche Finanzbehörden zur Erstattung angeblich gezahlter Kapitalertragsteuer in Millionenhöhe zu veranlassen, obwohl diese zuvor nicht entrichtet worden war.
Die Körperschaftsteuererklärungen und Erstattungsanträge, die falsche Angaben zu – tatsächlich nicht bestehenden – Steuererstattungsansprüchen enthielten, unterzeichnete der Angeklagte zwar nicht selbst; in seiner Funktion als Ideengeber, Initiator und Berater wirkte er jedoch als Schlüsselfigur bei der Planung und Umsetzung der Cum-Ex-Transaktionen mit. Gemeinsam mit anderen erreichte der Angeklagte, dass die zuständigen Finanzbehörden zu Unrecht insgesamt über 275 Mio. € auszahlten. Der Angeklagte profitierte von diesen Geschäften insgesamt in Höhe von rund 13, 6 Mio. €; dieser Betrag wurde in dem landgerichtlichen Urteil eingezogen.
Der Bundesgerichtshof hat die auf Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten im Beschlusswege verworfen. Insbesondere stand der Verurteilung des von der Schweiz ausgelieferten Angeklagten kein Verfolgungsverbot entgegen. Die Auslieferungsbewilligung umfasste die Taten, wegen derer der Angeklagte verurteilt wurde.
Kein Verfahrenshindernis wegen der Auslieferung
Ein Verfahrenshindernis steht der Verurteilung nicht entgegen. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen der Taten verurteilt, die der Auslieferung zugrunde lagen.
Nach Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk darf der Ausgelieferte wegen einer anderen, vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Auslieferung zugrunde liegt, nur abgeurteilt werden, wenn der Staat, der ihn ausgeliefert hat, zustimmt (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EuAlÜbk) oder wenn nach Verstreichen der Schonfrist des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Eine „andere Tat“ ist nicht anzunehmen, wenn sich die Angaben in der Auslieferungsbewilligung und diejenigen im späteren Urteil hinreichend entsprechen2. Der dem Spezialitätsgrundsatz zugrunde liegende Tatbegriff umfasst den gesamten dem ausliefernden Staat mitgeteilten Lebenssachverhalt, innerhalb dessen der Verfolgte einen oder mehrere Straftatbestände erfüllt haben soll3. Zwar sind die Gerichte des ersuchenden Staates im Rahmen dieses historischen Vorgangs nicht gehindert, die Tat abweichend rechtlich oder tatsächlich zu würdigen; dies setzt aber voraus, dass insofern ebenfalls Auslieferungsfähigkeit besteht. Eine Änderung in der Rechtsauffassung berührt die Hoheitsinteressen des um Auslieferung ersuchten Staates regelmäßig nicht4.
Nach diesen Grundsätzen besteht – anders als die Revision meint – im Hinblick auf den Grundsatz der Spezialität kein Verfahrenshindernis. Der der Verurteilung zugrunde liegende Lebenssachverhalt entspricht demjenigen, der dem ersuchten Staat in dem ausschließlich auf den Vorwurf der Steuerhinterziehung gestützten Auslieferungsersuchen mitgeteilt und auf dessen Grundlage die Auslieferung des Angeklagten bewilligt wurde. Die Erwähnung der arglistigen Täuschung von Anlegern in dem mit dem Auslieferungsersuchen vom 23.02.2021 übersandten Haftbefehl des Landgerichts B. vom 25. Novem- ber 2020 lässt die Identität der Tat unberührt. Denn die durch spätere Beschwerdeentscheidungen bestätigte Auslieferungsbewilligung der Schweiz wurde allein auf den Vorwurf gestützt, dass der Angeklagte aus eigenem Antrieb gemäß vorgefasster Bereicherungsabsicht ein raffiniertes System aufgebaut habe, um mit der Einreichung von fingierten Kapitalertragsteuerbescheinigungen ungerechtfertigte Rückerstattungen durch den deutschen Staat in Millionenhöhe zu erschleichen und somit das fiskalische Rückerstattungssystem der deutschen Kapitalertragsteuer planmäßig auszunutzen. Die arglistige Täuschung der Fondsanleger war – wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat – für die Auslieferungsbewilligung ohne Belang.
Dass das im Auslieferungsersuchen beschriebene Verhalten des Angeklagten nach den Wertungen der Auslieferungsbewilligung nicht dem Tatbestand des dem schweizerischen Fiskalstrafrecht zuzuordnenden Abgabebetrugs unterfällt, weil der Angeklagte nicht „von ihm selbst geschuldete Steuern durch unrichtige Angaben (Steuerhinterziehung) oder arglistige Machenschaften (Steuerbetrug) im Veranlagungsverfahren verkürzt“ habe, sondern dem gemeinrechtlichen Betrug im Sinne des Art. 146 des schweizerischen Strafgesetzbuchs, ist unerheblich. Für die Wahrung der Identität der Tat ist weder erforderlich, dass der Straftatbestand im Recht des ersuchten Staates seiner Bezeichnung nach dem des ersuchenden Staates entspricht, noch kommt es darauf an, dass er nach seinen Tatbestandsmerkmalen vergleichbar ist5. Die Rechtmäßigkeit der Auslieferung durch ein anderes Land ist – verfassungsrechtlich unbedenklich6 – von inländischen Gerichten nicht zu überprüfen7. Fragen der Auslegung und Anwendung des schweizerischen Rechts muss der Bundesgerichtshof daher genauso wenig nachgehen wie der Frage, ob die Schweiz den Angeklagten auch ausgeliefert hätte, wenn sie das ihm vorgeworfene Verhalten allein als fiskalische strafbare Handlung (vgl. Art. 5 EuAlÜbk) gewertet hätte.
Entgegen der Revision ist auch der Fall einer abweichenden rechtlichen Würdigung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 EuAlÜbk nicht gegeben. Die rechtliche Würdigung als Steuerhinterziehung (§ 370 AO) ist gegenüber dem Auslieferungsersuchen unverändert. Einwendungen, die allein das gegen den Angeklagten wegen eines anderen Sachverhalts vor dem Landgericht W. geführte Steuerstrafverfahren und das dortige Auslieferungsverfahren betreffen, bedürfen hier keiner Erörterung.
Cum-Ex als Kapitalsteuerhinterziehung
Auch die sachlichrechtlichen Einwendungen der Revision gehen fehl.
Die Revision meint, die nach den Feststellungen des Landgerichts unrichtigen Angaben zur einbehaltenen Kapitalertragsteuer seien nicht steuerlich erheblich im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Sie geht davon aus, die Finanzbehörden hätten schon aufgrund der Bezugnahme auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG erkennen müssen, dass keine Kapitalertragsteuer hätte angerechnet werden dürfen. Diese Auffassung trifft nicht zu. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 28.07.2021 – 1 StR 519/20, BGHSt 66, 182 nicht ausgeführt, dass bei Dividendenkompensationszahlungen eine Kapitalertragsteuererstattung schlechthin ausgeschlossen ist. Vielmehr waren derartige Zahlungen gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG (in der für die VZ 20072011 geltenden Fassung) – ebenso wie Dividenden – der Erhebung von Körperschaftsteuer durch Steuerabzug in Form von Kapitalertragsteuern nebst Solidaritätszuschlag unterworfen, welche grundsätzlich zur Anrechnung gebracht werden konnten. Indes fehlte es in den hier wie in den der Grundsatzentscheidung zugrunde liegenden Fällen an der im Gesetz (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 31 KStG [in der für die VZ 20072011 geltenden Fassung] bzw. § 11 Abs. 2 Satz 1 InvStG [in der für die VZ 2009, 2010 geltenden Fassung]) vorausgesetzten Erhebung von Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag auf die Dividendenkompensationszahlungen, so dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Steueranrechnung nicht erfüllt waren8.
Eine Divergenz zu der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs besteht nicht. In dem Urteil vom 02.02.20229 hat sich der Bundesfinanzhof vielmehr ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bezogen und die darin aufgestellten Grundsätze bestätigt. Das Revisionsvorbringen gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Das von der Revision angeführte Urteil vom 15.11.2022 ((BGH, Urteil vom 15.11.2022 – VIII R 21/19, BFHE 278, 501 erging zu einem anders gelagerten Sachverhalt und zu § 20 Abs. 2 EStG, sodass eine Divergenz von vornherein ausscheidet.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20. September 2023 – 1 StR 187/23
- LG Bonn, Urteil vom 13.12.2022 – 62 KLs – 213 Js 116/20 – 2/20[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 02.11.2010 – 1 StR 544/09 Rn. 14; und vom 04.12.2013 – 1 StR 106/13, BGHSt 59, 105 Rn. 14[↩]
- st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 09.02.2012 – 1 StR 152/11 Rn. 15[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 09.02.2012 – 1 StR 148/11, BGHSt 57, 138 Rn. 14; und vom 02.11.2010 – 1 StR 544/09 Rn. 13[↩]
- vgl. auch BGH, Beschluss vom 04.12.2013 – 1 StR 106/13, BGHSt 59, 105 Rn. 16[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.10.1977 – 2 BvR 631/77, BVerfGE 46, 214, 219[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 16.01.1963 – 2 StR 398/62, BGHSt 18, 218, 220[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 28.07.2021 – 1 StR 519/20, BGHSt 66, 182 Rn. 62 ff.[↩]
- BGH, Urteil vom 02.02.2022 – I R 22/20, BFHE 276, 20[↩]
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