Die kategorische Versagung einstweiligen Rechtsschutzes durch die Verwaltungsgerichte gegen eine Entlassung aus Widerrufsbeamtenverhältnis kraft Gesetzes wegen Nichtbestehens einer Prüfung ist verfassungswidrig.
So hat jetzt das Bundesverfassungsgericht einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die sich gegen einen Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts richtet, durch den dem beschwerdeführenden Beamten einstweiliger Rechtsschutz gegen die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf kraft Gesetzes wegen endgültigen Nichtbestehens einer Prüfung im Rahmen der polizeilichen Ausbildung versagt wurde. Der angegriffene Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts1 verletzt den Beamten in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz. Das Oberverwaltungsgericht verkennt Bedeutung und Tragweite dieses Grundrechts, so das Bundesverfassungsgericht, indem es sich einer Prüfung der entlassungsauslösenden Prüfungsentscheidung sowie der dem Beamten entstehenden Nachteile vollständig verschließt und so dem Beamten einstweiligen Rechtsschutz in jedweder Form kategorisch versagt.
Der Ausgangssachverhalt
Der Widerrufsbeamte absolvierte als Beamter auf Widerruf den Vorbereitungsdienst zum Erwerb der Laufbahnbefähigung der Fachrichtung Polizei (Laufbahngruppe 2.1) an der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH). Im Rahmen der Laufbahnausbildung ist eine sogenannte Modulprüfung M3 – „Grundlagen des Polizeitrainings; Absolvierung der Kontrollübung Pistole“ – zu absolvieren, über deren Relevanz für die Modulnote und für das endgültige Nichtbestehen der Laufbahnprüfung Streit zwischen dem Beamten und der Hochschule besteht. Uneins sind der Widerrufsbeamte und die Hochschule auch hinsichtlich der Anforderungen an die konkrete Durchführung der Kontrollübung. Anfang Juni 2019 nahm der Widerrufsbeamte an der ersten Wiederholungsprüfung der Kontrollübung Pistole teil. Mit Bescheid vom 11.06.2019 teilte die Hochschule dem Beamten das Nichtbestehen dieser Prüfung mit. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Hochschule im August 2019 zurück. Die gegen den Widerspruchsbescheid erhobene Klage ist weiterhin bei dem Verwaltungsgericht Dresden anhängig2. Mitte Juni 2019 stellte der Widerrufsbeamte einen Antrag auf Zulassung zu einer zweiten Wiederholungsprüfung wegen besonderer Härte gemäß § 45 Abs. 2 der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums des Innern über Ausbildung, Studium und Prüfung für die Laufbahnen der Fachrichtung Polizei (Sächsische Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Fachrichtung Polizei – SächsAPOPol), welchen die Hochschule mit Bescheid aus August 2019 ablehnte. Über den dagegen eingelegten Widerspruch ist noch nicht entschieden.
Im September 2019 teilte die Hochschule dem Beamten mit, dass er die Modulprüfung M3 endgültig nicht bestanden habe und sein Studium mit Ablauf des Tages der schriftlichen Bekanntgabe des endgültigen Nichtbestehens gemäß § 45 Abs. 5 Satz 1 SächsAPOPol in Verbindung mit § 40 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 des Sächsischen Beamtengesetzes (SächsBG) ende. Dagegen erhob der Widerrufsbeamte Ende September 2019 Widerspruch. Gleichzeitig ersuchte er um verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz mit dem Hauptantrag, die Hochschule zu verpflichten, ihm unter erneuter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf die Fortsetzung der Laufbahnausbildung vorläufig zu gestatten.
Die Entscheidung der Verwaltungsgerichte
Sein Ersuchen um verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz blieb erfolglos.
Das Verwaltungsgericht Dresden lehnte den Antrag mit Beschluss aus November 2019 ab. Die Voraussetzungen für die mit der beantragten Regelungsanordnung einhergehende Vorwegnahme der Hauptsache – überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache und schlechthin unzumutbare Nachteile – seien nicht erfüllt. Der Widerrufsbeamte habe unabhängig von den Erfolgsaussichten seiner prüfungsrechtlichen Einwände keinen Anspruch auf vorläufige Fortsetzung seines Studiums, weder innerhalb noch außerhalb eines Beamtenverhältnisses auf Widerruf. Mangels Anordnungsanspruchs komme es daher nicht auf die Frage an, ob die zeitliche Verzögerung des Studienverlaufs einen Anordnungsgrund darstelle.
Das Sächsische Oberverwaltungsgericht wies die hiergegen erhobene Beschwerde zurück3. Der Widerrufsbeamte habe gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 2 SächsBG keinen Anspruch auf vorläufige Fortsetzung des Studiums im Rahmen eines Beamtenverhältnisses. Diese Norm umfasse auch das endgültige Nichtbestehen der hier in Rede stehenden Teilprüfung. Auf die Rechtmäßigkeit beziehungsweise Bestandskraft der zugrundeliegenden Prüfungsentscheidung komme es für die Beendigung des Beamtenverhältnisses nicht an. Dazu verweist das Oberverwaltungsgericht unter wörtlicher Wiedergabe auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.11.19854 zu § 32 Abs. 2 Satz 2 BBG a.F., wonach die Rechtmäßigkeit und Bestandskraft der Prüfungsentscheidung für die Beendigung des Beamtenverhältnisses auf Widerruf nach dem Wortlaut sowie nach Sinn und Zweck der Vorschrift ohne Bedeutung seien. Der Zweck des Beamtenverhältnisses auf Widerruf im Vorbereitungsdienst bestehe in erster Linie darin, dass der Beamte für den Beruf ausgebildet und der Vorbereitungsdienst effektiv geleistet werde; die Unterhaltssicherung durch Anwärterbezüge trete demgegenüber zurück. Zwar solle dem Beamten auf Widerruf im Vorbereitungsdienst Gelegenheit zur Ablegung der Prüfung gegeben werden. Dies müsse indes im Falle einer Wiederholungsprüfung nach rechtskräftiger Aufhebung einer negativen Prüfungsentscheidung nicht notwendig in einem – fortbestehenden – Beamtenverhältnis auf Widerruf geschehen. Auch – so das Oberverwaltungsgericht weiter – sei es irrelevant, ob die Zulassung zur zweiten Wiederholungsprüfung rechtmäßigerweise abgelehnt worden sei. Auch dieser Rechtsstreit sei Bestandteil des Prüfungsverhältnisses, auf das es entsprechend dem Gesetzeszweck von § 40 SächsBG, einen rechtlichen Schwebezustand zu vermeiden, nicht ankomme.
Ebenso bestehe kein Anspruch auf vorläufige Fortsetzung des Studiums außerhalb eines Beamtenverhältnisses. Dies ergebe sich aus den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 04.04.20135. Dort hatte das Oberverwaltungsgericht erläutert, dass zwar erhebliche Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit einzelner Bestehensregelungen der SächsAPOPol bestünden6. Eine vorläufige Fortsetzung der Ausbildung sei jedoch aus prüfungsrechtlichen Erwägungen und beamtenrechtlichen Gründen abzulehnen7. Durch eine vorläufige Zulassung zur Fortsetzung der Ausbildung werde die Hauptsache in unzulässiger Weise vorweggenommen. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens über die Rechtmäßigkeit der Prüfungsentscheidung sei jedoch offen. Denn auch im Fall einer Verfassungswidrigkeit der betreffenden Regelungen hätte der Prüfling die fragliche Modulprüfung und damit die Zwischenprüfung nicht zwangsläufig bestanden. Dem Verordnungsgeber stünden verschiedene Möglichkeiten für eine verfassungskonforme Ausgestaltung der Bestehensregelungen zur Verfügung.
Zudem widerspräche eine vorläufige Fortsetzung der Ausbildung der gesetzlichen Systematik des (heutigen) § 40 Abs. 1 Nr. 2 SächsBG, der die Vermeidung eines rechtlichen Schwebezustands während der Dauer des Prüfungsrechtsstreits bezwecke8 und dem Umstand geschuldet sei, dass die Polizeianwärter in der Ausbildung hoheitliche Tätigkeiten in Uniform und mit Dienstwaffe ausführten, die aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen im Rahmen eines Beamtenverhältnisses ausgeübt werden müssten9. Daneben sei aufgrund der gesetzlichen Systematik kein Raum für ein Ausbildungsverhältnis anderer Art, welches die gesetzliche Systematik konterkarieren würde10.
Weiter führt das Oberverwaltungsgericht in dem hier angegriffenen Beschluss aus, die Regelung des § 40 SächsBG beanspruche unabhängig von den Erfolgsaussichten der prüfungsrechtlichen Hauptsache Geltung. Der Widerrufsbeamte sei insgesamt auf das prüfungsrechtliche Hauptsachverfahren zu verweisen. Auch insoweit bleibe es bei den in dem Beschluss 2 B 503/12, Rn. 16 ff. dargelegten prüfungsrechtlichen Erwägungen und beamtenrechtlichen Gründen. Gleiches gelte für den hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Zulassung zur zweiten Wiederholungsprüfung. Auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes und eine mögliche Vorwegnahme der Hauptsache komme es daher nicht an.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gab ihr statt: Die Annahme der Verfassungsbeschwerde sei zur Durchsetzung des Grundrechts des Widerrufsbeamten aus Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig und offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen habe das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG):
Der Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts verletzt den Beamten in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG.
Verwaltungsgerichtliche Eilverfahren – und der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes
Abs. 4 Satz 1 GG eröffnet den Rechtsweg gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt. Gewährleistet wird nicht nur das formelle Recht, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes11. Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Daraus folgt, dass gerichtlicher Rechtsschutz in Eilverfahren so weit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei (endgültiger) richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können12. Hieraus ergeben sich für die Gerichte Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen Gesetzesbestimmungen über den Eilrechtsschutz13. Der Rechtsschutz auch im Eilverfahren darf sich nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpfen, sondern muss zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht führen14. Bei der Auslegung und Anwendung des § 123 VwGO sind die Fachgerichte daher gehalten, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn sonst dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen15. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch nur prüfen, ob die fachgerichtliche Auslegung und Anwendung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts des jeweiligen Antragstellers und seines Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz beruhen16.
Begrenzungen des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz sind zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Bei der Ausgestaltung des Rechtswegs muss der Gesetzgeber allerdings sicherstellen, dass eine umfassende Nachprüfung des Verwaltungshandelns in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ebenso gewährleistet ist wie eine dem Rechtsschutzbegehren angemessene Entscheidungsart und Entscheidungswirkung17. Wird der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Eilverfahren generell ausgeschlossen, ist dies eine gravierende Rechtsschutzeinschränkung, die nur durch zwingende Gründe zu rechtfertigen ist18. Aus dem Zweck der Rechtsschutzgarantie und dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich, dass der Rechtsschutzanspruch des Betroffenen umso stärker ist und seine vorläufige Regelung oder Sicherung umso weniger zurückstehen darf, je gewichtiger die dem Betroffenen auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken19.
Einem Rechtsschutzbegehren auf vorläufige Fortsetzung einer polizeilichen Ausbildung innerhalb oder außerhalb eines Beamtenverhältnisses auf Widerruf und/oder auf Wiederholung einer Prüfung kommt besondere verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Denn die Beendigung einer für den Zugang zu einem staatlichen Beruf erforderlichen Ausbildung stellt eine Beeinträchtigung des Rechts auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern bei gleicher Eignung gemäß Art. 12 Abs. 1, Art. 33 Abs. 2 GG dar. Durch die Entlassung wird dem Polizeianwärter verwehrt, die Ausbildung fortzusetzen, abzuschließen und den gewählten staatlichen Beruf zu ergreifen. In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich jedenfalls dann besondere Erfordernisse an die Effektivität des Rechtsschutzes ergeben, wenn die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes zu einer erheblichen Ausbildungsverzögerung führt. Die dadurch verlorenen Studienjahre stellen für sich genommen schon einen gravierenden Nachteil dar20. Bereits in der Ausbildung befindliche Betroffene sind darüber hinaus gehalten, prüfungsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem aktuellen Stand zu halten, obwohl ihre Situation durch die Ungewissheit über den weiteren Werdegang gekennzeichnet ist21.
Keine pauschale Versagung einer einstweiligen Regelung
Dies zugrunde gelegt, wird der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht. Das Gericht hält den Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen der in § 22 Abs. 4 BeamtStG, § 40 Abs. 1 SächsBG (vermeintlich) zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Intention für kategorisch ausgeschlossen. Diese Auslegung ist mit Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbar.
Es kann dahinstehen, ob die durch Fortsetzung eines Widerrufsbeamtenverhältnisses mit einem gegebenenfalls ungeeigneten Polizeianwärter berührten Belange des Dienstherrn (beispielsweise der Schutz von Dienstgeheimnissen; die Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols; die Fortgewährung der Besoldung), die über den seitens der Verwaltungsgerichte unterstellten gesetzgeberischen Wunsch nach „Vermeidung eines rechtlichen Schwebezustands“ hinausgehen, eine Beschränkung des einstweiligen Rechtsschutzes verfassungsrechtlich zu rechtfertigen vermögen. Diese Frage entzieht sich angesichts der Vielgestaltigkeit möglicher Beschränkungen (zum Beispiel in Form erhöhter Anforderungen an die Glaubhaftmachung) und Fallkonstellationen (zum Beispiel hinsichtlich der Relevanz der nichtbestandenen Prüfung für die polizeiliche Tätigkeit) einer schematischen Betrachtungsweise. Dahinstehen kann auch, ob die Auslegung des Oberverwaltungsgerichts unter Folgerichtigkeitsgesichtspunkten mit Blick auf die bei einer Entlassung aus dem Widerrufsbeamtenverhältnis durch Verwaltungsakt gemäß § 23 Abs. 4 BeamtStG grundsätzlich bestehende Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt.
Denn jedenfalls die hier praktizierte pauschale Versagung einstweiligen Rechtsschutzes wird dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nicht gerecht. Bei seiner Auslegung von § 22 Abs. 4 BeamtStG, § 40 Abs. 1 SächsBG verkennt das Oberverwaltungsgericht Bedeutung und Tragweite der Gewährleistungen des Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG, indem es sich einer Prüfung der entlassungsauslösenden Prüfungsentscheidung sowie der dem Beamten entstehenden Nachteile vollständig verschließt und so dem Beamten einstweiligen Rechtsschutz in jedweder Form kategorisch versagt. Jedenfalls in dieser Pauschalität kann die vom Oberverwaltungsgericht zugrunde gelegte gesetzgeberische Intention einen Ausschluss einstweiligen Rechtsschutzes nicht rechtfertigen. Die Vermeidung eines „rechtlichen Schwebezustands“ durch „Anknüpfung an eindeutig fixierbare tatsächliche Vorgänge (Ablegung der Prüfung) [… unabhängig] von einem Streit um das Prüfungsergebnis“22 stellt insoweit keinen überwiegenden, besonders gewichtigen Grund dar.
Dem Oberverwaltungsgericht zufolge kann eine einstweilige Anordnung selbst bei Eintritt existenzieller Nachteile nicht ergehen. Diese pauschale Rechtsschutzverweigerung fällt insbesondere in Fällen der vorliegenden Art besonders ins Gewicht, da die Beendigung des Beamten- und Ausbildungsverhältnisses grundsätzlich zu einer Ausbildungsverzögerung führt und dazu zwingt, Prüfungswissen und -fähigkeiten auf unbestimmte Zeit aufrecht zu erhalten. Den Polizeianwärtern werden mithin gravierende und – jedenfalls hinsichtlich der Ausbildungsverzögerung – irreparable Nachteile zugemutet. Zwingende Gründe dafür nennt das Oberverwaltungsgericht nicht; sie drängen sich auch nicht ohne Weiteres auf.
Darüber hinaus verkennt das Oberverwaltungsgericht die Vielgestaltigkeit möglicher Fehler der Prüfungsentscheidung. Seiner Rechtsauffassung zufolge ist eine einstweilige Anordnung selbst dann ausgeschlossen, wenn die der Entlassung zugrundeliegende Prüfungsentscheidung an offensichtlichen, einer summarischen Prüfung ohne Weiteres zugänglichen oder leicht behebbaren Fehlern leidet (beispielsweise bei einer Personenverwechslung, der Heranziehung nicht einschlägiger Bestehensregelungen oder der Fehlberechnung einer Prüfungspunktzahl). Jedenfalls in Kombination mit der kategorischen Außerachtlassung möglicher schwerer Nachteile kann die zugrunde gelegte gesetzgeberische Intention einen derart undifferenzierten und völligen Ausschluss einer Prüfung der Erfolgsaussichten der prüfungsrechtlichen Hauptsache nicht rechtfertigen.
Die vom Oberverwaltungsgericht praktizierte Auslegung und Anwendung von § 22 Abs. 4 BeamtStG, § 40 Abs. 1 SächsBG ist auch nicht einfachrechtlich zwingend. Die Normen entfalten mit Blick auf ihre Regelungssystematik keine zwangsläufige Sperrwirkung gegenüber der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Vielmehr gestatten sie eine Auslegung, die es den Verwaltungsgerichten ermöglicht, im Sinne von Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG zur Vermeidung schwerer und unzumutbarer, nicht anders abwendbarer Nachteile einstweilige Anordnungen gemäß § 123 VwGO zu erlassen. Sind verschiedene Deutungen einer Norm möglich, so verdient diejenige den Vorzug, die den Grundentscheidungen der Verfassung entspricht. Von ihr muss daher ausgegangen werden23.
In diesem Kontext sind zwei Fragen grundsätzlich voneinander zu unterscheiden, nämlich zum einen die Frage nach Eintritt und Suspendierung der Beendigungswirkung und zum anderen die Frage nach der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes.
Die Frage nach Eintritt und Suspendierung der Beendigungswirkung hat das Oberverwaltungsgericht mit Blick auf den Wortlaut der Normen überzeugend beantwortet. Nach der insoweit verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden; und vom Bundesverfassungsgericht daher grundsätzlich zugrunde zu legenden fachgerichtlichen Auslegung ist Voraussetzung für den Eintritt der Beendigungswirkung lediglich der Realakt „Bekanntgabe des endgültigen Nichtbestehens“. Auf die Rechtmäßigkeit der dem Realakt zugrundeliegenden Prüfungsentscheidung kommt es für den Eintritt der Beendigungswirkung aus regelungssystematischer Sicht nicht an. Widerspruch und Klage gegen die Prüfungsentscheidung haben daher mit Blick auf die Entlassung keine aufschiebende Wirkung im Sinne des § 80 Abs. 1 VwGO. Sie können die auf Realakt basierende Beendigungswirkung nicht suspendieren.
Eine gänzlich andere Frage ist es, ob dem Entlassenen vorläufiger Rechtsschutz durch einstweilige Anordnung – etwa in Gestalt der vorläufigen Fortsetzung der Ausbildung durch Neubegründung eines Beamtenverhältnisses oder außerhalb eines solchen, der vorläufigen Zulassung zur Wiederholungsprüfung oder der vorläufigen Neubewertung – zu gewähren ist. Denn dabei bleibt die Beendigungswirkung mit Blick auf das bisherige Beamtenverhältnis an sich unangetastet. Zwar kommt es für den Erlass einer derartigen einstweiligen Anordnung aufgrund der gestuft prüfungs- und beamtenrechtlichen Hauptsache (zunächst Beseitigung der belastenden Prüfungsentscheidung gegebenenfalls in Kombination mit einer Neubewertung oder Wiederholung der Prüfung und sodann Neubegründung eines Widerrufsbeamtenverhältnisses wohl im Rahmen eines Folgenbeseitigungsanspruchs) auf die prüfungsrechtlichen Einwendungen an. Bei Gewährung des skizzierten einstweiligen Rechtsschutzes wird die Beendigungswirkung jedoch gerade respektiert. Der einstweilige Rechtsschutz setzt zeitlich später an als die Beendigungswirkung und operiert mit dieser, ohne sie aus regelungssystematischer Sicht zu suspendieren.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 9. Juni 2020 – 2 BvR 469/20
- Sächs.OVG, Beschluss vom 12.02.2020 – 2 B 333/19[↩]
- VG Dresden – 11 K 1739/19[↩]
- Sächs. OVG, Beschluss vom 12.02.2020 – 2 B 333/19[↩]
- BVerwG, Urteil vom 14.11.1985 – 2 C 35.84, BVerwGE 72, 207[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 04.04.2013 – 2 B 503/12 13 ff.[↩]
- Sächs. OVG, a.a.O., Rn. 14[↩]
- Sächs. OVG, a.a.O., Rn. 16 ff.[↩]
- Sächs. OVG, a.a.O., Rn.19[↩]
- Sächs. OVG, a.a.O., Rn.20[↩]
- Sächs. OVG, a.a.O., Rn. 21 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 35, 263, 274; 93, 1, 13; stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 37, 150, 153; 46, 166, 178 f.; 65, 1, 70; 93, 1, 13[↩]
- vgl. BVerfGE 77, 275, 284; 93, 1, 13[↩]
- vgl. BVerfGE 61, 82, 111; 67, 43, 58; BVerfGK 1, 201, 204 f.; BVerfG, Beschluss vom 19.12.2016 – 2 BvR 1490/16, Rn. 12[↩]
- vgl. BVerfGE 65, 1, 70 f.; 79, 69, 74 f.; 91, 1, 13 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 79, 69, 74[↩]
- vgl. BVerfGE 133, 1, 23 Rn. 69 m.w.N.; stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 143, 216, 233 Rn. 40, 238 Rn. 51[↩]
- vgl. BVerfGE 35, 382, 402; 67, 43, 59; 69, 220, 228[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.03.1999 – 1 BvR 355/99, Rn. 5; Beschluss vom 21.07.2005 – 1 BvR 584/05, Rn. 13[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.07.1996 – 1 BvR 638/9619; Beschluss vom 31.03.2004 – 1 BvR 356/04, Rn. 21[↩]
- vgl. BVerwGE 72, 207, 209[↩]
- vgl. BVerfGE 35, 263, 280; 46, 166, 184[↩]