Gefährliche Jagdgesellschaft

Eion Jäger, der bei einer Treibjagd einen Treiber versehentlich angeschiesst, muss nicht in jedem Fall mit dem Verlust seines Jagdscheines rechnen, wie ein jetzt vom Verwaltungsgericht Münster entschiedener Fall zeigt.

Gefährliche Jagdgesellschaft

Am 28. Oktober 2006 nahm der Kläger an einer Treibjagd auf Niederwild teil. An einem ca. 10 m breiten und 100 m langen, von dichtem Gehölz umgebenen Teich (sog. Steinkuhle) gab er mit seiner Doppelbockflinte des Kalibers 12/70 einen Schuss auf eine fliegende Ente ab. Hierbei stand er unterhalb des umliegenden Geländes in dem Teich, der zu diesem Zeitpunkt fast ausgetrocknet war. Durch den Schuss wurden aufgrund der Streuung der Schrotladung zwei Jagdteilnehmer, die sich in dem auf der gegenüberliegenden Teichseite liegenden Dickicht aufhielten, am Kopf verletzt. Die beiden Jagdteilnehmer trugen rote Signalwesten und ein rotes Signalband am Hut.

Mit Verfügung vom 21. November 2006 erklärte die zuständige Jagdbehörde den Jagdschein des Klägers unter Anordnung der sofortigen Vollziehung für ungültig und zog diesen ein. Ferner forderte sie den Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 1.000,00 Euro auf, den Jagdschein bis zum 30. November 2006 bei dem Beklagten abzugeben. Für die Wiedererteilung des Jagdscheins setzte er eine Sperrfrist von 3 Jahren fest. Zur Begründung führte der Beklagte aus, der Kläger verfüge nicht mehr über die erforderliche Zuverlässigkeit, da die Umstände des Jagdunfalls die Annahme rechtfertigten, dass er Waffen missbräuchlich oder leichtfertig verwende und mit Waffen nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehe. In Anbetracht der Schwere des Vorfalls sei eine Sperrfrist für die Wiedererteilung des Jagdscheins von drei Jahren angemessen.

Hiergegen erhob der Kläger am 27. November 2006 Widerspruch und beantragte die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Zur Begründung führte er aus, er habe nicht mit der unmittelbaren Anwesenheit der geschädigten Jagdteilnehmer rechnen müssen, da diese die Treiberkette verlassen und sich rückwärts durch das Buschwerk fortbewegt hätten. Er habe sich bei der Schussabgabe nicht grob fahrlässig verhalten, sondern lediglich seinen Schusswinkel falsch eingeschätzt. In seiner langjährigen Praxis als Jäger sei es noch nie zu einem Unfall gekommen. Am 19. Dezember 2006 gab der Kläger seinen Jagdschein bei dem Beklagten ab.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. April 2007 wies der Landesbetrieb Wald und Holz NRW den Widerspruch des Klägers zurück. Das Verhalten des Klägers sei gerade wegen seiner langjährigen Erfahrung als Jäger als leichtfertig zu qualifizieren. Mit seinem Schuss in Richtung der geschädigten Treiber habe er gröblich gegen § 3 Abs. 4 und § 4 Abs. 7 der Unfallverhütungsvorschrift „Jagd” der Berufsgenossenschaften verstoßen. Aufgrund des Ablaufs der Treibjagd und der Unwegsamkeit des Geländes hätte er mit der Anwesenheit der geschädigten Treiber rechnen müssen. In Anbetracht der Unübersichtlichkeit des Geländes hätte er von einer Schussabgabe absehen oder aber in einem viel steileren Winkel schießen müssen. Bei dem Unfall sei ein übergroßes Maß an Unvorsichtigkeit zu Tage getreten, so dass die Besorgnis künftiger Leichtfertigkeit durch diesen einzelnen Vorfall gerechtfertigt sei. Eine Sperrfrist von drei Jahren für die Wiedererteilung des Jagdscheins sei unter Berücksichtigung der Schwere des Vorfalls und der bisher nicht beanstandeten Jagdausübung des Klägers angemessen.

Auf seine Klage hin gab nun das VG Münster dem Kläger Recht und seinen Jagdschein zurück:

Nach § 18 Satz 1 in Verbindung mit § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BJagdG ist die Behörde, die den Jagdschein erteilt hat, verpflichtet, diesen für ungültig zu erklären und einzuziehen, wenn nach Erteilung Tatsachen eintreten oder ihr bekannt werden, die die Annahme rechtfertigen, der Inhaber besitze nicht die erforderliche Zuverlässigkeit. Nach § 17 Abs. 3 Nr. 1, 2. Fall BJagdG besitzen Personen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition leichtfertig verwenden werden.

Der geschilderte Jagdunfall rechtfertigt nach Ansicht des VG eine entsprechende Prognose zum künftigen Verhalten des klagenden Jägers aber nicht.

Leichtfertig verwendet werden Waffen oder Munition, wenn die sich aufdrängende Möglichkeit eines Jagdunfalls aus besonderem Leichtsinn oder besonderer Gleichgültigkeit außer acht gelassen wird. Die Befürchtung einer leichtfertigen Verwendung muss auf bestimmte Tatsachen gestützt sein, d. h. auf Verstöße in der Vergangenheit, die einen Schluss auf ein in Zukunft zu befürchtendes Fehlverhalten zulassen. Dabei bedarf es im Allgemeinen einer Gesamtwürdigung des bisherigen Verhaltens des Betroffenen. Die Besorgnis künftigen leichtfertigen Gebrauchs ist etwa bei Menschen gegeben, die aus Anlage oder gewohnheitsmäßig zum Leichtsinn oder vorschnellen, die Folgen ihres Verhaltens nicht bedenkenden, Handelns neigen oder sich über ihr Tun keine Rechenschaft ablegen. Sie kann auch aus einem einzigen Vorfall gezogen werden, wenn darin ein übergroßes Maß an Unvorsichtigkeit bei der Verwendung von Waffen zu Tage tritt.

Gemessen an diesen Vorgaben hat der Kläger am 28. Oktober 2006 bei seinem Schuss auf die Ente zwar objektiv die für den Gebrauch einer Waffe erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, weil er aufgrund der Unübersichtlichkeit und Unwegsamkeit des Geländes mit dem Zurückbleiben von einzelnen Treibern und damit mit ihrer Anwesenheit in seinem Schussfeld hätte rechnen müssen und in Anbetracht seines Standorts keinen ausreichend steilen Schusswinkel gewählt hat. Subjektiv hat der Kläger nach der Überzeugung des Gerichts die sich ihm aufdrängende Möglichkeit eines Jagdunfalls jedoch nicht aus besonderem Leichtsinn oder besonderer Gleichgültigkeit außer acht gelassen.

Eine entsprechende Annahme rechtfertigen bereits nicht die äußeren Umstände der Schussabgabe. Nachdem die Ente am östlichen Ende des Teichs aufgestiegen war, hat der Kläger nicht etwa sofort auf sie und damit in Richtung der dort für ihn erkennbar stehenden Treiber geschossen, sondern die Ente vielmehr nur anvisiert und abgewartet, bis sie an ihm vorüber gezogen war und sich in Richtung des westlichen Teichendes bewegte. Diese Verhaltensweise zeigt, dass der Kläger während des Jagdgeschehens nicht gedankenlos seinem Jagdeifer freien Lauf lässt, sondern grundsätzlich in der Lage ist, Gefahren für andere zu erkennen und sein Verhalten danach auszurichten.

Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 16. Mai 2008 – 1 K 744/07