Hat ein Verwaltungsgericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit verwiesen, ist dieses gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 und 3 GVG an die Verweisung lediglich hinsichtlich der Bestimmung des Rechtswegs der ordentlichen Gerichtsbarkeit in der jeweiligen Funktion (hier: Strafgerichtsbarkeit) gebunden. Innerhalb dieser Gerichtsbarkeit bleibt eine Weiterverweisung oder Abgabe möglich.
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In dem hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall erhob der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage wegen der Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung. Darüber hinaus beantragte er im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Kreispolizeibehörde, sein eingezogenes privates Mobiltelefon unverzüglich ohne weitere Beweiserhebungen wie das Durchsuchen von Ordnern, Chats, Bildern etc. freizugeben. Die Kreispolizeibehörde teilte dazu mit, der Antragsteller habe trotz Untersagung bei einem Polizeieinsatz anlässlich eines Nachbarschaftsstreits mit seinem Mobiltelefon Videoaufnahmen der eingesetzten Polizeibeamten gemacht. Fernmündlich hätten sowohl der zuständige Staatsanwalt als auch der Ermittlungsrichter eine Beschlagnahme des Mobiltelefons im Rahmen eines Strafverfahrens auf der Grundlage der §§ 201, 201a StGB befürwortet. Demzufolge sei die Beschlagnahme nicht im Wege der Gefahrenabwehr, sondern als Maßnahme im Rahmen eines Strafverfahrens durchgeführt worden.
Mit Beschluss vom 06.09.2024 erklärte das Verwaltungsgericht Düsseldorf nach Anhörung der Beteiligten den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht Ratingen. Im vorliegenden Fall sei die Polizei zum Zwecke der Strafverfolgung (repressiv) tätig geworden und habe deshalb funktional als Justizbehörde im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG gehandelt, sodass die ordentlichen Gerichte zuständig seien. Der Beschluss ist rechtskräftig. Das Amtsgericht Ratingen lehnte mit Beschluss vom 11.10.2024 die Übernahme des Verfahrens ab. Die Verweisung sei willkürlich und deshalb nicht bindend. Gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO könne der Betroffene im Falle einer Beschlagnahme jederzeit eine gerichtliche Entscheidung beantragen, für die sich die Zuständigkeit gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO nach § 162 StPO bestimme. Deshalb sei der Ermittlungsrichter bei dem Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft ihren Sitz habe, mithin beim Amtsgericht Düsseldorf. Da das Verwaltungsgericht diese Zuständigkeitsvorschrift übergangen habe, sei die Verweisung mangels rechtlicher Grundlage nicht bindend.Trotz des verwaltungsgerichtlichen Hinweises, der rechtskräftige Verweisungsbeschluss sei (nur) hinsichtlich der Zuständigkeit der Strafgerichte innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit bindend, hat das Amtsgericht weiterhin eine Übernahme des Verfahrens abgelehnt.
Daraufhin hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 28.11.2024 das Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts angerufen, das als zuständiges Gericht für die Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung das Amtsgericht Ratingen bestimmte:
Das Bundesverwaltungsgericht ist zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Verwaltungsgericht Düsseldorf und dem Amtsgericht Ratingen berufen. Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung (§ 53 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 VwGO wird ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit von dem Gericht entschieden, das den beteiligten Gerichten übergeordnet ist. Zwar ist diese Vorschrift auf den Kompetenzkonflikt zwischen einem Verwaltungsgericht und einem Amtsgericht weder unmittelbar anwendbar noch gibt es für einen solchen Fall an anderer Stelle eine gesetzliche Regelung. Diese Regelungslücke ist aber – im Einklang mit der Rechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes – in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste Bundesgericht den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird1. Denn obwohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den bestrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine Zuständigkeitsbestimmung in Analogie zu § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es in einem Verfahren zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten2. Eine solche Situation ist vorliegend gegeben.
Für die Entscheidung über das von dem Antragsteller geltend gemachte Begehren, im Wege der einstweiligen Anordnung sein beschlagnahmtes Mobiltelefon ohne weitere Beweiserhebungen wiederzuerlangen, ist das Amtsgericht Ratingen als Strafgericht durch die gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindende Verweisung des Rechtsstreits im Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 06.09.2024 zuständig geworden. Soweit der Ausspruch des Verweisungsbeschlusses von Gesetzes wegen Bindungswirkung beansprucht, liegt kein Grund für eine Durchbrechung vor.
Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 06.09.2024 ist unanfechtbar geworden. Die in § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG angeordnete Bindungswirkung tritt auch bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss ein, etwa wenn der Rechtsweg zu dem verweisenden Gericht entgegen dessen Rechtsauffassung gegeben war3.
Mit Rücksicht auf die in § 17a GVG eröffnete Möglichkeit, einen Verweisungsbeschluss in dem in § 17a Abs. 4 Satz 3 bis 6 GVG vorgesehenen Instanzenzug überprüfen zu lassen, kann die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung eines unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden. Das ist nur dann der Fall, wenn sich der bindende Ausspruch der Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass er schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist4. Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist5.
Im vorliegenden Fall beansprucht der Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 06.09.2024 Bindungswirkung allerdings nur insoweit, als der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten unzulässig ist und die ordentlichen Gerichte in ihrer Funktion als Strafgerichte zuständig sind. Insoweit begegnet der Beschluss keinen Bedenken. Das Amtsgericht Ratingen hat verkannt, dass es an die Verweisung gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 und 3 GVG lediglich hinsichtlich der Bestimmung des Rechtswegs der ordentlichen Gerichtsbarkeit in der Variante der Strafgerichtsbarkeit gebunden ist. Innerhalb dieser Gerichtsbarkeit bewirken die genannten Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes hinsichtlich der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit keine Bindungswirkung; an einer Weiterverweisung oder Abgabe an den Ermittlungsrichter ist das Amtsgericht durch die Verweisung nicht gehindert6.
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 6. Januar 2025 – 6 AV 3.24
- BVerwG, Beschluss vom 10.04.2019 – 6 AV 11.19 – NJW 2019, 2112; BGH, Beschluss vom 26.07.2001 – X ARZ 69/01 – NJW 2001, 3631 <3632>[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 14.05.2013 – X ARZ 167/13 – MDR 2013, 1242 zu § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 10.03.2016 – 6 AV 1.16, Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 36 Rn. 4[↩]
- vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 30.06.1970 – 2 BvR 48/70, BVerfGE 29, 45 <48 f.> und vom 23.06.1981 – 2 BvR 1107, 1124/77 und 195/79, BVerfGE 58, 1 <45> und Kammerbeschluss vom 26.08.1991 – 2 BvR 121/90 – NJW 1992, 359 <361>[↩]
- BVerwG, Beschlüsse vom 10.03.2016 – 6 AV 1.16, Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 36 Rn. 4; vom 10.04.2019 – 6 AV 11.19 – NJW 2019, 2112 Rn. 10; und vom 16.06.2021 – 6 AV 1 und 2.21, NVwZ-RR 2021, 740 Rn. 10; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 08.07.2003 – X ARZ 138/03 – NJW 2003, 2990 <2991> vom 09.12.2010 – Xa ARZ 283/10 – MDR 2011, 253 <254> und vom 18.05.2011 – X ARZ 95/11 – NJW-RR 2011, 1497 Rn. 9[↩]
- BGH, Beschluss vom 16.10.2020 – 1 ARs 3/20 – NStZ-RR 2021, 52 <53 ff.> mit Hinweis auf BT-Drs. 11/7030 S. 37; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 15.07.2010 – 3 AV 1.10, Buchholz 310 § 53a VwGO Nr. 1 Rn. 6[↩]
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- Verwaltungsgericht Düsseldorf: Luekk