Die Fremdgeschäftsführerin einer GmbH kann Arbeitnehmer im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes sein. Der Anspruch als Fremdgeschäftsführerin einer GmbH ergibt sich unmittelbar aus § 7 Abs. 4 BUrlG. Dies folgt – unabhängig davon, ob die Geschäftsführerin nach nationalem Recht als Arbeitnehmerin anzusehen ist – aus einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung der Vorschrift.
Nach § 1 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Nach § 2 BUrlG unterliegen dem Geltungsbereich des Bundesurlaubsgesetzes Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Als Arbeitnehmer gelten zudem arbeitnehmerähnliche Personen.
Durch das Bundesurlaubsgesetz werden die Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG umgesetzt. Die nationalen Gerichte sind gehalten, innerstaatliches Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der fraglichen Richtlinie auszulegen, um das in der Richtlinie festgelegte Ziel zu erreichen und damit Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen1. Für die Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs in § 2 BUrlG bedeutet dies, dass die vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten Grundsätze zum Arbeitnehmerbegriff2 heranzuziehen sind. Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff ist maßgeblich, wenn – wie vorliegend mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG – eine unionsrechtliche Regelung angewandt und in nationales Recht richtlinienkonform umgesetzt oder ausgelegt werden muss. Er beeinflusst nationales Recht dort, wo unionsrechtliche Vorgaben für die Regelungsmaterie existieren3.
Der Arbeitnehmerbegriff im Rahmen der Richtlinie 2003/88/EG ist anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen. Als „Arbeitnehmer“ ist jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält4. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist es nicht ausgeschlossen, dass das Mitglied eines Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft „Arbeitnehmer“ iSd. Unionsrechts ist, selbst wenn der Grad der Abhängigkeit oder Unterordnung eines Geschäftsführers bei der Ausübung seiner Aufgaben geringer ist als der eines Arbeitnehmers im Sinne der üblichen Definition des deutschen Rechts5. Die Eigenschaft als „Arbeitnehmer“ iSd. Unionsrechts hängt von den Bedingungen ab, unter denen das Mitglied des Leitungsorgans bestellt wurde, der Art der ihm übertragenen Aufgaben, dem Rahmen, in dem diese Aufgaben ausgeführt werden, dem Umfang der Befugnisse des Mitglieds und der Kontrolle, der es innerhalb der Gesellschaft unterliegt, sowie der Umstände, unter denen es abberufen werden kann6. In die Gesamtwürdigung der Umstände ist einzubeziehen, in welchem Umfang der geschäftsführende Gesellschafter über seine Anteile an der Willensbildung der Gesellschaft wahrnimmt7.
Danach ist die Geschäftsführerin in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall als Arbeitnehmerin iSd. Unionsrechts zu qualifizieren. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war sie weisungsgebunden tätig. Sie hatte auf Anweisung eine Arbeitszeit von 07:00 Uhr bis 18:00 Uhr einzuhalten. Auch die Art der ihr übertragenen Aufgaben spricht für die Arbeitnehmereigenschaft. Diese bestanden im Wesentlichen aus typischen Aufgaben eines Angestellten. So hatte die Geschäftsführerin vormittags eine sog. „Kaltakquise“ durchzuführen, indem sie eigeninitiativ Firmen anrief und Leistungen der Z GmbH H, Geschäftsstelle M, anbot. Nachmittags waren im Außendienst Kundenbesuche und Kontroll- und Überwachungsaufgaben zu erledigen. Es bestand die Vorgabe, wöchentlich 40 Telefonate und 20 Besuche durchzuführen und nachzuweisen. Darüber hinaus führte sie die Vorstellungsgespräche und Einstellungsverhandlungen. Nach § 7 des Gesellschaftsvertrags der Beklagten kann ein Geschäftsführer jederzeit abberufen werden. Anhaltspunkt dafür, dass die Geschäftsführerin Mehrheitsgesellschafterin war oder eine Sperrminorität besaß, sind nicht ersichtlich.
Zutreffend hat im vorliegenden Fall das Landesarbeitsgericht Hamm8 den Umfang des abzugeltenden Urlaubs berechnet, ohne dabei zu berücksichtigen, dass die Geschäftsführerin ihr Geschäftsführeramt niederlegte. Dieser Umstand konnte sich nicht auf die Berechnung des Urlaubs auswirken. Durch die Amtsniederlegung ist es der Geschäftsführerin nicht unmöglich geworden, ihre vertraglichen Pflichten zu erfüllen.
Nach §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG setzt der gesetzliche Urlaubsanspruch – dem Grunde nach – allein das Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraus. Er steht nicht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht hat. Der Umfang des gesetzlichen Urlaubsanspruchs ist nach § 3 Abs. 1 BUrlG zu berechnen9. Er bemisst sich nach den regelmäßigen Tagen mit Arbeitspflicht. Diese können sich unterjährig aufgrund verschiedener Umstände ändern. Das kann eine zeitabschnittsbezogene Berechnung erfordern, indem die in § 3 Abs. 1 BUrlG genannten 24 Werktage durch die Anzahl der Arbeitstage im Jahr geteilt und mit der Anzahl der für den Arbeitnehmer maßgeblichen Arbeitstage multipliziert werden10.
Eine zeitabschnittsbezogene Berechnung könnte auch dann veranlasst sein, wenn der Geschäftsführer einer GmbH sein Amt niederlegt und deshalb außerstande ist, seine Funktion als Geschäftsführer zu erfüllen. Die Frage, ob beschäftigungslose Zeiten in diesem Fall Zeiten mit Arbeitspflicht gleichzustellen sind, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Der Geschäftsführerin ist durch die Niederlegung ihres Geschäftsführeramtes die Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten nicht unmöglich geworden. Der Dienstvertrag sieht zwar nur ihre Beschäftigung als Geschäftsführerin vor. Eine Tätigkeit unterhalb der Organebene kann typischerweise aus dem Anstellungsvertrag, der die Geschäftsführertätigkeit regelt, nicht hergeleitet werden11. Dieser typisierende Grundsatz greift aber nicht, wenn die Parteien – wie hier – abweichend vom Normalfall auch Tätigkeiten unterhalb der Geschäftsführertätigkeit zum Gegenstand ihres Vertragsverhältnisses gemacht haben. Die Beklagte setzte die Geschäftsführerin vor deren Amtsniederlegung in der Geschäftsstelle M der Z GmbH H ein und vereinbarte mit der Geschäftsführerin eine Tantieme, die sich nach dem Ergebnis der Geschäftsstelle M bemaß. Dort nahm die Geschäftsführerin Aufgaben unterhalb der Organebene wahr, die sie seit 2018 ausübte (Kaltakquise, Kundenbesuche, Kontroll- und Überwachungsaufgaben, Vorstellungsgespräche und Einstellungsverhandlungen). Diese hätte sie auch nach der Amtsniederlegung weiter erfüllen können.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Juli 2023 – 9 AZR 43/22
- EuGH 6.11.2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 58 f.[↩]
- vgl. EuGH 17.03.2021 – C-585/19 – [Academia de Studii Economice din Bucure?ti] Rn. 58 f.[↩]
- BAG 8.02.2022 – 9 AZB 40/21, Rn.20; 27.04.2021 – 2 AZR 540/20, Rn. 23[↩]
- EuGH 26.03.2015 – C-316/13 – [Fenoll] Rn. 27 mwN[↩]
- vgl. EuGH 9.07.2015 – C-229/14 – [Balkaya] Rn. 38; 11.11.2010 – C-232/09 – [Danosa] Rn. 47[↩]
- vgl. EuGH 9.07.2015 – C-229/14 – [Balkaya] Rn. 38; 11.11.2010 – C-232/09 – [Danosa] Rn. 47; BAG 17.01.2017 – 9 AZR 76/16, Rn. 24, BAGE 158, 6[↩]
- vgl. EuGH 9.07.2015 – C-229/14 – [Balkaya] Rn. 40[↩]
- LAG Hamm 24.06.2021 – 5 Sa 1494/20[↩]
- vgl. BAG 30.11.2021 – 9 AZR 225/21, Rn. 8, BAGE 176, 251; 19.03.2019 – 9 AZR 406/17, Rn. 21 f., BAGE 166, 176[↩]
- vgl.19.03.2019 – 9 AZR 406/17, Rn. 28 ff., aaO[↩]
- vgl. BGH 11.10.2010 – II ZR 266/08, Rn. 9[↩]