Die Beanstandung des Haushalts eines Landkreises ist unverhältnismäßig, wenn dem Kreis auch bei größtmöglicher Anspannung seiner Kräfte keine ausreichenden, Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung gestanden haben, um sein Haushaltsdefizit spürbar, d.h. mehr als nur geringfügig, zu reduzieren. Die durch die Kommunalaufsicht des Landes festgesetzte Erhöhung der Kreisumlage ist unzulässig, weil dadurch vom Land unzulässig in die verfassungsrechtlich geschützte finanzielle Mindestausstattung von mehr als einem Viertel der kreisangehörigen Gemeinden eingriffen wird.
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Mit dieser Begründung hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in dem hier vorliegenden Fall des Kreises Kaiserslautern der Klage stattgegeben und die angegriffenen kommunalaufsichtlichen Maßnahmen aufgehoben. Gleichzeitig ist das vorhergehende Urteil des Verwaltungsgerichts abgeändert worden.
Der trotz Verbesserungen gegenüber dem Vorjahr weiterhin unausgeglichene Haushalt für das Haushaltsjahr 2016 des Landkreises Kaiserslautern und seine bilanzielle Überschuldung sind von der Kommunalaufsicht des beklagten Landes beanstandet worden. Außerdem wurde der Landkreis zur Reduzierung des Fehlbetrages um zwei Millionen Euro aufgefordert. Der Landkreis hielt dies für rechtswidrig, weil er seine Kräfte größtmöglich angespannt habe. Vielmehr sei die Finanzausstattung durch das Land zu niedrig. Die von der Kommunalaufsicht als einzig effektives Mittel zur Reduzierung des Fehlbetrages geforderte Erhöhung des Umlagesatzes der Kreisumlage lehnte er mit Blick auf die angespannte finanzielle Lage zumindest einiger kreisangehöriger Gemeinden ab. Daraufhin setzte die Kommunalaufsicht den Umlagesatz für die Kreisumlage im Wege der Ersatzvornahme auf einen trotz der Zusatzbelastung der kreisangehörigen Kommunen ihrer Meinung nach vertretbaren und gebotenen Satz von 44,23 v.H. fest, was eine Erhöhung um knapp zwei Prozentpunkte bedeutete.
Der Landkreis Kaiserslautern erhob gegen diese kommunalaufsichtlichen Maßnahmen Klage, die das Verwaltungsgericht abwies. Nach Meinung des Verwaltungsgerichts sei die kommunalaufsichtliche Beanstandung rechtmäßig, weil der Kreistagsbeschluss des Klägers über den Haushalt 2016 gegen das Überschuldungsverbot und das Gebot des jährlichen Haushaltsausgleichs verstoßen habe. Seiner rechtlichen Verpflichtung, das Haushaltsdefizit so gering wie möglich zu halten, könne sich der Kläger nicht durch Hinweis auf eine unzureichende Finanzierung durch den Beklagten entziehen, solange es ihm möglich sei, selbst Maßnahmen zur Haushaltssanierung zu ergreifen. Eine solche Maßnahme sei die Erhöhung des Kreisumlagesatzes. Der Kläger könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die desolate Finanzlage der meisten seiner kreisangehörigen Gemeinden es nicht zulasse, der Anordnung des Beklagten nachzukommen. Der Beklagte sei rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass bis auf drei Gemeinden keine der kreisangehörigen Kommunen einen „nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag“ aufweise und dass ausreichende Kapitalrücklagen vorhanden seien, um aufgelaufene Fehlbeträge zu verrechnen und somit den geforderten Haushaltsausgleich zu erreichen. Mit dieser Entscheidung war der Kläger nicht einverstanden und hat sein Ziel mit der Berufung weiter verfolgt.
In seiner Urteilsbegründung hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz ausgeführt, dass die Beanstandung des Haushalts des Klägers einschließlich der geforderten Reduzierung des Fehlbetrags und die im Wege der Ersatzvornahme festgesetzte Erhöhung der Kreisumlage durch die Kommunalaufsicht des beklagten Landes rechtswidrig seien. Die Kommunalaufsicht könne Beschlüsse des Kreistags beanstanden, die das bestehende Recht verletzten. Der vom Kreistag des Klägers beschlossene Haushalt für das Jahr 2016 habe zwar objektiv gegen die Pflicht zum Haushaltsausgleich und das Verbot bilanzieller Überschuldung verstoßen. Wenn ein vollständiger Haushaltsausgleich außerhalb des Möglichen liege – wie zwischen den Beteiligten unstreitig hier –, so bestehe die Verpflichtung, den Ausgleich mit allen Mitteln anzustreben. Nach Meinung des Oberverwaltungsgerichts sei die Beanstandung jedoch ermessensfehlerhaft. Für die Rechtmäßigkeit der Beanstandung sei es allerdings vorliegend rechtlich ohne Belang und könne daher offenbleiben, ob das beklagte Land seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung nachgekommen sei, für eine angemessene Finanzausstattung der Landkreise zu sorgen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn – wie hier – außer Streit stehe, dass der Beklagte seinen einfach-gesetzlichen Verpflichtungen zur Finanzierung des Klägers nachgekommen sei. Die ausgesprochene Beanstandung erweise sich vielmehr deswegen als unverhältnismäßig, weil dem Kläger auch bei größtmöglicher Anspannung seiner Kräfte keine ausreichenden, insbesondere mit Blick auf die verfassungsrechtlich geschützten Belange seiner kreisangehörigen Gemeinden zulässigen Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten, um sein Haushaltsdefizit spürbar, d.h. mehr als nur geringfügig, zu reduzieren.
Außerdem seien nicht ausgeschöpfte konkrete Einsparpotenziale von nennenswertem Umfang nicht erkennbar und auch vom Beklagten nicht präzisiert worden. Die dann allein verbleibende Erhöhung der Kreisumlage habe indes vom Beklagten nicht angeordnet werden dürfen, weil sie in die verfassungsrechtlich geschützte finanzielle Mindestausstattung von mindestens ca. einem Viertel der kreisangehörigen Gemeinden eingreife. Bei der Beantwortung der Frage, ob die Erhöhung einer Kreisumlage allein oder im Zusammenwirken mit anderen Umlagen dauerhaft gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf finanzielle Mindestausstattung der umlagepflichtigen Gemeinden verstoße, sei maßgeblich auf die Liquiditätskreditbelastung innerhalb eines Zehnjahreszeitraums abzustellen. Sonstige Finanzkennzahlen, insbesondere die „freie Finanzspitze“ oder die Eigenkapitalhöhe bzw. Kapitalrücklage, seien entgegen der Annahme der Vorinstanz insoweit weniger oder kaum aussagekräftig. Die im Eigenkapital bilanzierten Vermögenswerte, z.B. Friedhöfe, Gemeindestraßen und sonstige kommunale Einrichtungen, seien nämlich überwiegend nicht veräußerbar.
Weiterhin hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz ausgeführt, dass Liquiditätskredite von Gesetzes wegen lediglich den verzögerten Eingang von Deckungsmitteln überbrücken sollten und ausschließlich zu Zwecken der Kassenverstärkung vorübergehend genutzt werden dürften. Sie stellten insbesondere kein Deckungsmittel zur dauerhaften Finanzierung von ungedeckten Auszahlungen oder zur Finanzierung von Zinsgeschäften dar. Für die Frage, ab welcher Kredithöhe die Aufnahme von Liquiditätskrediten signalisiere, dass einer Gemeinde keine ausreichenden Spielräume mehr für die Wahrnehmung freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben zur Verfügung stünden, existierten weder rechtliche Festlegungen noch einschlägige Rechtsprechung. Es sei neben der Dauerhaftigkeit auch die Höhe der Liquiditätskreditbelastung zu betrachten, zu bewerten und diese überdies in Relation zur Einwohnerzahl zu setzen. Der Rechnungshof Rheinland-Pfalz halte in seinem Kommunalbericht 2018 Liquiditätskreditschulden u.a. für problematisch, wenn sie pro Einwohner mehr als 1.000 € betrügen. Daneben könne die Liquiditätskredithöhe pro Einwohner in Relation zu dem landes- oder dem kreisweiten Durchschnitt gesetzt werden. Aus den vom Kläger und vom Statistischen Landesamt vorgelegten Zahlen ergebe sich, dass nach allen diesen Vergleichsmaßstäben langjährig mindestens ein Viertel, häufig sogar ein Drittel bis die Hälfte aller Ortsgemeinden im Bereich des Klägers durchgängig so hohe Liquiditätskreditschulden pro Einwohner aufwiesen, dass ihnen kein rechtlich abgesicherter Spielraum für nicht kreditfinanzierte freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben mehr verbleibe. Deshalb sei die von dem Beklagten im Wege der Kommunalaufsicht durchgesetzte Erhöhung der Kreisumlage rechtswidrig. Der Einwand eines Eingriffs in die finanzielle Mindestausstattung sei vorliegend schließlich nicht deshalb ausgeschlossen, weil die mit dauerhaft hohen Liquiditätskrediten belasteten kreisangehörigen Gemeinden bei struktureller Betrachtung ihre Einnahmemöglichkeiten nicht ausgeschöpft hätten. Ausweislich der Kommunalberichte und eines vom Kläger vorgelegten Gutachtens lasse sich bei einer Querschnittsbetrachtung des Landkreisbereichs kein nennenswertes Potenzial für Einnahmesteigerungen im Bereich der Realsteuerhebesätze feststellen.
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Juli 2020 – 10 A 11208/18.OVG
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