Bei der Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für das Aufstellen von Alttextilcontainern im öffentlichen Straßenraum, hat die Behörde bei ihrer Auswahlentscheidung das Transparenzgebot zu beachten, wenn mehrere Bewerber in Konkurrenz stehen. Dabei handelt es sich nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung, so dass die interne Zuständigkeit hierfür auch in einer Großstadt beim Rat liegt.
Im hier vom Verwaltungsgericht Hannover entschiedenen Fall ist die Sondernutzungserlaubnis des Beigeladenen als Alttextilverbund Nord für die Aufstellung von bis zu 500 Alttextilsammelbehältern rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
Die Erteilung einer gemäß § 18 Abs. 1 des Niedersächsischen Straßengesetzes – NStrG – iVm § 4 Abs. 1 und Nr. 12 der Anlage I der Sondernutzungssatzung der Beklagten vom 13.11.2008 (Gem. Amtsblatt für die Region und die Landeshauptstadt Hannover, Nr. 49 vom 18.12.2009, S. 467) erforderlichen Sondernutzungserlaubnis für die Aufstellung von bis zu 500 Alttextilsammelbehältern steht im Ermessen der Beklagten. Dieses Ermessen ist entsprechend dem Zweck des § 18 NStrG und unter Einhaltung der gesetzlichen Grenzen auszuüben (§ 1 Abs. 1 Nds. VwVfG iVm § 40 VwVfG). Da hier mehrere Interessenten einen Antrag auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis gestellt hatten und die Beklagte die Anzahl der aufzustellenden Behälter auf maximal 500 begrenzt hatte, musste die Beklagte eine Auswahlentscheidung treffen. Diese hält einer gerichtlichen Überprüfung nicht Stand, § 114 Satz 1 VwGO:
Die Auswahlentscheidung hätte nicht der Stadtbaurat ohne Beteiligung des Rats der Beklagten treffen dürfen, weil es sich dabei nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung nach § 62 Abs. 1 Nr. 6 NGO gehandelt hat. Geschäfte der laufenden Verwaltung sind Angelegenheiten, die mehr oder weniger regelmäßig wiederkehrend nach Größe, Umfang der Verwaltungstätigkeit und Finanzkraft der Gemeinde von sachlich weniger erheblicher Bedeutung sind, deren Wahrnehmung also nach feststehenden Grundsätzen „in eingefahrenen Gleisen“ erfolgt1. Zweck von § 62 Abs. 1 Nr. 6 NGO ist es, die Beschlussgremien der Gemeinde von Alltagsgeschäften zu entlasten2.
Nach diesen Maßstäben ist die Zuständigkeit des Tiefbauamtes der Beklagten nicht gegeben, weil die Beklagte nicht nur über den Antrag auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für die Aufstellung eines Alttextilsammelbehälters, sondern über die gesamte Anzahl der im Stadtgebiet von gewerblichen Unternehmern aufzustellenden 500 Behälter zu entscheiden hatte. Diese Entscheidung ist sowohl für die Beklagte als auch für die um eine Sondernutzung nachsuchenden Bewerber finanziell und wirtschaftlich von großer Bedeutung. Die Beklagte hat für die von ihr erteilte Sondernutzung eine Jahresgebühr in Höhe von rd. 122.000,00 EUR festgesetzt, während Mitbewerber bis zu rd. 240.000,00 EUR geboten hatten.
Der Einwand der Beklagten, die Höhe der Sondernutzungsgebühr sei in der Gebührenordnung festgeschrieben, greift bei der Frage, ob ein Geschäft der laufenden Verwaltung vorliegt, zu kurz; denn die von einigen Antragstellern gebotenen Summen können ein Indiz dafür sein, dass die vom Rat der Beklagten beschlossenen Gebührensätze für das Aufstellen von Alttextilsammelbehältern erheblich zu niedrig kalkuliert worden sind. Schon dies spricht dafür, den Rat entscheiden zu lassen. Erst Recht gilt dies dann, wenn der Rat – wie vorliegend – bereits mit der Sache befasst war. Im Jahr 2006 hatte die Verwaltung der Beklagten es für erforderlich gehalten, den Rat über die Neufassung des Vertrages zwischen der Beklagten und dem „Alttextil-Entsorgungs-Verband Hannover und Umgebung“ beschließen zu lassen, weil es sich dabei nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung handele.
Nichts anderes gilt, wenn dieser Vertrag gekündigt wird und die Beklagte vor der Frage steht, wie sie zukünftig – vor allem angesichts zahlreicher neuer Bewerber um die Standplätze – die Alttextilentsorgung in ihrem Stadtgebiet organisieren will; die 500 Alttextilsammelbehälter machen einen nicht unerheblichen Anteil des Mobiliars im öffentlichen Straßenraum aus, sodass der Rat auch in einer Großstadt wie Hannover zumindest Richtlinien erlassen muss, um der Verwaltung mit Art. 3 GG zu vereinbarende Ermessensleitlinien an die Hand zu geben3. Derartige Richtlinien lassen sich auch weder der im Jahre 2008 in Kraft getretenen Sondernutzungssatzung noch der Sondernutzungsgebührenordnung der Beklagten entnehmen; auch die Materialien hierzu enthalten lediglich den Hinweis, dass die Alttextilentsorgung im Stadtgebiet in der Vergangenheit vertraglich geregelt worden sei.
Die Frage ist schließlich auch politisch hochbedeutsam, weil es u.a. um die Frage geht, ob vor allem den privaten Sammlern das Geschäft mit den Alttextilien überlassen werden soll. Diese Frage stellt sich insbesondere vor dem Hintergrund des Entwurfs zur Novelle des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes und der geplanten Einführung der Wertstofftonne (sogenannte O-Tonne) im Stadtgebiet von Hannover.
Die in der Hauptsatzung der Beklagten enthaltenen Wertgrenzen rechtfertigen vorliegend keine andere Beurteilung. Diese Wertgrenzen haben lediglich den Charakter von „Entscheidungshilfen“ bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Geschäfte der laufenden Verwaltung“4 und helfen hier im Ergebnis nicht weiter. Die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für die Aufstellung von 500 Alttextilsammelbehältern läst sich sowohl unter die Rubrik „Verträge über Lieferungen und Leistungen“ (Wertgrenze: 244.000,- EUR) als auch unter die Rubrik „Abschluss von Miet- und Pachtverträgen (Jahresbeträge)“ (Wertgrenze: 81.000,- EUR) fassen. Ob hier möglicherweise sogar die sehr viel niedrigeren Wertgrenzen des 6 Abs. 2 der Hauptsatzung entsprechend anzuwenden waren, hatte die Kammer danach nicht mehr zu entscheiden.
Die fehlende Befassung durch den Rat der Beklagten führt auch zur Aufhebung der den Beigeladenen als Alttextilverbund Nord von der Beklagten erteilten Sondernutzungserlaubnis, §§ 44 Abs. 3 Nr. 3 und 45 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG5. Dieser Fehler ist auch nicht nach § 45 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG geheilt worden, da der Rat der Beklagten einen nachträglichen Beschluss ersichtlich nicht gefasst hat. Die bloße Information des Rates im Laufe des gerichtlichen Verfahrens über die Kündigung des Vertrages ersetzt einen förmlichen Beschluss nicht.
Die fehlende Befassung durch den Rat der Beklagten ist auch nicht etwa unbeachtlich im Sinne von § 46 VwVfG, weil die Erteilung der angefochtenen Sondernutzungserlaubnis eine Ermessensentscheidung darstellt und es nicht offensichtlich ist, dass die Verletzung der Vorschriften über die Zuständigkeit der Organe der Gemeinde die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Die bloße Information des Rates lässt schon deshalb keinen sicheren Rückschluss darauf zu, dass der Rat ebenfalls zu Gunsten der Beigeladenen entschieden hätte, weil der Rat nicht darüber informiert wurde, dass auch andere Bewerber bereit waren, einen Verband zu gründen.
Weiterhin unterliegt die den Beigeladenen erteilte Sondernutzungserlaubnis auch deshalb der Aufhebung, weil die zu Grunde liegende Auswahlentscheidung unter Verstoß gegen das Transparenzgebot zustande gekommen ist und den Anspruch des Klägers auf Einhaltung eines fairen Verfahrens verletzt. Es kann im Ergebnis offen bleiben, ob in der Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für die Aufstellung von 500 Alttextilsammelbehältern eine Dienstleistungskonzession liegt, die zwar nach h.M. nicht unter das Vergaberecht fällt, bei der aber gleichwohl die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts (Diskriminierungsverbot, Transparenzgebot und Gleichbehandlungsgebot) beachtet werden müssen6; denn zu einer den Grundrechtsschutz gemäß Art. 3 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG sichernden Verfahrensgestaltung gehört, dass behördliche Auswahlkriterien transparent sind und den Bewerbern so rechtzeitig bekannt gegeben werden, dass sie sich darauf einstellen können und Chancengleichheit gewährleistet ist7.
Diesen Grundsätzen wird das Auswahlverfahren vorliegend nicht gerecht, weil die Beklagte nicht allen Bewerbern die zur Abgabe eines chancenreichen Antrags notwendigen Informationen überlassen hatte; insbesondere hatte die Beklagte nicht vorab darüber informiert, dass sie eine „Verbandslösung“ mit einer Geschäftsstelle in Hannover – wie bisher – favorisiere. Die Beklagte hat damit dem Kläger und anderen Bewerbern die Möglichkeit genommen, ebenfalls einen Verband zu gründen oder sich einem bereits bestehenden anzuschließen. Entgegen der Ansicht der Beklagten reicht das verfasste Anhörungsschreiben nicht aus, diesen Mangel zu heilen, weil zwischen dem Anhörungsschreiben und der Erteilung der Sondernutzungserlaubnis an die Beigeladenen weniger als 2 Wochen liegen und realistischerweise niemand in der Lage ist, innerhalb dieses kurzen Zeitfensters einen Verband zu gründen oder einem bestehenden beizutreten.
Die Auswahlentscheidung ist darüber hinaus fehlerhaft, weil die Beklagte nicht erkannt hat, dass der Alttextilentsorgungsverband Hannover und Umgebung selbst einen Antrag auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis gestellt hatte, der bis heute noch nicht beschieden ist. Hierdurch wäre allerdings nur der Alttextilentsorgungsverband Hannover und Umgebung auch in eigenen Rechten verletzt, nicht jedoch der Kläger, der in diesem Verfahren nur die Verletzung eigener Rechte geltend machen kann.
Aus den vorstehenden Gründen folgt zugleich, dass die Bescheidungsklage begründet ist, weil die Auswahlentscheidung zu Gunsten der Beigeladenen ermessensfehlerhaft ist und ein erneutes Auswahlverfahren unter Beachtung des Transparenzgebots zu erfolgen hat; dabei geht die Kammer in diesem Verfahren davon aus, dass die Beklagte die Anzahl der im öffentlichen Straßenraum aufzustellenden Alttextilsammelbehälter auf maximal 500 begrenzen darf, wenn diese Begrenzung auf einem schlüssigen Entsorgungskonzept beruht8.
VG Hannover, Urteil vom 9. August 2011 – 7 A 5683/10
- Wefelmeier in: KVR-NGO, Stand: November 2010, § 62 Rn. 35[↩]
- Wefelmeier, aaO[↩]
- vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 09.12.1999 – 5 S 2051/98, NVwZ-RR 2000, 837; Urteil vom 01.08.1996 – 5 S 3300/95, NVwZ-RR 1997, 677[↩]
- Wefelmeier, aaO, § 62 Rn. 36 mwN[↩]
- so OVG Greifswald, Urteil vom 21.03.2007 – 3 L 159/03; VGH München, Urteil vom 31.03.2003 – 4 B 00.2823, NVwZ-RR 2003, 819; VG Braunschweig, Urteil vom 10.02.2009 – 6 A 240/07, NdsVBl. 2009, 176; a.A. wohl Nds. OVG, Urteil vom 16.06.2005 – 7 LC 201/03, NVwZ-RR 2006, 177[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 10.03.2011 – C-274/09, Rettungsdienst Stadler ./. Zweckverband Rettungsdienst Passau, VR 2011, 212; VG Mainz, Beschluss vom 30.08.2010 – 6 L 849/10.MZ; VG Köln, Urteil vom 16.10.2008 – 1 K 4507/08, NVwZ-RR 2009, 327; OLG München Vergabesenat, Beschluss vom 25.03.2011 – Verg 4/11[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.12.2007 – 1 BvR 2177/07; Nds. OVG, Beschluss vom 17.11.2009, aaO[↩]
- vgl. VG München, Urteil vom 23.01.2001 – M 2 K 00.1690; VG Braunschweig, Urteil vom 10.02.2009, aaO[↩]