OLAF und die nationale Justiz

Bei der EU besteht Europäische Amt für Betrugsbekämpfung („OLAF“), das insbesondere mit internen Verwaltungsuntersuchungen bei den Europäischen Gemeinschaften befasst ist, um dienstliche Verfehlungen der Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften aufzudecken. Stellt OLAF im Rahmen seiner Untersuchungen (vermeintliche) Verfehlungen fest und übermittelt es im Verlauf seiner internen Untersuchung gewonnenen Informationen an nationale Justizbehörden, so stellt diese Übermittlung nach einer heute verkündeten Entscheidung des Gerichts für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union eine beschwerende Maßnahme dar, gegen die Rechtsschutz vor den Gerichten der EU gesucht werden kann. Das Gericht hob jetzt im Falle zweier klagender Beamten die Entscheidung des OLAF auf und verurteilt die Kommission zur Leistung von Schadensersatz an jeden der beiden betroffenen Beamten.

OLAF und die nationale Justiz

Dem Urteil zugrunde lag ein Fall, der in der Lombardei am Lago Maggiore spielt. Dort befindet sich eine EU-Einrichtung, die Gemeinsame Forschungsstelle (GFS) / Joint Research Centre (JRC), eine dem Kommissar für Wissenschaft und Forschung zugeordnete Generaldirektion der Europäischen Kommission.

Im Laufe des Jahres 2002 erstellte der Interne Auditdienst der Gemeinsamen Forschungsstelle (GFS) einen Bericht über die Unfallmeldungen des Personals der GFS in Ispra. Darin wurde darauf hingewiesen, dass die Arbeitsbedingungen am Standort Ispra die hohe Zahl gemeldeter Unfälle nicht erklären könnten und Verdachtsmomente in Bezug auf den Wahrheitsgehalt der Unfallmeldungen bestünden, weshalb es erforderlich sei, das OLAF hiervon zu unterrichten. Außerdem wurde in dem Bericht vorgeschlagen, die Häufigkeit der Unfallmeldungen des in Ispra beschäftigten Personals der GFS mit der Häufigkeit der Meldungen des übrigen Personals der Kommission zu vergleichen.

Im Verlauf der internen Untersuchung betreffend die Anwendung der Regelung über die Unfallversicherung übermittelte das OLAF dem Staatsanwalt der Republik Varese (Italien) Informationen über Handlungen, die nach Ansicht des OLAF strafrechtlich geahndet werden könnten. Darunter befanden sich Informationen über 42 Beamte der GFS, von denen jeder in der Zeit von Januar 1986 bis Juli 2003 mindestens neun Unfälle gemeldet hatte. Den betroffenen Beamten wurde knapp ein Jahr später mitgeteilt, dass das OLAF dieses Informationsschreiben an den Staatsanwalt übermittelt hatte. Das von dem Staatsanwalt eingeholte medizinische und rechtliche Sachverständigengutachten kam zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Gesichtspunkte für den Nachweis betrügerischer Unfallmeldungen nicht ausreichten. Demgemäß stellte der mit der Voruntersuchung beauftragte Richter des Tribunale Varese das Verfahren ein.

Nachdem die Beschwerden gegen die Entscheidung des OLAF, den italienischen Justizbehörden Informationen zu übermitteln, zurückgewiesen worden waren, haben mehrere betroffene Beamte das Gericht erster Instanz angerufen, das die Klagen an das hierfür zuständige Gericht für den öffentlichen Dienst verwiesen hat.

Als Erstes hatte das EU-Dienstgericht die Frage zu beantworten, ob die Entscheidung des OLAF, den italienischen Justizbehörden Informationen zu übermitteln, eine beschwerende Maßnahme im Sinne des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (Art. 90a des Statuts) war, gegen die Beschwerde eingelegt und sodann Klage erhoben werden kann. Diese bisher noch nicht erörterte Frage hat das Gericht in seinem heutigen Urteil bejaht.

Das Gericht hat zunächst festgestellt, dass die Statutsbestimmungen, wonach sich ein Beamter mit einer Beschwerde gegen eine ihn beschwerende Maßnahme des OLAF im Zusammenhang mit einer von diesem geführten Untersuchung an den Direktor des OLAF wenden kann, vom Gemeinschaftsgesetzgeber 2004 erlassen worden sind, um den gerichtlichen Rechtsschutz der vom Statut erfassten Personen zu gewährleisten, und dass diese Bestimmungen die logische Folge der neuen Zuständigkeiten sind, mit denen der Gesetzgeber das OLAF mit der Verabschiedung der Reform des Statuts betraut hat.

Sodann hat das Gericht ausgeführt, dass es in Anbetracht der sich aus dem Grundsatz eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ergebenden Erfordernisse und unter Berücksichtigung der Folgen, die eine Entscheidung über die Übermittlung von Informationen an nationale Justizbehörden haben kann, nicht denkbar ist, einer solchen Entscheidung die Eigenschaft einer beschwerenden Maßnahme im Sinne des Statuts abzusprechen, während der Gemeinschaftsgesetzgeber selbst vorgesehen hat, die internen Untersuchungen des OLAF strikten verfahrensrechtlichen Garantien zu unterstellen, um insbesondere die Wahrung des fundamentalen Grundsatzes der Verteidigungsrechte zu sichern.

Als Zweites stellte sich dem Gericht die Frage, ob im vorliegenden Fall die Entscheidung über die Übermittlung von Informationen an die italienischen Justizbehörden rechtmäßig ergangen war.

Insoweit hat das Gericht darauf hingewiesen, dass der Direktor des OLAF, wenn er Informationen an nationale Justizbehörden zu übermitteln beabsichtigt, in dem Fall, dass die Informationen Schlussfolgerungen enthalten, die sich auf ein namentlich genanntes Mitglied oder einen namentlich genannten Beamten oder sonstigen Bediensteten der Kommission beziehen, verpflichtet ist, diesem vor Übermittlung der Informationen Gelegenheit zu geben, sich zu allen ihn betreffenden Tatsachen zu äußern. Die Kläger hätten daher im vorliegenden Fall vor der Übermittlung des Schreibens an die italienischen Justizbehörden grundsätzlich informiert und zu allen sie betreffenden Tatsachen gehört werden müssen. Das OLAF hätte davon absehen können, wenn dies aus ermittlungstechnischen Gründen gerechtfertigt war, aber unter der Voraussetzung, dass die Zustimmung des Generalsekretärs der Kommission eingeholt wird.

Da keine dieser verfahrensrechtlichen Garantien beachtet worden war, hat das Gericht die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Kommission verurteilt, an jeden Kläger 3 000 Euro als Ersatz seines Schadens zu zahlen.

Gericht für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union, Urteil vom 28. April 2009 in den verbundenen Rechtssachen F-5/05 und F-7/05