Ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1 KraftStDV führt nicht zur Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, weil die Regelung der steuerlichen Erklärungspflicht allein in § 15 Abs. 1 KraftStDV den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG nicht genügt.
Nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO macht sich strafbar, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt. Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kann danach nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist1. Dabei können sich Offenbarungspflichten sowohl aus den gesetzlich besonders festgelegten steuerlichen Erklärungspflichten wie auch aus allgemeinen Garantenpflichten ergeben, die allerdings nur eine untergeordnete Rolle spielen2.
Das Kraftfahrzeugsteuergesetz enthält keine Erklärungspflicht. Eine solche folgt allein aus der aufgrund der Verordnungsermächtigung des § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG mit Wirkung zum 20.07.2017 in Kraft getretenen Regelung in § 15 Abs. 1 KraftStDV3. Nach dieser Vorschrift hat bei widerrechtlicher Benutzung nach § 2 Abs. 5 KraftStG die Person, die das Fahrzeug im Inland benutzt, unverzüglich eine Steuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck beim zuständigen Hauptzollamt abzugeben.
Ob ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1 KraftStDV zu einer Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO führen kann, hat der Bundesgerichtshof bislang dahinstehen lassen4. In der Literatur wird dies unterschiedlich beurteilt.
Teilweise wird dies angenommen5. Die Regelung der Durchführungsverordnung genüge den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Insbesondere bestimme das Kraftfahrzeugsteuergesetz zumindest im Zuge einer Auslegung hinreichend deutlich und vorhersehbar, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von der Verordnungsermächtigung des § 15 Abs. 1 KraftStG Gebrauch gemacht werden und welchen Inhalt die Verordnung haben könne6.
Nach anderer Auffassung kann die allein in der Durchführungsverordnung geregelte Erklärungspflicht keine Pflicht im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begründen7. Da das Kraftfahrzeugsteuergesetz selbst nicht bestimme, ob überhaupt und gegebenenfalls durch wen eine Steuererklärung abzugeben sei, habe es letztlich allein der Verordnungsgeber in der Hand zu entscheiden, ob bei der widerrechtlichen Benutzung von Kraftfahrzeugen eine Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO gegeben sei. Dies genüge den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht8.
Mitunter wird die Frage der Tatbestandsmäßigkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in Verbindung mit § 15 Abs. 1 KraftStDV offengelassen9.
Ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1 KraftStDV führt nicht zur Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Denn die Regelung der steuerlichen Erklärungspflicht allein in § 15 Abs. 1 KraftStDV genügt nicht den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG. Zudem dürfte § 15 Abs. 1 KraftStDV in der Verordnungsermächtigung des § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG keine im Sinne des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG hinreichende Grundlage finden.
Steuerstrafrecht, 5. Aufl., Kap. 23 Rn. 382)). Da das Kraftfahrzeugsteuergesetz selbst nicht bestimme, ob überhaupt und gegebenenfalls durch wen eine Steuererklärung abzugeben sei, habe es letztlich allein der Verordnungsgeber in der Hand zu entscheiden, ob bei der widerrechtlichen Benutzung von Kraftfahrzeugen eine Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO gegeben sei. Dies genüge den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht8.
Mitunter wird die Frage der Tatbestandsmäßigkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in Verbindung mit § 15 Abs. 1 KraftStDV offengelassen9.
Ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1 KraftStDV führt nicht zur Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Denn die Regelung der steuerlichen Erklärungspflicht allein in § 15 Abs. 1 KraftStDV genügt nicht den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG (a). Zudem dürfte § 15 Abs. 1 KraftStDV in der Verordnungsermächtigung des § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG keine im Sinne des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG hinreichende Grundlage finden (b).
Eine Strafbarkeit gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in Verbindung mit § 15 Abs. 1 KraftStDV wäre mit den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar.
Dem in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Bestimmtheitsgebot genügen Blankettstrafgesetze nur dann, wenn sich die möglichen Fälle der Strafbarkeit schon aufgrund des Gesetzes voraussehen lassen, die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe also bereits entweder im Blankettstrafgesetz selbst oder in einem in Bezug genommenen Gesetz hinreichend deutlich umschrieben sind. Zudem müssen neben der Blankettstrafnorm auch die sie ausfüllenden Vorschriften die sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebenden Anforderungen erfüllen10.
Legt die Blankettstrafnorm nicht vollständig selbst oder durch Verweis auf ein anderes Gesetz fest, welches Verhalten durch sie bewehrt werden soll, sondern erfolgt dies erst durch eine nationale Rechtsverordnung, auf die verwiesen wird, müssen daher nach Art. 103 Abs. 2 GG und ? soweit Freiheitsstrafe angedroht wird ? in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe für den Bürger schon aufgrund des Gesetzes und nicht erst aufgrund der hierauf gestützten Rechtsverordnung vorhersehbar sein. Um den Grundsatz der Gewaltenteilung zu wahren, darf dem Verordnungsgeber lediglich die Konkretisierung des Straftatbestandes eingeräumt werden, nicht aber die Entscheidung darüber, welches Verhalten als Straftat geahndet werden soll11.
Die Erklärungspflicht als Voraussetzung der Strafbarkeit gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist für den Bürger nicht schon aufgrund des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vorhersehbar; sie wird vielmehr erst aus § 15 KraftStDV deutlich.
Das Kraftfahrzeugsteuergesetz sieht keine Erklärungspflicht vor. Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG wird das Bundesministerium für Finanzen ermächtigt, Rechtsverordnungen zu erlassen über „das Besteuerungsverfahren, insbesondere die Berechnung der Steuer und die Änderung von Steuerfestsetzungen, sowie die von den Steuerpflichtigen zu erfüllenden Pflichten und die Mitwirkungspflicht Dritter“. Damit wird dem Normadressaten nicht erkennbar vor Augen geführt, dass der Gesetzgeber von einer Erklärungspflicht ausgeht und nur deren weitere Ausgestaltung dem Verordnungsgeber überlassen wollte. Aus dem Wortlaut der Regelung in § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG ergibt sich eine Erklärungspflicht nicht. Dieser erstreckt sich zwar auf die „von den Steuerpflichtigen zu erfüllenden Pflichten“. Um welche Pflichten es sich dabei handelt, ergibt sich aber weder aus der Vorschrift selbst noch aus ihrem Kontext. Es versteht sich auch nicht von selbst, dass der Gesetzgeber den Verordnungsgeber damit zur Statuierung (auch) von Erklärungspflichten ermächtigt hat. Denn steuerliche Erklärungspflichten sind nicht derart selbstverständlich, dass es deren ausdrücklicher Erwähnung und Regelung nicht bedürfte. Schließlich beschränken sich Pflichten eines Steuerpflichtigen weder im Allgemeinen noch im hier relevanten Zusammenhang typischerweise auf die Abgabe einer Erklärung. Dementsprechend sieht die auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG erlassene Durchführungsverordnung neben den Erklärungspflichten auch andere, den Steuerschuldner treffende Pflichten vor. So statuiert etwa § 13 KraftStDV Mitführ- und Auskunftspflichten des Steuerschuldners. Weitere Pflichten ergeben sich aus § 7 Abs. 1 KraftStDV und § 6 KraftStDV. Dem Normadressaten ist es anhand des Wortlauts der Regelung in § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG mithin nicht möglich vorauszusehen, ob und unter welchen Umständen ihn eine Erklärungspflicht trifft. Da Art. 103 Abs. 2 GG gerade das Vertrauen auf den Wortlaut einer Norm schützt, liegen die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht vor. Sollte sich daraus eine nicht gewollte Strafbarkeitslücke ergeben, wäre deren Schließung allein Aufgabe des Gesetzgebers12.
Ob § 15 Abs. 1 KraftStDV in der Verordnungsermächtigung des § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG eine hinreichende Grundlage findet, ist zumindest zweifelhaft. Denn es ist schon unklar, ob der Gesetzgeber dem ermächtigten Bundesministerium tatsächlich die Befugnis übertragen wollte, eine Erklärungspflicht wie erfolgt zu statuieren.
Aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes lässt sich nicht ersehen, dass der Gesetzgeber bei Schaffung der Ermächtigung von dem Grunde nach bereits geregelten Erklärungspflichten ausging, deren Ausfüllung er auf die Exekutive übertragen wollte. Die durch das Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 19.12.1960 als § 19 KraftStG13 eingeführte Verordnungsermächtigung wurde allein für erforderlich gehalten, um das Durchführungsrecht den Änderungen des Gesetzes und den veränderten Verhältnissen anzupassen14. Zu Erklärungspflichten verhält sich die Gesetzesbegründung nicht. Diese hat der Gesetzgeber auch später nie thematisiert. Er hat auch die BGH-Entscheidung aus dem Jahr 2017, in welcher der Bundesgerichtshof das Bestehen einer wirksamen Verordnungsermächtigung ausdrücklich offengelassen hat15, nicht zum Anlass genommen, eine klare Regelung zu schaffen, obschon er gerade § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 16.10.202016 geändert hat.
Systematische Erwägungen sprechen ebenfalls dagegen, dass sich die Verordnungsermächtigung des § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG auf Erklärungspflichten erstreckt. Zwar liegt es nahe, dass mit der Schaffung eines gesetzlichen Steuertatbestands entsprechende Erklärungspflichten eines Steuerschuldners geregelt werden. Dennoch hat der Gesetzgeber diese regelmäßig zum Gegenstand einer eigenständigen formalgesetzlichen Regelung in zahlreichen Einzelsteuergesetzen gemacht (vgl. etwa § 25 Abs. 3 EStG; § 41a EStG; § 45a EStG; § 18 UStG; § 14a Abs. 1 Satz 1 GewStG; §§ 30, 31 ErbStG; § 17 TabStG; § 8 VersStG; §§ 8 ff. EnergieStG).
Ob für den Fall, dass sich § 15 Abs. 1 KraftStDV innerhalb der Grenzen der Ermächtigung in § 15 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG halten sollte, diese Vorschrift insoweit hinreichend bestimmt im Sinne von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG wäre17 oder eine unzulässige Delegation der Entscheidung über die Strafbarkeit vorläge18, konnte für den Bundesgerichtshof hier offenbleiben.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15. Dezember 2022 – 1 StR 295/22
- st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 16.01.2020 – 1 StR 89/19, BGHSt 64, 252 Rn. 33[↩]
- BGH, Urteile vom 23.10.2018 – 1 StR 454/17, BGHSt 63, 282 Rn.19 mwN; und vom 09.04.2013 – 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218 Rn. 52[↩]
- BGBl. I S. 2374[↩]
- BGH, Beschluss vom 23.08.2017 – 1 StR 173/17 Rn. 31 [zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 15 Abs. 1 KraftStDV mit Wirkung zum 20.07.2017][↩]
- vgl. Krumm in Tipke/Kruse AO, § 370 Rn. 67 [Stand: Mai 2022]; Gehm, ZWH 2018, 71, 74[↩]
- vgl. Gehm, ZWH 2018, 71, 74[↩]
- vgl. Spatscheck/Fraedrich, Steuerverwaltungsmagazin 2017, S. 162 ff. Küchenhoff in Wabnitz/Janovsky/Schmitt, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 5. Aufl., Kap. 23 Rn. 382[↩]
- vgl. Spatscheck/Fraedrich, aaO S. 164[↩][↩]
- vgl. Jäger in Klein, AO, 16. Aufl., § 370 Rn. 61b; MünchKomm-StGB/Schmitz/Wulf, 3. Aufl., AO § 370 Rn. 309 ff.; Ebner, HFR 2018, 495, 497[↩][↩]
- vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 11.03.2020 – 2 BvL 5/17, BVerfGE 153, 310 Rn. 82; und vom 21.09.2016 – 2 BvL 1/15, BVerfGE 143, 38 Rn. 46; jew. mwN[↩]
- vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 11.03.2020 – 2 BvL 5/17, BVerfGE 153, 310 Rn. 83; vom 21.09.2016 – 2 BvL 1/15, BVerfGE 143, 38 Rn. 47; und vom 29.04.2010 – 2 BvR 871/04, BVerfGK 17, 273 Rn. 56 f.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08, BVerfGE 126, 170 Rn. 77[↩]
- BGBl. I S. 1005[↩]
- vgl. Regierungsentwurf, BT-Drs. 3/1621, S. 8[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 23.08.2017 – 1 StR 173/17 Rn. 31[↩]
- BGBl. I S. 2184[↩]
- vgl. dazu BVerfG, Beschlüsse vom 11.03.2020 – 2 BvL 5/17, BVerfGE 153, 310 Rn. 100; und vom 29.04.2010 – 2 BvR 871/04, 2 BvR 414/08, BVerfGK 17, 273 Rn. 38 f.[↩]
- vgl. dazu BVerfG, Beschlüsse vom 11.03.2020 – 2 BvL 5/17, BVerfGE 153, 310 Rn. 91, 94; und vom 21.09.2016 – 2 BvL 1/15, BVerfGE 143, 38 Rn. 51; Bülte, wistra 2020, 242, 252[↩]
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