Für die Darlegung eines kartellbedingten Preishöhenschadens genügt es, wenn der Transportunternehmer alle greifbaren Anhaltspunkte für die nach § 287 ZPO vorzunehmende Schadensschätzung vorträgt, zu deren Darlegung er ohne weiteres in der Lage ist. Die Vorlage einer Vergleichsmarktanalyse kann von ihm nicht verlangt werden, vielmehr können sich Anhaltspunkte je nach den Umständen des Einzelfalls auch aus sonstigen Indizien ergeben, die geeignet sind, auf einen erheblichen Schaden zu schließen.
Die beiden in dem hier entschiedenen Verfahren beklagten LKW-Hersteller gehören zu den führenden Herstellern von Lastkraftwagen im Europäischen Wirtschaftsraum. Mit – auf einem Vergleich beruhenden – Beschluss vom 19.07.2016 (nachfolgend Kommissionsbeschluss) stellte die Europäische Kommission fest, dass die LKW-Hersteller und mindestens drei weitere LKW-Hersteller durch Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für mittelschwere und schwere Lastkraftwagen sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für diese Fahrzeuge nach den Abgasnormen EURO 3 bis EURO 6 gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 EWR-Abkommen verstoßen haben. Für die Zuwiderhandlung, die sich über den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum erstreckte; und vom 17.01.1997 bis zum 18.01.2011 andauerte, verhängte die Kommission gegen die – damals noch als Daimler AG firmierende – Mercedes-Benz Group AG ein Bußgeld von gut 1 Mrd. €; die Rechtsvorgängerin der hier ebenfalls verklagten Traton SE, die MAN SE, wurde als Kronzeugin nicht mit einem Bußgeld belegt. Der Transportunternehmer erbringt mit seinem Unternehmen Transportdienstleistungen. Er nimmt die beiden beklagten LKW-Hersteller auf Ersatz kartellbedingten Schadens im Zusammenhang mit dem Erwerb von Lastkraftwagen in den Jahren 1998 bis 2010 in Anspruch. Seiner Klage liegen 112 Erwerbsvorgänge über von Tochtergesellschaften der LKW-Hersteller hergestellte Lastkraftwagen zugrunde, die er zum Teil über Mietkaufverträge oder Darlehensverträge finanziert hat; bei einigen Fahrzeugen handelt es sich um Vorführ- oder Gebrauchtwagen. Für die Bemessung seines Schadens beruft sich der Transportunternehmer auf eine von der EU-Kommission bei der Beratungsfirma Oxera in Auftrag gegebene Studie zur Quantifizierung von Kartellschäden aus dem Jahr 2009 (nachfolgend Oxera-Studie 2009), wonach Kartelle im Median zu einem kartellbedingten Preisaufschlag von 18 Prozent des gezahlten Preises führten. Davon ausgehend bemisst er seinen Schaden mit 15 Prozent des jeweiligen Erwerbspreises und fordert insgesamt Schadensersatz in Höhe von 1.575.631, 20 €.
Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Leipzig hat die Klage abgewiesen1 hat die Klage des Spediteurs ab, das Oberlandesgericht Dresden2 dessen Berufung zurückgewiesen. Auf die Revision des Transportunternehmers hat der Bundesgerichtshof das Urteil des Oberlandesgerichts Dresden aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht Dresden zurückverwiesen:
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Feststellung, ob der von einem am Kartellverstoß beteiligten Unternehmen vereinbarte Preis wegen des Kartells höher war, als er ohne das Kartell gewesen wäre, nur im Wege eines Indizienbeweises unter Heranziehung derjenigen Umstände getroffen werden, die darauf schließen lassen, wie sich das Marktgeschehen ohne das Kartell wahrscheinlich entwickelt hätte. Diese Feststellung, für die der Maßstab des § 287 Abs. 1 ZPO gilt, hat das Tatgericht nach freier Überzeugung zu treffen3.
Um die erforderliche Überzeugung von der Schadensentstehung verfahrensfehlerfrei zu gewinnen, muss das Gericht eine Gesamtwürdigung vornehmen und sich umfassend mit den Umständen des Einzelfalls auseinandersetzen4. Die Gesamtwürdigung hat alle Umstände einzubeziehen, die festgestellt sind, oder für die diejenige Partei, die sich auf einen ihr günstigen Umstand mit indizieller Bedeutung für oder gegen einen Preiseffekt des Kartells beruft, Beweis angeboten hat. Das Tatgericht ist jedoch nicht gezwungen, jeden angebotenen Beweis zu erheben. Weil es bei der Behandlung von Anträgen zum Beweis von Indizien freier gestellt ist als bei sonstigen Beweisanträgen, darf und muss es bei einem Indizienbeweis vor der Beweiserhebung prüfen, ob die vorgetragenen Indizien – ihre Schlüssigkeit unterstellt – es von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen5.
Im Rahmen der Gesamtwürdigung muss das Tatgericht berücksichtigen, dass zugunsten des Abnehmers eines an einer Kartellabsprache beteiligten Unternehmens eine auf der hohen Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehens beruhende tatsächliche Vermutung – im Sinne eines Erfahrungssatzes – dafür streiten kann, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten. Grundlage dieses Erfahrungssatzes ist die wirtschaftliche Erfahrung, dass die Gründung und Durchführung eines Kartells regelmäßig einen Mehrerlös der daran beteiligten Unternehmen zur Folge hat. Durch Kartellabsprachen sind die beteiligten Unternehmen jedenfalls in einem gewissen Umfang der Notwendigkeit enthoben, sich im Wettbewerb zur Erlangung von Aufträgen gegen konkurrierende Unternehmen durchzusetzen, und Unternehmen, die sich aufgrund solcher Absprachen nicht dem Wettbewerb, insbesondere dem Preiswettbewerb, stellen müssen, werden im Regelfall keinen Anlass sehen, bestehende Preissenkungsspielräume zu nutzen6. Das Gewicht des Erfahrungssatzes hängt entscheidend von der konkreten Ausgestaltung des Kartells und seiner Praxis ab und erhöht sich, je länger und nachhaltiger ein Kartell praktiziert wurde und je größer daher die Wahrscheinlichkeit ist, dass es Auswirkungen auf das Preisniveau gehabt hat, welches sich infolge der Ausschaltung oder zumindest starken Dämpfung des Wettbewerbs eingestellt hat7.
Der Indizienbeweis ist geführt, wenn das Tatgericht aufgrundlage einer Gesamtwürdigung sämtlicher Indizien die am Maßstab des § 287 Abs. 1 ZPO zu messende Überzeugung von der Richtigkeit der zu beweisenden Haupttatsache erlangt hat. Er ist misslungen, wenn unter Berücksichtigung sämtlicher festgestellter oder – mangels erhobenen Beweises – zu unterstellender Indiztatsachen und des ihnen jeweils zukommenden Gewichts zumindest Zweifel daran verbleiben, dass ein Schaden mit der nach § 287 Abs. 1 ZPO geforderten Wahrscheinlichkeit eingetreten ist. Nicht erforderlich ist, dass der Gegner den Beweis des Gegenteils führt, mithin den Richter davon überzeugt, dass ein Schaden nicht entstanden ist8.
Da die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs in erster Linie Sache des dabei nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters ist, unterliegt sie nur eingeschränkter Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Sie kann revisionsrechtlich nur beanstandet werden, wenn das Tatgericht den Streitstoff nicht umfassend, widerspruchsfrei oder ohne Verstoß gegen Denk- und Erfahrungssätze gewürdigt hat und wenn es Rechtsgrundsätze der Schadenbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat9.
Solche Rechtsfehler liegen hier vor. Die Annahme des Oberlandesgerichts Dresden, es könne aufgrundlage des festgestellten Sachverhalts und des Vortrags des Transportunternehmers einen diesem entstandenen Schaden nicht ermitteln, beruht auf einer Verkennung von Rechtsgrundsätzen der Schadensbemessung und einer in sich widersprüchlichen Würdigung des Streitstoffs.
Allerdings ist das Oberlandesgericht Dresden zu Recht davon ausgegangen, dass es Sache des Anspruchstellers ist, diejenigen Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, die seine Vorstellungen zur Schadenshöhe rechtfertigen sollen. Enthält der diesbezügliche Vortrag Lücken oder Unklarheiten, ist es jedoch in der Regel nicht gerechtfertigt, dem jedenfalls in irgendeiner Höhe Geschädigten jeden Ersatz zu versagen. Vielmehr nimmt das Gesetz mit der Einräumung der Befugnis, die Höhe des Schadens zu schätzen (§ 287 Abs. 1 ZPO), in Kauf, dass das Ergebnis der Abschätzung mit der Wirklichkeit vielfach nicht übereinstimmt; die Schätzung soll nur möglichst nahe an diese heranführen. Um der Beweisnot des Geschädigten abzuhelfen, hat das Gericht den Schaden – gegebenenfalls in Form eines Mindestschadens – zu schätzen, wenn und soweit die festgestellten Umstände hierfür noch eine genügende Grundlage abgeben. Insbesondere wenn feststeht, dass ein Schaden in einem der Höhe nach nicht bestimmbaren, aber jedenfalls erheblichen Ausmaß entstanden ist, wird sich in der Regel aus den Umständen, die die Annahme eines erheblichen Schadens begründen, eine ausreichende Grundlage für die Ermittlung eines gewissen (Mindest-)Schadens gewinnen lassen10. Gänzlich absehen von einer Schätzung darf das Tatgericht erst, wenn diese mangels greifbarer Anhaltspunkte völlig in der Luft hängen würde11.
Vor diesem Hintergrund hat das Oberlandesgericht Dresden überzogene Anforderungen an die Darlegungslast des Transportunternehmers gestellt und damit wesentliche Grundsätze der Schadensbemessung verkannt.
An die Darlegung konkreter Anhaltspunkte für die Feststellung des aus einer wettbewerbswidrigen Absprache resultierenden Schadens eines Abnehmers im Rahmen des § 287 Abs. 1 ZPO dürfen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden12.
Die Bezifferung eines Schadens, der aus einem Verstoß gegen das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen resultiert, ist regelmäßig mit erheblichen tatsächlichen Schwierigkeiten und zudem oftmals mit großem sachlichen und finanziellen Aufwand verbunden. In besonderem Maße gilt dies für den durch Kartellabsprachen verursachten Preishöhenschaden, weil dieser Schaden aus einem Vergleich des vertraglich vereinbarten Preises mit dem hypothetischen Preis zu ermitteln ist, der sich ohne Kartellabsprache ergeben hätte.
Dieser hypothetische Wettbewerbspreis kann auf Grundlage der Umstände des Einzelfalls nur näherungsweise bestimmt werden13. Denn die Auswirkungen einer wettbewerbswidrigen Absprache auf den Marktpreis hängen von einer Vielzahl von Faktoren ab14 und sind ihrerseits keiner wissenschaftlich exakten Beurteilung zugänglich. Aus diesem Grund sind die Parteien und die Rechtsanwender bei der Ermittlung von Kartellschäden mit einem besonders hohen Maß an Unsicherheit konfrontiert15.
Für die Annäherung an den hypothetischen Wettbewerbspreis finden in der deutschen Gerichtspraxis in erster Linie räumliche, sachliche oder zeitliche Vergleichsmarktbetrachtungen Anwendung, die in unterschiedlichen ökonometrischen Modellen umgesetzt werden. Dabei kommt den Vergleichsmarktbetrachtungen kein zwingender Vorrang zu; vielmehr können je nach den Umständen des Einzelfalls auch andere anerkannte Methoden zur Ermittlung des hypothetischen Wettbewerbspreises in Betracht kommen16. Teilweise nehmen die Tatgerichte auch selbst Schadensschätzungen vor, gegebenenfalls auf der Basis vorgelegter Parteigutachten17.
Der Kartellgeschädigte, der seinen Schadensersatzanspruch gerichtlich durchsetzen möchte, verfügt typischerweise weder über die erforderlichen Daten noch den notwendigen Sachverstand, um den Preishöhenschaden zu ermitteln. Das gilt insbesondere für die Schadensermittlung aufgrundlage einer anerkannten ökonomischen Methode. Nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen ist er auch nicht verpflichtet, den Umfang des geltend gemachten Schadens durch ein privates Sachverständigengutachten näher darzulegen18. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen19. Im Anwendungsbereich des § 287 ZPO kann es sich dabei auch ohne Antrag der Partei sachverständiger Hilfe bedienen (§ 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Danach genügt es für die Darlegung eines kartellbedingten Preishöhenschadens, wenn der Transportunternehmer alle greifbaren Anhaltspunkte für die nach § 287 ZPO vorzunehmende Schadensschätzung vorträgt, zu deren Darlegung er (ohne weiteres) in der Lage ist. Solche Anhaltspunkte können sich aber nicht nur aus (ökonometrischen) Vergleichsbetrachtungen, sondern je nach den Umständen des Einzelfalls auch aus sonstigen Indizien ergeben, die unter Berücksichtigung des genannten Erfahrungssatzes geeignet sind, auf einen erheblichen Schaden des Transportunternehmers zu schließen, insbesondere aus den im Bußgeldbescheid festgestellten Umständen.
Vor diesem Hintergrund hat das Oberlandesgericht Dresden überzogene Anforderungen an die Darlegung konkreter Anhaltspunkte für die Schadenshöhe durch den Transportunternehmer gestellt.
Zu Unrecht hat es beanstandet, der Transportunternehmer habe den genauen Inhalt der Kartellabsprache zu einer etwaigen Preisüberhöhung nicht dargelegt. Wie sich aus dem Bußgeldbescheid ergibt, haben die Kartellteilnehmer keine Absprachen zu (konkreten) Preisüberhöhungen getroffen. Letztere waren vielmehr – mit vom Oberlandesgericht Dresden angenommener äußerst hoher Wahrscheinlichkeit Folge des von der Europäischen Kommission festgestellten Informationsaustauschs über Bruttolistenpreise. Es erschließt sich daher bereits nicht, welchen weitergehenden Inhalt der Kartellabsprachen der Transportunternehmer hätte vortragen sollen und inwiefern dadurch bessere Rückschlüsse auf den kartellbedingten Preiseffekt ermöglicht worden wären.
Auf einer Verkennung von Rechtsgrundsätzen der Schadensbemessung beruht die Annahme des Oberlandesgerichts Dresden, der Transportunternehmer hätte als weitere Anknüpfungstatsachen Indizien vortragen müssen, die sich aus von ihm angestellten Preisvergleichen ergäben. Der Transportunternehmer hat detailliert zu den seiner Klage zugrundeliegenden Erwerbsvorgängen vorgetragen und mit der Vorlage der Oxera-Studie 2009 weitere ihm zugängliche und seine Schadensberechnung stützende Umstände vorgetragen. Soweit das Oberlandesgericht Dresden meint, ein solcher Vergleich hätte sich etwa aus einem Vergleich der Preise und deren Entwicklung während der Kartellperiode mit den Preisen vor und/oder nach der Kartellperiode ergeben können, oder aus dem Vergleich der Preise und deren Entwicklung auf dem kartellbetroffenen Markt mit Preisen auf nicht von dem Kartellverstoß betroffenen, anderen regionalen Märkten oder auf solchen nicht von dem Kartellverstoß betroffenen Märkten, die zwar andere Güter zum Gegenstand hätten, aber erfahrungsgemäß eine ähnliche Kosten- und Preisentwicklung aufwiesen, hat es vom Transportunternehmer eine Vergleichsmarktanalyse gefordert, die dieser letztlich nur mittels eines von ihm eingeholten ökonomischen Sachverständigengutachtens hätte beibringen können. Dazu war er nach den oben genannten zivilprozessualen Grundsätzen aber nicht verpflichtet. Sofern das Oberlandesgericht Dresden im Streitfall eine Vergleichsmarktanalyse als für die Schadensermittlung geeignet und – mangels hinreichender Grundlage für eine eigene Schadensschätzung notwendig angesehen hätte, hätte es nach den von ihm getroffenen Feststellungen gemäß § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO den vom Transportunternehmer angebotenen Sachverständigenbeweis erheben müssen.
Schließlich beruht auch die Annahme des Oberlandesgerichts Dresden, angesichts der Vielgestaltigkeit und Komplexität wettbewerbsbeschränkender Absprachen lasse sich anhand der Oxera-Studie 2009 nicht auf wissenschaftlichempirischer Grundlage belegen, dass im Falle des LKW-Kartells eine für eine tatrichterliche Schätzung ausreichende Wahrscheinlichkeit für eine kartellbedingte Preisüberhöhung von 15 Prozent oder in Höhe eines anderen Prozentsatzes im Sinne eines Mindestschadens bestehe, entweder auf einer Verkennung der dem Tatrichter durch § 287 Abs. 1 ZPO eingeräumten Freiheit bei der Schadensschätzung oder auf einer in sich widersprüchlichen Würdigung des Streitstoffs. Denn das Oberlandesgericht Dresden hat zuvor die umfassende Gesamtwürdigung aller zu berücksichtigenden Indizien, insbesondere der Feststellungen im Bußgelbescheid, durch das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht in dessen Urteil vom 17.02.202020 wörtlich wiedergegeben und sich sodann nach eigener Prüfung dessen Schlussfolgerung ausdrücklich zu eigen gemacht, es sei praktisch ausgeschlossen, dass durch die verbotenen Verhaltensweisen der LKW-Hersteller und ihrer Mittäter die Endkundenpreise im Ergebnis nicht beeinflusst worden sein könnten. Diese Würdigung und weitere Schlussfolgerungen aus dem Bußgeldbescheid hat der Bundesgerichtshof bereits in einer früheren Entscheidung gebilligt21. Das Oberlandesgericht Dresden hat also aus den Umständen und der ihm bekannten Wirkungsweise des konkreten Kartells den – zulässigen – Schluss gezogen, dass dieses mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu den in der OxeraStudie 2009 genannten etwa sieben Prozent wirkungslosen Kartellen zählt, sondern vielmehr zur großen Mehrzahl von Kartellen, bei denen mit einem spürbaren Preiseffekt zu rechnen ist. Dadurch, dass das Oberlandesgericht Dresden vor diesem Hintergrund nicht einmal die Schätzung eines Mindestschadens für möglich gehalten hat, hat es den Streitstoff widersprüchlich gewürdigt und sich vorschnell seiner Aufgabe entzogen, auf der Grundlage des § 287 Abs. 1 ZPO eine Schadensermittlung vorzunehmen.
Nachdem das Oberlandesgericht Dresden im Übrigen keine Mängel im Vortrag des Transportunternehmers zu den für die Schadensermittlung erheblichen Details der einzelnen Erwerbsvorgänge gesehen hat und auch in denjenigen Fällen, in denen der Transportunternehmer Lastkraftwagen von einem Vertragshändler gekauft, Leasing- und Mietkaufverträge über von ihm bestellte Neufahrzeuge abgeschlossen oder Vorführ- und Gebrauchtwagen erworben hat, von einer an den Transportunternehmer weitergegebenen kartellbedingten Preiserhöhung ausgegangen ist, hätte es die Klage nicht wegen einer fehlenden Substantiierung des Schadens durch den Transportunternehmer abweisen dürfen.
Die Abweisung der Klage durch das Oberlandesgericht Dresden stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als – teilweise – richtig dar (§ 561 ZPO).
Das Oberlandesgericht Dresden hat die Klage nicht deshalb teilweise zu Recht abgewiesen, weil ein Teil der vom Transportunternehmer erworbenen Lastkraftwagen über Mietkaufverträge finanziert worden ist. Wie der Bundesgerichtshof zwischenzeitlich entschieden hat, kann der Erfahrungssatz, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten, in dieser Konstellation schon deshalb uneingeschränkt herangezogen werden, weil diese Vertriebsform auf die volle Deckung der Anschaffungs- und Finanzierungskosten durch den Erwerber gerichtet ist22.
Auch hinsichtlich der auf den Erwerb von Gebraucht- und Vorführwagen gestützten Schadensersatzansprüche erweist sich die Klagabweisung durch das Oberlandesgericht Dresden nicht aus anderen Gründen als richtig. Zwar findet der Erfahrungssatz, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten, insoweit keine unmittelbare Anwendung. Denn die Absprachen der Kartellbeteiligten bezogen sich nach den bindenden Feststellungen des Kommissionsbeschlusses vom 19.07.2016 allein auf Neuwagen, der Erwerb eines gebrauchten Lastkraftwagens fand mithin auf einer nachgelagerten Marktstufe statt. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass dem Transportunternehmer auch wegen des Erwerbs der Gebraucht- und Vorführwagen ein kartellbedingter Schaden entstanden ist. Das Oberlandesgericht Dresden hat festgestellt, dass sämtliche betroffenen Fahrzeuge während des Bestehens des Kartells hergestellt worden seien. Mangels weitergehender Feststellungen ist im Übrigen vom Vortrag des Transportunternehmers auszugehen, wonach es sich um neun Gebraucht- oder Vorführwagen handelt, die im Zeitpunkt des Erwerbs zwischen ein und acht Monate alt waren. Damit besteht die Möglichkeit, dass der jeweilige Verkäufer des Gebrauchtfahrzeugs einen ihm auf der ersten Marktstufe entstandenen Kartellschaden auf den Transportunternehmer – teilweise – abgewälzt haben könnte.
Das angefochtene Urteil war vom Bundesgerichtshof daher insgesamt aufzuheben (§ 562 ZPO). Der Bundesgerichtshof konnte nicht in der Sache selbst entscheiden. Diese war daher zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht Dresden zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
Bundesgerichtshof, Urteil vom 9. Juli 2024 – KZR 98/20
- LG Leipzig, Urteil vom 24.03.2020 – 5 O 3212/17[↩]
- OLG Dresden, Urteil vom 25.11.2020 – U 2/20 Kart[↩]
- st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 23.09.2020 – KZR 35/19, BGHZ 227, 84 Rn. 56 – LKW-Kartell; vom 13.04.2021 – KZR 19/20, WuW 2021, 569 Rn. 53 mwN – LKW-Kartell II; vom 29.11.2022 – KZR 42/20, BGHZ 235, 168 Rn. 39 bis 41 mwN – Schlecker[↩]
- st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 28.01.2020 – KZR 24/17, WuW 2020, 202 Rn. 52 – Schienenkartell II; BGHZ 227, 84 Rn. 88 – LKW-Kartell; WuW 2021, 569 Rn. 53 f. – LKW-Kartell II[↩]
- BGHZ 235, 168 Rn. 41 mwN – Schlecker[↩]
- st. Rspr., vgl. nur BGHZ 227, 84 Rn. 40 – LKW-Kartell; WuW 2021, 569 Rn. 26 – LKW-Kartell II; Urteil vom 28.06.2022 – KZR 46/20, WuW 2022, 681 Rn. 42 – Stahl-Strahlmittel; BGHZ 235, 168 Rn. 44 – Schlecker, jeweils mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 28.06.2005 – KRB 2/05, WuW/E DE-R 1567, 1569 Rn.20 – Berliner Transportbeton I; WuW 2020, 202 Rn. 40 – Schienenkartell II; BGHZ 227, 84 Rn. 57 – LKW-Kartell[↩]
- BGHZ 227, 84 Rn. 58 – LKW-Kartell[↩]
- st. Rspr., vgl. zuletzt etwa BGHZ 235, 168 Rn. 40 f. – Schlecker; Urteil vom 15.12.2022 – VII ZR 177/21 15; vom 07.02.2023 – VI ZR 137/22, VersR 2023, 596 Rn. 50, jeweils mwN[↩]
- BGH, Urteile vom 16.12.1963 – III ZR 47/63, NJW 1964, 589 19]; vom 13.12.2011 – XI ZR 51/10, BGHZ 192, 90 Rn. 68[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 07.07.1970 – VI ZR 233/69, VersR 1970, 924 45]; vom 22.05.1984 – III ZR 18/83, BGHZ 91, 243 55]; vom 08.05.2012 – VI ZR 37/11, NJW 2012, 2267 Rn. 9; vom 06.07.2021 – KZR 11/18, WuW 2021, 642 Rn. 29 – wilhelm.tel, jeweils mwN[↩]
- vgl. zu einem Schaden in Form entgangenen Gewinns BGH, Urteil vom 17.04.1997 – X ZR 2/96, NJW-RR 1998, 331 26] – Chinaherde, sowie zur ebenfalls mit großen Unsicherheiten behafteten Feststellung eines Erwerbsschadens BGH, Urteile vom 17.01.1995 – VI ZR 62/94, NJW 1995, 1023 18, 21]; vom 12.01.2016 – VI ZR 491/14, NJW-RR 2016, 793 Rn. 18; vom 19.09.2017 – VI ZR 530/16, NJW 2018, 864 Rn. 16, jeweils mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 10.02.2021 – KZR 63/18, WuW 2021, 356 Rn. 34 mwN – Schienenkartell VI; vgl. auch Schweitzer/Woeste, ZWeR 2022, 46, 54[↩]
- vgl. BGH, WuW 2021, 356 Rn. 35 – Schienenkartell VI[↩]
- vgl. Schweitzer/Woeste, ZWeR 2022, 46, 54[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 15.05.2012 – KVR 51/11, WuW/E DE-R 3632 Rn. 14 – Wasserpreise Calw; vom 14.07.2015 – KVR 77/13, BGHZ 206, 229 Rn. 22 bis 25 – Wasserpreise Calw II; vom 09.10.2018 – KRB 51/16, WuW 2019, 146 Rn. 66 – Flüssiggas; allgemein zur ökonomischen Diskussion Oxera-Studie 2009, S. iv, v; Haucap/Heimeshoff, ZWeR 2022, 80, 82 ff., 100 ff.; Hüschelrath/Leheyda/Müller/Veith, Schadensermittlung und Schadensersatz bei Hardcore-Kartellen, 2012, S. 81; Coppik/Heimeshoff, Praxis der Kartellschadensermittlung, 2021, S. 17 f.; Schweitzer/Woeste, ZWeR 2022, 46, 6 ff.[↩]
- vgl. OLG Celle, Urteil vom 12.08.2021, WuW 2021, 591 Rn. 97; LG Berlin, Urteil vom 15.06.2023, WuW 2024, 161 Rn. 63, 142[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 05.12.1995 – X ZR 121/93, NJW 1996, 775 9]; vom 19.02.2003 – IV ZR 321/02, MDR 2003, 766 10]; Beschlüsse vom 22.12.2015 – VI ZR 67/15, MDR 2016, 270 Rn. 4; vom 08.12.2021 – VIII ZR 280/20, MDR 2022, 363 Rn. 27[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 17.09.2019 – VI ZR 396/18, MDR 2020, 27 Rn. 17 mwN[↩]
- OLG Schleswig, Urteil vom 17.02.2020 – 16 U 43/19 Kart, NZKart 2020, 206[↩]
- vgl. BGH, WuW 2021, 569 Rn. 54 bis 59 – LKW-Kartell II[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 05.12.2023 – KZR 46/21, WuW 2024, 108 Rn. 28 – LKW-Kartell III[↩]
Bildnachweis:
- Lastwagen: Capri23auto | CC0 1.0 Universal