Bundesrichterwahlen – und der „modifizierte“ Grundsatz der Bestenauslese

Die Berufung von Richtern an den obersten Gerichtshöfen des Bundes ist an Art. 33 Abs. 2 GG zu messen. Das durch Art. 95 Abs. 2 GG vorgegebene Wahlverfahren bedingt jedoch Modifikationen gegenüber rein exekutivischen Auswahl- und Beförderungsentscheidungen.

Bundesrichterwahlen – und der „modifizierte“ Grundsatz der Bestenauslese

Die Mitglieder des Richterwahlausschusses haben bei ihrer Entscheidung die Bindung des zuständigen Ministers an Art. 33 Abs. 2 GG zu beachten. Der eigentliche Wahlakt unterliegt keiner gerichtlichen Kontrolle.

Der zuständige Minister hat sich bei seiner Entscheidung den Ausgang der Wahl grundsätzlich zu eigen zu machen, es sei denn, die formellen Ernennungsvoraussetzungen sind nicht gegeben, die verfahrensrechtlichen Vorgaben sind nicht eingehalten oder das Ergebnis erscheint nach Abwägung aller Umstände und insbesondere vor dem Hintergrund der Wertungen des Art. 33 Abs. 2 GG nicht mehr nachvollziehbar.

Der Minister muss begründen, wenn er seine Zustimmung verweigert oder wenn er der Wahl eines nach der Stellungnahme des Präsidialrats oder den dienstlichen Beurteilungen nicht Geeigneten zustimmt.

Mit dieser Begründung hat jetzt das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen eine verwaltungsgerichtliche Eilentscheidung im Zusammenhang mit der Bundesrichterwahl im März 2015 zurückgewiesen. Zwar seo auch die Berufung von Richtern an den obersten Gerichtshöfen des Bundes am Grundsatz der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG) zu messen. Das durch Art. 95 Abs. 2 GG vorgegebene Wahlverfahren bedinge jedoch Modifikationen gegenüber rein exekutivischen Auswahl- und Beförderungsentscheidungen.

Die Bundesrichterwahl im März 2015[↑]

Bei der Bundesrichterwahl im März 2015 waren sechs Richterinnen und Richter für den Bundesgerichtshof zu wählen. Der im fachgerichtlichen Verfahren Beigeladene wurde neben fünf weiteren Kandidatinnen und Kandidaten zum Richter am Bundesgerichtshof gewählt. Die ebenfalls zur Wahl vorgeschlagene Beschwerdeführerin wurde nicht gewählt, woraufhin sie Widerspruch gegen die Wahlentscheidung einlegte und geltend machte, dass nach Art. 33 Abs. 2 GG sie anstelle des Beigeladenen hätte berücksichtigt werden müssen.

Ihren Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Ernennung des Beigeladenen zum Richter am Bundesgerichtshof lehnte das Verwaltungsgericht ab; die Beschwerde wurde vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen1.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Bewerberin, dass der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts sie in ihren Rechten aus Art. 33 Abs. 2 und Art.19 Abs. 4 GG verletze. Das Bundesverfassungsgericht sah die Verfassungsbeschwerde als zwar zulässig, aber nicht begründet an und wies sie daher zurück:

Zwar ist auch die Berufung von Richtern an den obersten Gerichtshöfen des Bundes (im Folgenden vereinfachend: Bundesrichter) an Art. 33 Abs. 2 GG zu messen. Das durch Art. 95 Abs. 2 GG vorgegebene Wahlverfahren bedingt jedoch Modifikationen gegenüber rein exekutivischen Auswahl- und Beförderungsentscheidungen. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe verletzt der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts die Bewerberin nicht in ihren Rechten.

Art. 33 II GG – und die Berufung von Bundesrichtern[↑]

Abs. 2 GG besitzt eine objektiv-rechtliche Dimension, gewährt aber auch ein grundrechtsgleiches Recht, das sich vor allem durch die Gestaltung des Auswahlverfahrens verwirklicht. Vom Anwendungsbereich des Art. 33 Abs. 2 GG sind die Ämter von Bundesrichtern nicht ausgenommen.

Gemäß Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Danach sind öffentliche Ämter nach Maßgabe des Grundsatzes der Bestenauslese zu besetzen. Die von Art. 33 Abs. 2 GG erfassten Auswahlentscheidungen können grundsätzlich nur auf Gesichtspunkte gestützt werden, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Bewerber betreffen2. Dabei dient Art. 33 Abs. 2 GG zum einen dem öffentlichen Interesse der bestmöglichen Besetzung des öffentlichen Dienstes. Zum anderen trägt Art. 33 Abs. 2 GG dem berechtigten Interesse der Beamten an einem angemessenen beruflichen Fortkommen dadurch Rechnung, dass er ein grundrechtsgleiches Recht auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl begründet (sogenannter Bewerbungsverfahrensanspruch)3.

Die Beurteilung der Eignung eines Bewerbers für das von ihm angestrebte öffentliche Amt durch den Dienstherrn bezieht sich auf die künftige Amtstätigkeit des Betroffenen und enthält zugleich eine Prognose, die eine konkrete und einzelfallbezogene Würdigung der gesamten Persönlichkeit des Bewerbers verlangt. Sie umfasst auch eine vorausschauende Aussage darüber, ob er die ihm in dem angestrebten Amt obliegenden beamten- oder richterrechtlichen Pflichten erfüllen wird. Bei diesem prognostischen Urteil steht dem Dienstherrn ein weiter Beurteilungsspielraum zu; die Nachprüfung durch die Fachgerichte beschränkt sich im Wesentlichen darauf, ob der Dienstherr von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den beamten- und verfassungsrechtlichen Rahmen verkannt, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat4.

Aus der Verfahrensabhängigkeit des aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Anspruchs ergeben sich Vorwirkungen für das Verwaltungsverfahren. Das dem gerichtlichen Rechtsschutzverfahren vorgelagerte Verwaltungsverfahren darf nicht so ausgestaltet sein, dass es den gerichtlichen Rechtsschutz vereitelt oder unzumutbar erschwert. Zur Sicherung des Gebotes effektiven Rechtsschutzes folgt aus Art. 33 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art.19 Abs. 4 GG auch die Verpflichtung, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen. Nur durch eine schriftliche Fixierung der wesentlichen Auswahlerwägungen – deren Kenntnis sich der unterlegene Bewerber gegebenenfalls durch Akteneinsicht verschaffen kann – wird der Mitbewerber in die Lage versetzt, sachgerecht darüber befinden zu können, ob er die Entscheidung des Dienstherrn hinnehmen soll oder ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Anspruch auf faire und chancengleiche Behandlung seiner Bewerbung bestehen und er daher gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch nehmen will. Darüber hinaus eröffnet erst die Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen auch dem Gericht die Möglichkeit, die angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen5. Derartige Dokumentationspflichten bestehen auch für Verfahrensabläufe wie (die Begründung für) einen Verfahrensabbruch6.

Die Ämter von Bundesrichtern sind nicht vom Anwendungsbereich des Art. 33 Abs. 2 GG ausgenommen. Zwar erfasst die Vorschrift nicht solche Ämter auf staatlicher oder kommunaler Ebene, die durch demokratische Wahlen der Wahlbürger oder durch eine Wahl von diesen gewählter Wahlkörper besetzt werden7. Um derartige Wahlen handelt es sich bei den Bundesrichterwahlen jedoch nicht. Ihnen fehlt bereits das für demokratische Wahlen wesentliche Element, stets nur auf Zeit zu erfolgen8. Das Amt eines Bundesrichters ist kein Amt, das organisatorisch oder funktionell zum Bereich der obersten (Staats- oder Kommunalverfassungs-)Organe gehört. Schließlich stehen auch Zusammensetzung und Zusammenspiel der am Berufungsverfahren beteiligten Organe einer Freistellung von Art. 33 Abs. 2 GG entgegen. Bereits die Mitglieder des Richterwahlausschusses gehen nicht allein, noch nicht einmal überwiegend unmittelbar aus einer demokratischen Wahl hervor. Erst recht besteht kein Grund, den zuständigen Minister (im konkreten Fall den Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz) von einer Bindung an das grundrechtsgleiche Recht des Art. 33 Abs. 2 GG freizustellen. Die Ämter von Bundesrichtern sind – was ihre grundsätzliche Einbeziehung in den Anwendungsbereich von Art. 33 Abs. 2 GG betrifft – nicht anders gestellt als etwa die Ämter der Vorsitzenden Richter an Bundesgerichten9 oder die Ämter der Richter im Landesdienst.

Modifikationen aufgrund des Wahlverfahrens bei Bundesrichtern[↑]

Nach Art. 95 Abs. 2 GG entscheidet über die Berufung der Richter der in Absatz 1 genannten obersten Gerichtshöfe des Bundes der für das jeweilige Sachgebiet zuständige Bundesminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuss, der aus den für das jeweilige Sachgebiet zuständigen Ministern der Länder und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern besteht, die vom Bundestag gewählt werden.

a)) Die Wahl als Berufungsmodus für Bundesrichter – die bei Inkrafttreten des Grundgesetzes noch in Art. 96 GG geregelt war – hatte nahezu keine verfassungsrechtlichen Vorbilder. Kontrovers war die Debatte vor allem, soweit es um die Berufung der Richter des Obersten Bundesgerichtes nach Art. 95 Abs. 3 GG in der Fassung vom 23.05.1949 ging. Die Frage, ob die Richter wie Beamte zu ernennen oder von einem Ausschuss zu wählen seien, wurde bei den Beratungen des Grundgesetzes erstmals in der 5. Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege des Parlamentarischen Rates am 10.11.1948 erörtert10. Zur Begründung eines Wahlausschusses wurde geltend gemacht, es komme darauf an, der Justiz „wieder eine gewisse Vertrauensbasis“ zu schaffen, was nicht durch eine „bürokratische Ernennung“ durch die Bundesregierung oder dadurch erreicht werden könne, dass sich die Richter „gewissermaßen aus sich selbst“ erneuerten11. Durch die Mitwirkung von Personen, die vom Vertrauen des Parlaments getragen seien, werde für die Bestellung der Richter eine breite und fundierte Basis geschaffen, so dass die Gewählten von vornherein durch die Art ihrer Bestellung eine gewisse Autorität mitbrächten. Den fachlichen Gesichtspunkten werde dadurch Genüge getan, dass niemand gegen den Willen des Bundesjustizministers gewählt werden könne und dass die Landesjustizminister an der Wahl mitwirkten.

Der erste Deutsche Bundestag nahm die Debatte im Gesetzgebungsverfahren zum Richterwahlgesetz auf. Die SPD-Fraktion hatte bereits im Dezember 1949 einen Gesetzentwurf für ein Richterwahlgesetz eingebracht12, dem die regierungstragenden Fraktionen von CDU/CSU, FDP und DP im Mai 1950 einen eigenen Entwurf entgegensetzten13. Bei dem daraufhin im Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht erarbeiteten Gesetzentwurf14 handelte es sich um eine Synthese dieser beiden Entwürfe. Zu dessen Begründung trug der Berichterstatter in der zweiten und dritten Lesung im Plenum vor, dass „die als dritte Gewalt sachlich und persönlich nur dem Recht und dem Gesetz unterworfene, von den übrigen Gewalten unabhängige Rechtsprechung durch die Auswahl der obersten Bundesrichter von der übrigen Beamtenschaft in einem spezifisch politischen Sinne unterschieden, durch die Mitwirkung maßgeblicher politischer Faktoren bei ihrer Berufung mit den demokratischen Grundbedingungen des Verfassungslebens in Einklang gebracht, vor parteipolitischer oder standesmäßiger Einseitigkeit bewahrt und so in ihrer demokratischen Autorität und Legitimation gestärkt werden“ solle15.

Durch das Sechzehnte Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 18.06.196816 wurden Art. 95, 96 GG a.F. geändert. Die Vorschriften über das „Oberste Bundesgericht“ (Art. 95 GG a.F.) wurden aufgehoben. Art. 96 Abs. 1 und 2 GG a.F. wurde inhaltsgleich und sprachlich nur wenig verändert zu Art. 95 GG. Die Formulierung „obere Bundesgerichte“ wurde in „oberste Gerichtshöfe“ geändert und um deren namentliche Erwähnung ergänzt. Das Wahlverfahren wurde eigenständig normiert. Aufgehoben wurde Art. 96 Abs. 2 Satz 2 GG a.F.

Dem Zusammenwirken von Exekutive und Legislative im Rahmen dieses „Mischsystems“ wird eine legitimationsverstärkende Funktion beigemessen17. Das Verfahren soll die verschiedenen politischen Kräfte balancieren18 und einer Ämterpatronage entgegenwirken19. Zudem soll sich in dem Verfahren über die Richterberufung nach Art. 95 Abs. 2 GG die dem föderativen Staatsaufbau angepasste Justizstruktur widerspiegeln20.

Art. 95 Abs. 2 GG gibt danach ein aus zwei Akteuren – dem Richterwahlausschuss und dem zuständigen Bundesminister – bestehendes System mit kondominialer Struktur sowie das Wahlelement im Berufungsverfahren vor, dessen nähere Ausgestaltung durch das Richterwahlgesetz erfolgt. Wechselbezogenheit der Entscheidungen beider Akteure und Wahlelement erfordern eine Modifikation der zu Art. 33 Abs. 2 GG bestehenden dogmatischen Aussagen sowie der materiellen und formellen Anforderungen, die mit Blick auf exekutivische Auswahlverfahren abgeleitet worden sind.

Dem Wahlelement trüge eine strikte Bindung der Entscheidung des Richterwahlausschusses an Art. 33 Abs. 2 GG nicht ausreichend Rechnung. Während Art. 33 Abs. 2 GG auf die eine „‚richtige‘ Antwort“21 beziehungsweise darauf gerichtet ist, „von oben her“ den Besten auszuwählen, zeichnen sich Wahlen gerade durch Wahlfreiheit aus, wenngleich die Wählbarkeit zumeist von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängt22. An derartigen (Mindest-)Wählbarkeitsvoraussetzungen sind für Bundesrichter insbesondere die Anforderungen von § 9 DRiG zu nennen sowie – mangels anderweitiger Bestimmung im Sinne von § 28 Abs. 1 DRiG – die Voraussetzungen des § 10 DRiG für die Ernennung auf Lebenszeit. Schließlich muss das Mindestalter von 35 Jahren erreicht sein (vgl. für den Bundesgerichtshof § 125 Abs. 2 GVG). Der mit der Wahl einhergehende legitimatorische Mehrwert könnte jedoch nicht erreicht werden, wenn es eine Pflicht zur Wahl eines bestimmten Kandidaten gäbe. Es bliebe (nur) eine auf eine breite Grundlage gestützte Auswahl, aber keine Wahlentscheidung23. Zwar müssen sich auch die Mitglieder des Richterwahlausschusses von Art. 33 Abs. 2 GG leiten lassen. Ihre Wahlentscheidung selbst ist dabei aber nicht isoliert gerichtlich überprüfbar.

Für den zuständigen Bundesminister bestehen derartige Besonderheiten nicht. Bei seiner Zustimmungsentscheidung nach § 13 RiWG ist er an Art. 33 Abs. 2 GG gebunden.

Ein erfolgreiches Berufungsverfahren ist von Verfassungs wegen mit einem faktischen Einigungszwang zwischen dem zuständigen Bundesminister und dem Richterwahlausschuss verbunden. Beide agieren nicht unabhängig voneinander, sondern aufeinander bezogen. Aufgrund dieser geteilten Verantwortung müssen sie bei ihren Entscheidungen die Bindungen, aber auch die verfassungsrechtlichen Freiräume beachten, die für den jeweils anderen Akteur bestehen.

Auf Seiten des Richterwahlausschusses bedeutet dies, dass er die Bindung des zuständigen Ministers an Art. 33 Abs. 2 GG beachten muss. Das zwischen beiden Organen bestehende institutionelle Treueverhältnis24 verlangt, dass der Richterwahlausschuss jemanden wählt, dessen Wahl der zuständige Minister zustimmen kann.

Der zuständige Minister ist demgegenüber nicht verpflichtet, der Wahl nur dann zuzustimmen, wenn der nach seiner Auffassung Beste gewählt worden ist. In einem solchen Fall wäre die Einrichtung des Richterwahlausschusses ihrerseits weitgehend sinnentleert und die politische Verantwortung für die Entscheidung läge entgegen der Intention des Art. 95 Abs. 2 GG ausschließlich bei der Justizverwaltung25. Der Minister hat sich daher bei seiner Entscheidung den Ausgang der Wahl grundsätzlich zu eigen zu machen, es sei denn, die formellen Ernennungsvoraussetzungen sind nicht gegeben, die verfahrensrechtlichen Vorgaben sind nicht eingehalten oder das Ergebnis erscheint nach Abwägung aller Umstände und insbesondere vor dem Hintergrund der Wertungen des Art. 33 Abs. 2 GG nicht mehr nachvollziehbar. Dabei hat der Minister unter anderem auch die Stellungnahmen des Präsidialrats gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 DRiG26 sowie die dienstlichen Beurteilungen der Kandidaten zu berücksichtigen. Er ist zwar weder an eine sich aus dem Vergleich dienstlicher Beurteilungen ergebende Rangordnung der Kandidatinnen und Kandidaten noch an eine durch den Präsidialrat etwa vorgenommene Reihung oder an die Einstufung einzelner Bewerber als ungeeignet gebunden. Allerdings ist er verpflichtet, alle aus den Stellungnahmen des Präsidialrats und aus den dienstlichen Beurteilungen abzuleitenden Anhaltspunkte für die Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Vorgeschlagenen in seine Entscheidung über die Zustimmung zur Wahl einzubeziehen und diese erforderlichenfalls zu begründen beziehungsweise sie sogar zu verweigern.

Unter diesen Bedingungen muss der Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG insbesondere dadurch operationalisierbar gemacht werden, dass das Verfahren selbst entsprechend ausgestaltet und die Wahl eignungs- und leistungsorientiert „eingehegt“ wird. Dies erfordert, dass der Richterwahlausschuss sich einen Eindruck verschaffen kann von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung der Kandidaten durch Zusammenstellung (unter anderem) ihrer Zeugnisse, dienstlichen Beurteilungen und der sie betreffenden Präsidialratsstellungnahmen. Die Einhaltung dieser prozeduralen Anforderung muss niedergelegt und nachvollziehbar sein. Eine verfahrensmäßige Absicherung eines an den Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG orientierten Berufungsverfahrens erfolgt ferner durch Begründungspflichten. Sie treffen zwar nicht den Richterwahlausschuss, wohl aber in bestimmten Konstellationen den zuständigen Minister.

Da der eigentliche Wahlakt keiner gerichtlichen Kontrolle unterliegt, bedarf sein Ergebnis auch keiner Begründung27. Eine Begründungspflicht ergibt sich insbesondere nicht aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG. Zwar garantiert dieses Grundrecht jedem den Rechtsweg, der geltend macht, durch die öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein. Damit wird sowohl der Zugang zu den Gerichten als auch die Wirksamkeit des Rechtsschutzes gewährleistet. Der Bürger hat einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle in allen ihm von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Instanzen. Aus der Garantie effektiven Rechtsschutzes folgt grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen28. Dabei richtet sich gerichtlicher Rechtsschutz in gestuften Verfahren häufig erst gegen die Endentscheidung (vgl. § 44a VwGO; siehe hierzu Ziekow, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl.2014, § 44a Rn. 11, 52 m.w.N.). Auch im vorliegenden Fall ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (erst) die Entscheidung des Bundesministers unmittelbarer Verfahrensgegenstand im gerichtlichen Verfahren ist, während es sich bei der Entscheidung des Richterwahlausschusses um einen nicht selbständig anfechtbaren Verfahrensschritt handelt29. Gleichzeitig sind die verfassungsrechtlichen Modifikationen des subjektiven Rechts zu berücksichtigen, das Art.19 Abs. 4 GG nicht gewährleistet, sondern voraussetzt30. Im vorliegenden Fall wird der Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG, der bereits nach ständiger Rechtsprechung lediglich zu einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle der Auswahlentscheidung führt, zusätzlich durch den in Art. 95 Abs. 2 GG vorgesehenen Wahlmodus eingeschränkt.

Da der zuständige Bundesminister sich – wie dargelegt – die Wahlentscheidung grundsätzlich zu eigen zu machen hat, treffen auch ihn keine umfassenden Begründungspflichten. Erforderlich ist eine Begründung jedoch immer dann, wenn es sich aufdrängt, dass der Richterwahlausschuss offenkundig relevante Aspekte zur Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung der Vorgeschlagenen in einer den Spielraum des Art. 95 Abs. 2 GG überschreitenden Weise missachtet hat. Eine Begründungspflicht ist insbesondere in zwei Fällen anzunehmen. Zum einen muss der Minister aufgrund des institutionellen Treueverhältnisses begründen, wenn er seine Zustimmung verweigert, da andernfalls eine Einigung nur schwer möglich wäre31. Zum anderen muss der Minister seine Entscheidung dann begründen, wenn er der Wahl eines nach der Stellungnahme des Präsidialrats oder den dienstlichen Beurteilungen nicht Geeigneten zustimmt. Zwar ist aufgrund der fehlenden Bindungswirkung von dienstlichen Beurteilungen oder Präsidialratsstellungnahmen32 die Ernennung von Kandidaten, die mit „ungeeignet“ beurteilt worden sind, nicht ohne Weiteres verfassungswidrig . Der auch dem öffentlichen Interesse der bestmöglichen Besetzung des öffentlichen Dienstes dienende Grundsatz der Bestenauslese erfordert aber, Entscheidungen nachvollziehbar zu machen und über sie Rechenschaft abzulegen, wenn sie derart weit von grundlegenden Eignungsanforderungen entfernt zu sein scheinen. Art. 33 Abs. 2 GG unterliegt insoweit zwar Modifikationen, wird von Art. 95 Abs. 2 GG aber nicht vollständig verdrängt.

Auswirkungen im vorliegenden Fall[↑]

Nach diesen Maßstäben wird die Bewerberin durch den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts nicht in ihren Rechten verletzt.

Die Wahlvorschlagsbögen enthielten in Bezug auf die Bewerberin selbst sowie den Beigeladenen unter anderem Angaben zu der Dienststellung, den Ergebnissen der juristischen Staatsprüfungen, den Beförderungen, der bisherigen beruflichen Tätigkeit, der wissenschaftlichen Betätigung, den Veröffentlichungen, insbesondere aber auch die bisherigen dienstlichen Beurteilungen sowie die Stellungnahme des Präsidialrats des Bundesgerichtshofs33. Damit standen hinsichtlich der Bewerberin und des Beigeladenen den Mitgliedern des Richterwahlausschusses alle auswahlrelevanten Informationen zur Verfügung.

Die Ernennungsvoraussetzungen waren bei der Bewerberin ebenso wie beim Beigeladenen erfüllt. Zwar ist die Bewerberin für das Amt eines Richters/einer Richterin am Bundesgerichtshof aufgrund ihrer obergerichtlichen Erfahrung nach der Stellungnahme des Präsidialrats besser geeignet. Die Wahl des Beigeladenen bleibt jedoch unter anderem aufgrund seiner dienstlichen Beurteilungen sowie seiner Verwendungen nachvollziehbar. Der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz durfte sich die ihrerseits nicht zu überprüfende Wahlentscheidung daher zu eigen machen, ohne seine Entscheidung begründen zu müssen; auch Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG begründet im vorliegenden Fall – im Hinblick auf das konkrete Wahlergebnis im Übrigen – nicht die Erforderlichkeit einer Begründung der Zustimmungsentscheidung. Allein der Umstand, dass der Präsidialrat des Bundesgerichtshofs es „begrüßt“ hätte, wenn der Beigeladene Gelegenheit erhielte, noch zwei bis drei Jahre spruchrichterliche Erfahrung am Oberlandesgericht zu sammeln, löste noch keine Begründungspflicht aus, da ihn der Präsidialrat gleichwohl bereits als „geeignet“ ansah.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20. September 2016 – 2 BvR 2453/15

  1. Nds. OVG, Beschluss vom 10.12.2015 – 5 ME 199715[]
  2. vgl. BVerfGE 139, 19, 49 Rn. 59, 55 f. Rn. 76; BVerfG, Beschluss vom 16.12 2015 – 2 BvR 1958/13 31 m.w.N.[]
  3. vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.12 2015, a.a.O.[]
  4. vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.12 2015 – 2 BvR 1958/13 56 m.w.N.[]
  5. vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.11.2015 – 2 BvR 1461/15 14 m.w.N.[]
  6. vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 28.11.2011 – 2 BvR 1181/11 23; und vom 24.09.2015 – 2 BvR 1686/15 14[]
  7. vgl. Battis, in: Sachs, GG, 7. Aufl.2014, Art. 33 Rn. 25; Zöllner, in: Festschrift Isensee, 2002, S. 359, 363 ff.; Classen, JZ 2002, S. 1009 m.w.N.[]
  8. vgl. dazu allgemein BVerfG, Beschluss vom 15.12 2015 – 2 BvL 1/12 53[]
  9. vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.11.2015 – 2 BvR 1461/15[]
  10. vgl. JÖR n.F., Bd. 1, 1951, S. 698 ff.[]
  11. vgl. zu den Zitaten sowie den folgenden Ausführungen: JÖR n.F., Bd. 1, 1951, S. 704 f.[]
  12. BT-Drs. 1/327[]
  13. BT-Drs. 1/955[]
  14. BT-Drs. 1/1088[]
  15. von Merkatz, in: BT-Plenarprotokoll 1/75, S. 2727 C f.[]
  16. BGBl I S. 657[]
  17. vgl. Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, 2006, S.20; Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 55; Minkner, Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien, 2015, S. 254 f.; zweifelnd Mahrenholz, NdsVBl.2003, S. 225, 234; a.A. Gärditz, ZBR 2015, S. 325, 326 unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte von Art. 95 Abs. 3 GG a.F.[]
  18. vgl. Zätzsch, Richterliche Unabhängigkeit und Richterauswahl in den USA und Deutschland, 2000, S. 160 ff.; Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S. 102 ff.[]
  19. vgl. Jachmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 95 Rn. 127 [Oktober 2011]; krit. dagegen z.B. Wassermann, in: AK-GG, 3. Aufl.2001, Art. 95 Rn. 27 m.w.N.[]
  20. vgl. Jachmann, a.a.O.[]
  21. Grigoleit/Siehr, DÖV 2002, S. 455, 457[]
  22. vgl. Classen, JZ 2002, S. 1009, 1012; Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 222 f.[]
  23. vgl. Dietrich, Richterwahlausschüsse und demokratische Legitimation, 2007, S. 165 f.; Grigoleit/Siehr, DÖV 2002, S. 455, 457 f.; Lovens, ZRP 2001, S. 465, 467[]
  24. vgl. Hamburgisches OVG, Beschluss vom 14.09.2012 – 5 Bs 176/12 23[]
  25. vgl. Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 318 f.[]
  26. vgl. zu dessen Rolle im Verfahren Bowitz, DÖV 2016, S. 638, 640 ff.[]
  27. vgl. bereits BVerfGE 24, 268, 276 f. sowie im Anschluss daran BGHZ 85, 319, 323 f.[]
  28. vgl. BVerfGE 129, 1, 20 m.w.N.[]
  29. vgl. BVerwGE 70, 270, Leitsatz 4, 277 f. und BVerwGE 105, 89, 91 m.w.N. sowie Gärditz, ZBR 2015, S. 325, 331[]
  30. vgl. BVerfGE 129, 1, 20 f. m.w.N.[]
  31. vgl. in dieser Richtung Heusch, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, 13. Aufl.2014, Art. 95 Rn. 24; und Nds. OVG, Beschluss vom 10.12 2015 – 5 ME 199/15 41[]
  32. vgl. Schmidt-Räntsch, DRiG, 6. Aufl.2009, § 57 Rn. 17 m.w.N.[]
  33. vgl. allgemein zum Inhalt Letzterer auch Bowitz, DÖV 2016, S. 638, 639[]